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# taz.de -- Vorauseilender Jahresrückblick: Es geht voran!
> VW übernimmt Bobby-Car und Cristiano Ronaldo wechselt zum FC St. Pauli:
> Die taz blickt darauf zurück, was 2023 in Norddeutschland gewesen sein
> wird.
Bild: Die Verkehrswende naht: Bobbycar-Geschwindigkeitsrekordfahrt im hessische…
##
## Januar
2. „Wir dürfen bei der neuen Deutschlandgeschwindigkeit nicht zu spät
kommen.“ So kündigt [1][Bahn-Chef Richard Lutz] eine „erhöhte Taktzahl“…
„Wir waren schon ziemlich allegro unterwegs, aber jetzt schalten wir um auf
presto.“ Deshalb werde der Testbetrieb der seit Mitte November gesperrten
Strecke Hannover–Berlin subito unterbrochen, um dann „am 4. April zur Feier
von Louis Spohrs Geburtstag wieder zur Verfügung zu stehen“. Außerdem
ziehe man die für 2025 geplante Ertüchtigung der Strecke Hamburg–Berlin und
die damit verbundene halbjährige Generalpause dort um fast drei Jahre vor.
Auf Nachfrage, warum man sich zeitlich an einem Braunschweiger Komponisten
orientiere, erklärt Lutz, das diene der Einstimmung auf den künftigen
Deutschlandtakt: „Unsere Zukunftsorientierung mahnt, die Vergangenheit zu
bewahren.“
6. Explosion in Wilhelmshaven: Beim Andockmanöver des ersten
Flüssiggastankers an das [2][schwimmende LNG-Terminal] kommt es „zu einer
lichtinduzierten radikalischen Kettenreaktion mit beim Reinigungsprozess
freigesetztem Chlorgas“, wie die spätere Analyse ergibt. Ein Feuerstoß
zerstört die gesamte Pipeline bis ans Festland. „So hatten wir uns das
nicht vorgestellt“, kommentiert Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Es sei aber kein Grund, in Schockstarre zu verfallen. „Ich kann ja schlecht
sagen: Okay, das ist schiefgegangen, das war’s, jetzt mache ich nicht mehr
weiter“, sagt Habeck der FAZ. In der Folge werden bundesweit alle
Neujahrsempfänge ausgesetzt. „Wie soll denn mein Sohn so jemals Hamburg
kennenlernen?“, klagt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) als
verhinderte Star-Gästin des [3][Blankeneser Neujahrsempfangs].
31. Der FC St. Pauli gibt um 23.59 Uhr die Verpflichtung von Cristiano
Ronaldo bekannt. Der [4][Vertrag des portugiesischen Starfußballers] mit
dem saudischen Klub al-Nassr Riad hatte sich zwei Tage nach Schließen des
örtlichen Transferfensters als ungültig erwiesen, weil mit einem im
Wahabiten-Reich verbotenen Vornamen unterzeichnet. Der Kiez-Klub hat ihm
deshalb Asyl gegeben. „Ich freue mich, künftig für São Paulo zu spielen“,
wird der 38-Jährige auf der Vereinswebsite zitiert.
## Februar
2. In der [5][neuen Landleben-Ausgabe] lobt Verkehrsminister Volker Wissing
(FDP) die Bauern, die im Januar mit ihrer Traktorsternfahrt zur Grünen
Woche sämtliche Autobahnen Richtung Hauptstadt unpassierbar gemacht hatten
– und seither auf dem Rückweg „ebenfalls auf friedliche Weise diese für
unser Land so wichtigen Straßen für terroristische Klimakleber unattraktiv
machen“.
8. Die beliebte Bremer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) eröffnet eine
Kinderwippe in der Vahr. „Spielen und Toben sind wichtig“, sagt sie und
strubbelt dem kleinen Mert durchs Haar.
16. „Wir wollten nicht länger warten“, räumt zerknirscht
Landes-Energiewende-Minister Tobias Goldschmidt (Grüne) ein, als in
Brunsbüttel beim Testbetrieb des schwimmenden LNG-Terminals die gesamte
Anlage in die Luft fliegt. Robert Habeck eilt zum Unglücksort. „So hatten
wir uns das nicht vorgestellt“, sagt er mit bekümmertem Blick. Die Antwort
auf derartige Rückschläge müsse lauten: „Mehr Terminals, mehr Resilienz,
mehr Deutschland und mehr Geschwindigkeit.“ Er sei sich mit Olaf Scholz
(SPD) einig, dass für jedes zerstörte LNG-Terminal sofort zwei neue
entstehen müssen. „Das ist dann der nächste Gang der neuen
Deutschlandgeschwindigkeit“, so der Bundeswirtschaftsminister. „Der
Deutschlandturbo.“
## März
2. Die Zeit berichtet, dass Hamburg zwar den Schlick der
Instandhaltungsbaggerungen [6][wie vereinbart vor Helgoland] verklappt,
aber inoffiziell bereits die zehnte Elbvertiefung begonnen habe. Der auf
der Fläche zwischen Brokdorf und Sankt Margarethen ausgebrachte Aushub
häufe sich zu einem beachtlichen Berg. Senatorin Melanie Leonhard (SPD)
bestreitet nichts. Keinesfalls habe man jedoch den nördlichen Nachbarn
einfach vor vollendete Tatsachen stellen wollen. Es sei halt notwendig
gewesen und „wir setzen das nun in Hamburggeschwindigkeit um“.
