# taz.de -- Männlichkeit, Krieg und ganz viel Liebe: They Hate The Love | |
> Kim de l'Horizon wurde für das „Blutbuch“, das Sprache und Geschlecht | |
> seziert, mit Preisen geehrt. Und widmet sich an dieser Stelle den | |
> Männern. | |
„Um liebevolle Männer zu schaffen, müssen wir Männer lieben. Männlichkeit | |
zu lieben ist etwas anderes, als Männer dafür zu loben und zu belohnen, | |
dass sie den sexistisch definierten Vorstellungen von männlicher Identität | |
gerecht werden. Sich für Männer zu interessieren, weil sie etwas für uns | |
tun, ist nicht dasselbe wie Männer dafür zu lieben, dass sie einfach da | |
sind. Wenn wir Männlichkeit grundsätzlich lieben, dehnen wir unsere Liebe | |
auf alle Männer aus, unabhängig davon, ob sie etwas leisten oder nicht. | |
Leistung ist etwas anderes als das bloße Sein. In der patriarchalen Kultur | |
ist es Männern nicht erlaubt, einfach zu sein, wer sie sind, und über ihre | |
einzigartige Identität zu frohlocken. Ihr Wert wird immer durch das | |
bestimmt, was sie tun. In einer anti-patriarchalen Kultur müssen Männer | |
ihren Wert und ihre Würde nicht beweisen. Sie wissen von Geburt an, dass | |
ihr bloßes Sein ihnen Wert verleiht und das Recht, geschätzt und geliebt zu | |
werden.“ [Übers. d. V.] bell hooks | |
Ich möchte hier über this thing called love schreiben. Ha! Und schon hat’s | |
mich erwischt. Runter mit dem Höschen: Ich habe mich bereits vor dem ersten | |
Satz für diesen geschämt. Nicht das deutsche, Ihnen wohl bekannte Wörtlein | |
für LOVE habe ich, hat es mir geschrieben, sondern das englische. Das | |
fremdwörtische, welches mir ferner ist, und was die leise Hoffnung auf | |
einen vielleicht etwas cooleren oder zumindest 21.-jahrhundertigeren | |
Einstieg in sich barg. | |
Also. Nochmal. Ich möchte hier über diese Sache namens LIEBE schreiben. Und | |
weil ich glaube, dass die Perspektive, aus der wir schreiben, stets | |
mitschreibt, möchte ich diese meine Perspektive etwas offenlegen. Und weil | |
ich glaube, dass Liebe auf diesem Planeten nicht von Geschlecht zu trennen | |
ist, möchte ich meine geschlechtliche Verortung offenlegen. Beispielsweise | |
war die Scham über das Wörtchen Lüübe eine männliche. Scheint es mir. Eine | |
männliche und atavistische: ein Überrest aus einer früheren | |
Evolutionsstufe. Denn seit einiger Zeit nun bin ich eigentlich wie Joni | |
Mitchell. I’ve looked at clouds from both sides now, I’ve looked at die | |
Wolken dieser Gesellschaft from both oder wenigstens verschiedenen genders | |
now. Das heißt, meistens bin ich in the clouds, meistens bin ich mittendrin | |
in den Gewitterzellen. Und ich sage Ihnen, hier ist verdammt viel | |
elektrische Spannung. | |
Aber ich war, wie gesagt, ja nicht immer hier. Die längste Zeit meines | |
Lebens habe ich mit den Versuchen verbracht, ein guter Bub, Jugendlicher, | |
ein ähmmmMANN zu sein. I’ve been doing Cis-Drag, wie mein*e | |
Mitbewohner*in sagt: Ich habe mich als Cis-Mann verkleidet. Das | |
Wertvolle dabei (aus schriftstellerischer Perspektive): Ich durfte mich in | |
den Umkleidekabinen der Jungs aufhalten, wo sie die in ihnen angelegten | |
Samen ihrer Männlichkeit kultivierten, wo sie sich lustvoll-sklavisch der | |
Architektur der Gesellschaft hingaben, wo sich die binäre Architektur der | |
