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# taz.de -- Pop-Ikone Jane Birkin hält Rückschau: „Ich habe zu wenig Regeln…
> Jane Birkin gilt heute als Ikone des Pop. Ein Gespräch mit der Sängerin
> und Schauspielerin über ihr Leben, ihre Rolle als Frau, Mutter und
> Künstlerin.
Bild: Jane Birkin in einer Filmszene aus „Blow Up“
taz: Jane Birkin, lange Zeit wurden Sie von vielen nur als Muse von Serge
Gainsbourg und als Sexsymbol wahrgenommen. Inzwischen gelten Sie als Ikone
des Pop. Was ist Ihre Erklärung für diesen kulturellen Wandel?
Jane Birkin: Es freut mich natürlich, dass mich nun so viele Menschen für
das, was ich gemacht habe, wertschätzen. Darunter sind auch viele junge
Fans. Wenn ich das Haus verlasse, lächeln mich die Passanten auf der Straße
an. Das ist ein unglaubliches Gefühl! Auf der anderen Seite tue ich mich
mit dem Begriff Ikone schwer. Ich weiß nicht, wann er plötzlich in Mode
gekommen ist. Vor 20 Jahren war er noch nicht populär. Aber seither scheint
sehr viel ikonisch geworden zu sein. Insofern ist es eigentlich nichts
Besonderes mehr, als Ikone bezeichnet zu werden.
Können Sie trotzdem sagen: Ich bin stolz darauf, wer ich bin?
Nein! Wenn ein Konzert gut gelaufen ist, kann ich das durchaus anerkennen.
Gleichwohl macht mir zu viel Applaus immer Angst. Denn ich fürchte, dass
sich dieser Erfolg am nächsten Abend nicht wiederholen lassen wird. Die
Zuschauer könnten mich durchschauen und zu dem Ergebnis kommen: Jane Birkin
ist gar nicht so einzigartig. So geht es wohl fast allen Sänger:innen
und Schauspieler:innen.
Auch Ihre Tochter, Charlotte Gainsbourg, ist Sängerin und Schauspielerin.
Für ihr Regiedebüt hat sie sich Ihnen mit der Dokumentation „Jane by
Charlotte“ angenähert. War das unangenehm für Sie als Mutter, als Sie den
Film zum ersten Mal gesehen haben?
Ich schaute mir den Rohschnitt gemeinsam mit Charlottes Lebensgefährten
Yvan Attal an. In dieser Fassung gab es viele Impressionen eines Konzerts
von mir in Japan. Ich stand oft auf der Bühne, dadurch wirke ich wie eine
dieser singenden Mütter, die ständig auf dem Sprung von einem Auftritt zum
nächsten sind. Deshalb war ich froh, als Yvan Charlotte vorgeschlagen hat,
sie solle weniger Konzertszenen zeigen, sondern sich auf ihren Schwerpunkt
konzentrieren. Tatsächlich wollte sie sich nämlich mit einer Frage
auseinandersetzen, die Töchter und Mütter umtreibt: Wo ist mein Platz in
deinem Leben und deinem Herzen?
Inwiefern hat diese Dokumentation Ihre Beziehung zu Ihrer Tochter
verändert?
Verändert hat sich überhaupt nichts. Dennoch haben unsere Diskussionen
etwas bewirkt, wir verstehen einander nun besser. Ich glaube, Charlotte
sieht inzwischen, wie ähnlich ihre jüngste Tochter Jo meiner Tochter Lou
ist. Wir waren beide 40, als wir Mädchen bekamen. In diesem Alter ist man
einfach eine andere Mutter als in jungen Jahren. Man hat eine andere
Beziehung zu seinem Kind. Als ich zum ersten Mal schwanger wurde, war ich
19. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich war damals viel zu jung für die
Mutterrolle. Bei meiner Tochter Kate habe ich deswegen einen großen Fehler
gemacht.
Was ist schiefgelaufen?
Ich setzte alles daran, um bei ihr möglichst nicht in Ungnade zu fallen.
Wenn sie etwas machen wollte, sagte ich: Selbstverständlich kannst du das
tun. Sie sollte sich geliebt fühlen und mich lieben. Allerdings hat Kate im
Erwachsenenalter beklagt: Bei uns zu Hause habe es keine Regeln gegeben. Es
sei ständig Unruhe gewesen. Insofern fehlte ihr als Kind etwas ganz
Entscheidendes: ein Gefühl von Sicherheit.
Ihrer Tochter Kate Barry, die 2013 durch einen tragischen Fenstersturz
starb, haben Sie auf Ihrem aktuellen Album „Oh! Pardon tu dormais …“
mehrere Songs gewidmet. Werden Sie diese Stücke auf Konzerten spielen?
