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# taz.de -- Grüne gegen Ampel-Partner: Die flauschigen Jahre sind vorbei
> Die Grünen sind genervt, vor allem von der FDP. Jetzt machen sie ihrem
> Ärger Luft und attackieren die Ampel-Partner scharf. Ein Wagnis.
Bild: Ausgebremst: Robert Habeck, hier bei der Eröffnung einer Stromtrasse am …
Alle jetzt noch schön aufstellen und die großen, weißen Buchstaben
festhalten. „Gemeinsam stärker“ soll da gleich stehen. Ein paar
Regieanweisungen später schauen die Abgeordneten in die Kamera, rufen
„Yeah“ und lachen. Dann brechen die meisten von ihnen auf, vom Fototermin
hinter der Weimarhalle in Richtung Bahnhof. So endet am Donnerstag nach
drei Tagen die [1][Klausurtagung der grünen Bundestagsfraktion]: mit
schönen Bildern.
Alles wieder gut bei den Grünen? Keineswegs. Keine 48 Stunden ist es zu dem
Zeitpunkt her, dass der Vizekanzler und die Fraktionsspitze vor der
angereisten Presse ihren Ärger über die Ampel-Partner öffentlich gemacht
haben. „Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein
Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist“, sagt Robert
Habeck. Für die Klimaziele sei die ganze Regierung verantwortlich, sagt
Katharina Dröge. „Auch ein Kanzler.“
Das waren ungewöhnlich deutliche Worte für Grüne, die doch stets Wert
darauf legen, dass die Koalition ein geschlossenes Bild abgibt – und
Probleme intern gelöst werden. Aber der Ärger hat sich angestaut. Auslöser
für den Wutauftritt war der [2][Streit um Habecks Pläne, Öl- und
Gasheizungen schrittweise zu verbieten]. Dahinter: eine lange Liste
weiterer Konflikte, vom [3][Verbrenner-Aus] bis zur Planungsbeschleunigung.
Und es gibt ein noch grundlegenderes Problem: Im zweiten Ampeljahr kommen
die Grünen in der Wirklichkeit des Regierens an. Nicht alle ihrer
bisherigen Annahmen halten diesem Realitätscheck stand.
Ein Irrtum: Den Wähler*innen – und vielleicht auch sich selbst – haben
die Grünen über Jahre vorgemacht, dass Klimaschutz nicht wehtut.
Veggie-Day, Flugscham, Verzicht, alles landete im Giftschrank. Jetzt aber,
da es in der Regierung ans Machen geht, stößt die Erzählung von der
schmerzlosen Transformation an Grenzen. Habecks Gesetzesentwurf zu den
Heizungsverboten sieht zwar großzügig Ausnahmen vor und der Staat wird den
Einbau von Wärmepumpen bezuschussen. Doch die Menschen werden zum Handeln
gezwungen. Und der Staat wird nicht allen Betroffenen die Kosten
vollständig erstatten. Einige werden drauflegen.
## Ohne Zumutungen geht's nicht
Ganz ohne Zumutungen gibt es die Energiewende eben nicht. Aber wo es ernst
wird, scheint es mit der Bereitschaft der Deutschen zum Klimaschutz nicht
mehr weit her zu sein. Seit der unfertige Gesetzentwurf auf unbekannten
Wegen bei der Bild gelandet ist, fährt die Boulevardzeitung eine Kampagne
gegen das Vorhaben („Habecks Heizungs-Irrsinn!“). In einer Forsa-Umfrage
sprachen sich zuletzt 78 Prozent der Befragten gegen die Pläne aus.
Und so wie der Wohlfühlkurs der letzten Jahre die Partei erst an die Macht
geführt hat, trägt die Realität des Regierens jetzt wohl zum vorläufigen
Ende des grünen Wachstums bei. In der Sonntagsfrage liegen die Grünen, die
zwischendurch auf über 20 Prozent geklettert waren, im Moment nicht mehr
weit über den 14,8 Prozent der letzten Bundestagswahl. Der Weg zur
stärksten Kraft der linken Mitte ist noch lang.