Bildungsstätten, die Zweiteilung der Klos und Umkleiden in ihre zarten | |
Herzelein hineinfurchte. | |
Bevor ich eine kleine Anekdote aus dieser herrlichen Zeit wiedergebe, | |
möchte ich sagen, dass ich das Schreiben über Männlichkeit als wichtiges | |
queer-feministisches Unterfangen betrachte. Denn wir alle leiden im | |
Patriarchat an den Rollen und Zwängen des binären Geschlechterregimes, alle | |
Geschlechter auf unterschiedliche Art und Weise, aber trotzdem: alle. Wenn | |
wir in ein gewaltfreieres Miteinander kommen wollen, müssen daher auch alle | |
Geschlechter alle verstehen und ein Mindestmaß an Mitgefühl für die Leiden | |
der anderen aufbringen. Sonst können wir als Spezies gleich abdanken. | |
Nun aber, die versprochene, herrliche Anekdote: Im Gymnasium hatten wir | |
nicht wie die anderen Jahrgänge einen, sondern zwei Beste. Den Giesch und | |
den Zimmermann. Wie die meisten jungen Männchen, wurden diese jüngsten | |
Verkörperungen idealer Männlichkeit nach ihren Nachnamen, den | |
Vatersvatersnamen genannt. Sie waren beide nicht außerordentlich gut in der | |
Schule. Der Giesch war sportlicher als der Zimmermann, aber das machte der | |
Zimmermann durch „Style“ wett, also durch das Kapital seiner Familie, das | |
ihm erlaubte, nur in den angesagtesten Skater-Marken wie Etnies, Element | |
oder Carhartt rumzulatschen. Ich glaube aber mehr als Sportlichkeit oder | |
„Style“ begründete ihre Bestigkeit ihr Habitus, die Art und Weise wie sie | |
sich bewegten, sprachen, „gaben“. Ja, ihre KörperSprache war einfach am | |
nächsten an den Schauspielern, nach denen sich unsere verlorenen, nach Halt | |
gierenden Existenzen richteten. | |
Die ersten zwei Jahre waren der Giesch und der Zimmermann gleichauf. Doch | |
dann geschah etwas, womit sich der Zimmermann disqualifizierte. Er sagte | |
etwas, was ihn viele Ränge nach unten rutschen liess, wovon er sich während | |
des Gymnasiums nicht mehr erholen sollte. Denn das, was er sagte, lieferte | |
den Mitstreitern im Lebenswettkampf der Männlichkeit noch vier Jahre lang | |
Material, um den armen Zimmermann auf der Rangliste hinter sich zu lassen. | |
Der Szene voraus ging das Gerücht, dass der Beste Zimmermann die Schönste | |
Lea gefragt hatte, ob sie mit ihm gehe. Dass die Schönste Lea ihn abgelehnt | |
habe. Der einzige, menschlich vorstellbare Grund, den die Schönste haben | |
könnte, um den Zimmermann abzulehnen, war, dass sie den anderen Besten, | |
Giesch, zum Gehen bevorzugen würde. Oder, noch vorstellbarer: dass sie | |
einen älteren Besseren kriegen würde, was natürlich ein noch gründigerer | |
Grund gewesen wäre. | |
Tagelang wurde von nichts anderem geredet. Das Gerede mündete schließlich | |
in einer Konfrontation der beiden Besten – in der Umkleidekabine, in dieser | |
Fabrik der Geschlechterbinarität, wo denn sonst. Und zwar stellte Giesch | |
die Frage, ob er, der Zimmermann, sich denn eigentlich in Lea verliebt | |
habe. Hierauf antwortete der damit seine Bestigkeit verlierende Zimmermann | |
laut und deutlich für alle zu hören: „Ja, ich habe mich in Lea verliebt.“ | |
Päng. Gelächter. Geklopfe auf die heranwachsenden Schultermuskeln. | |
Langsames Verebben. Schweigendes Umziehen. Das Wissen, dass man hier einem | |
