| # taz.de -- Essaybuch „Hässlichkeit“: Im Schatten der Nase | |
| > Was ist Hässlichkeit und warum scheuen wir sie? In einem Essaybuch geht | |
| > die Hamburger Künstlerin Moshtari Hilal diesen Fragen nach. | |
| Bild: Statt Tagebuch: Moshtari Hilal zeichnete sich lange Jahre immer wieder se… | |
| „Bevor ich den Raum betrete, tritt meine Nase ein. Sie wirft einen | |
| Schatten, der mich verschlingt. In Schwarz gehüllt, blicke ich aus ihm | |
| hinaus“: Das erzählt Moshtari Hilal in ihrem Buch „Hässlichkeit“. | |
| Bekannt geworden ist sie bislang eher als Künstlerin und Kuratorin; ihre | |
| Zeichnungen, meistens Selbstporträts oder Bilder ihrer Familie, dominieren | |
| Schwarz-Weiß-Kontraste, sie kombiniert große Flächen mit feinen Strichen | |
| und vielen Details. Für ihre Kunst nutzt sie Fotos von sich selbst und aus | |
| ihrem Familienarchiv mit der erklärten Absicht, [1][Schönheitsideale und | |
| Ideen von Hässlichkeit zu hinterfragen]. | |
| Hat diese Art des Zugriffs nicht mehr gereicht, sodass nun das Buch | |
| entstand? Die Kunst hat offensichtlich nicht mehr gereicht – in | |
| „Hässlichkeit“ finden sich immer wieder Bilder, wie sie schon lange Teil | |
| von Hilals Kunst sind. | |
| Geboren 1993 in Kabul, flüchtete Moshtari Hilal als Zweijährige mit ihrer | |
| Familie aus Afghanistan nach Hamburg. Ihr Aufwachsen als rassifizierte | |
| Person in einer weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft ließ sie sich von | |
| Kind an fremd fühlen. Das Wort „[2][Rassifizierung]“ benutzt Hilal selbst, | |
| es bezeichnet die Einordnung von Personen aufgrund bestimmter Merkmale in | |
| eine angeblich natürliche, von der Mehrheit unterscheidbaren Gruppe. | |
| Ihre visuelle Veranlagung habe ihr bereits in der Kindheit geholfen, ihre | |
| Emotionen zu verarbeiten: indem sie zeichnete. Im Buch nun findet sich etwa | |
| das Bild „Kartographie meiner Hässlichkeit“. Hilal sagt, es sei eine | |
| kartographische Abbildung ihres Körpers in der Pubertät. | |
| „Hässlichkeit“ kombiniert Text, manchmal sogar Gedichte, und Bilder: mal | |
| sind es Arbeiten von Hilal selbst, mal eher Materialartiges, etwa eine | |
| Charles-Darwin-Karikatur, die vielleicht noch zu einem Kunstwerk | |
| verarbeitet werden könnte. | |
| Hilal nimmt die Lesenden mit auf ihre eigene Lebensreise, eine | |
| Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Hässlichkeit. Hässlich gefunden | |
| nämlich habe sie sich schon ganz früh. „Ich habe sehr lange sehr zynische, | |
| negative Zeichnungen von mir selbst angefertigt“, sagt Hilal. Das sei für | |
| sie gewesen, was für andere das Tagebuch sei. | |
| Ihre autodidaktische künstlerische Auseinandersetzung mit Sehgewohnheiten | |
| und [3][Schönheitsstandards] stehen im Fokus: „Ich habe in meiner visuellen | |
| Arbeit versucht, durch eine ästhetische und intellektuelle Einordnung mich | |
| selbst, aber auch andere davon zu überzeugen, dass diese Eigenschaften, sei | |
| es die große Nase oder behaarte Körper, schön sein können oder ästhetisch.… | |
| Herausgekommen sind dabei auch Selbstporträts, die schön sind, aber nicht, | |
| wenn es nach den meistverbreiteten Standards geht. | |
| Wollte sie anfangs, als Künstlerin, neue Schönheitsbegriffe definieren, | |
| bricht sie das im Buch nun auf und fragt danach, warum es dieses Bedürfnis | |
| gibt, unsere Vorstellung davon zu erweitern, was schön ist. Schönheit, sagt | |
| die Autorin, funktioniere nur mit ihrem Gegenteil, dem Hässlichen. Ihr Buch | |
