| # taz.de -- Femizid-Mahnmal in Osnabrück: Ein Ort der Empörung | |
| > Die Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix hat ein Mahnmal für Opfer von | |
| > Femiziden geschaffen. Der Ort ist mit Bedacht gewählt. | |
| Bild: Das internationale Zeichen für „brauche Hilfe“, überdimensional gro… | |
| Osnabrück taz | Eine offene, flache Hand. Eine offene Hand mit | |
| eingeklapptem Daumen. Eine geballte Faust. Monumental ist sie, diese | |
| kraftvolle Gestensequenz nahe Osnabrücks Innenstadt, unübersehbar. | |
| Sie steht in einem viel besuchten Park, an einer viel befahrenen Straße; | |
| Zehntausende kommen täglich hier vorbei. Das ist gut so, denn was die | |
| Dresdner Aktions-Künstlerin Irène Mélix mit ihrer dreiteiligen Skulptur aus | |
| rostigem, wetterfestem Baustahl zu sagen hat, braucht viel Gehör: Sie ist | |
| ein Mahnmal für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, für [1][Opfer von | |
| Femiziden]. | |
| Die drei Hände verweisen auf das [2][„Signal for Help“]-Zeichen, das die | |
| Canadian Women’s Foundation zu Zeiten der Corona-Pandemie initiiert hatte | |
| und das heute weltweit in Gebrauch ist. Im Grunde sind sie eine einzige | |
| Hand, in einer Abfolge von drei Bewegungen. Wer diese Gesten sieht, weiß: | |
| Hier ist ein Mensch in Not. Sie zu kennen, hat schon Leben gerettet. Mélix | |
| inszeniert die Skulptur als feministischen Kampfruf, als Kritik an | |
| gesellschaftlichen Tabus. Heute wird das Mahnmal eingeweiht. | |
| Mélix, die sich nicht zuletzt durch linke, antifaschistische Themen | |
| profiliert hat, versteht ihr „Signal“ als „politische Kunstäußerung“. | |
| „Rhetorisch wird das Thema vielfach noch immer weggedrückt, man verschließt | |
| vor der patriarchalen Unterdrückung die Augen“, sagt sie der taz. „Das | |
| Problem spielt sich ja oft im Privaten ab. Viele denken daher, es sei ein | |
| privates Problem, was natürlich nicht stimmt.“ | |
| ## Infotafel mit Notfallnummern | |
| Wichtig ist Mélix, dass ihre Skulptur an einem Durchgangsort steht, an | |
| einem „Ort der alltäglichen Wege“. Und obwohl es manchmal gut ist, wenn | |
| Kunst sich nicht zu erklären versucht, ist hier sehr bewusst eine | |
| Erläuterungstafel installiert, mit Notfalltelefonnummern. | |
| Eine „klare und zugängliche Form“, eine „gewisse Verständlichkeit“ sei | |
| zwingend, hatte Mélix in ihrem Konzeptentwurf geschrieben. Ein „abstraktes, | |
| dekoratives Element, das sich einreiht in andere Werke der Kunst im | |
| öffentlichen Raum“ komme für sie nicht in Frage. Ihre Idee hat sich in der | |
| Jury des städtischen Gleichstellungsbüros gegen Entwürfe von Dana Lorenz, | |
| Katrin Lazaruk, Christine Vennemann und Therese Dietrich durchgesetzt. | |
| „[3][Die Fallzahlen von geschlechtsspezifischer Gewalt und Femiziden sind | |
| deutschlandweit konstant hoch]“, beschreibt Osnabrücks | |
| Gleichstellungsbeauftragte Patricia Heller der taz die Motivation, das | |
| Mahnmal in Auftrag zu geben. 2023 habe es „vermehrt Fälle mit hoher | |
| Gewaltintensität in und um Osnabrück“ gegeben, auch Femizide und | |
| Vergewaltigungen im öffentlichen Raum. „Es kam der Gedanke auf, ein für die | |
| Stadtgesellschaft sichtbares Zeichen zu setzen.“ Gewalt gegen Frauen, | |
| Mädchen und queere Personen sei „strukturell bedingt und das Ergebnis | |
| ungleicher Machtverhältnisse“, kein Einzelfall. | |
| „Die Fachberatungsstellen und Schutzeinrichtungen arbeiten am Rande ihrer | |
| Kapazitäten“, beschreibt Heller die Situation in Osnabrück. „Nicht selten | |
| müssen Hilfesuchende abgewiesen werden.“ Die Dunkelziffer bei | |
| geschlechtsspezifischer Gewalt sei hoch. Es gelte, Rollenbilder zu | |
| reflektieren, aufzubrechen. | |
| Das Mahnmal trage dazu bei, indem es geschlechtsspezifische Gewalt „in der | |
| Mitte unserer Gesellschaft“ verorte: „Wenn wir nicht endlich in der Breite | |
| wahrnehmen und akzeptieren, dass diese Gewalt stattfindet, und zwar | |
| unabhängig von Einkommen, Herkunft, Weltanschauung oder Alter, können wir | |
| uns auch kaum dagegen positionieren und sie bekämpfen.“ Mit dem Mahnmal | |
| entstehe ein Ort der Empörung, des Gedenkens, ein Ort mit Bildungsauftrag. | |
| Besonders positiv findet Heller an Mélix’ Idee, dass keine | |
| gewaltbetroffenen Personen verkörpert und damit zu Opfern stilisiert | |
| werden: „Die Gefahr einer Retraumatisierung von (zufällig) vorübergehenden | |
| Personen wird dadurch deutlich verringert.“ Auch habe die Skulptur einen | |
| „sehr aktivierenden Charakter“, setze ein „starkes Zeichen für | |
| gesamtgesellschaftliche Solidarität“. Es lade aktivistische Gruppen ein, es | |
| für Veranstaltungen und Kundgebungen zu nutzen – Plakate haften gut auf | |
| seiner magnetischen Oberfläche. | |
| Mélix, ebenso sehr Aktivistin wie Künstlerin, arbeitet nicht zum ersten Mal | |
| in Osnabrück. Als die Kunsthalle 2022 das Jahresthema „Romantik“ ausrief, | |
| hat sie das Vermittlungsprojekt „diamond splinters – osna’s queerstory“ | |
| beigetragen, mit einem Stadtspaziergang zu queeren Geschichten und Orten. | |
| Nicht immer hat sich Osnabrück mit Mahnmalen dieser Art leicht getan. Im | |
| Herbst 1994 wurde in einem anderen Park am Wallring der Stadt Peter Hamel | |
| getötet, als er zwei Männer gegen einen homophoben Angriff verteidigen | |
| wollte. Bis ein Gedenkort für ihn eingeweiht wurde, finanziert durch | |
| Crowdfunding, dauerte es 28 Jahre. | |
| Einweihung, 24. Januar 2024, 15 Uhr, Willy-Brandt-Platz | |
| 24 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Femizide-in-Hamburg/!5954365 | |
| [2] https://canadianwomen.org/signal-for-help/ | |
| [3] /Gewalt-gegen-Frauen/!5971581 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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| Ans Hartmann. |