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# taz.de -- Expert_in über Hass gegen Frauen: „Antifeminismus als Einstiegsd…
> Die Amadeu Antonio Stiftung startet eine Meldestelle zu frauenfeindlichen
> Vorfällen. Betroffen sei vor allem, wer in der Öffentlichkeit stehe, sagt
> Ans Hartmann.
Bild: Angriffe auf Frauen in Queer-Demonstrationen sind nicht nur queerfeindlic…
taz: Ans Hartmann, wie sieht das bei Ihnen aus, wenn ich [1][einen
antifeministischen Vorfall melden] will?
Ans Hartmann: Wenn dir selber was passiert ist, was du als antifeministisch
einordnest, gehst du auf unsere Seite und auf der Startseite steht überall
prominent „Vorfall melden“. Dafür gibt es eine simple Meldemaske mit
wenigen anzugebenden Eckdaten, wann und wo es passiert und ein großes
Freifeld, wo der Vorfall geschildert werden kann. Das wird direkt an uns
übermittelt.
Und was man noch angeben kann, zusätzlich, ist: „Ich wünsche weitergehende
Beratung“, das kriegen wir dann mitgeteilt. Meldungen können sich genauso
auf öffentliche Ereignisse oder Berichte beziehen.
Das heißt, Sie beraten auch?
In der Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und
Rechtsextremismus haben wir langjährige Erfahrungen in der Unterstützung
zum Umgang mit antifeministischen Angriffen und Strukturen. Aber wir
schauen natürlich, um welche Bedarfe es sich handelt und was wir leisten
können.
Ansonsten sind wir gut genug vernetzt, um fachadäquat weiter verweisen zu
können – zum Beispiel an [2][Beratungsstellen für Betroffene rechter],
rassistischer und antisemitischer Gewalt, mobile Beratungsteams vor Ort
oder Frauenberatungsstellen.
Warum gibt es die Meldestelle?
Bisher gibt es keine systematische Erfassung von antifeministischen
Vorfällen. Wir wollen dokumentieren, wie alltäglich Antifeminismus ist, wie
differenziert er sich äußert und vor allen Dingen auch, in welchen
Bereichen er eine Rolle spielt. Es wird eine Art Evaluation und
Kategorisierungen geben, um zu gucken, welche Ebenen von Antifeminismus wir
sehen.
Wir wollen aber nicht nur sammeln, wir wollen Antifeminismus als Problem
benennen und das sichtbar machen und nach außen tragen. Das heißt, wir
werden jährlich ein Lagebild zu Antifeminismus veröffentlichen, in dem wir
die verschiedenen Problemfelder aufzeigen wollen. Wir wollen es in den
Fachaustausch und die Bildungsarbeit tragen, aber damit auch an die Politik
herantreten.
Mit welchen Vorfällen rechnen Sie bei der Meldestelle?
Da sich Antifeminismus vielschichtig äußert, hoffen wir, dass auch viele
verschiedene Meldungen bei uns ankommen. Dazu gehören Vorfälle wie die
sogenannte [3][Gehsteigbelästigung] vor
Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder vor Arztpraxen, die
Abtreibungen vornehmen.
Das kann, wenn man jetzt in bestimmten Botschaften denkt, auch ganz simpel
ein Plakat mit einer Schmiererei sein. Ich sehe aktuell viele beschmierte
Wahl-Plakate mit Begriffen wie „Massenmörder (Paragraf 218)“ und
„Homosexverbrecher“. Was sicherlich auch eine Rolle spielen wird, sind
Angriffe auf queere Veranstaltungen, zum Beispiel am Rande von einem
Christopher Street Day.
Das heißt, auch der Kontext spielt eine Rolle?
Wenn Menschen mit queerfeindlichen Aussagen auf einer Demo angegriffen oder
körperlich verletzt werden, kann man davon ausgehen, dass es eine
antifeministisch motivierte Tat ist. Antifeminismus ist an sich ja nicht
als Strafbarkeitsbestand fassbar. Die meisten Sachen, die bei uns ankommen
werden, liegen wahrscheinlich unter der sogenannten Strafbarkeitsschwelle.
