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# taz.de -- Männlichkeit, Krieg und ganz viel Liebe: They Hate The Love
> Kim de l'Horizon wurde für das „Blutbuch“, das Sprache und Geschlecht
> seziert, mit Preisen geehrt. Und widmet sich an dieser Stelle den
> Männern.
„Um liebevolle Männer zu schaffen, müssen wir Männer lieben. Männlichkeit
zu lieben ist etwas anderes, als Männer dafür zu loben und zu belohnen,
dass sie den sexistisch definierten Vorstellungen von männlicher Identität
gerecht werden. Sich für Männer zu interessieren, weil sie etwas für uns
tun, ist nicht dasselbe wie Männer dafür zu lieben, dass sie einfach da
sind. Wenn wir Männlichkeit grundsätzlich lieben, dehnen wir unsere Liebe
auf alle Männer aus, unabhängig davon, ob sie etwas leisten oder nicht.
Leistung ist etwas anderes als das bloße Sein. In der patriarchalen Kultur
ist es Männern nicht erlaubt, einfach zu sein, wer sie sind, und über ihre
einzigartige Identität zu frohlocken. Ihr Wert wird immer durch das
bestimmt, was sie tun. In einer anti-patriarchalen Kultur müssen Männer
ihren Wert und ihre Würde nicht beweisen. Sie wissen von Geburt an, dass
ihr bloßes Sein ihnen Wert verleiht und das Recht, geschätzt und geliebt zu
werden.“ [Übers. d. V.] bell hooks
Ich möchte hier über this thing called love schreiben. Ha! Und schon hat’s
mich erwischt. Runter mit dem Höschen: Ich habe mich bereits vor dem ersten
Satz für diesen geschämt. Nicht das deutsche, Ihnen wohl bekannte Wörtlein
für LOVE habe ich, hat es mir geschrieben, sondern das englische. Das
fremdwörtische, welches mir ferner ist, und was die leise Hoffnung auf
einen vielleicht etwas cooleren oder zumindest 21.-jahrhundertigeren
Einstieg in sich barg.
Also. Nochmal. Ich möchte hier über diese Sache namens LIEBE schreiben. Und
weil ich glaube, dass die Perspektive, aus der wir schreiben, stets
mitschreibt, möchte ich diese meine Perspektive etwas offenlegen. Und weil
ich glaube, dass Liebe auf diesem Planeten nicht von Geschlecht zu trennen
ist, möchte ich meine geschlechtliche Verortung offenlegen. Beispielsweise
war die Scham über das Wörtchen Lüübe eine männliche. Scheint es mir. Eine
männliche und atavistische: ein Überrest aus einer früheren
Evolutionsstufe. Denn seit einiger Zeit nun bin ich eigentlich wie Joni
Mitchell. I’ve looked at clouds from both sides now, I’ve looked at die
Wolken dieser Gesellschaft from both oder wenigstens verschiedenen genders
now. Das heißt, meistens bin ich in the clouds, meistens bin ich mittendrin
in den Gewitterzellen. Und ich sage Ihnen, hier ist verdammt viel
elektrische Spannung.
Aber ich war, wie gesagt, ja nicht immer hier. Die längste Zeit meines
Lebens habe ich mit den Versuchen verbracht, ein guter Bub, Jugendlicher,
ein ähmmmMANN zu sein. I’ve been doing Cis-Drag, wie mein*e
Mitbewohner*in sagt: Ich habe mich als Cis-Mann verkleidet. Das
Wertvolle dabei (aus schriftstellerischer Perspektive): Ich durfte mich in
den Umkleidekabinen der Jungs aufhalten, wo sie die in ihnen angelegten
Samen ihrer Männlichkeit kultivierten, wo sie sich lustvoll-sklavisch der
Architektur der Gesellschaft hingaben, wo sich die binäre Architektur der
Bildungsstätten, die Zweiteilung der Klos und Umkleiden in ihre zarten
Herzelein hineinfurchte.
Bevor ich eine kleine Anekdote aus dieser herrlichen Zeit wiedergebe,
möchte ich sagen, dass ich das Schreiben über Männlichkeit als wichtiges
queer-feministisches Unterfangen betrachte. Denn wir alle leiden im
Patriarchat an den Rollen und Zwängen des binären Geschlechterregimes, alle
Geschlechter auf unterschiedliche Art und Weise, aber trotzdem: alle. Wenn
wir in ein gewaltfreieres Miteinander kommen wollen, müssen daher auch alle
Geschlechter alle verstehen und ein Mindestmaß an Mitgefühl für die Leiden
der anderen aufbringen. Sonst können wir als Spezies gleich abdanken.
