# taz.de -- taz Talks zur Berlin-Wahl (1): Giffey gibt sich grün | |
> Beim Wahltalk in der taz-Kantine lobt Regierungschefin Franziska Giffey | |
> (SPD) ihre Klimapolitik. Doch das Publikum glaubt ihr nicht so ganz. | |
Bild: Franziska Giffey mit Moderatorin Anna Klöpper beim taz Wahltalk am Freit… | |
BERLIN taz | Während die Linkspartei im Wahlkampf ein [1][Enteignungsgesetz | |
innerhalb eines Jahres fordert], tritt Regierungschefin Franziska Giffey | |
(SPD) auf die Bremse. Man müsse erst einmal den endgültigen Bericht der | |
[2][Enteignungskommission] abwarten, sagte die SPD-Spitzenkandidatin beim | |
ersten taz Wahltalk am Freitagabend in der taz-Kantine in Berlin-Kreuzberg. | |
Zwar schloss sie nicht aus, dass es ein solches Gesetz unter ihrer | |
Regierung geben könnte, aber: „Ich werde nichts tun, was die Gefahr birgt, | |
dass wir vor dem Verfassungsgericht erneut eine Klatsche bekommen, und ich | |
werde auch nichts tun, was das Land Berlin in erhebliche finanzielle und | |
rechtliche Schwierigkeiten bringt.“ | |
Auf die Nachfrage aus dem Publikum, warum sie die Mieter:innen der Stadt | |
nicht mit einem Enteignungsgesetz entlasten wolle – in der | |
dahinterstehenden Annahme, dass nach Enteignungen die Mieten sinken werden | |
– entgegnete Giffey, sie sei nicht der Meinung, dass Enteignungen „nur eine | |
einzige Wohnung hier in Berlin schaffen“. Der „akute Wohnraummangel“ werde | |
[3][nur durch Neubau und Investitionen gelöst.] | |
Bei Teilen des Publikums stieß dies auf lautstarke Kritik: „Zu teuer“, rief | |
einer; eine andere warf in den Raum, dass „bauen, bauen, bauen“ wegen der | |
Klimakatastrophe keine Option sei. Natürlich, ergänzte Giffey daraufhin, | |
dürfe nicht einfach nur so gebaut werden, es müssten schon „klimaneutrale | |
Häuser“ sein. | |
Überhaupt war überraschend, wie viel Wert die Regierende dem Klimathema | |
beimaß. Vielleicht, weil seit einem Jahr [4][quasi täglich | |
Aktivist*innen der Letzten Generation Autobahnzufahren besetzen] und | |
damit die Klimakatastrophe als Topthema ins öffentliche Bewusstsein | |
katapultiert haben? | |
Bei ihren mit Verve vorgetragenen Schilderungen, was der Senat alles in | |
Sachen Klimaschutz getan habe in den guten Jahr seit der vergangenen Wahl, | |
konnte man jedenfalls fast den Eindruck bekommen, mit einer Grünen zu | |
reden: [5][Klimabürger:innenrat einberufen], Klimaschutzgesetz | |
gemacht. Es gebe jetzt eine „Klimagovernance“ im Senat, die BVG-Busflotte | |
solle bis 2030 komplett klimaneutral werden, insgesamt wolle man den | |
städtischen CO2-Verbrauch bis 2030 um 70 Prozent reduzieren – das sei mehr | |
als anderswo, betonte sie. | |
Auf Nachfrage taz-Berlin-Ressortleiter Bert Schulz, der zusammen mit | |
Co-Chefin Anna Klöpper das Gespräch moderierte, wie diese Kehrtwende | |
zustande komme, schließlich habe sich Giffey noch im Wahlkampf 2021 | |
ausdrücklich zum Autoverkehr bekannt, kamen altbekannte Töne: eine | |
autofreie Innenstadt werde es mit ihr nicht geben, auch keine City-Maut. | |
„Es wird immer Menschen geben, die mit dem Auto in die Stadt müssen.“ | |
## Giffey will mehr Elektroladesäulen | |
Allerdings müsse man mehr Anreize schaffen, dass die Menschen auf | |
Elektrofahrzeuge umsteigen, so Giffey, dafür brauche es mehr | |
Lade-Infrastruktur. In einer Großstadt wie Berlin, wo viele Menschen in | |
Mehrfamilienhäusern leben, „können die Leute schließlich nicht die | |
Kabelrolle runterwerfen“, um auf der Straße ihr Auto zu laden. | |
Als positives Beispiel nannte Giffey die Idee einer Firma, die | |
Ladestationen in Straßenlaternen einbaut – mit ihr habe der Senat gerade | |
einen Vertrag für 1.000 Straßenlaternen abgeschlossen. Auch das | |
