# taz.de -- Femizide in Hamburg: Jede Menge Einzelfälle | |
> Nach dem sechsten Femizid in Hamburg protestieren Aktivist*innen | |
> gegen die Verharmlosung als Ausnahmefall. Sie fordern eine Aufarbeitung. | |
Bild: Sie wollen Femizide nicht länger hinnehmen: Protest auf dem Hamburger Al… | |
HAMBURG taz | „Alle sollen wissen, es reicht!“, ruft eine junge Frau auf | |
dem Alma-Wartenberg-Platz in Hamburg-Altona. „Unser Körper, unsere Freiheit | |
und unser Leben gehören einzig und allein uns!“ | |
Die Aktivistin ist Teil des Anti-Feminizid-Netzwerks Hamburg, eines | |
Kollektivs feministischer Organisationen, Beratungsstellen und | |
Schutzeinrichtungen, das nach jedem Frauenmord in Hamburg eine Mahnwache | |
hält. Im Juli ereignete sich nach den Recherchen des Netzwerks der neueste | |
Femizid: Eine 82-Jährige wurde in Hamburg-Hamm von ihrem Mann umgebracht. | |
Laut Angaben des Hamburger Senats sind 2022 17 Frauen getötet worden. In | |
den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es fünf Opfer. Laut dem | |
Bundesfamilienministerium wird in Deutschland [1][jede dritte Frau in ihrem | |
Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt.] | |
Das Anti-Feminizid-Netzwerk zählt Frauenmorde in Hamburg zusammen mit der | |
Linksfraktion, die regelmäßig Anfragen an den Senat stellt und damit die | |
Zahlen öffentlich macht. Ein behördliches Monitoring von Femiziden gibt es | |
weder in Hamburg noch anderswo in Deutschland. | |
## Femizide nicht in Kriminalstatistik | |
Auf Anfrage der Linken schrieb der Hamburger Senat Ende 2020, Bund und | |
Länder stünden im Austausch zum Aufbau einer Monitoringstelle. Auf eine | |
Anfrage im Juni 2023, ob es eine Dokumentation von Tatmotiven gäbe, | |
antwortete der Senat: „Der Sachstand ist unverändert“. | |
Auch in der Kriminalstatistik tauchen Femizide nicht unter dieser | |
Bezeichnung auf. Stattdessen führt das Bundeskriminalamt eine Statistik zu | |
„Partnerschaftsgewalt“. Das Anti-Feminizid-Netzwerk Hamburg kritisiert, | |
dass Femizide nicht ausdrücklich als solche benannt werden. [2][Eher würden | |
sie von den Medien und dem Staat verharmlost] und als Einzelschicksale | |
betrachtet. | |
Über den letzten Frauenmord sagt eine Sprecherin des Netzwerks: „Die | |
Staatsanwaltschaft spricht von einem ‚besonders tragischen Fall‘. Wir | |
nennen es Feminizid.“ Damit nutzt das Netzwerk einen Begriff aus | |
Lateinamerika. Der bezieht ein, dass die Tötung von Frauen in einem | |
politischen und gesellschaftlichen System stattfindet, das die Täter gar | |
nicht oder nicht angemessen bestraft. | |
Teil des Hamburger Anti-Feminizid-Netzwerks sind auch Frauen mit | |
lateinamerikanischen Wurzeln. In Lateinamerika, wo es viele Femizide gibt, | |
wird zunehmend versucht, die Gewalt gegenüber Frauen sichtbar zu machen. | |
Schon Mitte der 2000er Jahre wurde der Straftatbestand „Feminizid“ | |
eingeführt. | |
In Deutschland hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) im letzten Jahr | |
angekündigt, Paragraf 46 des Strafgesetzbuchs, in dem es um die | |
Strafzumessung geht, um das Merkmal „geschlechtsspezifische Motive“ zu | |
ergänzen. Bisher wurde dieser Plan nicht umgesetzt. | |
Anika Ziemba vom Frauenhaus Hamburg sagt, Femizide seien die Spitze eines | |
Eisbergs aus physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt. In jedem | |
vierten Fall ist der Täter ein aktueller oder ehemaliger Partner. „Meistens | |
sind Trennungen der Moment, wo die Gewalt in einen Mord eskaliert“, so | |
Ziemba. In Beratungsgesprächen erzählten Frauen regelmäßig, ihr Partner | |
habe gesagt: „Wenn du dich von mir trennst, bringe ich dich um“. | |
Aber für die Frauen gibt es deutlich zu wenig Zufluchtsorte. In Hamburg | |
fehlen laut Ziemba rund 200 Plätze, [3][die existierenden Frauenhäuser] | |
seien „immer voll“. Bundesweit mangele es an etwa 15.000 Plätzen. Erst mit | |
21.000 Frauenhausplätzen in ganz Deutschland wären die Vorgaben der | |