historischen Kipppunkt beigewohnt hatte. Das uns alle körperlich peinigende | |
Gefühl der Fremdscham. Das Tabu, das der Zimmermann gebrochen hatte: sich | |
offen zur Verliebtheit zu bekunden. Ein Tabu, das uns nicht bewusst war, | |
wir nicht rational argumentatorisch hätten verteidigen wollen oder können. | |
Aber das war eine Grenze, die unsere ER-Ziehung in uns installiert hatte. | |
Wie genau installiert? Eine schwierige, den Rahmen hier sprengende Frage. | |
Aber kurz gesagt: vermutlich durch ähnliche Szenen, in rein männlichen | |
Räumen, in denen über Liebe nur gelacht und geschämt werden konnte. | |
Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass es unter uns tatsächlich einen | |
Liebeshass gab, dass wir die Liebe hassten, denn wir liebten es über den | |
Hass zu sprechen, wir liebten es unseren Hass auf die Lehrer*innen, Eltern | |
und Jungs aus Parallelklassen zu bekunden. Natürlich sehnten wir uns nach | |
der Liebe, und darum hassten wir sie, denn sie war uns verboten. Wir | |
wussten das nicht, wir spürten es. | |
Und ich würde auch sagen, dass dieser Liebeshass sich tatsächlich durch die | |
Architektur in uns hineinbrannte: dass die Räume, in denen wir Körper sein | |
konnten, das Klo und die Garderobe; die Räume, in denen wir uns auszogen, | |
uns in unserer Körperlichkeit sehen konnten, in denen wir uns UM-Zogen, in | |
denen wir Wasser tranken und Urin und Kot ausschieden, schwitzten und | |
unseren Schweiß einatmeten, die Räume, in denen wir uns einander nackt | |
zeigten; dass es in diesen Räumen einzig und allein männliche Körper geben | |
durfte. Dass wir wortwörtlich also in unserer Männlichkeit allein gelassen | |
wurden. Dass jede Weiblichkeit ausgeschlossen werden musste. Und Gefühle | |
sind weiblich konnotiert. Und die Liebe als das weiblichste Gefühl. Denn – | |
der Schluss liegt nahe – dass die Liebe Weiblichkeit in diesen sakralen | |
Raum hineinbrachte, denn das ist ja Liebe im heterosexuellen Regime: die | |
Liebe zu weiblichen Körpern. Ganz abgesehen davon, dass Liebe – so der | |
landläufige Glaube – Männer schwächt: Selbst wenn ihre eigenen Körper | |
unangreifbar sind, werden sie durch eine Liebe zu einem anderen Körper | |
angreifbar, denn dieser ist wahrscheinlich „schwächer“ und wird womöglich | |
verteidigt werden müssen, wenn ein Anderer, Besserer, ihn als Trophäe | |
seiner Bestigkeit beansprucht. | |
Der Zimmermann hatte uns noch im Backofen steckenden Männlichkeitsanwärtern | |
also verraten. Er hatte sich einem Gefühl zugewandt! Freudig scharten wir | |
uns fortan um den Giesch, der am lautesten gelacht hatte und der sich als | |
würdiger Kopf in der bestehenden Ordnung bewiesen hatte. Er hatte uns mit | |
seiner Konfrontation und Beschämung von Verliebtheit das Gefühl des | |
Daheimseins in der Wüste unserer Gefühllosigkeit beschert. So, wie wir das | |
zu lieben und leben gelernt hatten. | |
In diesen Räumen, in denen die jungen Männer unserer Gesellschaft | |
untereinander sind, darf es keine Liebe geben. Weder zueinander noch zu | |
anderen. Es darf nur den WettKampf geben, nur das Spiel um Macht. Und wer | |
liebt – das hatten wir irgendwie gelernt, und das exemplifizierten wir am | |
Zimmermann – wer sich zu zärtlichen Gefühlen bekennt, der stößt sich selb… | |