Arbeiten Sie mit der Polizei zusammen?
Die Daten werden nicht an Behörden oder an Dritte weitergegeben. Was wir
dazu veröffentlichen, ist anonymisiert. Wir werden nicht so über Fälle
berichten, dass sie nachverfolgbar sind.
Was ist das eigentlich, Antifeminismus?
Antifeminismus wendet sich gegen Emanzipationsbestrebungen und äußert sich
häufig als organisiertes Vorgehen gegen Geschlechtergerechtigkeit und
körperliche sowie geschlechtliche Selbstbestimmung. Man kann sagen, dass
Antifeminismus eine Ideologie ist, die eine als natürlich angenommene
Geschlechterordnung und die Aufrechterhaltung heteronormativer
Geschlechterverhältnisse verteidigt. Das antifeministische Weltbild baut
auf Sexismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit auf.
Welche Rolle spielt dabei Rassismus?
Wir wissen, dass antifeministisch motivierte Gewalt Menschen, die von
Rassismus betroffen sind, noch einmal in einer besonderen Qualität und
Quantität trifft. Thematisch sieht man das stark in der rassistischen
Instrumentalisierung von Frauenrechts- und Gewaltschutzthemen. Es wird
gesagt, „wir“ müssen Frauen vor Gewalt schützen. Aber Gewalt gegen Frauen
wird gegen alle Fakten als alleiniges Problem nicht-weißer Täter
dargestellt, um die rassistische Stimmung anzuheizen, um Einfluss auf
Migrations- und Asylpolitik zu nehmen.
Und inwiefern geht Antifeminismus in andere gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit über?
Ein aktuelles Thema ist [4][Transfeindlichkeit]. Auf dieses Thema hat man
sich übergreifend quasi geeinigt, darin sieht man großes
Mobilisierungspotenzial. Die Themen, die im Antifeminismus drin sind, wir
sprechen häufig von antifeministischen Narrativen, die verbinden viele
verschiedene antifeministische Akteur_innen.
Transfeindlichkeit ist eines der größten aktuellen Mobilisierungselemente
rechter und religiös fundamentalistischer Bewegung. Dazu muss man sagen,
dass die Narrative und Einstellungen auch in der sogenannten
gesellschaftlichen Mitte zu finden sind.
Ist der Politik denn das Problem des Antifeminismus bewusst?
Ich glaube, was massiv unterschätzt wird: Antifeminismus und
antifeministische Ideen sind sowas wie eine Einstiegsdroge in rechte und
extrem rechte Bewegungen und rechtes Gedankengut. Das sieht man auch
[5][bei verschiedenen rechtsterroristischen Attentaten] in den letzten
Jahren.
Zum Beispiel in Halle.
Genau. Wenn man sich die Manifeste der Täter hinterher durchliest, spielt
Hass auf Frauen, Incel-Ideologie und ein manifestes antifeministisches
Weltbild immer eine Rolle in der Begründung und Radikalisierung.
Welche Rolle spielt denn allgemein [6][das Internet]?
Das Internet ist grundlegend für die Verbreitung und Aufbereitung
antifeministischer Erzählungen. Antifeminismus ist immer auch eine
Diskursstrategie. Gleichzeitig äußert sich Antifeminismus im Netz als
organisierte Angriffe auf Bewegungen, Menschen und Stimmen, die für
Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung stehen.
Das ist das Ziel von antifeministischen Akteur_innen – dass diese Menschen
sich nicht mehr äußern, nicht mehr sichtbar sind und zurückgedrängt werden.
Da, wo die Räume für zivilgesellschaftliches Handeln immer kleiner werden,
spricht man auch von [7][Shrinking Spaces].
Es gibt auch strukturellen Antifeminismus, der in den Institutionen
verankert ist – [8][beispielsweise vor Gericht], wenn es um das
Umgangsrecht von Kindern geht. Wie gehen Sie damit bei der Meldestelle um?
