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# taz.de -- CDU ruft zum Boykott auf: Kunst darf alles, außer in Osnabrück
> Mit einem Angriff aufs Grundrecht der Kunstfreiheit profiliert sich
> Osnabrücks CDU: Sie will eine Ausstellung in der Kunsthalle canceln.
Bild: Das halbnackte Grauen: Sophia Süßmilch trägt zur Performance einen lan…
Gegen einen Angriff der örtlichen CDU hat die gemeinsame Ratsfraktion von
Grünen und Volt [1][Osnabrücks Kunsthalle] verteidigt. Zuvor hatten
CDU-Kreisverband und Fraktion in einem Kommuniqué zum Boykott der
Kunsthalle aufgerufen. Die am Samstag eröffnete [2][Ausstellung „Kinder,
hört mal alle her!“] sei umgehend wieder zu schließen. Ja, es sei
„unverständlich, wie eine solche Ausstellung überhaupt genehmigt werden
konnte“, entwickelt das Schreiben die Vorstellung, Kunstausstellungen vorab
einer behördlichen Zustimmung zu unterwerfen. Eine solche Zensur wäre
grundgesetzwidrig.
Tatsächlich ruft Gegenwartskunst oft eine Abwehr hervor. Ist sie
avantgardistisch, tabubrechend, experimentell, vermag sie Menschen zu
irritieren, denen sich der Sinn nicht unmittelbar erschließt. Das Team der
Kunsthalle Osnabrück kennt solche Kritik. Sie weiß auch, dass Unmut und
Skandalträchtigkeit Aufmerksamkeit generieren. Aber was am Samstag zur
Eröffnung ihrer Ausstellung „Kinder, hört mal alle her!“ losbrach, hatte
man auch dort noch nicht erlebt.
Die Schau zeige Werke, „die sowohl inhaltlich als auch visuell absolut
inakzeptabel sind“, befand die CDU. Man nehme nicht hin, „dass unter dem
Deckmantel der Kunst derartige groteske und verstörende Darstellungen
öffentlich gezeigt werden“, schreibt Marius Keite, Vorsitzender der
Stadtratsfraktion.
Zwar dürfe Kunst provozieren. Aber „sie muss auch Verantwortung
übernehmen“, ergänzt Verena Kämmerling, Kreisvorsitzende der CDU Osnabrüc…
Man fordere „die Verantwortlichen auf, diese Ausstellung umgehend zu
schließen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen“, heißt es in der
Verlautbarung.
## CDU kritisiert Performance
Im Zentrum der Angriffe: eine Performance der Künstlerin Sophia Süßmilch in
der ehemaligen Dominikanerkirche. Diese greift auf kannibalische
Szenografien einer Hexenversammlung zurück, wie sie beispielsweise Johann
Wolfgang von Goethe dichterisch, Francisco de Goya malerisch geprägt hat.
Mütter, die ihre Kinder verspeisen, seien „keine Kunst“, urteilt nun
Osnabrücks CDU: „Solche Darstellungen sind nicht nur für Kinder, sondern
auch für Erwachsene unzumutbar“, so der Fraktionsvorsitzende Marius Keite.
Sophia Süßmilch sieht in dem Anwurf ein „Zeugnis des Rechtsrucks unserer
Gesellschaft“. „Ich lade die örtliche CDU zum Battle-Rap ein, in die
Kunsthalle“, sagt sie der taz und lacht.
Dabei hat sie in Folge der Veröffentlichung der CDU-Erklärung Morddrohungen
erhalten: „Da hieß es dann, ich könne froh sein, dass hier keine
Selbstjustiz herrscht, sonst würde ich an der nächsten Straßenlaterne
hängen.“
## Direktorin der Kunsthalle weist Kritik zurück
Juliane Schickedanz, Direktorin der Kunsthalle, hat von den CDU-Vorwürfen
erst aus der Presse erfahren, sagt sie. „Die Kunstfreiheit ist
unumstößlich!“ Die Kritik bestätige die Relevanz der Einrichtung. „Wir
legen Finger in Wunden“, sagt Anna Jehle der taz, die mit Schickedanz eine
Direktions-Doppelspitze bildet. Es gehe hier nicht allein um Süßmilch.
„Hier wird die Halle generell infrage gestellt“, so Jehle.
„Die ästhetische Bewertung überlassen wir gerne anderen, die Verteidigung
der Kunstfreiheit nicht“, schreiben Volker Bajus, der Vorsitzende, und
Sebastian Bracke, der kulturpolitische Sprecher der
Volt-Grünen-Ratsfraktion, in einer Erklärung. Die Forderung nach Schließung
der Ausstellung sei absurd. „Was kommt als nächstes? Die Forderung, alle
Kriminalromane als Mordpropaganda aus der Stadtbibliothek zu verbannen?“
Ähnlich äußerte sich Montagnachmittag auch die SPD-Fraktion nach einem
Kunsthallen-Besuch. Dass ihr Jahresprogramm, das sich mit Themen „rund um
Erziehung, Bildung, Generationskonflikten und dem ewigen Kindsein“ befasst,
gewöhnungsbedüftig sein könne, hatte die Kunsthallenleitung klar
kommuniziert. Ein Besuch der Ausstellung und der Süßmilch-Performance „Then
I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house in“ könne „als nicht
kindergerecht eingestuft werden“, hieß es bereits auf der Website.
Für die CDU ebenfalls irritierend, aber in den Kunsthallen von Tate Modern
(London) bis Centre Pompidou (Paris) längst üblich, gibt es zudem
„Content-Warnungen“, die auf Themen wie Gewalt, Nacktheit und Sexualität
hinweisen plus Altersempfehlungen und das Angebot, beim Awareness-Team
Beistand zu suchen.
## „Kannibalistische Choräle“ gehören dazu
Zur Schau gehören „Kannibalistische Choräle“, in denen böse und komisch …
„Säuglings-Sauerbraten“ und „Steak aus Stiefkind“ die Rede ist. Auch k…
wer ein Fernglas zur Hand nimmt, in 20 Metern Höhe Meerschweinchenrezepte
lesen. Riesige Rattenschwänze hängen von der Decke, zudem das „Guinea Pig
of Death“ zum Anbeten. Auf schwarzen Stoffbahnen liegen Kugelobjekte, wie
aus Haut genäht. Ein paar Püppchen wirken creepy. Aber schockierend? Eher
nicht.
Der Angriff hat eine Vorgeschichte: Oberbürgermeisterin Katharina Pötter
(CDU) möchte die Kunsthalle seit Jahren in eine programmatisch
unspezifische Begegnungsstätte verwandeln, einen sogenannten „Dritten Ort“.
Die Ratsmehrheit ist dagegen. Der Verdacht liegt nahe, dass ihre Partei
„Kinder, hört mal alle her!“ nutzen will, um ihren Kampf fortzuführen.
17 Jun 2024
## LINKS
[1] /Oberbuergermeisterin-gegen-den-Rat/!5842804
[2] https://kunsthalle.osnabrueck.de/de/programm/jahresthema/kinder-hoert-mal-a…
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Osnabrück
Kannibalismus
Kulturpolitik
Schwerpunkt Femizide
Osnabrück
zeitgenössische Kunst
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