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# taz.de -- Gefahr Antifeminismus: Ein Kampf für die Demokratie
> Das gezielte Sabotieren feministischer Ziele ist ein Angriff auf die
> plurale Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, in breiten Bündnissen
> gegenzuhalten.
Bild: Vor dem US-Supreme-Court: Menschen protestieren im Sommer 2022 für den S…
Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor: Die beste Freundin postet etwas
über tolle Periodenunterwäsche in den sozialen Medien. Daraufhin schreibt
„TradWife8“ [1][sexistische Kommentare] und betont, dass „richtige“ Fra…
über „sowas“ lieber schweigen sollten. „Adleralbert“ heizt dabei gut m…
an.
Oder das: Die neue „DragRace“-Staffel ist raus und ein paar Freund*innen
treffen sich zum Public Viewing in einer Bar. Eine kleine Gruppe Menschen
beklebt die Fenster von außen mit Stickern: „Stoppt den Gaga!“ Sie
behaupten, queere Sichtbarkeit in den Medien [2][sei eine Gefahr für
Kinder].
Vielleicht erkennen Sie auch diese Situation wieder: Sie starten einen
offenen Brief an die Hochschulleitung mit dem Ziel, geschlechtergerechte
Sprache einzuführen, damit alle Menschen sprachlich repräsentiert sind.
Nach einer Woche hat sich eine mehrköpfige Gegeninitiative durch
Angestellte organisiert, die Ihnen den Studialltag zur Hölle machen wird.
Wütende E-Mails fluten Ihre Postfächer und manche Dozierende wollen Ihre
Hausarbeiten nicht annehmen, weil sie in geschlechtergerechter Sprache
geschrieben sind.
All das ist ätzend und verletzend. All das ist sexistisch, frauenfeindlich
oder queerfeindlich. All das ist antiemanzipatorisch, abwertend und wendet
sich gegen den Alltag vieler Menschen. All das ist: [3][antifeministisch].
Nun mögen sich einige fragen, ob man dafür nicht lieber etablierte Begriffe
wie Sexismus oder Trans- und Homophobie nutzen sollte. Ja, auch, denn sie
sind Teil von Antifeminismus. Insbesondere Sexismus bietet die Grundlage
für Antifeminismus. Sexismus beschreibt die Diskriminierung aufgrund des
(zugeschriebenen) Geschlechts. Egal ob individuell, institutionell oder
strukturell – Sexismus ist in einer patriarchalen Welt irgendwie überall.
Doch nicht alles Sexistische ist antifeministisch. Die genannten
Alltagsbeispiele zeigen: Hinter antifeministischen Angriffen stecken fast
immer organisierte Akteur*innen, die eine politische und ideologisch
motivierte Botschaft senden. Auch wenn „TradWife8“ wirkt wie eine wütende
Einzelperson: Die Unterstützung von anderen, ähnlich tickenden User*innen
ist kein Zufall. [4][Cyber- oder Trollmobs] können sich hervorragend
organisieren und dabei anonym bleiben.
Was hat „TradWife8“ noch mit den Sticker-Menschen oder Gegner*innen des
Genderns gemein? Vermutlich reiben sie sich gern an einem oder mehreren der
folgenden Themen: an Geschlechtergerechtigkeit, sexueller und
geschlechtlicher Vielfalt, körperlicher und geschlechtlicher
Selbstbestimmung oder selbstbestimmten Lebens- und Liebensformen. Das in
einer Manier, die meist bewusst strategisch und pauschalisierend ist.
Zielscheibe sind oft Menschen oder Organisationen, die sich für die
genannten Themen starkmachen.
Diese schwierige, da sehr feine Unterscheidung zwischen Sexismus und
Antifeminismus ist notwendig, um bestimmte Phänomene präziser erkennen und
analysieren zu können. Antifeminismus kann in zugespitzter Form den Weg für
Gewalttaten und Hassverbrechen ebnen. Er hat ein beachtliches
Radikalisierungspotenzial, online wie analog.
## Antifeministische Tatmotive werden zu selten erkannt
Das zeigt sich nicht zuletzt bei Attentaten der vergangenen Jahre. So
[5][versuchte im Jahr 2019 ein 27-jähriger Neonazi], in Halle an der Saale
am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur die Synagoge zu stürmen. Er
scheiterte und tötete stattdessen die Passantin Jana Lange und den Gast
eines naheliegenden Döner-Imbisses, Kevin Schwarze. Zahlreiche Menschen
wurden bedroht und verletzt.
Der Attentäter streamte seine Tat live und auf Englisch im Internet. Er
veröffentlichte ein Manifest – so wie schon andere Attentäter vor ihm, die
ihn inspirierten. Mehrere von ihnen bezogen sich auf die
Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“, in der Juden*Jüdinnen,
[6][Feminismus und Migration Schuld an der sinkenden (weißen) Geburtenrate]
im Globalen Norden haben.
Wie so oft verschränkte sich auch im Fall Halle Antifeminismus mit anderen
demokratiefeindlichen Phänomenen: Rassismus, Antisemitismus,
Queerfeindlichkeit – you name it. Doch wird ein antifeministisches Tatmotiv
bisher viel zu selten erkannt und benannt.
Dabei ist diese Verschränkung kein Nebeneffekt, sondern zentral.
Antifeministische Akteur*innen imaginieren in der Regel eine Bedrohung
von außen durch „andere“. Stabilität finden sie, indem sie an eigenen
traditionellen Normen festhalten, während die Schuld für die eigene
Verunsicherung projiziert wird: auf etwas, das von diesen Normen abweicht.
