# taz.de -- Femizid in Griechenland: Mord mit der Polizei am Telefon | |
> Eine junge Frau rief in Griechenland vor einer Dienststelle die Polizei | |
> an und bat um Schutz. Sie wurde abgewimmelt – und Minuten später | |
> erstochen. | |
Bild: Frauen in Athen protestieren gegen Femizide im August 2022 | |
ATHEN taz | Die letzten Minuten ihres Lebens harrt Kyriaki Griva, 28, eine | |
hübsche, vor Lebensfreude sprühende Frau, vor der Polizeistation in ihrer | |
Nachbarschaft in einem nördlichen Athener Arbeitervorort aus. Sie wartet | |
auf Hilfe. Von der Polizei. Statt ihr direkt vor Ort zu helfen, sagt diese | |
ihr, sie solle doch die Notrufzentrale anrufen. | |
Sie tut das. Der diensthabende Polizist hebt den Hörer ab. Das Gespräch | |
wird gut eine Minute dauern, bis Kyriaki Griva von ihrem heraneilenden | |
Ex-Freund brutal niedergestochen wird. Die Aufnahme wird einem privaten | |
Athener Fernsehsender zugespielt. Ganz Griechenland hört zu, als es längst | |
zu spät ist. | |
„Ich stehe vor der Polizeistation. Ich brauche jemanden, der mich nach | |
Hause bringt“, sagt anfangs Kyriaki Griva mit fester Stimme. Vor ihrer | |
Wohnung warte ihr Ex-Partner, erklärt sie. „Er hat viele psychologische | |
Probleme. Ich habe Angst davor, alleine nach Hause zu gehen.“ Trocken | |
erwidert der Mann in der Notrufzentrale: „Der Streifenwagen ist kein Taxi. | |
Wenn sie mögen, schicke ich ihnen ein Polizeiauto nach Hause.“ Er sagt das, | |
obgleich direkt neben Kyriaki Griva ein Streifenwagen geparkt ist, wie | |
veröffentlichte Bilder einer Überwachungskamera belegen. | |
Sie stimmt zu. „Wann wird das Polizeiauto da sein?“, fragt sie. „Das weiß | |
ich nicht“, lautet die lapidare Antwort. Griva hakt nach: „Was soll ich | |
tun? Hier bleiben oder langsam nach Hause gehen?“ Nun fragt der Polizist | |
aus der Notrufzentrale, während die junge Frau weiter vor der | |
Polizeistation unweit ihrer Wohnung steht. „Haben Sie ihn (den Ex-Freund) | |
angezeigt?“ Griva verneint. „Warum wartet er dann auf Sie?“, will er weit… | |
wissen. Griva ohne Umschweife: „Er wartet, um sich an mir zu rächen. Um | |
mich zu schlagen. Das hat er schon gestern versucht.“ | |
## 81. Femizid in Griechenland seit 2020 | |
Der Polizist in der fernen Notrufzentrale fängt an, das Hilfegesuch der | |
jungen Frau langsam in den Computer einzutippen. Dabei liest er den Text | |
vor. „Wie heißen Sie?“ „Kyriaki Griva.“ „Also, ihr Ex-Partner wartet… | |
ihrer Wohnung, um Gewalt auszuüben. Richtig?“ „Ja.“ „Wann werden Sie i… | |
Wohnung erreichen? Wollen Sie, dass ich das notiere?“ Griva: „Ich wohne in | |
der Nähe (sie nennt die Adresse). In zwei Minuten bin ich dort.“ | |
Doch dazu kommt es nicht. Sie ruft: „Ah, er ist hierhergekommen!“ Der | |
Polizist aus der Notrufzentrale ist verdutzt: „Der Ex?“ Griva prompt: „Ja, | |
er ist hier!“ „Soll ich den Streifenwagen zur Polizeistation schicken?“ | |
„Ja…!“ Das ist ihr letztes Wort. Ihr Handy fällt auf den Boden. Kyriaki | |
Griva schreit. Es ist ihr Todesschrei. Grivas Ex-Partner, 39 Jahre, tötet | |
sie mit fünf Messerstichen in ihren Oberkörper. Ein Augenzeuge brüllt: „Er | |
hat sie getötet! Er hat sie getötet!“ | |
Der Mord an Kyriaki Griva am Abend des 1. April ist der 81. [1][Femizid] in | |
Griechenland seit Anfang 2020 – Tendenz steigend. Der Aufschrei in Hellas | |
ist groß. Noch nie hat sich hierzulande ein Frauenmord direkt vor einer | |
Polizeistation ereignet, mitten in der griechischen Hauptstadt, ohne dass | |
