# taz.de -- Konzert von Trio Gordan in Berlin: Und die Glocke summt tatsächlich | |
> Hochzeitslieder und Störgeräusche: Das Elektronikfolk-Trio Gordan | |
> veranschaulicht bei seinem Auftritt in Berlin den Flair des Nachtzugs | |
> nach Belgrad. | |
Bild: Gordan-Sängerin Svetlana Spajic am Sonntag in der Berghain-Kantine Berlin | |
Sonntagabend, zehn Minuten vom Ostbahnhof: Die Schlange vor dem | |
[1][Berghain], glänzendes Schwarz und blasse Haut, reicht über den weiten | |
Vorplatz bis zur Imbissbude an der nächsten Querstraße. Das Technobabel hat | |
die Fenster rot illuminiert. Vor ihnen dämmert eine Melange aus Baumärkten, | |
Lagerhallen und Schienensträngen, hinter ihnen hat sich ein Mensch aus der | |
wogenden Masse gelöst und tanzt an der Trennscheibe zur Welt. | |
Nicht schlecht, aber die andere Party steigt heute Abend im Nebengelass in | |
der Berghain-Kantine. Sie liegt links von dem ehemaligen Heizkraftwerk, ein | |
Landgasthaus neben dem Palast. Geschmackssache, wen es wohin zieht. | |
In die Kantine eingeladen hat das Trio Gordan: die Sängerin Svetlana | |
Spajić, der Multiinstrumentalist Guido Möbius und der Drummer Andi Stecher. | |
Gordan könnten am Ostbahnhof aus dem Spree-Donau-Kurier gestiegen sein: | |
Spajić kommt aus [2][Belgrad], Stecher pendelt zwischen [3][Innsbruck] und | |
Berlin, wo Möbius lebt. Tatsächlich beschließen Gordan in der Hauptstadt | |
eine Herbsttour. Gerade haben sie in Hamburg auf der „MS Stubnitz“ die | |
Nordlichter zum Tanzen gebracht, erzählt ihr Tourbegleiter Thomas Herbst. | |
## Wenn die Ride-Becken rasseln | |
Wenig später pulsiert ein elektronischer Beat durch die Kantine. Stecher | |
lässt eine Metallkette über das Ride-Becken rasseln und ratschen. „Opa“, | |
ruft Spajić. Das meint nicht etwa die Ahnen, wobei es in den nächsten 90 | |
Minuten durchaus um Überlieferungen gehen wird. Das Motto hört man oft am | |
Anfang oder inmitten von Balkanmusik, auf Halligalli aller Art. Es ist ein | |
Ausdruck von Freude und Überraschung. Möbius grundiert an den Saiten. Das | |
Konzert hebt ab. | |
„Woe Is Me In Foreign Lands“ heißt der erste Song des Abends. Das gar nicht | |
wehmütige Lied von Heimweh ist einer der vielen Songs aus der serbischen | |
Folklore, die Gordan auf mittlerweile zwei Alben so interpretieren, dass | |
Altes wie von heute klingt. | |
Der Song ist ein Traditional der dalmatinischen Serben, hat Spajić im | |
Interview mit der britischen Avantgarde-Fibel The Wire erklärt. Erschienen | |
ist es 2021 auf dem Debütalbum, das Gordan während des Lockdowns in Berlin | |
aufgenommen haben. Im Video fährt Spajić im Taxi durch Dorćol in der | |
Belgrader Altstadt. Die Sängerin wirkt nachdenklich, besorgt. | |
## Der zweite Song ist ein Brecher | |
Auf der Bühne ist Spajić anfangs beherrscht, doch das wird sich ändern. Der | |
zweite Song ist ein Brecher: Stecher trommelt zackige Wirbel auf der Snare | |
und schickt Basstrommelbeben hinterher, Möbius schraubt an den Geräten. Im | |
Refrain verzahnen sie das Klirren der Becken mit den elektronischen | |
Geräuschen vom Effektentisch. | |
Der Song ist neu, wenige Tage alt. Gordan haben gerade ein drittes Album | |
aufgenommen, erzählt Spajić in ihrer tiefen Stimme. Sie singt, auch wenn | |
sie spricht. Erst der dritte Song, „The Bell Is Buzzing“, kommt vom | |
aktuellen Album. Tatsächlich summt die Glocke. | |
Auch „Oh My Rose Flowers“, Gordan verwenden zum Teil englische Titel, | |
Spajić singt aber konsequent serbisch, ist ein Liebeslied. Die hat nicht | |
nur schwache Worte, und jetzt bringt Stecher wieder die Kette zum Einsatz, | |
greift zu den Paukenschlegeln und trommelt die Floor Tom via umgedrehtes | |
Metallbecken. Möbius webt den Geräuschteppich mit Frequenzen aus dem | |
Mikrofon. Im nächsten Song greift er zum Geigenbogen. | |
## Blood, Sweat and Tears | |
„How A Mountain Fairy Divided The Two Jakšić Brothers“, der ultimative | |
Popsong der Südslawen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, mutet wie eine | |
alte Balkanfabel an und ist die eines Brudermords. „Blood, sweat and | |
tears“, kommentiert Spajić. Auch das ist nicht von gestern. Bei Gordan geht | |
es um Liebe und Katastrophen, um Menschen innerhalb der großen Geschichte. | |
„Gastarbeitersongs“, meint Spajić, als sie zwei weitere neue Stücke ansag… | |
Sie singt von Erinnerungen an das Dorf, die D-Mark und vom schwarzen | |
Mercedes. In der Kantine ist mittlerweile eine Sause gestiegen. Nicht nur | |
die Muttersprachler sind aus dem Häuschen. „Još jedno“, noch eins, ruft | |
einer. Drei Zugaben werden Gordan geben. Vorher sagt Spajić dem Rufer, er | |
könne dem Publikum die Texte des Abends übersetzen. | |
In „Barabinska“, Auftaktsong vom aktuellen Album, tritt ein Herumtreiber | |
auf. Man hört den Typen förmlich durch die Nacht oder den Morgen schwanken. | |
Und irgendwie ist der Vogel, woher oder wohin auch immer es ihn zieht, | |
unwiderstehlich. Den Schlusspunkt setzt ein Hochzeitslied. | |
Dann entlässt die Kantine ihre Gäste in die Nacht. Draußen ist immer noch | |
Friedrichshain. Die Schlange vor dem Berghain-Palast hat sich halbiert. | |
„Kommt doch auch einmal zu uns/ Unser Lied ist ein schöner Schrei“, möchte | |
man mit Miodrag Pavlović, auch er aus Belgrad, den wartenden Pilgern | |
zurufen. | |
Der nächste Zug Richtung Donau und Save geht morgen früh. | |
29 Oct 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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