Deshalb funktioniert Antifeminismus besonders gut in Krisenzeiten.
Antifeminismus ist vor allem charakteristisch für die [7][Ideologie der
extremen Rechten]. Diese nutzt antifeministische Politik gern als
strategisches Vehikel: Starre binäre Geschlechter- und Rollenvorstellungen
wieder en vogue machen, um damit gegen alte Feindbilder zu hetzen. Wenn die
antifeministischen Ideen der Rechten gesellschaftsfähig werden, werden
beispielsweise auch Trans- oder Homofeindlichkeit oder rassifizierte
Geschlechter gesellschaftsfähiger.
Wer aber jeden Antifeminismus allein in die rechte Ecke schiebt, macht es
sich zu einfach. Man kann sich Antifeminismus als antiliberale und
demokratiefeindliche Brücke vorstellen, als Scharnier oder Kleber, der zum
Beispiel Rechte mit [8][religiösen Fundamentalist*innen]
zusammenbringt. Er verbindet extrem gut, auch transnational, und schafft
durch gemeinsame Feindbilder ein kollektives Gefühl. So können
verschiedenste Akteur*innen unterschiedlicher Ideologien einen
gemeinsamen Nenner in ihren antifeministischen Einstellungen finden.
Wissenschaftler*innen, die auf [9][längst widerlegten Biologismen
beharren], teilen mit rechten Politiker*innen cis-heteronormative
Geschlechtervorstellungen, die Geschlechterrealitäten außerhalb gewisser
traditioneller Normen diskriminieren. Manche dogmatisch Religiöse beharren
auf dem Gedanken, Frauen hätten gegenüber Männern bestimmte dienende
Funktionen zu erfüllen, zum Beispiel Kinderkriegen – und dürften deswegen
keinesfalls selbst über das Austragen oder Abbrechen einer Schwangerschaft
entscheiden. Auch sogenannte Incels tauschen sich in Onlineforen gerne
darüber aus, dass Frauen ihnen zustünden und Dienstleistungen zu erbringen
hätten. Sie nennen es Sex.
Don’t get it wrong. Bei Antifeminismus geht es nicht um banale
Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Weltanschauungen. Vielmehr
geht es um Diskursverschiebungen hin zu Menschenfeindlichkeiten und
gewaltvollen Aussagen, die letztlich bestimmte Menschengruppen abwerten.
Diese Einsicht kann ziemlich ohnmächtig machen. Trotzdem ist es wichtig,
dass jene, die sich für Antidiskriminierung, Menschenrechte und Demokratie
einsetzen, [10][auch bei Antifeminismus am Ball bleiben].
Wichtig ist eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung für dieses Thema.
Aber das allein reicht nicht. Es braucht Solidarität. Antifeministische
Akteur*innen wollen bewusst jene Stimmen mundtot machen, die sich
kritisch, emanzipiert oder feministisch in der Öffentlichkeit äußern. Sie
wollen sie zum Rückzug drängen. Besonders hart trifft der Silencing-Effekt
jene, die ohnehin mehrfach marginalisiert werden – Frauen of Color zum
Beispiel oder trans Personen. Im Fokus stehen insbesondere Einzelpersonen
und kleinere Organisationen der offenen demokratischen Zivilgesellschaft.
Antifeminismus konstruiert eine breite Palette an Betroffenengruppen zu
Feindbildern. Doch darin liegt auch ein empowerndes Potenzial, und zwar für
ebenso breite demokratische Bündnisse. Zusammen lässt sich eben einfacher
Haltung zeigen.
Das kann übrigens auch geschehen, indem man emanzipatorische und
(intersektional-)feministische Ideen einfach nur befürwortet. So bekommen
die scheinbar vereinzelten Stimmen Rückenwind aus der breiten Masse – und
der Nährboden für antifeministische Angriffe wird kleiner.
Man muss nicht selbst Aktivist*in sein, um sich für eine vielfältige und
demokratische Gesellschaft einzusetzen. Denen, die sich aktiv einbringen,
den Rücken freizuhalten: Auch das ist wichtige Arbeit gegen Antifeminismus.
Sandra Ho ist im Gunda-Werner-Institut Referentin im [11][Verbundsprojekt
„Antifeminismus begegnen – Demokratie stärken“]. Zuvor hat sie in
unterschiedlichen Kontexten zu (Anti-)Feminismus, Antirassismus,
Geschlecht, Intersektionalität und Medien gearbeitet.
8 Mar 2023
## LINKS
[1] /10-Jahre-Aufschrei/!5907788
[2] /Queere-Comics-und-Graphic-Novels/!5909530
[3] /Expert_in-ueber-Hass-gegen-Frauen/!5909440
[4] /Hass-im-Netz/!5870039
[5] /Dritter-Jahrestag-des-Halle-Anschlags/!5886455
[6] /Soziologin-ueber-Antifeminismus/!5747876
[7] /Autoritarismus-Studie-der-Uni-Leipzig/!5894202
[8] /Menschenrechtlerin-ueber-Afghanistan/!5900882
[9] /Umstrittener-Gastbeitrag-in-der-Welt/!5856896
[10] /Tobias-Ginsburg-ueber-rechte-Ideologie/!5827351
[11] http://antifeminismus-begegnen.de/de
## AUTOREN
Sandra Ho
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