von der Spitze der Macht. Ja, wir haben gar nichts GETAN, es war uns allen | |
einfach auf einmal klar, dass der Zimmermann nicht mehr ein Bester sein | |
kann. Und offenbar exerzierten wir an ihm das Gesetz durch, das in allen | |
Räumen der patriarchalen Gesellschaft gilt: Die Macht ist das Spiel der | |
Männer, die Liebe ist das Spiel der Frauen. | |
* | |
Liebe Liebe | |
Lange Zeit nun – | |
Und wie an Hochaltären! – | |
Zelebrierten wir die Ferne zu Dir | |
Größeste Cringes brachtest Du uns | |
Doch wer ist wir? | |
Wenn Herr ist wirr? | |
Du Kräftezerschinderin | |
Stürmebezwingerin | |
Ehrenerlegerin | |
Glorienvernichterin | |
Du hast sie in Wehegeröchel | |
An ihren glatt ausrasierten Nacken | |
Und wie an Höchstaltären | |
Zelebrieren sie die Ferne zu sich, zu „sie“ | |
Und weh tun sie nie | |
Liebe Liebe | |
Nichtsehend bete ich dich herein | |
In dieses Textelein | |
Wohlwissend: Sturmfluten | |
Sind auch vom lieblichsten Meere | |
Zu erwarten. | |
Du Bitch. | |
* | |
Klaus Theweleit [1][hat in seinen „Männerphantasien“] Männlichkeit im | |
Nationalsozialismus untersucht. Dabei zeigt er sehr eindrücklich, dass im | |
Faschismus „Liebe zu Frauen und Liebe zum Vaterland Gegensätze sind“. Man | |
kann also kein guter Bürger sein, man kann die Idee, dass die eigene Nation | |
allen anderen überlegen ist, nicht vertreten, wenn man in Liebe zu einem | |
anderen Menschen verbunden ist. Theweleit untersucht die Briefe von | |
Soldaten und Generälen, die den Krieg geradezu nutzen, um möglichst weit | |
von ihren Geliebten und Familien fern zu sein. Männer, die sich in ihren | |
Biografien so distanziert zu ihren Geliebten geben, dass sie diese entweder | |
nicht beim Namen nennen, sondern bei ihrem Pronomen, oder nicht einmal | |
erwähnen. | |
Geschlecht und Politik lässt sich auf keinstige Art und Weise trennen. Dass | |
der Faschismus unter dem Neoliberalismus geschlummert hat, kann spätestens | |
seit dem ungeschminkten Auftritt und Gewinn der postfaschistischen | |
„fratelli d’italia“ niemand mehr leugnen. Dass die Gebrüder Italiens von | |
[2][einer starken – wenigstens blonden! – Frau] angeführt werden, ist nur | |
der heuchlerische Versuch ihren Sexismus und ihre Queerphobie zu | |
verstecken. Nach wie vor werden geschlechtliche „Andere“ (Frauen und | |
Queers) benutzt, um die Gesellschaft zu spalten und Stimmen zu fangen. | |
Einige wenige – meist weiße – Frauen, die sich an die Spitze der Macht | |
hieven, sind nur Schleier vor den Haizähnen. | |
Das politische System, das wirtschaftliches Wachstum für wichtiger hält als | |
menschliches Wohlergehen, hat seit den 80ern einen guten Nährboden für eine | |
Ökonomie der Ungleichheit bereitet. Auf diesem regen sich nun die alten, | |
halb verscharrten Leichen des 20. Jahrhunderts wieder. Der Nationalismus | |
winkt seine gärenden Flaggen. Gleichwohl sind wir an einem anderen Punkt | |
als 1930. Eine wirklich sehr grobe These, die ich hier an Sie ranwerfe, ist | |
die: Heute ist der Nationalismus „nur“ die Religion der unteren Klasse; | |
derjenigen, die vom Fortschritt abgehängt wurden und keine Möglichkeit auf | |
soziale Mobilität durch Bildung haben. Der Karrierismus schließlich ist die | |
Religion der mittleren Klasse. | |
Ob Sie da mitgehen oder nicht, ich würde sagen, dass Männlichkeit nach wie | |
