| # taz.de -- Besetzung in Lützerath: Fertigzigaretten rauchen nur Zivis | |
| > Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen. Die | |
| > Besetzer:innen wehren sich. Die Räumung soll im Januar stattfinden. | |
| > Ein Tagebuch (1). | |
| Bild: taz-Autor Aron Boks in Lützerath | |
| Seit fünf Tagen lebe ich mit Aktivist:innen in einem besetzten Haus auf | |
| einem Bauernhof im Dorf [1][Lützerath] und die Morgen beginnen immer | |
| gleich. Der kaffeespendende Campingkocher neben der Matratze rauscht, die | |
| beschrifteten Wände sagen „Keine Kohle für Kohle“; der Blick aus dem | |
| Fenster zeigt den RWE-Bagger draußen, der sich durch eine Tagebauschlucht | |
| immer näher schaufelt. | |
| Wieder liegen mehr Isomatten auf dem Boden als in der Nacht zuvor. Am Tag | |
| meiner Anreise war ich hier noch allein, heute sind wir zu zehnt. Gestern | |
| gab es eine Silvesterparty und der Aktivist und DJ David Dresen legte in | |
| einer alten Skatehalle des Dorfes auf, alle tanzten fernab des Baggers und | |
| bald beginnt das To-do-Plenum, so wie jeden Morgen. | |
| Ich sehe auf meine Camel-Zigaretten, die mitten im Raum herumliegen. | |
| Anfangs führten die zu Irritationen, da hier die unterschiedlichsten | |
| Menschen leben: Anarchos, Punks, Alte, Junge, Aktivist:innen aus allen | |
| möglichen Klimabewegungen, die sich hier alle mit „Mensch“ ansprechen und | |
| bei der Begrüßung nach den jeweiligen Pronomen fragen – aber so gut wie | |
| keiner außer mir raucht Fertigzigaretten. „Damit siehst du halt aus wie 'n | |
| Zivilbulle“, sagte man mir beim ersten Plenum. | |
| ## Keine Einfahrt mehr für Autos | |
| Blöd, dass ich mir gleich eine ganze Stange für meinen Aufenthalt gekauft | |
| hatte. Überhaupt wusste ich nicht, was mich hier erwarten würde. Das | |
| Krasseste, was ich bisher mitgemacht habe, war ein Klimastreik, aber | |
| hauptsächlich deswegen, weil ich in eine Demonstrantin verliebt war. | |
| „Wer bleibt?“, fragte ein Typ mit ausgefranster Daunenjacke. Er meinte | |
| damit die Räumung, die die Polizei von Nordrhein-Westfalen rein theoretisch | |
| ab dem 10.1. vornehmen könnte. Ab dem 2.1. dürfen schon keine Autos mehr | |
| nach Lützerath einfahren. Die Menschen im Plenum tragen Decknamen wie | |
| Luchs, Schnecke und Sonne – um unerkannt „in Aktion“ zu gehen. Aber die | |
| Frage, wer an dem Tag bleibt, an dem Polizist:innen beginnen würden, | |
| dieses Haus zu stürmen, wurde erst einmal vertagt. | |
| Es ging darum, Aufgaben zu übernehmen, Barrikaden zu bauen, klettern zu | |
| lernen, die Straße aufzureißen und jedes Wohnhaus und Baumhaus für den | |
| Ernstfall vorzubereiten und wie jeden Tag Essen zu kochen. Ich ließ mich | |
| für den Dienst in der Küfa, der Küche für alle, einteilen. Mein Urgroßonkel | |
| hatte bei den Partisanen in Italien schließlich auch immer abseits der | |
| Aktionen für alle gekocht. | |
| Bei der Silvesterparty rauchte ich dann mit den anderen meine | |
| Fertigzigaretten. Es ist unmöglich, nicht über die Räumung zu sprechen. | |
| Viele leben hier schon seit zweieinhalb Jahren. Für manche ist das ein | |
| Grund zu bleiben, für manche einer zu gehen. Andere würden mit einer Strafe | |
| ihre bürgerliche Existenz gefährden, und wieder andere haben schon zu viel | |
| gegen RWE gekämpft, um „normal“ bestraft zu werden. | |
| ## Und wenn die Polizei kommt? | |
| So wie die Person, die mir am ersten Tag mein Zimmer gezeigt hat und der | |
| eine fünfstellige Geldstrafe im Falle einer Verhaftung droht. „Ich habe das | |
| Gefühl, die meisten Journalist:innen interessieren sich hier vor allem | |
| für dieses aufregende Leben statt für die Klimakrise“, sagte sie. Sie | |
| musste wegen der Räumung eine Unterlassungserklärung unterschreiben, die | |
| auch besagte, dass sie niemanden zum Protest anstacheln würde. | |
| Das Thema, was mich eigentlich umtrieb, hatte am Silvestermorgen vermutlich | |
| ein ungefähr sechsjähriger Junge angeschnitten. Gerade war er mit seinen | |
| Eltern an der Mahnwache von Lützerath und Schildern vorbeigegangen, auf | |
| denen „Hier wird gerade von RWE und,Grünen' das Dorf zerstört“ steht. | |
| Jedenfalls hatte der Vater sich zu seinem Sohn heruntergebeugt und mit | |
| Kindchenstimme gesagt: „Na, die sind jetzt alle hier, damit die Polizei | |
| nicht reinkommt!“ Ob das Kind vielleicht gefragt hat, was dann passieren | |
| würde? Ich würde es gern wissen. Vielleicht ist das auch eine Frage für | |
| später. | |
| Es ist noch früh am Morgen. Draußen baggert der Bagger, und gleich beginnt | |
| das To-do-Plenum. | |
| Das Tagebuch „Countdown Lützerath“ wird finanziert von der [2][taz | |
| panterstiftung]. | |
| 1 Jan 2023 | |
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| Aron Boks | |
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