Deswegen wieder von ihren Plänen abzurücken, ist für die Grünen aber keine
Option. Im ersten Regierungsjahr, unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs,
hatten sie ihre Ambitionen vorübergehend zurückgeschraubt. Damit aber
strapazierten sie nicht nur die Geduld ihrer Stammwählerschaft. Der Streit
um die Räumung von Lützerath zeigte, dass auch die Parteibasis nicht auf
Dauer alles mitträgt.
Auch die Bundestagsfraktion machte ihren Kabinettsmitgliedern in den
letzten Monaten deutlich, dass sie beim Klimaschutz Ergebnisse sehen will.
Dazu kommt der Druck der Realität: Erst am Montag warnte der Weltklimarat
in seinem neuen Bericht, dass die Auswirkungen des Klimawandels bereits
dramatischer sind als bislang angenommen. Dem Klimaschutz laufe die Zeit
davon.
In der Frage, wie er sich doch noch rechtzeitig umsetzen lässt, offenbart
sich ein zweiter Irrtum. Über Jahre strickten vor allem Vertreter*innen
des Realo-Flügels an einer Erzählung über lagerübergreifende Bündnisse:
Koalitionspartner rechts der Mitte könnten dafür sorgen, dass grüne Politik
kompatibel wird für neue Milieus. Am Ende, so die Idee, machen auch
Konservative begeistert bei der Energiewende mit.
In manchen schwarz-grünen Landesregierungen geht das Kalkül zumindest
teilweise auf. NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) etwa lässt sich
mittlerweile stolz neben Windparks ablichten.
Mit der FDP im Bund ist aber das Gegenteil der Fall. Aus der Koalition
heraus heizt sie die Stimmung gegen die grünen Transformationspläne an.
Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wirft Habeck „verbohrte Ideologie“ vor.
FDP-Parteichef Christian Lindner wettert gegen „pauschale Verbote“. Und
Verkehrsminister Volker Wissing blockiert, wo er kann. Ähnlich destruktiv
tritt die FDP laut Grünen auch intern oft auf.
„Ich erwarte, dass wir nicht immer wieder über Dinge reden müssen, die wir
bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und im Koalitionsausschuss noch
einmal bestätigt haben“, sagt Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden, die für
die Klimathemen zuständig ist. „Es ist ineffizient und kostet wertvolle
Zeit, die wir für die Umsetzung von Klimaschutz brauchen.“
Zuletzt nahm auch der Ärger über die SPD zu. Bei manchen Grünen sorgen die
Sozialdemokrat*innen sogar für mehr Frust als die FDP. Statt Farbe
zu bekennen, würden sie sich aus vielen Konflikten raushalten, für
Klimaschutz zeigten sie wenig Interesse. Wie ein Beleg dafür erscheint der
Auftritt von Olaf Scholz am Donnerstag in Brüssel.
Trotz der Grünen-Schelte stellte er sich dort hinter den Verkehrsminister
und brachte im Streit um das Verbrenner-Aus auch EU-Partner gegen sich auf.
„In meinen Augen ist der Kanzler das Problem“, sagt Ex-Fraktionschef Anton
Hofreiter. Und fügt selbstkritisch an: „Wir haben zu lange mit der FDP
gestritten und zu wenig Druck auf die SPD entfaltet.“
Allein steht Robert Habeck mit seinem Ärger also nicht. Aus der Fraktion
heißt es höchstens, dass die Gegenattacke etwas spät komme. Als Habecks
Gesetzesentwurf zu den Heizungen im Februar durchgestochen wurde und die
Angriffe auf ihn begannen, setzte er zunächst wenig dagegen. Ein genaues
Konzept zum sozialen Ausgleich hat er bis heute nicht vorgelegt.
Auf der anderen Seite finden aber auch nicht alle Grünen die neue Härte
richtig. Zu Beginn der Ampel-Koalition hatte sich die grüne Spitze darauf
verständigt, sich als verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu
positionieren. In der Parteizentrale gibt es jetzt die Sorge, dass die
Attacken das gemeinsame Regieren und Einigungen beim Koalitionsgipfel am
Sonntag eher erschweren als erleichtern.