Istanbul-Konvention erfüllt, ein Abkommen des Europarats zur Bekämpfung von | |
Gewalt gegen Frauen. | |
Doch auch das Frauenhaus kann keinen absoluten Schutz bieten. Regelmäßig | |
erlebt Anika Ziemba, dass Männer Bewohnerinnen von Frauenhäusern über | |
gemeinsame Kinder ausfindig machen und den Frauen dann auflauern. Deswegen | |
fordert Ziemba, dass der Umgang der Kinder mit dem Vater leichter | |
ausgesetzt werden kann. „Wir brauchen einen umfassenden Gewaltschutz ohne | |
Hintertüren, der Täter in die Verantwortung nimmt“. | |
## Zu wenig Notplätze | |
Ohnehin haben Ziemba und ihre Kolleg*innen oft nur in der Notaufnahme | |
Platz, „und auch da arbeiten wir am Limit“. Häufig [4][müssen | |
Schutzsuchende an andere Frauenhäuser verwiesen werden.] Viele entscheiden | |
sich dann, trotz häuslicher Gewalt und Morddrohungen in Hamburg zu bleiben, | |
erzählt Anika Ziemba. Denn hier hätten sie ihre Jobs und ihr soziales | |
Netzwerk, das in Krisensituationen besonders wichtig sei. | |
Betroffene Frauen zahlen dafür einen hohen Preis – insbesondere, wenn sie | |
aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Sind sie verheiratet, bindet die | |
Ehe sie laut Anika Ziemba hierzulande drei Jahre an den Mann. Trennen sich | |
die Frauen vorher, müssen sie zurück ins Heimatland. „Da sagen dann viele: | |
‚Ich halte diese drei Jahre durch, und ich hoffe, ich überlebe das‘“, sa… | |
Ziemba. | |
Transparenzhinweis: Wir haben auf Wunsch das Zitat eines Mitglieds des | |
Anti-Feminizid-Netzwerks Hamburg aus dem Text entfernt. Die Redaktion | |
17 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Filmemacherin-Sander-ueber-Frauenrechte/!5945939 | |
[2] /Femizide-in-den-Medien/!5944761 | |
[3] https://www.hamburg.de/opferschutz/116066/frauenhaeuser-in-hamburg/ | |
[4] /Ueberfuellte-Frauenhaeuser/!5949140 | |
## AUTOREN | |
Katarina Machmer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Femizide | |
Frauen | |
häusliche Gewalt | |
Gewalt gegen Frauen | |
Sexualisierte Gewalt | |
Frauenhäuser | |
Schwerpunkt Femizide | |
Partnerschaftsgewalt | |
häusliche Gewalt | |
Mord | |
Schwerpunkt Femizide | |
Schwerpunkt Femizide | |
Schwerpunkt Femizide | |
Schwerpunkt Femizide | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Femizid-Mahnmal in Osnabrück: Ein Ort der Empörung | |
Die Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix hat ein Mahnmal für Opfer von | |
Femiziden geschaffen. Der Ort ist mit Bedacht gewählt. | |
Gewalt gegen Frauen: Die Täter sind überall | |
Auf einer Konferenz werden innovative Ansätze zur Bekämpfung von Gewalt | |
gegen Frauen gesucht. Besonders digitales Nachstellen erfordert ein | |
Umdenken. | |
Berliner Dokumentarfilm: Häusliche Gewalt kann jede treffen | |
Der Dokumentarfilm „Zuflucht nehmen“ ist etwas besonderes: Regisseurin | |
Selina Höfner ist vom Fach und stellt Frauen nicht als Opfer dar. | |
Femizid-Prozess in Oldenburg: Vor den Augen der Kinder geschossen | |
In Oldenburg stehen zwei Männer vor Gericht. Sie sollen versucht haben, die | |
Ex-Frau des einen zu töten. Die Frau überlebte nur durch einen Zufall. | |
Nach dem Femizid in Bosnien-Herzegowina: Zwischen Schock und Reflexion | |
Das Filmfestival in Sarajevo wurde unterbrochen. Stattdessen gingen | |
Menschen gegen einen Femizid auf die Straße. Der Täter filmte sich live. | |
Buch über Femizide in Mexiko: Kein Verbrechen aus Leidenschaft | |
Die Autorin Cristina Rivera Garza hat den Femizid an ihrer Schwester | |
aufgearbeitet – und legt den Finger in eine Wunde der mexikanischen | |
Gesellschaft. | |
Gewalt in Flüchtlingsunterkünften: Mit Empathie gegen männliche Gewalt | |
Das „Gentle“-Projekt will häuslicher Gewalt in Flüchtlingsunterkünften | |
entgegenwirken. Der Fokus liegt dabei auf Täterarbeit und Prävention. | |
Femizide in Österreich: Wenn Gewalt verborgen bleibt | |
Vor ein paar Jahren wusste in Österreich kaum jemand, was ein Femizid ist. | |
Aktivist:innen sorgen dafür, dass das Thema in die Öffentlichkeit | |
kommt. |