Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Oberbürgermeisterin gegen den Rat: Kunsthalle Osnabrück bedroht
> Zwar nicht gleich abschaffen, aber „integrieren“: Osnabrücks
> Oberbürgermeisterin Katharina Pötter will der dortigen Kunsthalle an den
> Kragen.
Bild: Kein Kommentar zum Rathauspersonal: Filip Markiewicz’ „Impeach“ war…
Osnabrück taz | Zauberworte sind beliebt in der Politik. Eins, das derzeit
boomt: „Dritter Ort“. Neben seinem Zuhause und seinem Arbeitsplatz, mahnt
es, braucht der Mensch einen Ort, um Gemeinschaft zu leben, Stresslast
abzubauen, Entfremdung zu heilen. Viele Kommunen bemühen sich daher,
„Dritte Orte“ zu schaffen.
Auch Katharina Pötter (CDU), seit Ende 2021 Oberbürgermeisterin von
Osnabrück, hat einen neuen Dritten Ort ins Gespräch gebracht, „im Herzen
unserer Altstadt“, mit „Kultur, einer großen Bibliothek und viel Raum zum
Verweilen und für Begegnungen“. Da, wo sie ihn sich vorstellt, existiert
allerdings schon etwas, seit Anfang der 1990er: die Kunsthalle. Die müsste
dann weg. Oder sich verkleinern. Beides wäre ein Profilverlust für die
Stadt.
Ihr gehe es „nicht darum, die [1][Kunsthalle abzuschaffen]“, sagt Pötter
der taz, „sondern sie in ein größeres Konzept zu integrieren“. Die Halle
habe „großartiges Potenzial“, aber man müsse „mehr Besucher“ interess…
Sie frage sich, so Pötter, „ob wir mit dem aktuellen Konzept wirklich noch
die überregionale Strahlkraft erzeugen, die wir schon einmal hatten“. Mit
den „nackten Zahlen“ könne man „nicht zufrieden sein“.
Und dann rechnet sie auf: einerseits 1,3 Millionen Euro Gesamtkosten pro
Jahr, bei zehn Stellen. Andererseits im Vor-Corona-Jahr 2019 nur 18.000
Besucher:innen. In jenem Jahr wechselte die bisherige Direktorin Julia
Draganović nach Rom, die Nachfolgerinnen Juliane Schickedanz und Anna Jehle
kamen erst 2020.
## Fragwürdige Zielvorgabe
„Der Vorschlag ist also in der Welt, nun kann diskutiert und geprüft
werden“, sagt Pötter. Ein Arbeitsauftrag, den Fortbestand einer der
namhaftesten Kulturinstitutionen ihrer Stadt infrage zu stellen. Pötters
Zielvorgabe für ihren Dritten Ort: mehr als 250.000 Gäste im Jahr.
Bloß: Über diese Schwelle kommt derzeit in Osnabrück keine kulturelle
Einrichtung, heißt es bei der Stadt. Das meistbesuchte Museum ist stets das
Museum für Natur und Umwelt mit mal knapp unter, mal etwas über 100.000
Besucher:innen. Die Stadtbibliothek liegt meist bei klar über 200.000, in
die Kunsthalle kamen vor der Pandemie zuletzt jeweils etwa 20.000 Menschen
im Jahr.
Elisabeth Lumme, Leiterin des avantgardistisch-experimentellen Osnabrücker
Kunstraums „hase29“, versteht den Vorstoß der Oberbürgermeisterin nicht.
Die Architektur des gotischen Kirchenschiffs, das den Kern der Halle
bildet, habe „vielfach zu einmaligen, sehr spezifischen künstlerischen
Interventionen geführt“, auf die Osnabrück „stolz zurückblicken“ könn…
„Den architektonischen Raum für Kunst aufzugeben oder im Volumen zu
beschneiden, hieße, diese Qualitäten zu opfern“, sagt Lumme, „ohne zu
wissen, ob das alternative Konzept eines Dritten Ortes wirklich eine Chance
hat.“
Überhaupt werde das gesellschaftlich relevante Potenzial bildender Kunst
„leider häufig unterschätzt“, sagt Lumme. „Es wäre sehr bedauerlich, w…
das auch für die Kunsthalle gelten würde, [2][Osnabrück wäre um einen
inspirierenden Ort ärmer].“ Eine Halle für zeitgenössische Kunst erreiche
„selten die Massen“. Aber: „Trotzdem ist sie sehr wichtig im Kultur- und
Bildungsangebot einer Großstadt wie Osnabrück.“
Volker Bajus, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat der Stadt Osnabrück,
sieht das ähnlich: Die Kunsthalle sei „der wichtigste Ausstellungsraum für
zeitgenössische Kunst in Südwestniedersachsen“. Statt sie infrage zu
stellen, solle man „das neue Kuratorinnen-Duo bei seinem Vorhaben
unterstützen, die Kunsthalle noch mehr zu einem lebendigen Ort kultureller
Verständigung zu machen“.
Grundsätzlich findet der Grüne die Idee eines Dritten Orts gut – aber der
Standort sei ungeeignet. Der Rat werde keiner Umwidmung der Halle
zustimmen: „Die Mehrheitsgruppe Grüne/SPD/Volt ist hier klar“, sagt Bajus.
