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# taz.de -- Kampf um Kohledorf: Die letzten Lichter von Lützerath
> Rund 70 Aktivist:innen halten über Weihnachten die Stellung in
> Lützerath. Wie bewahrt man Hoffnung bei Kälte und drohender Räumung?
Bild: Ende November brennt in Lützerath noch Licht im Baumhaus
Hinter dem roten Laster liegt bäuchlings ein Mann auf dem Boden. Sein Blick
ist auf zwei Holzplanken gerichtet, die den Wagen tragen. Sie überbrücken
eine knietiefe Rinne, gefüllt mit schlammigem Wasser. Die Planken biegen
sich gefährlich unter dem Gewicht des ausgemusterten Feuerwehrautos.
„Stopp, nicht so schnell!“, schreit der Mann. Mit einem Ruck kommt der
Wagen zum Stehen. Eigentlich soll die Rinne Fahrzeuge der Polizei
aufhalten, nun müssen die beiden um ihren eigenen Wagen bangen.
Der Mann auf dem Boden und die Person auf dem Fahrersitz sind zwei von
derzeit etwa 70 verbliebenen Aktivist:innen in Lützerath. Es ist der 7.
Dezember, der Himmel über dem Dorf in Nordrhein-Westfalen färbt sich rosa,
bald geht die Sonne unter. Gestern [1][hat man dem Dorf den Strom gekappt],
die Wasserkocher und Heizlüfter sind verstummt, nun müssen die
Dorfbesetzer:innen den Baum verheizen, den der Energiekonzern RWE
Anfang 2021 fällen ließ. Und dieser Baum liegt zersägt auf dem Laster.
Den Wagen fährt Ronni Zeppelin, Ende 20, große Augen und durchdringender
Blick. Zeppelin heißt eigentlich anders, aber das ist geheim, denn
eigentlich dürften sie hier gar nicht sein. Im Frühjahr 2022 verlor der
[2][Lützeraths letzter Bewohner, Eckhart Heukamp], den Gerichtsprozess um
seinen Hof, seit Oktober gehört das Land dem Konzern RWE. Und der will
seinen Braunkohletagebau Garzweiler II erweitern.
Es heißt, die Kohle unterhalb von Lützerath werde gebraucht, um die
Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Lediglich eine Mahnwache am
Dorfeingang dürfen die Aktivist:innen offiziell abhalten. Tatsächlich
aber halten sie mehrere Häuser im Dorf besetzt. Sie wollen es vor dem
Abriss retten. Mitte Januar soll geräumt werden. Wie bleibt man
hoffnungsvoll, wenn die Temperaturen unter Minus fallen, der Strom
wegbleibt und eine Räumung droht?
## Hoffnung? Motivation!
„Hoffnung allein hilft nicht viel“, sagt Zeppelin. „Was mich motiviert, i…
zu wissen, dass es Lösungen gibt.“ Manchmal sei allerdings auch das
frustrierend: „Es kommt mir so offensichtlich dumm vor, dass wir das Klima
nicht schützen.“ Die Menschen müssten sich nur endlich ihrer Macht bewusst
werden und die Sache selbst in die Hand nehmen. „Denn die Politik macht es
nicht“.
Seit Beginn der Besetzung von Lützerath im Jahr 2020 ist Zeppelin fast
durchgängig vor Ort, war schon dabei, als das Dorf spontan die erste
Mahnwache errichtete, und in den fast drei Jahren nur für wenige Wochen mal
woanders. Es ist deshalb nicht das erste Manöver, das Zeppelin mit dem
Feuerwehrwagen fährt. Der hat es nun über die Rinne geschafft, das nasse,
mit Pilzen überwucherte Holz kann weiter ins Dorf transportiert und in den
Kaminen und Öfen der besetzten Häuser verfeuert werden. Nach Weihnachten
fühlt sich das nicht an, eher nach Notlösung.
Am Morgen des selben Tages stößt Zeppelin zur Mahnwache am Eingang von
Lützerath dazu. Die fünf Aktivist:innen sitzen etwa 50 Meter von der
Abbruchkante der RWE-Baugrube entfernt. Man kann das Rattern der Bagger
hören. Gerade wird Lützeraths Nachbardorf Immerath dem Erdboden
gleichgemacht. Dafür wurden nach Angaben von RWE die Stromleitungen, die
Lützerath bis dahin versorgt haben, gekappt.