Nun aber, die versprochene, herrliche Anekdote: Im Gymnasium hatten wir
nicht wie die anderen Jahrgänge einen, sondern zwei Beste. Den Giesch und
den Zimmermann. Wie die meisten jungen Männchen, wurden diese jüngsten
Verkörperungen idealer Männlichkeit nach ihren Nachnamen, den
Vatersvatersnamen genannt. Sie waren beide nicht außerordentlich gut in der
Schule. Der Giesch war sportlicher als der Zimmermann, aber das machte der
Zimmermann durch „Style“ wett, also durch das Kapital seiner Familie, das
ihm erlaubte, nur in den angesagtesten Skater-Marken wie Etnies, Element
oder Carhartt rumzulatschen. Ich glaube aber mehr als Sportlichkeit oder
„Style“ begründete ihre Bestigkeit ihr Habitus, die Art und Weise wie sie
sich bewegten, sprachen, „gaben“. Ja, ihre KörperSprache war einfach am
nächsten an den Schauspielern, nach denen sich unsere verlorenen, nach Halt
gierenden Existenzen richteten.
Die ersten zwei Jahre waren der Giesch und der Zimmermann gleichauf. Doch
dann geschah etwas, womit sich der Zimmermann disqualifizierte. Er sagte
etwas, was ihn viele Ränge nach unten rutschen liess, wovon er sich während
des Gymnasiums nicht mehr erholen sollte. Denn das, was er sagte, lieferte
den Mitstreitern im Lebenswettkampf der Männlichkeit noch vier Jahre lang
Material, um den armen Zimmermann auf der Rangliste hinter sich zu lassen.
Der Szene voraus ging das Gerücht, dass der Beste Zimmermann die Schönste
Lea gefragt hatte, ob sie mit ihm gehe. Dass die Schönste Lea ihn abgelehnt
habe. Der einzige, menschlich vorstellbare Grund, den die Schönste haben
könnte, um den Zimmermann abzulehnen, war, dass sie den anderen Besten,
Giesch, zum Gehen bevorzugen würde. Oder, noch vorstellbarer: dass sie
einen älteren Besseren kriegen würde, was natürlich ein noch gründigerer
Grund gewesen wäre.
Tagelang wurde von nichts anderem geredet. Das Gerede mündete schließlich
in einer Konfrontation der beiden Besten – in der Umkleidekabine, in dieser
Fabrik der Geschlechterbinarität, wo denn sonst. Und zwar stellte Giesch
die Frage, ob er, der Zimmermann, sich denn eigentlich in Lea verliebt
habe. Hierauf antwortete der damit seine Bestigkeit verlierende Zimmermann
laut und deutlich für alle zu hören: „Ja, ich habe mich in Lea verliebt.“
Päng. Gelächter. Geklopfe auf die heranwachsenden Schultermuskeln.
Langsames Verebben. Schweigendes Umziehen. Das Wissen, dass man hier einem
historischen Kipppunkt beigewohnt hatte. Das uns alle körperlich peinigende
Gefühl der Fremdscham. Das Tabu, das der Zimmermann gebrochen hatte: sich
offen zur Verliebtheit zu bekunden. Ein Tabu, das uns nicht bewusst war,
wir nicht rational argumentatorisch hätten verteidigen wollen oder können.
Aber das war eine Grenze, die unsere ER-Ziehung in uns installiert hatte.
Wie genau installiert? Eine schwierige, den Rahmen hier sprengende Frage.
Aber kurz gesagt: vermutlich durch ähnliche Szenen, in rein männlichen
Räumen, in denen über Liebe nur gelacht und geschämt werden konnte.
Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass es unter uns tatsächlich einen
Liebeshass gab, dass wir die Liebe hassten, denn wir liebten es über den
Hass zu sprechen, wir liebten es unseren Hass auf die Lehrer*innen, Eltern
und Jungs aus Parallelklassen zu bekunden. Natürlich sehnten wir uns nach
der Liebe, und darum hassten wir sie, denn sie war uns verboten. Wir
wussten das nicht, wir spürten es.