Auffallend ist: Anders als die Fraktionschefinnen stimmten die
Parteivorsitzenden nicht in Habecks Vorwürfe ein. Ricarda Lang gab sich in
der Talkshow Maybrit Illner am Donnerstagabend betont sachlich: „Jetzt
müssen wir zusammenkommen und uns an einen Tisch setzen. Das erwarten die
Bürgerinnen und Bürger.“
Eines eint dann aber doch wieder alle Grünen – die Einsicht, dass bis zur
nächsten Wahl kein Weg an der Ampel vorbeiführt. Die grüne Fraktion ist
zwar so groß wie nie. Ihre Klausur, die aus Tradition im kleinen Weimar
stattfindet, wird dadurch zur logistischen Herausforderung. Auf drei Hotels
müssen sich die Abgeordneten aufteilen und als nach einem Abendempfang in
einem Vorort der letzte Shuttlebus ausfällt, sind nicht genügend Taxis für
den Rückweg aufzutreiben. Einige Abgeordnete finden sich so auf einer
nächtlichen Wanderung zurück in die Stadt wieder, vorbei an
Einfamilienhäusern mit Kamin auf dem Dach und Verbrenner in der Einfahrt.
Aber trotz ihrer Rekordgröße sind die Grünen im Bundestag noch immer nur
die drittstärkste Kraft. Ohne Koalitionspartner geht es nicht. Und dass es
in einer Jamaika-Koalition unter Friedrich Merz besser laufen würde, glaubt
in der Fraktion auch niemand. Was also heißt: Man muss mit der FDP
irgendwie klarkommen. Für deren Verzweiflungstaten es sogar ein gewisses
Verständnis gibt. Nach den ganzen Wahlschlappen gehe es bei den Liberalen
eben ans Eingemachte.
Viel spricht daher dafür, dass der scharfe Ton dieser Woche bei den Grünen
nicht zum Dauerzustand wird. Ohnehin waren ihre Vorwürfe an die
Koalitionspartner in Ton und Inhalt wohlkalkuliert. Schnell war in Weimar
vor der Presse auch wieder von Gemeinsamkeiten und Erfolgen der Koalition
und vom „Team Ampel“ die Rede. Auf die Steilvorlage von FDP-Vize Wolfgang
Kubicki, der Habeck mit Putin verglichen hatte, stieg die Fraktionsspitze
gar nicht erst ein. „Jeder disqualifiziert sich, so gut er kann“, sagte
Britta Haßelmann. Das war’s.
Das könnte es leichter machen, mit SPD und FDP doch wieder zu einem
belastbaren Verhältnis zu finden. Und dem Eindruck der Öffentlichkeit
entgegenwirken, es jetzt wieder mit Krawallos an der Grünen-Spitze zu tun
zu haben. Denn die Auftritte dieser Woche bergen ja durchaus auch eine
andere Gefahr: Offenen Streit zwischen Koalitionären lehnen Wähler*innen
oft ab. Auch das werden die Grünen bedenken, wenn sie darüber beraten, ob
sie jetzt regelmäßig gegen die Ampel-Partner schießen – oder ob es bei
einer einmaligen Aktion bleibt.
Als die Grünen-Abgeordneten am Donnerstag von der Weimarhalle zum Bahnhof
ziehen, kommen sie an einem haushohen Werbeplakat vorbei. Das Haus der
Weimarer Republik will damit für die Demokratie werben. Der Spruch auf dem
Banner passt aber auch zur momentanen Situation der Grünen. „Demokratie
ist, wenn du an der Ampel stehst und fluchen darfst“, steht da. „Und dann
geht es trotzdem weiter.“
26 Mar 2023
## LINKS
[1] /Gruenen-Klausur-in-Weimar/!5920255
[2] /Falschmeldung-der-Bild-Zeitung/!5918458
[3] /Vor-dem-EU-Gipfel/!5920345
## AUTOREN
Sabine am Orde
Tobias Schulze
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