Vom Himmel fällt kalter Nieselregen, die Aktivist:innen wärmen sich an
heißem Kaffee. „Die Stimmung im Camp hängt stark mit dem Wetter zusammen“,
sagt Zeppelin, „auch für mich ist es im Moment schwer, mich jeden Tag zu
motivieren, aufzustehen.“ Seit bekannt wurde, dass die Räumung erst Mitte
Januar starten soll, haben viele Aktivist:innen das Dorf verlassen.
Letzte Woche seien noch etwa 130 Menschen vor Ort gewesen. Die Abwanderung
rüttele auch an den internen Strukturen. Die Arbeitsgruppen der
Dorfgemeinschaft seien zum Teil unterbesetzt. Umso mehr Arbeit bleibt für
die Zurückbleibenden.
Der fehlende Strom mache alles nur noch schlimmer. „Alles wird
komplizierter. Ist die Sonne einmal weg, ist auch das Licht weg, und man
kann nichts mehr wirklich schaffen“, sagt Zeppelin genervt. Am
bedrückendsten aber sei die anstehende Räumung. „Ich habe Angst“, sagt
Zeppelin, „dass sich die Polizei gewaltvoll verhält und dass Menschen
verletzt werden.“ Wie eine dunkle Wolke schwebt die Räumung über dem Dorf.
Am Nachmittag sitzt Ronni Zeppelin mit dem rund zehnköpfigen „Mobi-Team“ in
einer stickigen Holzhütte. Es riecht nach Gas-Heizstrahler, Orangenschalen
und ungewaschenen Haaren. „So, what is our plan?“, fragt eine junge Frau.
Es geht um Mobilisierung: Wie bekommt man Menschen dazu, sich im kältesten
Monat des Jahres einem Räumungsversuch durch die Polizei entgegenzustellen?
Partnergruppen sollen angefragt, Social Media bespielt werden. Zeppelin
bleibt schweigsam, zerteilt die Orangenschalen mit den Fingern in immer
kleinere Stücke, bis nur noch Krümel auf dem Tisch liegen.
Nach dem Treffen tritt Ronni Zeppelin vor die Holzhütte, bahnt sich in der
Dunkelheit zielsicher einen Weg durch Laub und Matsch und sagt: „Ich fühle
mich ungeduldig.“ Es bestehe eine Chance, dass sie das Dorf im Januar
erfolgreich verteidigen. Mehr als 11.000 Menschen haben seit dem Sommer in
einer [3][Online-Absichtserklärung] auf der Petitionsplattform von Campact
angegeben, beim Räumungsversuch nach Lützerath zu kommen, um sich „der
Zerstörung in den Weg zu stellen“.
Vor allem für die Rettung der Baumhäuser haben sie Hoffnung: Die
Rodungssaison im Rheinland geht nur noch bis Februar, danach dürfen keine
Bäume mehr abgeholzt werden. „Sechs Wochen müssen wir die Bäume im Dorf
verteidigen“, sagt Zeppelin, „Das könnten wir schaffen.“ So oder so –
Lützerath sei eine wichtige Bastion der Klimabewegung und ihre Verteidigung
entscheidend: „Die Klimagerechtigkeitsbewegung braucht einen Erfolg.“
So wie vor knapp drei Jahren im Hambacher Wald. Jahrzehntelang wurde der
Wald immer wieder besetzt. Jede neue Räumungsankündigung war begleitet von
Protesten und zivilem Ungehorsam. Im Januar 2020 wurde der [4][Erhalt des
Hambacher Walds schließlich] beschlossen. „Es hat schon mal geklappt“, sagt
Zeppelin. „Dann kann es wieder passieren.“
Doch selbst wenn es nicht gelingt, ist der aktivistische Einsatz für
Zeppelin nicht umsonst: „Selbst wenn wir Lützerath nicht retten und die
Klimakrise nicht hinauszögern können, bauen wir nachhaltige soziale
Strukturen auf.“ Solidarisch und hierarchiefrei, das sei für eine gerechte
Gesellschaft notwendig. Besonders in einer Zukunft, in der wir zunehmend
mit knappen Ressourcen umgehen müssen, werde es wichtig, zu kooperieren
anstatt zu konkurrieren.