Und ich würde auch sagen, dass dieser Liebeshass sich tatsächlich durch die
Architektur in uns hineinbrannte: dass die Räume, in denen wir Körper sein
konnten, das Klo und die Garderobe; die Räume, in denen wir uns auszogen,
uns in unserer Körperlichkeit sehen konnten, in denen wir uns UM-Zogen, in
denen wir Wasser tranken und Urin und Kot ausschieden, schwitzten und
unseren Schweiß einatmeten, die Räume, in denen wir uns einander nackt
zeigten; dass es in diesen Räumen einzig und allein männliche Körper geben
durfte. Dass wir wortwörtlich also in unserer Männlichkeit allein gelassen
wurden. Dass jede Weiblichkeit ausgeschlossen werden musste. Und Gefühle
sind weiblich konnotiert. Und die Liebe als das weiblichste Gefühl. Denn –
der Schluss liegt nahe – dass die Liebe Weiblichkeit in diesen sakralen
Raum hineinbrachte, denn das ist ja Liebe im heterosexuellen Regime: die
Liebe zu weiblichen Körpern. Ganz abgesehen davon, dass Liebe – so der
landläufige Glaube – Männer schwächt: Selbst wenn ihre eigenen Körper
unangreifbar sind, werden sie durch eine Liebe zu einem anderen Körper
angreifbar, denn dieser ist wahrscheinlich „schwächer“ und wird womöglich
verteidigt werden müssen, wenn ein Anderer, Besserer, ihn als Trophäe
seiner Bestigkeit beansprucht.
Der Zimmermann hatte uns noch im Backofen steckenden Männlichkeitsanwärtern
also verraten. Er hatte sich einem Gefühl zugewandt! Freudig scharten wir
uns fortan um den Giesch, der am lautesten gelacht hatte und der sich als
würdiger Kopf in der bestehenden Ordnung bewiesen hatte. Er hatte uns mit
seiner Konfrontation und Beschämung von Verliebtheit das Gefühl des
Daheimseins in der Wüste unserer Gefühllosigkeit beschert. So, wie wir das
zu lieben und leben gelernt hatten.
In diesen Räumen, in denen die jungen Männer unserer Gesellschaft
untereinander sind, darf es keine Liebe geben. Weder zueinander noch zu
anderen. Es darf nur den WettKampf geben, nur das Spiel um Macht. Und wer
liebt – das hatten wir irgendwie gelernt, und das exemplifizierten wir am
Zimmermann – wer sich zu zärtlichen Gefühlen bekennt, der stößt sich selb…
von der Spitze der Macht. Ja, wir haben gar nichts GETAN, es war uns allen
einfach auf einmal klar, dass der Zimmermann nicht mehr ein Bester sein
kann. Und offenbar exerzierten wir an ihm das Gesetz durch, das in allen
Räumen der patriarchalen Gesellschaft gilt: Die Macht ist das Spiel der
Männer, die Liebe ist das Spiel der Frauen.
*
Liebe Liebe
Lange Zeit nun –
Und wie an Hochaltären! –
Zelebrierten wir die Ferne zu Dir
Größeste Cringes brachtest Du uns
Doch wer ist wir?
Wenn Herr ist wirr?
Du Kräftezerschinderin
Stürmebezwingerin
Ehrenerlegerin
Glorienvernichterin
Du hast sie in Wehegeröchel
An ihren glatt ausrasierten Nacken
Und wie an Höchstaltären
Zelebrieren sie die Ferne zu sich, zu „sie“
Und weh tun sie nie
Liebe Liebe
Nichtsehend bete ich dich herein
In dieses Textelein
Wohlwissend: Sturmfluten
Sind auch vom lieblichsten Meere
Zu erwarten.
Du Bitch.
*
Klaus Theweleit [1][hat in seinen „Männerphantasien“] Männlichkeit im
Nationalsozialismus untersucht. Dabei zeigt er sehr eindrücklich, dass im
Faschismus „Liebe zu Frauen und Liebe zum Vaterland Gegensätze sind“. Man
kann also kein guter Bürger sein, man kann die Idee, dass die eigene Nation
allen anderen überlegen ist, nicht vertreten, wenn man in Liebe zu einem
anderen Menschen verbunden ist. Theweleit untersucht die Briefe von
Soldaten und Generälen, die den Krieg geradezu nutzen, um möglichst weit
von ihren Geliebten und Familien fern zu sein. Männer, die sich in ihren
Biografien so distanziert zu ihren Geliebten geben, dass sie diese entweder
nicht beim Namen nennen, sondern bei ihrem Pronomen, oder nicht einmal
erwähnen.