6. Von der Auffahrt Meppen-Nord bis zum Kreuz Schüttorf blockieren
Landwirte mit Traktoren die A 31. „Wohin jetzt mit dem Scheiß?“, steht in
roten Buchstaben auf ihren Jauchetanks. Wegen winterlicher Witterung dürfen
die Felder nicht gegüllt werden. Landesagrarministerin Miriam Staudte
(Grüne) spricht von einem „beeindruckenden Zeichen“. Man werde miteinander
reden, „ohne dass wir uns erpressen lassen“. Nach Solidaritätskundgebungen
und einer massiven Social-Media-Kampagne verfügt Staudte am 10. 3. eine
Dünge-Sondererlaubnis bei Minusgraden. Landvolk-Präsident Holger Hennies
lobt diese professionelle Haltung: „Mit so einer Ministerin arbeiten wir
gern zusammen.“
9. Herbeigerufene Polizeibeamt*innen treffen nachts erneut den
Hamburger Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi an der Außenalster
umherirrend an: Gefragt, was ihn denn so um den Schlaf bringe, soll der
Sozialdemokrat im Schlafrock irgendetwas von „Hut“ und „Filzweste“ geä…
haben. Die Frage steht im Raum: Sollte es der Geist von Fluxus-Künstler
Joseph Beuys sein, der den spitzzüngigen Hanseaten aus dem eigenen Haus
treibt – exakt 40 Jahre, nachdem der Hamburger Senat Beuys eingeladen
hatte, ein [7][„Gesamtkunstwerk“ im öffentlichen Raum] zu schaffen? Dass
daraus nichts wurde, lag schließlich am damaligen Bürgermeister: Beuys’
Idee, den wohl größten ökologischen Problemfall der Stadt zu entgiften, die
Spülfelder im plattgemachten Fischerdorf Altenwerder, sei von Dohnanyi
zufolge keine Kunst.
Am 13. gelingt der niedersächsischen Landespolizei ein Schlag gegen den
Klimaterror! 127 zumeist jugendliche Teilnehmer*innen eines als
Nachhilfe-Forum getarnten Onlineportals im Großraum Wolfsburg können dank
eines Haftbefehls festgenommen werden, „der aus unserer Sicht gültig
bleibt, auch wenn er von dem betreffenden Richter des OLG Celle im Eifer
des Gefechts mit deutschem Gruß unterzeichnet wurde“, gibt sichder LKA-Chef
zuversichtlich. Die Polizei hatte einem Verhafteten nachgewiesen, Bekannte
zu haben, die verwandt sind mit Angehörigen der Gruppe Letzte Generation.
Zudem waren bei Auswertung der Chatprotokolle eindeutige Äußerungen
festgestellt worden: „Ich habe total Angst, kleben zu bleiben.“ Das zeige:
„Hier wurde die Selbstfixierung an der Leitplanke der BAB-Auffahrt
Wolfsburg-West vorbereitet.“
14. Dass der Protest der Letzten Generation beinahe in Wolfsburg hätte
ankommen können, überschattet die Jahres-PK der Volkswagen AG:
Vorstands-Chef Oliver Blume widerspricht Darstellungen, die den Verzicht
auf die Fabrik für die E-Limousine Trinity auf aktivistischen Druck statt
auf konzerninterne Gründe zurückführen. Vor allem, seit Kultusministerin
Julia Willie Hamburg (Grüne) den Aufsichtsrat mit eiserner Hand regiere,
habe man den Weg zur Abkehr vom motorisierten Individualverkehr gefunden.
So widme sich das Werk in Emden künftig der Fahrradherstellung, in
Wolfsburg selbst solle der Einstieg in den Straßenbahnbau erprobt werden.
Vor allem aber wolle man die eigene Rutschautosparte massiv ausbauen,
„vielleicht sogar durch Übernahme des Marktführers Bobbycar“.
## April
4. Die Eröffnung der Strecke Hannover–Berlin wird verschoben „auf Brahms’
Geburtstag“, teilt die Deutsche Bahn mit. Johannes Brahms sei halt der
wichtigere Komponist, so Bahnchef Lutz.
14. Anja Stahmann lädt zur Einweihung einer Picknickbank am Sodenmattsee.
„Essen bringt alle zusammen“, so die sympathische Grünen-Politikerin.
19. In Lubmin explodiert das LNG-Terminal. Robert Habeck schickt eine
Videobotschaft: „Dieses Ereignis ist sehr, sehr traurig.“ Man sieht es ihm
an!