29-Euro-Ticket und das 9-Euro-Sozialticket, so Giffey, seien Beiträge für | |
den notwendigen Umbau im Verkehrssektor: Schon jetzt gebe es eine Million | |
Kunden für das 29-Euro-Ticket. | |
Dass die Bilanz von Rot-Grün-Rot in Sachen Klimapolitik nicht ganz so rosig | |
ausfällt, wie die SPD-Frontfrau es darzustellen versuchte, zeigten die | |
Fragen einer Frau aus dem Publikum, die sich als Vertreterin der Klimaliste | |
entpuppte. Zum einen wies sie Giffey darauf hin, dass der | |
Klimabürger:innenrat nicht auf Initiative der Politik, sondern der | |
Zivilgesellschaft ins Leben gerufen wurde. Und wenn die Regierende nun | |
dessen Arbeit so lobe: „Warum lief der dann so unter dem Radar, worum wird | |
der nicht mehr gepuscht?“ | |
## Aufgaben für die Verkehrssenatorin | |
Hier griff die SPD-Spitzenkandidatin auf den üblichen Kniff von | |
Politiker:innen zurück: Der Klimabürger:innenrat sei ja in | |
Verantwortung der Klimasenatorin, sagte sie. „Ich kann das gerne an Frau | |
Jarasch weitergeben“. Auf diese Weise wich sie auch der zweiten Frage der | |
Klimalisten-Vertreterin aus: Warum denn der Berliner Energie- und | |
Klimaschutzprogramm 2030 immer noch nicht konform mit dem Pariser | |
Klimaschutzabkommen sei, insofern er keinen „Emissionspfad“ enthalte und | |
auch kein „nachvollziehbares Monitoring“? Sie werde das bei der | |
Klimaschutz-Senatorin anregen, erklärte Giffey. | |
Alles in allem zeigte der erste taz Wahltalk, dass Giffey eine Meisterin | |
der hohen Politiker:innen-Schule ist, sich als entschieden und klar | |
darzustellen, ohne sich allzu sehr festzulegen. Beim Tempelhofer Feld etwa | |
möchte sie am Rand „anschauen, was da an bezahlbarem Wohnraum möglich ist�… | |
aber dies dann nur machen – und damit den Volksentscheid zum Feld in den | |
Wind schlagen -, „wenn die Bevölkerung dazu befragt wird“. | |
Die A100 solle mit einem „qualifizierten Abschluss am Treptower Park“ | |
enden, befand sie. Aber dass dies „für immer“ gelten soll, es also keinen | |
Weiterbau geben werde, wie er derzeit vom Bundesverkehrsminister voran | |
getrieben wird, mochte sie nicht versprechen. | |
Auch eine Koalition mit der CDU mochte sie vor der Wahl nicht ausschließen | |
– dies habe sie auch beim letzten Mal nicht getan, betonte sie. Dass dies | |
beim letzten Wahlkampf offenkundig ihre Präferenz gewesen sei, wie | |
Moderator Schulz einwand, mochte sie nicht erkennen. | |
Natürlich waren auch die jüngsten Randale an Silvester ein Thema. Und | |
dürften es auch bleiben, über 2023 hinaus. „Ich verspreche Ihnen klipp und | |
klar nicht, dass das alles ruhig wie im kleinen Dörfchen sein wird“, sagte | |
die Regierende Bürgermeisterin. „Wird es nicht sein, das müssen wir ganz | |
klar sagen: Berlin ist eine Fast-4-Millionen-Stadt. Wir werden immer hier | |
eine besondere Lage haben, auch an Silvester.“ | |
## Die nächsten Talks stehen schon fest | |
Im zweiten [6][taz Wahltalk nächsten Freitag] folgt ein Gespräch mit dem | |
Spitzenkandidaten der Linkspartei, Kultursenator Klaus Lederer; in der | |
Woche drauf ist die Spitzenfrau der Grünen, [7][Umweltsenatorin Bettina | |
Jarasch, zu Besuch in der taz Kantine.] | |
13 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Linke-Landesparteitag/!5908704 | |
[2] /Das-bringt-2023-in-Berlin-2/!5905683 | |
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[4] /Wer-ist-die-Letzte-Generation/!5898641 | |
[5] /Start-des-Klimabuergerinnenrats/!5847243 | |
[6] /Hat-sich-Berlin-verwaehlt-Teil-2/!5903324 | |
[7] /Hat-sich-Berlin-verwaehlt-Teil-3/!5903347 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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