Geschlecht und Politik lässt sich auf keinstige Art und Weise trennen. Dass
der Faschismus unter dem Neoliberalismus geschlummert hat, kann spätestens
seit dem ungeschminkten Auftritt und Gewinn der postfaschistischen
„fratelli d’italia“ niemand mehr leugnen. Dass die Gebrüder Italiens von
[2][einer starken – wenigstens blonden! – Frau] angeführt werden, ist nur
der heuchlerische Versuch ihren Sexismus und ihre Queerphobie zu
verstecken. Nach wie vor werden geschlechtliche „Andere“ (Frauen und
Queers) benutzt, um die Gesellschaft zu spalten und Stimmen zu fangen.
Einige wenige – meist weiße – Frauen, die sich an die Spitze der Macht
hieven, sind nur Schleier vor den Haizähnen.
Das politische System, das wirtschaftliches Wachstum für wichtiger hält als
menschliches Wohlergehen, hat seit den 80ern einen guten Nährboden für eine
Ökonomie der Ungleichheit bereitet. Auf diesem regen sich nun die alten,
halb verscharrten Leichen des 20. Jahrhunderts wieder. Der Nationalismus
winkt seine gärenden Flaggen. Gleichwohl sind wir an einem anderen Punkt
als 1930. Eine wirklich sehr grobe These, die ich hier an Sie ranwerfe, ist
die: Heute ist der Nationalismus „nur“ die Religion der unteren Klasse;
derjenigen, die vom Fortschritt abgehängt wurden und keine Möglichkeit auf
soziale Mobilität durch Bildung haben. Der Karrierismus schließlich ist die
Religion der mittleren Klasse.
Ob Sie da mitgehen oder nicht, ich würde sagen, dass Männlichkeit nach wie
vor am selben Punkt ist wie früher. Es fällt vielen Männern einfacher ihr
Land, die eigene (weiße) Hautfarbe oder ihren Erfolg zu lieben als
Menschen. Als sich selbst und andere. Ich spreche hier auch von mir selbst.
Lange Zeit war mir meine „Karriere“ wichtiger als meine Gesundheit. Erst
seit ich begonnen habe, eine schreiberische, hexerische und soziale Praxis
zu entwickeln, die nicht nach Anerkennung strebt, nach symbolischer Macht,
sondern mich in die Orte und Lebewesen zu verflechten sucht, mit denen und
in denen ich lebe, geht es mir besser. Vielleicht war dies die größere
soziale Transition, als jedes Kleid und jede Schminke und jedes Pronomen:
dass ich so viel über Gefühle spreche und so viel Verletzlichkeit zugebe,
ohne mich selbst dafür zu hassen.
Eine Beobachtung, die zu einer weiteren groben These führt: Viele weiße
Cis-Männer in meinem Umfeld hatten in den ersten 10 Jahren ihres
Erwachsenseins einen run. Es lief alles wie geschmiert. Die Welt war für
sie gemacht. Studium, Beziehung, Sport, Berufseinstieg: top. Doch
beobachtete ich, dass viele Ende 20 stolperten. Dass die Beziehung abbrach
und sie verloren auf Weltreisen und Drogenräuschen nach Sinn suchten. Dass
der Job eine Enttäuschung war und ihre Identität wankte. Dass ihre
schwierige Kindheit sie heimsuchte. Dass sie nicht mehr so viel Energie
hatten wie früher. Dass das, was die Gesellschaft als lebenswertes Bild
vorgab, ihnen keine Freude bereitete.
Im Gegensatz zu den Cis-Frauen und Queers. Wir hatten Mühe, in die 20er
reinzukommen. Suchten, therapierten, rangen. Viele fanden aber irgendwann
den Dreh und den Boden unter den Füßen. Es ist nicht so, dass wir keine
Herausforderungen mehr haben und die Cis-Männer schon. Aber mir scheint,
dass es einen Unterschied gibt: Wir Anderen können scheitern. Wir können
den Wagen an die Wand fahren, suchen uns dann halt Hilfe, Community,
sprechen miteinander, gehen wieder in Therapie, kümmern uns um unsere
Wunden, verfallen nicht mehr allzu sehr in Selbstzweifel und -hass.
