# taz.de -- Femizide in Österreich: Wenn Gewalt verborgen bleibt | |
> Vor ein paar Jahren wusste in Österreich kaum jemand, was ein Femizid | |
> ist. Aktivist:innen sorgen dafür, dass das Thema in die | |
> Öffentlichkeit kommt. | |
Bild: Graffiti in Wien: Die hohe Zahl an Frauenmorden war in Österreich lange … | |
BERLIN taz | Die Aktivist:innen der Gruppe „Claim the Space“ nennen den | |
Ort in Wien „ehemaliger Karlsplatz“, obwohl auf den Straßenschildern noch | |
der alte Name steht. Zum Ende jedes Monats demonstrieren sie hier unweit | |
der Karlskirche gegen Femizide, an der Kirche, die nach Bischof Karl | |
Borromäus benannt ist, jenem Stadtheiligen, der Ende des 16. Jahrhunderts | |
mit seinen Inquisitoren die Verfolgung und auch Verbrennung vermeintlicher | |
Hexen organisierte. „In unseren Augen ein passender Ort, um ihn uns zu | |
nehmen und einen Raum für Trauer, Wut, aber auch Solidarität zu schaffen“, | |
erklären die Aktivist:innen der taz. | |
Es ist ein Protest unter dem Motto: „Nehmt ihr uns eine, antworten wir | |
alle.“ Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt sollen sich „nicht | |
mehr ohnmächtig fühlen“. Gar von „einem Aufschrei“ ist die Rede. Die | |
Demonstrierenden auf dem Karlsplatz singen das „Canción sin miedo“ (Lied | |
ohne Angst) von Vivir Quintana, zählen jeden Femizid der vergangenen 365 | |
Tage auf und schreiben ihn mit Kreide auf den Boden. Nicht alle finden das | |
gut: Zuweilen unterbricht die Karlskirche mit Glockengeläut und einer | |
„Stadtsegnung“ die Redebeiträge und das kämpferische feministische | |
Gedenken. | |
[1][Die hohe Zahl von Femiziden] – die Aktivist:innen gehen von 30 im | |
vergangenen Jahr aus – war im Alpenland lange kaum ein Thema. Ein Tag, und | |
sei es der Weltfrauentag, reicht längst nicht aus, ihm die gebührende | |
Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und deshalb demonstrierte „Claim the Space“ | |
am 8. März in Wien gemeinsam mit anderen Organisatoren mit Parolen wie | |
„Jeder Tag ein 8. März!“, „Gegen Femizide“ und „#NoFlowers“. | |
## „Kaum jemand hätte gewusst, was ein Femizid ist“ | |
Die österreichische Journalistin Yvonne Widler, Autorin des eben | |
erschienenen Buches „Heimat bist du toter Töchter. Warum Männer Frauen | |
ermorden – und wir nicht wegsehen dürfen“ schreibt: „Noch vor zehn Jahren | |
hätte in Wien, in ganz Österreich, wohl kaum jemand gewusst, was ein | |
Femizid überhaupt ist.“ Das ändere sich langsam. Das wiederum liegt auch an | |
einer vorbildlichen Protestkultur, die zum Thema macht, dass in Österreich | |
das Problem im europäischen Vergleich besonders ausgeprägt ist. | |
[2][Über Jahre lag die Zahl getöteter Frauen in Österreich] höher als die | |
von Männern. Das ist deswegen bemerkenswert, weil Frauen häufig aus anderen | |
Motiven getötet werden als Männer: Es ist ein mysogynes Töten, als Antrieb | |
gelten Hass, Machtgelüste, Verachtung. Und oft sind die Täter aktuelle oder | |
ehemalige Partner. Die Coronapandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen | |
hatte das Problem zusätzlich verschärft. | |
Die Aktivist:innen auf dem Karlsplatz sprechen von Gewalt gegen | |
„FLINTA*-Personen“ – das Akronym steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, | |
nichtbinäre, trans und agender Personen – also für all jene, die aufgrund | |
ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden. Erst kürzlich | |
machten sie einen „Transizid“ publik – die Ermordung der trans Person sei | |
„gänzlich unsichtbar“ gemacht worden, auch weil sie wohnungslos war und | |
keinen österreichischen Pass hatte. | |
Auf die Frage nach dem Grund, warum geschlechtsspezifische Gewalt so häufig | |
vorkommt, sagt eine der Aktivist:innen: „Österreich schreibt der | |
bürgerlichen Kleinfamilie einen sehr hohen Wert zu, womit traditionelle | |
Geschlechterrollen und Arbeitsteilungen, also auch ein Besitzanspruch des | |
Mannes über die Frau einhergehen.“ Es fehle an finanzieller Förderung für | |
den Gewaltschutz. Rechte Hetze und rassistische Stimmungsmache dominiere | |
viele Debatten – etwa indem Morde in die Kategorie „importierte Gewalt“ | |
gezwängt würden. In Fällen, in denen das nicht möglich sei, werde in der | |
öffentlichen Diskussion und in der Presse noch viel zu oft ein | |
„Liebesdrama-Narrativ“ um die Morde gesponnen. Die Initiator:innen der | |
Proteste geben allerdings zu: Femizide würden inzwischen auch in Österreich | |
häufiger als solche benannt, weniger als früher als zufällige Taten, als | |
„Eifersuchtsdrama“ oder Folge eines „Rosenkriegs“ verharmlost. | |
## Österreich war eigentlich ein EU-Vorreiter | |
Auf dem Papier erscheint manches in Ordnung. Buchautorin Widler sagt, dass | |
Österreich 1997 mit dem etablierten Gewaltschutzgesetz Vorreiter und | |
Vorbild in der EU gewesen sei. In einem 31-seitigen Bericht bescheinigte | |
sich das Bundeskanzleramt im Wien im März 2021, dass Österreich bei der | |
Umsetzung der elf Empfehlungen der zuständigen Kommission des Europarats | |
zur Istanbul-Konvention gut vorankomme: Weitere Verbesserungen hätten „hohe | |
Priorität“, die „bestmögliche Umsetzung“ der Konvention sei geplant. Die | |
Istanbul-Konvention ist ein 2014 geschlossenes Übereinkommen des Europarats | |
zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. | |
Expert:innen wie die renommierte Familienrechtsanwältin Helene Klaar | |
aber warnen davor, dass sich „Gewalt gut verbergen kann“. Dina Nachbaur vom | |
Wiener Verein Neustart, der sich für Gewaltprävention engagiert, berichtete | |
im NDR, dass nach gewalttätigen Ausbrüchen oft wieder so etwas sei „wie | |
Flitterwochen“, mit Geschenken und mehr. Die Versuchung, dem gewalttätigen | |
Partner eine neue Chance zu geben, sei dann besonders groß. Der Ausstieg | |
aus einer Gewaltbeziehung von heute auf morgen sei schwer. Die | |
Aktivist:innen aus Wien weisen noch auf ein weiteres Problem hin. Die | |
Verurteilungsrate nach häuslicher Gewalt sei „sehr gering“, | |
Ermittlungsverfahren nach Anzeigen würden oft eingestellt. Ihre Proteste | |
sind noch lange nicht überflüssig. | |
20 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Meisner | |
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