vor am selben Punkt ist wie früher. Es fällt vielen Männern einfacher ihr | |
Land, die eigene (weiße) Hautfarbe oder ihren Erfolg zu lieben als | |
Menschen. Als sich selbst und andere. Ich spreche hier auch von mir selbst. | |
Lange Zeit war mir meine „Karriere“ wichtiger als meine Gesundheit. Erst | |
seit ich begonnen habe, eine schreiberische, hexerische und soziale Praxis | |
zu entwickeln, die nicht nach Anerkennung strebt, nach symbolischer Macht, | |
sondern mich in die Orte und Lebewesen zu verflechten sucht, mit denen und | |
in denen ich lebe, geht es mir besser. Vielleicht war dies die größere | |
soziale Transition, als jedes Kleid und jede Schminke und jedes Pronomen: | |
dass ich so viel über Gefühle spreche und so viel Verletzlichkeit zugebe, | |
ohne mich selbst dafür zu hassen. | |
Eine Beobachtung, die zu einer weiteren groben These führt: Viele weiße | |
Cis-Männer in meinem Umfeld hatten in den ersten 10 Jahren ihres | |
Erwachsenseins einen run. Es lief alles wie geschmiert. Die Welt war für | |
sie gemacht. Studium, Beziehung, Sport, Berufseinstieg: top. Doch | |
beobachtete ich, dass viele Ende 20 stolperten. Dass die Beziehung abbrach | |
und sie verloren auf Weltreisen und Drogenräuschen nach Sinn suchten. Dass | |
der Job eine Enttäuschung war und ihre Identität wankte. Dass ihre | |
schwierige Kindheit sie heimsuchte. Dass sie nicht mehr so viel Energie | |
hatten wie früher. Dass das, was die Gesellschaft als lebenswertes Bild | |
vorgab, ihnen keine Freude bereitete. | |
Im Gegensatz zu den Cis-Frauen und Queers. Wir hatten Mühe, in die 20er | |
reinzukommen. Suchten, therapierten, rangen. Viele fanden aber irgendwann | |
den Dreh und den Boden unter den Füßen. Es ist nicht so, dass wir keine | |
Herausforderungen mehr haben und die Cis-Männer schon. Aber mir scheint, | |
dass es einen Unterschied gibt: Wir Anderen können scheitern. Wir können | |
den Wagen an die Wand fahren, suchen uns dann halt Hilfe, Community, | |
sprechen miteinander, gehen wieder in Therapie, kümmern uns um unsere | |
Wunden, verfallen nicht mehr allzu sehr in Selbstzweifel und -hass. | |
Ich sehe eine große Verletzlichkeit in den Cis-Männern meiner Generation | |
und eine kleine, eine immense Bereitschaft, sich den Gefühlen zu stellen. | |
Und ich sehe eine große Angst davor. Virginie Despentes schreibt in „King | |
Kong Theorie“ über die Männer, die jammern, dass die feministische | |
Emanzipation ihnen ihre Männlichkeit raube: „Sie sehnen sich nach einem | |
früheren Zustand zurück, als ihre Kraft in der Unterdrückung der Frauen | |
wurzelte. Sie vergessen, dass dieser politische Vorteil einen Preis hatte: | |
Die Körper der Frauen gehören den Männern nur dann, wenn die Körper der | |
Männer in Friedenszeiten der Produktion und in Kriegszeiten dem Staat | |
gehören.“ Amen. | |
Ich meine und hoffe zu sehen, dass die aufgeklärten Männer in meinem Umfeld | |
die Körper der Frauen nicht mehr unterdrücken wollen. Und ihre Körper auch | |
der kapitalistischen Karrieremaschinerie zu entziehen beginnen. Und auch in | |
den schrecklicherweise wieder vorstellbaren, dräuenden Kriegszeiten ihre | |
Körper nicht dem Staat, ihrer Nation verfüttern wollen. Wem aber gehört ihr | |
