| # taz.de -- Wahlkampf in Berlin: Von Phrasen und Koalitionsfragen | |
| > In der Wahlkampfrunde bei der IHK gibt die AfD den Wolf im Schafspelz – | |
| > und jeder merkt's. Grüne und SPD befeuern Spekulationen über neue | |
| > Koalitionen. | |
| Bild: Sind gerade gemeinsam auf Tour: Die sechs Spitzenkandidat*innen, hier vor… | |
| Eigentlich sollte man über die AfD möglichst wenig Worte verlieren, erst | |
| recht im Wahlkampf, wo ihre Phrasen noch ein bisschen platter sind als | |
| ohnehin schon. Umso besser, wenn das inzwischen offenbar auffällt, zu | |
| beobachten etwa bei der Diskussion der sechs Spitzenkandidat*innen | |
| für die Berlin-Wahl bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) am | |
| Montagmorgen. Da wurde [1][Kristin Brinker, Berliner Vorsitzende der extrem | |
| rechten Partei], von IHK-Vorstandsmitglied und Moderator Klaus-Dieter | |
| Müller nach ihrer Position zur Zuwanderung von Fachkräften gefragt, [2][die | |
| der Bund jetzt forcieren wolle]. | |
| Ein heikler Punkt für Brinker, schließlich ist schwer einzuschätzen, wie | |
| reaktionär zumindest Teile der Berliner Wirtschaft ticken. Und natürlich | |
| weiß auch die AfD-Spitzenkandidatin, dass der allseits beklagte | |
| Fachkräftemangel nur in den Griff zu bekommen ist, wenn viel mehr Menschen | |
| aus anderen Ländern nach Deutschland kommen und hier arbeiten wollen. Die | |
| Wirtschaft im Großen und Ganzen, so viel ist bekannt, hat sich da längst | |
| von den Stammtischparolen a la „Unser Land zuerst“, wie die AfD aktuell | |
| wirbt, verabschiedet. | |
| Und so schlüpft Brinker in den Schafspelz, fordert kurz, dass die | |
| Zuwanderung von Fachkräften von der Regierung besser gesteuert werden | |
| müsse, was bisher nicht passiert sei, und wendet sich dann mit der Qualität | |
| der Schulen umfassend einem ganz anderen Thema zu. Nicht allerdings ohne am | |
| Ende die – aus ihrem Munde absurd anmutende – Frage aufzuwerfen, warum denn | |
| Deutschland nicht die Nummer eins der beliebtesten Länder für ausgebildete | |
| Kräfte sei? | |
| „Vielleicht, weil die AfD ein Standortnachteil ist“, liefert Klaus Lederer, | |
| Spitzendkandidat der Linke, eine nicht ganz von der Hand zu weisende | |
| Antwort. Er würde jedenfalls nicht in ein Land gehen, in dessen Parlamenten | |
| Rassismus „satisfaktionsfähig“ sei. Bettina Jarasch (Grüne) weist dann | |
| darauf hin, dass das, was Brinker „ungeregelte Migration“ nenne, eigentlich | |
| Flucht bezeichne und das Asylrecht ein Grundrecht in Deutschland ist – | |
| wofür sie Applaus aus dem Publikum erhält. Und Moderator Müller stellt | |
| nüchtern fest, dass es Brinker „offenbar sehr unangenehm ist, auf meine | |
| Frage zu antworten“, da sie so schnell ausgewichen sei. | |
| ## Wann geht es um die Verwaltungsreform? | |
| In einer anderen Frage sind sich Jarasch und Lederer allerdings weniger | |
| grün: Wann wird sich der Senat mit den [3][Plänen für die | |
| Verwaltungsreform] beschäftigen? Dieses Thema spielt immer wieder eine | |
| Rolle in Wahlkämpfen – seit etwa 30 Jahren. Die Regierende Bürgermeisterin | |
| Franziska Giffey (SPD) kündigt an, das entsprechende Eckpunktepapier werde | |
| am 7. Februar Thema sein, also noch vor den Wahlen. Jarasch widerspricht: | |
| Der Rat der Bürgermeister, sprich: die Bezirke, müssten noch mehr | |
| einbezogen werden. Erst nach den Wahlen werde der Senat das Thema wieder | |
| aufgreifen. | |
| Lederer wiederum hält es für möglich, das Papier zu beschließen, und danach | |
| mit dem Bezirken weiter zu reden. Eine Position, die Giffey teilt: „Der Rat | |
| der Bürgermeister wird selbstverständlich beteiligt nach | |
| Senatsbeschlussfassung. Das ist das ganz normale Verfahren.“ Und so wird | |
| durch die öffentliche Zurschaustellung aus einer Termin-Lappalie ein | |
| absurdes Scharmützel, das die durch den Wahlkampf verstärkten Risse in der | |
| rot-grün-roten Koalition deutlich macht. Dabei waren sich in der Runde mit | |
| Ausnahme der FDP eigentlich alle einig: Es braucht Reformen, klare | |
| Zuständigkeiten, und auch eine Rolle für die Bezirke. | |
| Auseinandersetzungen wie diese befördern natürlich Spekulationen, ob es | |
| nach der Wahl und bei entsprechenden Ergebnissen zu einer anderen | |
| Koalition, etwa aus CDU, SPD und FDP, kommen könnte – was Sebastian Czaja, | |
| dessen FDP seit Jahrzehnten entweder in der Opposition ist oder gar nicht | |
| im Parlament, gerne aufgreift. Giffeys Aussage, man brauche für die | |
| [4][Verkehrswende Anreize und keine Verbote,] sei fast schon ein Appell, | |
| den Koalitionspartner zu wechseln, freut er sich. Genauso sieht das | |
| übrigens Bettina Jarasch. Worauf sie von Franziska Giffey ein leicht | |
| genervtes: „Ich habe für die SPD gesprochen, ich mache keinen | |
| Koalitionswahlkampf“, erntet. | |
| 23 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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