Ich sehe eine große Verletzlichkeit in den Cis-Männern meiner Generation
und eine kleine, eine immense Bereitschaft, sich den Gefühlen zu stellen.
Und ich sehe eine große Angst davor. Virginie Despentes schreibt in „King
Kong Theorie“ über die Männer, die jammern, dass die feministische
Emanzipation ihnen ihre Männlichkeit raube: „Sie sehnen sich nach einem
früheren Zustand zurück, als ihre Kraft in der Unterdrückung der Frauen
wurzelte. Sie vergessen, dass dieser politische Vorteil einen Preis hatte:
Die Körper der Frauen gehören den Männern nur dann, wenn die Körper der
Männer in Friedenszeiten der Produktion und in Kriegszeiten dem Staat
gehören.“ Amen.
Ich meine und hoffe zu sehen, dass die aufgeklärten Männer in meinem Umfeld
die Körper der Frauen nicht mehr unterdrücken wollen. Und ihre Körper auch
der kapitalistischen Karrieremaschinerie zu entziehen beginnen. Und auch in
den schrecklicherweise wieder vorstellbaren, dräuenden Kriegszeiten ihre
Körper nicht dem Staat, ihrer Nation verfüttern wollen. Wem aber gehört ihr
Körper, wenn er nicht dem Kapitalismus und nicht dem Nationalismus gehört?
Wie kommen Zimmerpflanzen nach den Jahren der Einzeltopfheit in
symbiotische Verwurzelungen? bell hooks schreibt, dass uns der Wille zur
Veränderung nach Hilfe suchen lässt. Dass uns aber die Angst vor
Veränderung genau diese Hilfe, die wir eigentlich suchen, verweigern lässt.
Und dass ein großes Problem patriarchaler Männlichkeit ist, dass sie
Männern Angst vor Veränderung eintrichtert. Ich glaube, dass eine der
kosmargonautischen, wässrigen, uns über unsere Stammesgrenzen tragenden
Lektionen von trans* Menschen ist, dass Veränderung nicht aus unserem
Hiersein zu tilgen ist. Und dass sie verdammt schön sein kann.
*
Warum ich das in so stockenden, mich in intellektuellen Zitaten und
halblustigen Wortwendungen schützenden Sätzen vorpredige? Ich weiß nicht,
wie es Ihnen so geht auf diesem Planeten, aber ich habe ein Problem mit den
lieben Männern. Mein Problem besteht darin, dass ich Angst vor ihnen habe.
Eine Angst, dass sie mir körperlich etwas antun, direkt oder indirekt.
Durch Fäuste, Wörter oder politische Entscheidungen. Eine Angst, dass mein
Körper sie begehrt und sie mich deshalb zerstören.
Ich fürchte mich vor den unterschiedlichsten Männern dieser Welt. Ich
fürchte mich vor den Wladimir Putins, Elon Musks, Recep Erdoğans. Ich
fürchte mich auch vor den Jungs an der Tankstelle, den Fußballfans nach
einem Derby, dem Obdachlosen, der manchmal mit einem Messer durch die Trams
meiner Stadt streicht. Ich fürchte mich vor dem schönen Nachbarn, ich
fürchte mich vor den Polizisten, wenn ich auf dem Gehsteig Fahrrad fahre,
ich fürchte mich vor dem dominanten Kellner, der mir erklärt, wo ich aufs
Klo zu gehen habe. Ja, wenn ich ganz ehrlich bin, dann fürchte ich mich
ganz grundsätzlich vor Männern. Oder fürchte ich mich nicht eher vor ihrer
Männlichkeit, vor der Geschlechtlichkeit dieser Menschen, als vor den
Individuen? Denn, wie die Schweizer Politikerin Simonetta Sommaruga mal
sagte: „Gewalt hat keine Ethnie, kein Alter und keine Klasse, aber sie hat
ein Geschlecht.“
Ich weiß, das ist jetzt kontra-feministisch-intuitiv, aber versetzen wir
uns einmal in die Männer, die uns Angst machen. Wie ist die Angstmacherei
wohl für sie? Wie ist es in einem Körper zu leben, der nicht Liebe, sondern
Angst inspiriert? Der nicht Nähe und Zärtlichkeit, sondern Anerkennung und
Verherrlichung suchen muss; Dinge, die nur aus der Distanz möglich sind?
Wie ist es, zu leben, ohne geliebt zu werden? Ich würde sagen: Scheiße.
