# taz.de -- Historiendrama über Churchill: Die Mobilisierung der Sprache | |
> Weltgeschichte als Handeln mutiger alter Männer: Der heroisierende Film | |
> über Winston Churchill, „Die dunkelste Stunde“, trifft einen Nerv. | |
Bild: Gary Oldman als Winston Churchill | |
Wie doch der Kontext einen Film verändert. Vor sieben Jahren gewann „The | |
King’s Speech“ den Oscar. Darin gab Colin Firth sehr mitreißend den | |
britischen Monarchen Georg VI., der sein Stottern überwindet, um zum | |
Kriegsbeginn 1939 sein Volk per Radio ansprechen zu können. Es war, wie | |
gesagt, ein packender Film, der zugleich aber hoffnungslos altmodisch | |
erschien mit seinen im Übermaß vertrauten Techniken der Vermenschlichung | |
einer historischen Figur, die die anschließende Heroisierung derselben nur | |
noch pathetischer machte. | |
Joe Wright wendet nun das gleiche Verfahren auf Winston Churchill an, und | |
nein, „Die dunkelste Stunde“ kommt in seinem Zugriff keinesfalls moderner | |
daher als „The King’s Speech“, zumal im Vergleich zu Christopher Nolans | |
„Dunkirk“, mit dem er die zeitliche Konzentration auf den Mai-Juni 1940 | |
teilt. Aber dennoch scheint der heroisierende Churchill-Film einen Nerv zu | |
treffen. In so manchem britischen Kino sei es nach bestimmten Szenen zu | |
stehenden Ovationen gekommen, meldete der Telegraph zum Filmstart. | |
Zu anderen Zeiten also hätte man diesen Film leicht abtun können, als | |
„Oscar-Köder“ und Biopic-Kitsch, der einem Schauspieler die begehrte | |
Trophäe sichern kann, wenn er sich nur mutig in Maskerade begibt. Zu | |
anderen Zeiten wäre einem das Pathos, mit dem hier Weltgeschichte als | |
Handeln mutiger alter Männer inszeniert wird, schnell auf die Nerven | |
gegangen. Im Hier und Heute jedoch bringt der fette, alte, schrullige | |
Troll, als den Gary Oldman Churchill hier gibt, doch tatsächlich selbst | |
Skeptiker zum Mitseufzen. | |
Denn Joe Wright stellt den Film ganz in den Dienst einer historischen | |
These: Ohne Churchill, ohne sein stures und riskantes Eintreten gegen die | |
Appeasement-Bestrebungen seiner eigenen Partei und Umgebung, die Hitler | |
Zugeständnisse machen wollten im Austausch für einen Separatfrieden, wären | |
die Nazis vielleicht nie besiegt worden. Statt Churchill als kontroverse | |
Gestalt auszuleuchten, konzentriert sich „Die dunkelste Stunde“ auf seine | |
ersten Tage als Premier inmitten der Krise um die eingeschlossenen Truppen | |
bei Dünkirchen, in denen er das Ruder herumreißt, eine Niederlage zum Sieg | |
erklärt und Hitler und dem Faschismus den Kampf bis zum Letzten ansagt. Es | |
reißt einen wirklich von den Sitzen. | |
## Gespickt mit Churchills besten Sprüchen | |
So mag es mehr ein Indiz des gegenwärtigen Krisengefühls als die Stärke des | |
Films sein, dass man ihm willig einiges durchgehen lässt. Da wäre die | |
schöne junge Frau (Lily James), die als Churchills Schreibkraft mit | |
traurigen Augen allzu offensichtlich für die Beimischung des | |
„Allzumenschlichen“ sorgt. Da sind die Szenen, die aus ihrer Erfundenheit | |
keinen Hehl machen und Churchill in der Begegnung mit dem einfachen Volk in | |
der U-Bahn zeigen, wobei dessen Zusammensetzung so „divers“ – Frauen und | |
Farbige sind auch dabei! – gestaltet ist, dass Churchill als moderner | |
Liberaler erscheint. | |
Und ja, das ist Gary Oldman, der sich hinter dicken Maskenschichten ins | |
Zeug legt und dabei einen Auftritt hinlegt, der über bloße Anverwandlung | |
hinausgeht. Er stattet seinen Churchill mit einem quecksilbrigen | |
Temperament aus, das zwischen Lebensfreude und Depression, Eitelkeit und | |
Eifer schillert. Zudem ist der Film gespickt mit Churchills besten | |
Sprüchen. Der König fragt ihn an einer Stelle missbilligend, wie er es | |
schaffe, tagsüber Alkohol zu trinken. „Übung“, lautet die knappe Antwort. | |
Das aber ist die Stärke dieses Films: sein Sinn für Rhetorik und für deren | |
Einsatz in der Politik. Das Drehbuch von Anthony McCarten weist den Reden | |
Churchills eine dramatische Schlüsselfunktion zu und Wright inszeniert sie | |
mit fast begieriger Lust am historischen Replay, von der „Blut, Schweiß und | |
Tränen“-Rede zum Amtsantritt bis zur berühmten „We will fight on the | |
beaches …“-Rede nach der Rettung der Truppen bei Dünkirchen. Wie es der | |
damalige amerikanische Londonkorrespondent Edward R. Murrow formulierte: | |
„Er mobilisierte die englische Sprache und schickte sie in die Schlacht.“ | |
18 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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