So wie damals, Ende 2019. Da begann RWE, Bäume rund um den Tagebau
Garzweiler zu fällen und die Dorfbewohner:innen baten die
Aktivist:innen vom Hambacher Wald um Hilfe. Fünf Dörfer konnten nicht
gerettet werden, aber fünf andere sollen nun verschont bleiben. [5][So
wurde es im Oktober verkündet].
Warum Lützerath nicht zu den verschonten Dörfern gehören soll, ist für die
Aktivist:innen nicht nachvollziehbar. Die Grüne NRW-Energieministerin
Mona Neubaur stützt sich auf drei Gutachten, die belegen sollen, dass die
Kohle unter Lützerath für die Versorgungssicherheit gebraucht werde. Der
[6][Spiegel ] bezweifelt deren Unabhängigkeit. Und das
Marktanalyseunternehmen [7][Aurora Energy Research] sowie das [8][Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung] kamen zu dem Schluss: Die
Lützerath-Kohle würde selbst dann nicht benötigt werden, wenn sich der
Braunkohlebedarf durch wachsenden Energiebedarf erhöhen sollte.
[9][Auch der CDU-Bürgermeister Stephan Muckel der Stadt Erkelenz,] dessen
Weiler das Dorf Lützerath ist, stellt sich auf die Seite der
Aktivist:innen. Ende November weigerte er sich, die Polizei Erkelenz
mit der Räumung des Gebietes zu beauftragen. Dabei zitierte er ein
[10][Positionspapier] der Stadt Erkelenz aus dem Jahr 2021, laut dessen
„jeder erhaltene Quadratmeter Erkelenzer Land ein guter Quadratmeter ist“.
Nun droht ihm ein Disziplinarverfahren, vielleicht sogar eine
Amtsenthebung.
„Zu merken, wie viel Zustimmung wir mit unseren Anliegen bekommen, gibt mir
Hoffnung“, sagt Zeppelin. Ist Hoffnung die Voraussetzung für Aktivismus?
Zeppelin sagt: „Die Frage zeugt von einer sehr privilegierten Sicht auf die
Klimakrise.“ In anderen Teilen der Welt, die viel stärker von den Folgen
des Klimawandels betroffen sind, gehe es längst nicht mehr um Hoffnung.
„Die Menschen dort kämpfen um ihr Überleben.“
Was Zeppelin antreibt, sei eher eine Art Kampfgeist, der sich aus
verschiedenen Gefühlen speise: Wut darauf, dass diejenigen, die vom
Kapitalismus profitieren, gleichzeitig die größte Schuld an der Klimakrise
tragen und der Rest der Weltbevölkerung darunter leiden muss. Und Angst
davor, wie das Leben eines Tages aussehen wird, wenn nicht mehr gegen die
Klimakrise getan wird.
Am Abend treffen sich alle Besetzer:innen zum Essen in der Scheune.
Kopflampen und Kerzen erleuchten schwach die Gesichter. In einer Ecke
klimpert jemand auf seiner Gitarre. Unter den Füßen raschelt das Stroh.
„Ich fühle mich nirgendwo so sicher wie hier in Lützi“, sagt ein Aktivist.
Und das trotz der ständigen Bedrohung durch RWE und die Polizei?
„Seltsamerweise ja“, sagt er. Die Menschen, die Gemeinschaft würden
Lützerath für ihn zu einem sicheren Ort machen. Aus seiner Jackentasche
fischt er eine batteriebetriebene Lichterkette und knipst sie an. Rote,
blaue und weiße Lichter tanzen auf dem Tisch, ein kleiner Hauch von
Weihnachten.
25 Dec 2022
## LINKS
[1] /Kampf-um-Luetzerath/!5899069
[2] /Widerstand-gegen-Kohle-in-Luetzerath/!5843280
[3] https://weact.campact.de/petitions/absichtserklarung-klima-schutzen-lutzera…
[4] /Kohleausstieg-und-Hambacher-Forst/!5654788
[5] /Bundeskabinett-zum-Kohleausstieg/!5888960
[6] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/luetzerath-nrw-basiert-mona-ne…
[7] https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/braunkohle/221128_EBC_Auror…
[8] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt…
[9] /Geplante-Raeumung-von-Luetzerath/!5898883
[10] https://www.erkelenz.de/newsarchiv/2021/mai/leitentscheidung-positionspapi…
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
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