# taz.de -- Instagram-Account „Femizide stoppen“: „Wollen unsere Follower… | |
> Lilly S. und Saskia A. verloren eine Freundin durch einen Femizid. Auf | |
> Instagram machen sie seitdem auf geschlechtsspezifische Gewalt | |
> aufmerksam. | |
Bild: Eine Gedenkkundgebung in Berlin für Diana G., 2023 von ihrem Nachbar mit… | |
taz: Frau S., auf [1][Ihrer Instagram-Seite] mit mehr als 50.000 Followern | |
zählen Sie Femizide in Deutschland. Wieso? | |
S.: Saskia und ich hatten eine gemeinsame Freundin aus der Schulzeit, | |
Derya. Im November 2021 ist Derya Opfer eines erweiterten Femizids | |
geworden. Ein Klassenkamerad hat sie getötet und mit ihr das gemeinsame | |
Kind, den vierjährigen Kian. Das war für uns alle sehr schlimm. Wir wussten | |
aber, dass wir nicht die Einzigen sind, die eine Freundin haben, die | |
getötet wurde. Jeden zweiten Tag in Deutschland wird eine Frau von ihrem | |
Partner oder Ex-Partner umgebracht. Aus dieser Not heraus haben wir die | |
Seite gestartet. Wir wollten Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Das | |
Konzept haben wir uns von österreichischen und chilenischen | |
Aktivist:innen abgeguckt. Schon mit Beginn des Jahres 2022 haben wir | |
zu berichten angefangen. | |
taz: Wie haben Sie den Umgang der Behörden mit dem Mord an Derya | |
wahrgenommen? | |
S.: Von der Polizeiarbeit waren wir positiv überrascht. Da zu Beginn | |
niemand wusste, wer der leibliche Vater von Kian ist, war nicht direkt | |
klar, wer der Täter ist. Er konnte aber durch einen Indizienprozess | |
rechtmäßig verurteilt werden. Am vorletzten Prozesstag gestand er dann. Wir | |
hatten zuerst Sorge wegen der Richterin, da sie in der Vergangenheit bei | |
einem Femizid sehr mild geurteilt hatte. Der Täter bekam dann aber die | |
Höchststrafe: Er wurde wegen zweifachen heimtückischen Mordes aus niedrigen | |
Beweggründen und wegen besonderer Schwere der Schuld zu lebenslanger Haft | |
verurteilt. | |
taz: Sie zählen [2][deutschlandweit Femizide]. Recherchieren Sie all diese | |
Fälle selbst? | |
S.: Wir haben einen Google-Alert für verschiedene Begriffe eingerichtet, | |
bekommen also eine Benachrichtigung, wenn beispielsweise der Begriff | |
Femizid oder „Frau getötet“ irgendwo neu auftaucht. Mittlerweile bekommen | |
wir auch viele Fälle von Followern zugeschickt. Wir übertragen erst mal | |
alles in eine Liste und prüfen dann, ob es sich um eine | |
geschlechtsspezifische Tötung handelt. | |
taz: Das Bundeskriminalamt zählte 2023 insgesamt 155 Frauen, die durch | |
ihren Partner oder Ex-Partner getötet wurden. Sie aber haben nur 119 für | |
das letzte Jahr gezählt. | |
S.: Das liegt vor allem am Zugang zu Informationen. Wenn über einen Mord | |
nicht berichtet wird, erfahren wir auch nicht davon. Wenn berichtet wird, | |
sind die Informationen nicht immer ausreichend. Wir stufen eine Tötung zum | |
Beispiel als Femizid ein, wenn es sich bei dem Täter um den Partner oder | |
Ex-Partner handelt – das Opfer-Täter-Verhältnis und das Motiv sind aber | |
nicht immer klar. Ohnehin arbeiten wir ja mit Mutmaßungen, denn zum | |
Zeitpunkt der Medienberichte gab es in der Regel noch keine Verurteilung. | |
Wenn wir einen Fall nicht posten, bedeutet das also nicht, dass wir ihn | |
nicht als Femizid werten, sondern meist, dass wir einfach nicht genügend | |
Informationen haben. Wir müssen einordnen können, da wir den Begriff | |
Femizid nicht verwässern und möglichst seriös berichten wollen. | |
taz: Sie zählen auch Fälle, in denen die Täter noch nicht verurteilt sind. | |
Ist das nicht eine Form der Vorverurteilung? | |
S.: Es gab öfters mal Kommentare von Leuten, die uns darauf hingewiesen | |