Das wäre auf jeden Fall ein Thema. Das kann ja ein Urteilsspruch sein oder
bestimmte schlimme Urteilsbegründung, an denen man sieht, dass zum Beispiel
die Väterrechtslobby ein paar Talking Points gesetzt hat, die wir dann auch
gut sichtbar machen wollen, in der Art und Weise, wie wir es auswerten.
Sie haben gerade die Väterrechtslobby angesprochen. Wie antifeministisch
ist die?
Das, was die Väterrechtslobby macht und die Aussagen oder Narrative, die
sie bedient, sind grundlegend antifeministisch. Letztendlich sind es sehr
frauenfeindliche Konzepte, die sie in die Gerichte einbringen. Beim
Parental Alienation Syndrom (Eltern-Kind-Entfremdung durch manipulatives
Verhalten eines Elternteils, Anm. d. Red.) ist schon lange bewiesen, dass
es nicht in der Form existiert, in der die Väterrechtslobby es verwendet.
Wenn man sieht, welche Netzwerke und Lobbyarbeit dahintersteckt und wie
lange das schon betrieben wird, ist es ein klassisches antifeministisches
Betätigungsfeld.
Was sind drei Themen, die im Moment relevant sind im Bereich
Antifeminismus?
Ein großes Thema, was ja quasi der Dauerbrenner ist, sind Angriffe und
Einschüchterungen auf Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Ich denke
da zum Beispiel an den Shitstorm gegen [9][Sarah-Lee Heinrich von den
Grünen]. Oder Gleichstellungsbeauftragte und Lokal-Politikerinnen im
ländlichen Raum. Frauen werden fertiggemacht und haben letztendlich gar
keine Lust oder sichere Möglichkeit mehr, tätig zu sein. Das betrifft ja
genauso gut Frauen, die im Netz sichtbar sind.
Das schließt sich ja nicht aus: Sarah-Lee Heinrich wurde ja auf Twitter
angegriffen.
Genau. Das ist ein großes Thema, Verunmöglichung von Repräsentanz, von
Sichtbarkeit.
Was wäre ein zweites wichtiges Thema?
Ein sehr großes Thema ist Trans- beziehungsweise Queerfeindlichkeit, wo
sehr viel Mobilisierung und sehr viel Hass gerade verbreitet wird, auch
rund um das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Man konnte quasi zusehen in
den letzten Jahren, wie relevant das geworden ist und etwa an die Diskurse
aus den USA oder aus Großbritannien angeknüpft wird. An der Lebensrealität
von trans Personen sieht man, wie wirkmächtig so was ist.
Inwiefern?
Es gibt Meldungen, die zeigen, dass Gewalt gegen trans Personen im
öffentlichen Raum massiv zugenommen hat. Aber das passiert ja nicht einfach
so. Es ist eine strategische Entscheidung, so ein Thema stark zu bedienen.
Und als drittes Thema?
Wir merken, dass die [10][christlich-fundamentalistischen Akteur_innen]
sich immer weiter radikalisieren und weltweit vernetzen, zum Beispiel in
Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche und in Deutschland gegen die Streichung
von Paragraf 218.
1 Feb 2023
## LINKS
[1] https://antifeminismus-melden.de/
[2] /Opferberatungsstellen-besorgt/!5892802
[3] /Abtreibungen-in-Deutschland/!5899987
[4] /Verzoegerung-von-Selbstbestimmungsgesetz/!5904850
[5] /Verfassungsschutzchef-ueber-NSU-Terror/!5809818
[6] /Digitale-Gewalt-gegen-Frauen/!5898710
[7] https://www.boell.de/de/dossier-shrinking-spaces
[8] /Studie-ueber-Sexismus/!5899342
[9] /Gruene-Jugend-im-Gespraech/!5882771
[10] /Fundamentalisten-vor-Pro-Familia/!5880428
## AUTOREN
Nicole Opitz
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