„Dafür wird es keine Mehrheit geben“, bestätigt Heiko Schlatermund,
Sprecher für Kulturpolitik der SPD-Ratsfraktion. Er kann die Äußerungen der
Oberbürgermeisterin „weder nachvollziehen noch teilen“.
Der taz sagt er: „Ich halte nichts davon, die [3][Kunsthalle] einzuhegen
oder zu beschneiden. Ich bin für eine weitere Entwicklung zu einem
bedeutenden Standort für zeitgenössische Kunst und Kultur.“ Für ihn schreie
dieser Ort nach mehr Entfaltung. „Aber eben als eine Kunsthalle und nicht
als einen Dritten Ort, wofür das Gebäude überhaupt nicht geeignet ist.“
Pötters Vorstoß sei ein Alleingang: „Eine Diskussion dazu hat es mit den
Kulturpolitikern jedenfalls nicht gegeben.“
Auch die Freunde der Kunsthalle Osnabrück, ein Verein, der die Halle
finanziell und ideell unterstützt, sind konsterniert. Der Vorschlag aus dem
Rathaus zeuge „von Unkenntnis“, erklärt man „mit Empörung“. Pötter h…
sich geäußert, „offensichtlich ohne die Arbeit der Kunsthalle zu kennen und
das Gespräch gesucht zu haben“.
Die so gescholtene Politikerin Pötter kontert: Ihr Unkenntnis vorzuwerfen,
zeige, wie weit manche Kritiker „sich von der Realität der Stadt entfernt
haben“. Statt sich gegen sie zu stellen, solle der Verein mit ihr lieber
eine „Modernisierung des Konzeptes anstreben“. Die Kunsthalle müsse den
Anspruch haben, „nicht nur für eine kleine Fachwelt zu produzieren, sondern
für die Bürgerinnen und Bürger, die sie mit ihren Steuern finanzieren“.
## Oft intellektuell verstiegen
Sicher: [4][Die derzeitig in der Halle gezeigte Kunst erschließt sich
mitunter schwer], versteigt sich oft intellektuell – Anspruch und
Wirklichkeit klaffen da auch schon mal auseinander. Aber ihr Programm zu
popularisieren, das wäre kleingeistig. Und verspräche es überhaupt Erfolg?
Das Thema, schon in Pötters Wahlkampf ein Aufreger, hat Sprengkraft. Viele
Beteiligte halten sich auffallend bedeckt. „Die Äußerungen unserer
Oberbürgermeisterin Frau Pötter möchte ich nicht kommentieren“, sagt etwa
Brigitte Neumann, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Auch Pötter
selbst ist nicht wirklich offen. Ein persönliches Gespräch, von der taz
angefragt, kommt nicht zustande, Detailfragen bleiben unbeantwortet,
mehrmaliges Nachhaken ist nötig.
Auch die Kunsthallen-Leiterinnen Jehle und Schickedanz, von der taz um
Kommentierung gebeten, müssen schweigen. Wer spricht, ist Wolfgang
Beckermann, Osnabrücks Erster Stadtrat, zuständig für Bildung, Soziales,
Kultur: „Die Arbeit der Kunsthalle findet im Rahmen der von den städtischen
Gremien in der Vergangenheit festgelegten kulturpolitischen Ausrichtung
statt.“ Heißt wohl: Alles bleibt beim Alten.
Vorerst.
3 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ausstellung-Barrierefreiheit/!5784714
[2] /Museumsdirektor-ueber-das-Moeglich-Machen/!5638642
[3] https://kunsthalle.osnabrueck.de/
[4] /Osnabruecker-Ausstellung-Enttaeuschung/!5706505
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Osnabrück
Kunsthalle
Kulturpolitik
Museum
Osnabrück
Kunst
Kolonialismus
Osnabrück
Verkehrswende
## ARTIKEL ZUM THEMA
CDU ruft zum Boykott auf: Kunst darf alles, außer in Osnabrück
Mit einem Angriff aufs Grundrecht der Kunstfreiheit profiliert sich
Osnabrücks CDU: Sie will eine Ausstellung in der Kunsthalle canceln.
Osnabrücker Künstler zieht Bilanz: In Monkes wilder Höhle
Der Bildhauer Herbert Rauer alias Monke zieht Bilanz. Eine Retrospektive in
einer Ex-Dönerbude passt zu ihm. Osnabrücks Kunsthalle wäre angemessener.
Historiker zu Kolonialismus in Osnabrück: „Nur Europa ist bekleidet“
Museumskurator Thorsten Heese zeigt auf seinem Stadtrundgang koloniale Orte
in Osnabrück. Die Stadt hat massiv an Leinenhosen für Versklavte verdient
Ausstellung in Osnabrück: Dicht dran an der Distanz
Von intensiven Porträts bis Drohnenvideos: Eine Ausstellung im Osnabrücker
Kunstraum Hase29 zeigt, wie nah sich Nähe und Ferne sein können.
Verkehrswende in Osnabrück: Weniger Autos, mehr Straßenbahn
1960 hat Osnabrück seine Straßenbahn abgeschafft. Jetzt lässt die
niedersächsische Stadt prüfen, ob es sich lohnt, eine neue zu bauen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.