# taz.de -- Femizid in Bremen: Getötet wegen ihres Lebensstils? | |
> Ein Mann soll seine 23-jährige Schwester getötet haben. Die | |
> Staatsanwaltschaft sieht Hinweise, dass er mit ihrer Art zu Leben nicht | |
> einverstanden war. | |
Bild: Flatterband sperrt den Tatort in Bremen ab. Hier soll ein 24-Jähriger se… | |
BREMEN taz | Nach der Tötung einer 23-jährigen Frau im Bremer Stadtteil | |
Walle, mutmaßlich durch ihren Bruder, ruft ein [1][feministisches Bündnis] | |
zu einer Kundgebung am Donnerstagnachmittag auf. „Schon wieder ein | |
Femizid“, heißt es in einer Pressemitteilung des Feministischen Streiks | |
Bremen, „eine weitere, die sterben musste, eine weitere, die nicht | |
geschützt wurde“. | |
[2][Als Femizide werden Tötungsdelikte bezeichnet], wenn das Opfer aufgrund | |
seines weiblichen Geschlechts getötet wurde. In Deutschland ist dies bisher | |
kein eigener Straftatbestand, daher gibt es auch keine Statistik dazu. | |
Auf der Kundgebung solle aller gedacht werden, die in diesem Jahr weltweit | |
durch Femizide starben, heißt es in dem Aufruf. Und: „Femizide sind kein | |
Zufall, sondern Resultat einer sexistischen Gesellschaft.“ Die Ursachen | |
seien „patriarchale Machtvorstellungen, Kontrollausübung und eine | |
Gesellschaft, in der Gewalt Alltag ist“. | |
Am Dienstag hatte sich der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft, Frank | |
Passade, zu einem möglichen Tatmotiv geäußert. Der Tatverdächtige selbst, | |
ein 24-jähriger somalischer Staatsbürger, habe dazu nichts gesagt, sagte er | |
am Dienstag der taz. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass er mit dem | |
Lebenswandel seiner Schwester nicht einverstanden war und sich persönlich | |
in seiner Ehre verletzt gefühlt hat.“ | |
## Der 24-Jährige hat selbst die Polizei gerufen | |
Die Tat hat sich nach Angaben der Polizei am Samstagabend gegen halb zwölf | |
in einem Mehrfamilienhaus in der Waller Heerstraße ereignet. Der 24-Jährige | |
habe selbst die Polizei angerufen und gesagt, er habe seiner Schwester | |
„etwas angetan“, heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei. Die | |
Einsatzkräfte hätten eine leblose Frau in einem Zimmer vorgefunden, die am | |
Tatort verstarb. Wiederbelebungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Die | |
Tatwaffe sei ein Messer gewesen, sagte Passade zur taz. | |
In der Wohnung hätten sich weitere Familienangehörige aufgehalten, heißt es | |
in der Polizeimeldung. Wie viele und wer – ob Eltern, Kinder oder andere | |
Verwandte – könne er nicht sagen, so Passade. Die Ermittlungsergebnisse | |
sprächen für eine allein begangene Tat. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass | |
andere Personen beteiligt waren. | |
Das feministische Bündnis, das zu dem Gedenken am Donnerstag aufgerufen | |
hat, kritisierte die Berichterstattung in einigen Bremer Medien, weil diese | |
die Tat als „Ehrenmord“ bezeichnet hatten. „Dieser Begriff entspricht | |
rassistischen Diskursen, er ignoriert, wie alltäglich sexistische Gewalt in | |
allen Teilen unserer Gesellschaft ist“, finden die Autor:innen des | |
Aufrufs. Dahinter steckt die Überzeugung, eine derartige Tat habe nichts | |
mit dem kulturellen Hintergrund des Täters zu tun, sondern mit universellem | |
Frauenhass. | |
Andere halten dem entgegen, dass benannt werden müsse, wenn eine Frau nicht | |
nur getötet wurde, weil sie eine Frau ist – sondern weil der Täter glaubt, | |
damit eine patriarchale Ordnung wieder herzustellen, die in seiner | |
Herkunftskultur dominant ist und die Frauen keine eigenständigen | |
Entscheidungen zugesteht. „Wer verharmlost und kulturrelativistisch | |
argumentiert, der macht sich mitschuldig“, hatte etwa der Berliner | |
Psychologe Ahmad Mansour 2020 im Tagesspiegel geschrieben. „Welten liegen | |
zwischen Beziehungstaten, die es überall gibt, auch unter Migranten, und | |
den Verbrechen ‚im Namen der Ehre‘“, hatte Mansour argumentiert. | |
Zuletzt wurde vor zwei Jahren [3][öffentlich über den Begriff gestritten] – | |
nach der Tötung einer 34-jährigen Afghanin in Berlin, ihre beiden Brüder | |
wurden deswegen Anfang des Jahres [4][zu lebenslanger Haft verurteilt]. „In | |
Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder | |
Ex-Partner getötet. Das ist kein Ehrenmord, das ist Femizid“, hatte dazu | |
die damalige Berliner Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) | |
gesagt und war dafür von SPD- und CDU-Politiker:innen kritisiert worden. | |
Sie hatte sich auch gegen den Begriff gewehrt, weil er nahe lege, Mord habe | |
etwas mit Ehre zu tun. | |
2022 sind laut Bundeskriminalamt 133 Frauen und 19 Männer [5][Opfer von | |
Gewalt durch Partner:in oder Expartner:in mit tödlichem Ausgang] | |
geworden. Eine Auswertung zu Straftaten weiterer Angehöriger wie Brüder | |
gibt es nicht. | |
In Hannover hatte es kürzlich eine ähnliche Kundgebung gegeben, nachdem | |
eine 21-Jährige mutmaßlich von ihrem Ex-Freund getötet worden war. | |
14 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kundgebung-nach-Femizid-in-Hannover/!5969844 | |
[2] /Tag-gegen-Gewalt-an-Frauen/!5971536 | |
[3] /Femizid-an-34-jaehriger-Afghanin/!5788157 | |
[4] /Urteil-im-Mordfall-Maryam-H/!5916639 | |
[5] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilde… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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