| handelt auch davon, warum wir gleichwohl Angst vor der Hässlichkeit haben. | |
| Ausgehend von ihrer „persönlichen empfundenen Hässlichkeit“ habe sie genau | |
| diese historisch einzuordnen versucht, um herauszustreichen, „dass sie eben | |
| nicht isoliert steht“, sagt Hilal. „Es ist nie nur mein Empfinden, sondern: | |
| Wie sieht das im größeren Kontext aus?“ | |
| Hilal studierte Islam- sowie Politikwissenschaften mit Schwerpunkt auf | |
| Gender und Dekoloniale Studien in Hamburg, Berlin und London. Sie habe sich | |
| bewusst dagegen entschieden, Kunst zu studieren, obwohl sie immer schon | |
| einen Zugang dazu gehabt habe. Als Schülerin bereits habe sie an | |
| Kunstworkshops teilgenommen und immer Menschen um sich gehabt, die damit zu | |
| tun hatten. | |
| Als Geflüchtete, als in Deutschland aufgewachsene Afghanin, habe sie viele | |
| politische Fragen gehabt, die sie für sich selbst habe beantworten wollen. | |
| „Mir war klar, dass ich dieses Wissen nicht in einem Kunststudium bekommen | |
| werde“, sagt sie. Aber sie habe „diese Themen auch zeichnerisch weiter | |
| bearbeitet“. | |
| Bei ihren ersten Ausstellungen standen die Themen, nicht die Kunst im | |
| Fokus: etwa als Teil einer Gruppenschau zur „zeitgenössischen afghanischen | |
| Kunst in der Diaspora“. Sie sei oft in Kontexten ausgestellt worden, „die | |
| mich wegen meiner Identität ausstellten und nicht wegen meiner Kunst“. | |
| Ein ganzes Buch auf Deutsch zu schreiben, war eine neue Erfahrung für | |
| Hilal, und dann auch noch in einem großen, bekannten Verlag. Eine Folge: | |
| ein ganz neues Publikum und [4][viel größeres Interesse seitens der Medien] | |
| – „eine interessante Erfahrung, aber auch befremdlich“. Schließlich | |
| behandele das Buch doch sehr spezifische Dinge, Hilal geht von einer | |
| Minderheitsperspektive aus. | |
| Das Thema „Hässlichkeit“ ist dabei alles andere als neu, Hilal nennt Büch… | |
| wie „Die Geschichte der Hässlichkeit“ von Umberto Eco. Für eine eigene | |
| Perspektive habe sie auf sich selbst zurückgegriffen, ihre persönliche | |
| Verletzlichkeit: „Ich habe versucht, mich mit meinem Gesicht so | |
| auseinanderzusetzen wie mit einem Thema, das man recherchiert und das man | |
| ernst nimmt.“ | |
| Beim Schreiben habe sie sich vorgestellt, das Buch zu schreiben, das sie | |
| selbst hilfreich gefunden hätte. „Das ist meine Perspektive und mein | |
| Versuch, mein persönliches Hässlichkeitsempfinden hier exemplarisch für | |
| alle anderen zu historisieren und damit ihnen zu zeigen, dass auch ihr | |
| persönliches Hässlichkeitsempfinden nicht im Vakuum entstanden ist, sondern | |
| uns alle was angeht.“ So bleibt das Buch gerade nicht beim persönlichen | |
| Einzelfall, Hilal interessiert sich für die Diskurse um Hässlichkeit und | |
| ihr Gegenteil. | |
| Dafür schaut sie sich vor allem das 19. und 20. Jahrhundert an. Für Hilal | |
| die Zeit, in der unser heutiges Verständnis vom Menschen geprägt wurde – im | |
| Guten wie im Schlechten: Marx und Darwin, aber auch Kolonialismus und | |
| Rassendenken. „Alles ist ein Ergebnis unserer Bedingungen und unserer | |
| Umgebung“, sagt Hilal, „der Ökonomie, in der wir leben, der Erziehung, der | |
| Sozialisiation.“ Nach alldem müsse fragen, wer sich [5][ganz persönlich | |
| scheinende Fragen stelle.] | |
| 5 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lena Pinto | |
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