Ja. Vor allem „Catch me if you can“ singe ich gern. Ich erinnere mich genau
daran, wie der Text entstanden ist. In meinem Haus in der Bretagne hörte
ich die Musik von Etienne Daho. Sie klang so, als würde jemand fallen. Ich
dachte daran, wie Kate aus dem Fenster stürzte. Zugleich kam mir ein
Post-it-Zettel in den Sinn, der auf einem ihrer Tagebücher klebte. Auf
diesem Zettel stand: „Glücklich wie Odysseus zwischen seinen Eltern …“ I…
grübelte, was das bedeutete. Wonach hatte sich Kate gesehnt? Wollte sie zu
ihren Eltern nach Hause kommen? Hätte ihr das ein Gefühl von Sicherheit
vermitteln können?
Während Kate zerbrechlich war, wirkt Ihre Tochter Lou Doillon stark. Müssen
Frauen jener Generation nicht mehr so sehr darum kämpfen, als Künstlerinnen
ernst genommen zu werden, wie Sie?
Lou ist charakterlich ein völlig anderer Typ als ich. Sie hat
Persönlichkeit, sie lässt sich nicht herumschubsen. In ihren eigenen
Liedern hat sie etwas zu sagen. Und wenn sie zeichnet, hat sie das
Bedürfnis, etwas mit ihren Mitmenschen zu teilen. Bei Lou steht immer das,
was sie gerade tut, im Vordergrund – nicht ihr Äußeres. [1][Auch Charlotte
fand schon mit 12, 13 für ihre künstlerische Arbeit Akzeptanz]. Ich dagegen
wurde als junge Frau allein auf meine Schönheit reduziert. Ich war bloß ein
hübsches englisches Mädchen, irgendwie langweilig.
Wie alle Frauen zog ich mich wie eine Puppe an, ich trug Make-up und
falsche Wimpern. Alles an mir war unecht. Ich habe nie ohne Kajalstift
unter dem Kopfkissen geschlafen. Damit ich mich schnell schminken konnte,
falls mein Mann nachts zu mir kommen würde. Ich war mit dem Regisseur John
Barry verheiratet. Als das Magazin Newsweek einen Artikel über ihn brachte,
war in der Geschichte von seinem Jaguar E-Type und seiner E-Type-Frau die
Rede. Das war beleidigend für mich.
Konnten Sie sich durch die Begegnung mit Serge Gainsbourg davon befreien?
Auch an der Seite von Serge nahm ich zunächst den Charakter an, den er für
mich bestimmt hatte. Ich war immer noch wie eine Puppe. Wenn ich Serges
Songs gesungen habe, war ich äußerst nervös, da ich den Songs unbedingt
gerecht werden wollte. Meine eigenen Songs gehe ich wesentlich entspannter
an. Obwohl es zunächst gar keine Option für mich war, eigene Stücke zu
komponieren. Schließlich war ich mit einem Mann zusammen, der die
französische Sprache wie ein Poet zu nutzen wusste. Das war wahrscheinlich
der Grund, warum ich meine eigene Leistung nicht sehr hochhielt. Ich war
immer ein bisschen irritiert, wenn ich für meine Kunst ausgezeichnet wurde.
Fanden Sie erst zu sich selbst, als Sie mit dem Regisseur Jacques Doillon
liiert waren?
Nachdem ich in zwei Filmen von Jacques mitgespielt habe, [2][wurde ich auf
einmal als Schauspielerin im dramatischen Fach akzeptiert]. Ich spielte
sogar Theater. Noch einen Schritt weiter brachte mich der Film „Eine Frau
mit 15“, für den mich Jacques als Regieassistentin und Skriptgirl
engagierte. Danach drehte ich meinen Debütfilm „Oh! Pardon tu dormais …“
mit den großartigen Schauspieler:innen Christine Boisson und Jacques
Perrin. Das war sehr aufregend! Trotzdem entwickelte ich keinen brennenden
Ehrgeiz als Regisseurin, weil ich mit einem genialen Filmemacher
zusammenlebte. Ich traute mich nicht, mich dauerhaft in Jacques Domäne
einzurichten.
Einerseits waren Sie als junge Frau nicht sehr selbstbewusst, anderseits
haben Sie in Ihrer Beziehung mit Serge Gainsbourg Konventionen ignoriert.
Wie passt das zusammen?
Ich war nie besonders mutig, ich habe einfach ein in den Swinging Sixties
typisches Bohemeleben gelebt. Wenn man in London über die Kings Road ging,
sah man viele Menschen, die lebten wie ich. Ich habe keine Regeln
gebrochen, jedenfalls nicht genug.
19 Mar 2023
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## AUTOREN
Dagmar Leischow
## TAGS
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