die Polizei eingreift. | |
Die Regierung in Athen unter dem konservativen Premier [2][Kyriakos | |
Mitsotakis] wirkt wie gelähmt. Schon seit dem 8. Juli 2019 ist sie im Amt. | |
Eines ihrer großen Versprechen war, sie werde – ganz im Gegensatz zur | |
linken Vorgängerregierung unter Ex-Premier [3][Alexis Tsipras] -, fortan | |
für „Recht und Ordnung“ sorgen. Ein Klassiker unter den Vorhaben rechter | |
Regierungen. | |
Leere Worte. Ob die zu Füßen der Akropolis ausufernde Fangewalt, | |
wiederholte wilde Schießereien unter Mitgliedern der sogenannten „Greek | |
Mafia“ mit Todesfolge oder die sich mittlerweile erschreckend häufenden | |
Frauenmorde: Mitsotakis und Co. stehen vor einem Scherbenhaufen. | |
## Der Premier hält an seinem Minister fest | |
Von Anfang 2020 bis Ende 2023 wurden landesweit genau 37.312 Fälle | |
häuslicher Gewalt amtlich registriert. Die Dunkelziffer sei hoch, so | |
Experten. Das Gros der Opfer sind Frauen. Tendenz auch hier: steigend. In | |
den ersten zwei Monaten dieses Jahres kamen 1.808 neue Fälle hinzu. Grivas | |
Ex-Freund soll der Polizei seit 2020 bekannt gewesen sein, weil er sie | |
schlug. Den Femizid verhinderten die Ordnungshüter nicht. Der Täter wurde | |
verhaftet. Sechs Tage nach dem Mord versuchte er sich im Gefängnis | |
umzubringen. Er liegt derzeit in einem Athener Krankenhaus. | |
Fest steht: Griechenland hat gemessen an seiner Bevölkerungszahl mehr | |
Polizisten als in fast allen anderen EU-Staaten. Konkret zählt Hellas gut | |
500 Polizisten pro 100.000 Einwohner. In der EU bedeutet dies Platz zwei. | |
Nur Zypern hat etwas mehr. Zum Vergleich: Deutschland verfügt über rund 300 | |
Polizisten pro 100.000 Einwohner und liegt damit etwas unter dem | |
EU-Durchschnitt. | |
Die Griechen fühlen sich im eigenen Land nicht sicher. Der Frust steigt. | |
Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Athener | |
Meinungsforschungsinstituts Public Issue gaben fulminante 76 Prozent der | |
Befragten an, die hiesige Situation in Sachen Kriminalität habe sich in den | |
letzten zwölf Monaten verschlechtert. Nur fünf Prozent der Hellenen gaben | |
an, die Lage habe sich verbessert. | |
Unbeirrt hält Premier Mitsotakis an Michalis Chrysochoidis, dem Minister | |
für Bürgerschutz, fest. Er ist seit der Wiederwahl der Regierung Mitsotakis | |
im Juni vorigen Jahres bereits der dritte Minister auf diesem Posten. Dafür | |
wurden flugs der unsägliche Polizist in der Notrufzentrale sowie vier | |
seiner Kollegen der Polizeistation, vor der die glücklose Kyriaki Griva ums | |
Leben kam, versetzt. Darunter ist auch ein Polizist, der am Abend des 1. | |
April Wache schob. Auch er griff nicht ein. | |
Dass griechischen Medien zufolge ausgerechnet dieser Wächter wegen | |
Verbindungen zur Organisierten Kriminalität rechtskräftig verurteilt worden | |
und vor seiner Entlassung aus dem Polizeiapparat gestanden sei, sorgt für | |
zusätzliche Irritationen. Er will aus seinem Wachhäuschen keine gute Sicht | |
auf das Opfer Griva gehabt haben, soll er seine fatale Untätigkeit bei dem | |
unglaublichen Vorfall begründet haben. | |
Aufgeschreckt durch den jüngsten Frauenmord versichert Premier Mitsotakis | |
derweil trotzig: „Die Polizeiautos sollen zu Taxis und Rettungswagen für | |
die Bürger werden.“ Das glaubt ihm in Griechenland kaum einer, geschweige | |
denn die Frauen. | |
12 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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