haben, dass es sich nicht um Täter, sondern um mutmaßliche Täter handelt, | |
und uns Vorverurteilung vorwarfen. Das ist eben der Unterschied zu einer | |
journalistischen Quelle: Wir betreiben Aktivismus, unbezahlt in unserer | |
Freizeit. Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit für das Thema zu steigern. | |
Oft berichtet nur die lokale Presse über Femizide, und es bekommt darüber | |
hinaus niemand mit. Wir wollen Solidarität zeigen, unsere Follower | |
politisieren und ein Bewusstsein für die Vorstufen der Gewalt schaffen. | |
taz: Wie viel Ihrer Zeit fließt in den Account? | |
S.: Viel zu viel wahrscheinlich, ich will es gar nicht wissen. Täglich auf | |
jeden Fall mehr als eine Stunde. Allein schon die ganzen Zusendungen und | |
Nachrichten von Betroffenen zu lesen dauert. | |
taz: Was macht das mit einem, ständig mit Gewalt und Tod konfrontiert zu | |
sein? | |
S.: Am Anfang war es eine Art Coping, um nicht untätig zu sein und uns aus | |
dem Gefühl der Ohnmacht zu befreien. Mittlerweile ist es fast Normalität | |
geworden. Dadurch, dass wir jetzt so viele erreichen und ihnen die | |
Information und Solidarität geben, die uns damals gefehlt hat, gibt die | |
Arbeit jetzt aber sehr viel Positives zurück. | |
taz: Wie ist die Geschlechterverteilung auf Ihrem Instagram-Account? | |
S.: Uns folgen 85 Prozent Frauen und 15 Prozent Männer. | |
taz: Ihre Instagram-Seite besteht aus Kacheln, auf denen Sie Femizide | |
zählen. Zuletzt haben Sie aber auch inhaltliche Posts gebracht, etwa zu dem | |
Fall Anys, die [3][von ihrem Ex-Partner, dem Youtuber Mois, Gewalt | |
erfahren] hat und öffentlich bedroht wird. Warum hat Sie gerade dieser Fall | |
zu einem Statement bewegt? | |
S.: Femizide sind die höchste Form der patriarchalen Gewalt. Die baut aber | |
auf anderen Gewaltformen auf. Dort muss man bereits ansetzen. Schon | |
psychische Gewalt als Vorstufe von Femiziden muss bekämpft werden, da sie | |
sonst weiteren Formen der Gewalt den Weg ebnet. Im Fall von Anys wird das | |
sehr deutlich. Deshalb war es uns wichtig, hinzuschauen und auf den Fall | |
aufmerksam zu machen. | |
taz: Was müsste politisch passieren, damit Frauen wie Anys besser geschützt | |
sind? | |
S.: Es braucht grundsätzlich ein gesellschaftliches Umdenken, das beginnt | |
schon in der Kindheit. Männer müssen verstehen, dass sie nicht über Frauen | |
verfügen. Dann aber muss die Istanbul-Konvention konsequent umgesetzt | |
werden. Es braucht mehr Frauenhausplätze, die Polizei muss besser geschult | |
werden. Auch am Wohnraum muss angesetzt werden. Wenn es keine verfügbaren | |
und günstigen Wohnungen gibt, dann fehlt Schutzraum für gewaltbetroffene | |
Frauen. | |
taz: Sollte aus Ihrer Sicht der Femizid [4][ein eigener Straftatbestand] | |
werden? | |
S.: Wir sind keine Juristinnen und halten uns daher an die Forderungen des | |
Deutschen Juristinnenbundes von 2021 – etwa „geschlechtsspezifische | |
Beweggründe“ als Merkmal in die Strafzumessungserwägungen aufzunehmen. Er | |
fordert außerdem eine intensive Tatursachenforschung und auch, dass eine | |
intime Beziehung zwischen Opfer und Täter sich nicht strafmildernd | |
auswirken darf. Hinzu kommen Instrumente zur Risikoeinschätzung, | |
Fortbildungen in Polizei und juristischem Apparat zu häuslicher Gewalt | |
sowie bessere rechtliche Möglichkeiten, gewalttätige Männer von Betroffenen | |
fernzuhalten. | |
18 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/femizide_stoppen/?hl=en | |
[2] /155-Femizide-in-Deutschland/!6015782 | |
[3] https://www.freitag.de/autoren/alina-saha/youtuber-mois-die-gewalt-gegen-se… | |
[4] /!6003004/ | |
## AUTOREN | |
Livia Sarai Lergenmüller | |
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