Körper, wenn er nicht dem Kapitalismus und nicht dem Nationalismus gehört? | |
Wie kommen Zimmerpflanzen nach den Jahren der Einzeltopfheit in | |
symbiotische Verwurzelungen? bell hooks schreibt, dass uns der Wille zur | |
Veränderung nach Hilfe suchen lässt. Dass uns aber die Angst vor | |
Veränderung genau diese Hilfe, die wir eigentlich suchen, verweigern lässt. | |
Und dass ein großes Problem patriarchaler Männlichkeit ist, dass sie | |
Männern Angst vor Veränderung eintrichtert. Ich glaube, dass eine der | |
kosmargonautischen, wässrigen, uns über unsere Stammesgrenzen tragenden | |
Lektionen von trans* Menschen ist, dass Veränderung nicht aus unserem | |
Hiersein zu tilgen ist. Und dass sie verdammt schön sein kann. | |
* | |
Warum ich das in so stockenden, mich in intellektuellen Zitaten und | |
halblustigen Wortwendungen schützenden Sätzen vorpredige? Ich weiß nicht, | |
wie es Ihnen so geht auf diesem Planeten, aber ich habe ein Problem mit den | |
lieben Männern. Mein Problem besteht darin, dass ich Angst vor ihnen habe. | |
Eine Angst, dass sie mir körperlich etwas antun, direkt oder indirekt. | |
Durch Fäuste, Wörter oder politische Entscheidungen. Eine Angst, dass mein | |
Körper sie begehrt und sie mich deshalb zerstören. | |
Ich fürchte mich vor den unterschiedlichsten Männern dieser Welt. Ich | |
fürchte mich vor den Wladimir Putins, Elon Musks, Recep Erdoğans. Ich | |
fürchte mich auch vor den Jungs an der Tankstelle, den Fußballfans nach | |
einem Derby, dem Obdachlosen, der manchmal mit einem Messer durch die Trams | |
meiner Stadt streicht. Ich fürchte mich vor dem schönen Nachbarn, ich | |
fürchte mich vor den Polizisten, wenn ich auf dem Gehsteig Fahrrad fahre, | |
ich fürchte mich vor dem dominanten Kellner, der mir erklärt, wo ich aufs | |
Klo zu gehen habe. Ja, wenn ich ganz ehrlich bin, dann fürchte ich mich | |
ganz grundsätzlich vor Männern. Oder fürchte ich mich nicht eher vor ihrer | |
Männlichkeit, vor der Geschlechtlichkeit dieser Menschen, als vor den | |
Individuen? Denn, wie die Schweizer Politikerin Simonetta Sommaruga mal | |
sagte: „Gewalt hat keine Ethnie, kein Alter und keine Klasse, aber sie hat | |
ein Geschlecht.“ | |
Ich weiß, das ist jetzt kontra-feministisch-intuitiv, aber versetzen wir | |
uns einmal in die Männer, die uns Angst machen. Wie ist die Angstmacherei | |
wohl für sie? Wie ist es in einem Körper zu leben, der nicht Liebe, sondern | |
Angst inspiriert? Der nicht Nähe und Zärtlichkeit, sondern Anerkennung und | |
Verherrlichung suchen muss; Dinge, die nur aus der Distanz möglich sind? | |
Wie ist es, zu leben, ohne geliebt zu werden? Ich würde sagen: Scheiße. | |
Natürlich kann es auch geil sein, Anerkennung kann eine Droge sein, Angst | |
machen kann sich mächtig und groß anfühlen. Aber es ist auf jeden Fall | |
einsam. | |
Ich glaube, dass unsere Körper Instrumente sind; wir müssen sie spielen und | |
aus ihnen erklingen unsere Stimmen, Geschichten, Blickwinkel, | |
Verletzlichkeiten: Lieder von der Suche nach Vernetzung. Ich glaube, dass | |
viele Männer in dieser Gesellschaft Inseln sind. Spinnen ohne Spinndrüse. | |
Dass sie die Umkleidekabinen in sich tragen und nicht aus der Angst vor | |
Gefühlen rauskommen. Sie sind Instrumente, die nicht mehr singen, sondern | |