Natürlich kann es auch geil sein, Anerkennung kann eine Droge sein, Angst
machen kann sich mächtig und groß anfühlen. Aber es ist auf jeden Fall
einsam.
Ich glaube, dass unsere Körper Instrumente sind; wir müssen sie spielen und
aus ihnen erklingen unsere Stimmen, Geschichten, Blickwinkel,
Verletzlichkeiten: Lieder von der Suche nach Vernetzung. Ich glaube, dass
viele Männer in dieser Gesellschaft Inseln sind. Spinnen ohne Spinndrüse.
Dass sie die Umkleidekabinen in sich tragen und nicht aus der Angst vor
Gefühlen rauskommen. Sie sind Instrumente, die nicht mehr singen, sondern
schreien, weil sie nicht gehört werden. Weil ihnen nicht beigebracht wurde,
dass sie sich selbst zuhören können. Weil für viele die Gewalt und der Tod
immer noch die möglichere Möglichkeit ist als das Scheitern.
Ich glaube, dass Krieg das auf die Spitze getriebene Machtspiel
frustrierter Männer ist, die in der Umkleidekabine nicht zu den Besten
gehörten und sich am meisten nach der Liebe sehnte und wegen ihrer
Hässlichkeit weiter davon entfernt waren als all die anderen uncoolen
Jungs. Ich glaube, dass eine Heilung unserer Geschlechterwunden mit zu den
effizientesten Kriegsverhinderungstaktiken gehört. Dass dies aber nicht
losgelöst von Fragen der ökonomischen, ökologischen und rassifizierten
Ungleichheiten zu behandeln ist.
Und hier sitze ich, mit gewagtem Lidstrich, high-waist Hosen in einem Café,
mich zeigend und gleichzeitig – wie immer – mich in meinen Gliedern
versteckend, und ich träume von einer anderen Männlichkeit, ich träume von
einer nicht-patriarchalen Männlichkeit, ich hege hier in mein Notizbüchlein
kritzelnd die keuschen Träume von einer vergangenen und noch möglichen
Männlichkeit, die sich die Liebe erlaubt, die sich Gewalt verbietet. Eine
Männlichkeit, die sich nicht durch Angst in diese Welt bringt. Eine
Männlichkeit, die wir lieben können, ohne sie verherrlichen zu müssen. Wie
könnte denn so eine Männlichkeit aussehen?
Hören wir doch mal der Hexe Starhawk zu: „Mit Männlichkeit meine ich keine
der Eigenschaften, die Männern willkürlich zugeschrieben werden, als ob sie
nicht auch für Frauen gelten würden. Ich meine nicht solche Dinge wie
Aggressivität, Durchsetzungsvermögen, Aktivität, auf der Yang-Seite der
Dinge zu stehen, Rationalität und Logos. Ich meine nur das Vermögen, zu
Hause zu sein – stark, potent und wach für das Empfinden in einem
männlichen Körper.“ [Übers. d. V.] In einem männlichen Körper. Nicht: in
einem Mann.
*
Liebe Männliche
Zum Jahreswechsel einige fromme Wörtchen von mir, auf dieses schwankende
Schifflein aus Papier gepfrümelt, in den Mahlstrom der Schrecknisse,
Kälten, Diskurse, Säbelrasseleien und Raunächte hineingeschubst. Ich will
euch eure Männlichkeit nicht rauben. Ich will mit euch die Möglichkeit
männlicher Körper imaginieren, die nicht im WettKampf mit anderen Körpern
stehen. Ich möchte mit euch die Schönheit männlicher Körper erdreamen, die
ihre Scham vor dem Wörtchen Liebe lauthals hinaus kichern, statt sie auf
andere zu projizieren. Die die juvenilen Garderobenregeln brechen.
Ich möchte mit euch Männlichkeiten herbeibeten, die nicht luftig-göttlich
sein müssen, sondern erdig-krümelig sein dürfen. Die ihre Karrieren und
Nationen in einer randlosen, grandios scheiternden Sehnsucht nach
nicht-dominierenden Verwebungen mit anderen Körpern auflösen. Die nicht
nach Dominanz, sondern Kooperation streben. Und ich will euch für eure
Geschlechtlichkeit wertschätzen können. Dafür, dass ihr ein
Geschlechterstrauß unter vielen seid. Und nicht das Beste sein müsst. Weil,
let’s be honest: An Prince kommt niemensch ran. Viel purple rain to you.
31 Dec 2022
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