schreien, weil sie nicht gehört werden. Weil ihnen nicht beigebracht wurde, | |
dass sie sich selbst zuhören können. Weil für viele die Gewalt und der Tod | |
immer noch die möglichere Möglichkeit ist als das Scheitern. | |
Ich glaube, dass Krieg das auf die Spitze getriebene Machtspiel | |
frustrierter Männer ist, die in der Umkleidekabine nicht zu den Besten | |
gehörten und sich am meisten nach der Liebe sehnte und wegen ihrer | |
Hässlichkeit weiter davon entfernt waren als all die anderen uncoolen | |
Jungs. Ich glaube, dass eine Heilung unserer Geschlechterwunden mit zu den | |
effizientesten Kriegsverhinderungstaktiken gehört. Dass dies aber nicht | |
losgelöst von Fragen der ökonomischen, ökologischen und rassifizierten | |
Ungleichheiten zu behandeln ist. | |
Und hier sitze ich, mit gewagtem Lidstrich, high-waist Hosen in einem Café, | |
mich zeigend und gleichzeitig – wie immer – mich in meinen Gliedern | |
versteckend, und ich träume von einer anderen Männlichkeit, ich träume von | |
einer nicht-patriarchalen Männlichkeit, ich hege hier in mein Notizbüchlein | |
kritzelnd die keuschen Träume von einer vergangenen und noch möglichen | |
Männlichkeit, die sich die Liebe erlaubt, die sich Gewalt verbietet. Eine | |
Männlichkeit, die sich nicht durch Angst in diese Welt bringt. Eine | |
Männlichkeit, die wir lieben können, ohne sie verherrlichen zu müssen. Wie | |
könnte denn so eine Männlichkeit aussehen? | |
Hören wir doch mal der Hexe Starhawk zu: „Mit Männlichkeit meine ich keine | |
der Eigenschaften, die Männern willkürlich zugeschrieben werden, als ob sie | |
nicht auch für Frauen gelten würden. Ich meine nicht solche Dinge wie | |
Aggressivität, Durchsetzungsvermögen, Aktivität, auf der Yang-Seite der | |
Dinge zu stehen, Rationalität und Logos. Ich meine nur das Vermögen, zu | |
Hause zu sein – stark, potent und wach für das Empfinden in einem | |
männlichen Körper.“ [Übers. d. V.] In einem männlichen Körper. Nicht: in | |
einem Mann. | |
* | |
Liebe Männliche | |
Zum Jahreswechsel einige fromme Wörtchen von mir, auf dieses schwankende | |
Schifflein aus Papier gepfrümelt, in den Mahlstrom der Schrecknisse, | |
Kälten, Diskurse, Säbelrasseleien und Raunächte hineingeschubst. Ich will | |
euch eure Männlichkeit nicht rauben. Ich will mit euch die Möglichkeit | |
männlicher Körper imaginieren, die nicht im WettKampf mit anderen Körpern | |
stehen. Ich möchte mit euch die Schönheit männlicher Körper erdreamen, die | |
ihre Scham vor dem Wörtchen Liebe lauthals hinaus kichern, statt sie auf | |
andere zu projizieren. Die die juvenilen Garderobenregeln brechen. | |
Ich möchte mit euch Männlichkeiten herbeibeten, die nicht luftig-göttlich | |
sein müssen, sondern erdig-krümelig sein dürfen. Die ihre Karrieren und | |
Nationen in einer randlosen, grandios scheiternden Sehnsucht nach | |
nicht-dominierenden Verwebungen mit anderen Körpern auflösen. Die nicht | |
nach Dominanz, sondern Kooperation streben. Und ich will euch für eure | |
Geschlechtlichkeit wertschätzen können. Dafür, dass ihr ein | |
Geschlechterstrauß unter vielen seid. Und nicht das Beste sein müsst. Weil, | |
let’s be honest: An Prince kommt niemensch ran. Viel purple rain to you. | |
31 Dec 2022 | |
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