## Mai
7. Beim Besuch der Feier zum 190. Geburtstag von Johannes Brahms in Hamburg
verrät Bahnchef Lutz einem Reporter der neuen musik zeitung, dass es sich
bei der neuen Orientierung des Konzerns an Lebensdaten von Musikern „nicht
um eine bloße Laune“ handele, sondern „um eine ausdifferenzierte
Klangoffensive“. Man arbeite an einem ehrgeizigeren Melodiedesign. „Wir
nennen es intern den neuen Deutschland-Sound.“
18. Weil sich der Zustand der Hamburger Brücken verschlechtert hat, werden
50 mehr gesperrt als geplant. „Das heißt auch, über 90 Prozent bleiben
befahrbar“, beschwichtigt Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne).
21. Eine Woche nach der Bremer Wahl liegt ein Ergebnis vor: Mit 28 Prozent
wird die komplett zerstrittene AfD, deren Spitzenkandidat Eimar Scheiße vor
seiner Aufstellung unbekannt war und der auch im Wahlkampf keinen
öffentlichen Termin wahrgenommen hatte, stärkste Kraft. Nur knapp im
zweistelligen Bereich landen CDU, SPD und Grüne. Mit der MLPD (8,8
Prozent), die nicht alle ihre Mandate besetzen kann, Neuer Anarchistischer
Pogopartei (7,3 Prozent), Die Partei (6,7 Prozent) und Volt (5,01 Prozent)
sowie einem Bremerhavener FDP-Abgeordneten ziehen mehr politische Kräfte
denn je in die Bürgerschaft ein, obwohl Die Linke die Fünfprozenthürde
reißt. „Es scheint, als würde sie für ihre konstruktive Arbeit bestraft“,
versucht Wahlforscher Lothar Probst eine Einschätzung. „Auch die Werte der
Kaspertruppe AfD deuten darauf hin, dass hier der Unterhaltungswert
ausschlaggebend war: Wenn den Bremern Demokratie keinen Spaß mehr macht,
machen sie halt Späße mit der Demokratie.“
28. Beim HSV heißt es: Wieder kein Aufstieg! Man hat einfach kein Tor mehr
geschossen, seit Mäzen Klaus Michael Kühne sein Engagement intensiviert
hat. Nach einer furiosen Rückrunde landet dagegen der FC St. Pauli auf
Platz 2 – dank der 25 Treffer von Cristiano Ronaldo. Allerdings teilt
Präsident Oke Göttlich mit, man habe sich – Unschuldsvermutung hin oder
her – vom Edeljoker getrennt und entschieden, „seine Treffer aus
moralischen Gründen zurückzugeben“. Der Gang in die 3. Liga sei
„schmerzhaft, aber unvermeidlich“.
31. Bei Vorstellung ihres Jahresberichts blickt die Deutsche Flugsicherung
auch auf den rasanten Zuwachs im laufenden Jahr: Erstmals überhaupt
verzeichne man im ersten Quartal mehr als anderthalb Millionen
Instrumentenflüge. Der Boom betreffe vor allem norddeutsche
Inlandsstrecken, etwa zwischen Lübeck und Berlin oder Bremen und Osnabrück.
Die extremste Wachstumsrate ergebe sich bei Helikopterflügen.
## Juni
1. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erklärt, das 49-Euro-Ticket
nachjustiert zu haben. Fast alle Käufer hätten das Pflichtabo „gleich bei
Erwerb, sozusagen in Deutschlandgeschwindigkeit, gekündigt“. Deshalb werde
es ab 1. Juli „mit einer Art Eintrittsgeld“ versehen: Wer ein Abo erwirbt,
muss gleichzeitig ein iPhone 14 Plus DB SE zum Sonderpreis von 750 Euro
kaufen, auf dem allein sich das Ticket anzeigen lasse. „Damit sorgen wir
dafür, dass es nicht weiter zur Benachteiligung von Autofahrern kommt,
die ja auch ein Endgerät benötigen.“
2. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fliegt nach Katar, um den
wichtigsten VW-Anteilseigner zu beschwichtigen: Das Emirat droht wegen des
Konzernumbaus mit einer Klage. Baerbocks Versprechen, künftig bei Trams
auch auf dieselbetriebene Lokomotiven zu setzen, „als Brückentechnologie“,
beruhigt Scheich Chalid bin Chalifa bin Abdulasis al-Thani zwar zunächst.
Als Julia Willie Hamburg Baerbocks Vorschläge im Interview mit der taz nord
als „realitätsfern und nicht mit Niedersachsen abgestimmt“ bezeichnet,
lässt der Scheich Baerbock verhaften. Erst anlässlich des Nationalfeiertags
im Dezember wird sie begnadigt.
15. Auf Geheiß von Verkehrssenator Tjarks sperrt Hamburg alle Tunnel. „Die
waren einfach mal dran“, erläutert er.
17. Nachdem Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin für die Hessenwahl
feststeht, zieht es Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) gen
Berlin. Er muss jedoch auf halber Strecke umkehren: Ab der Talbrücke
Scheppau besetzen Landwirte die A 2 mit Traktoren, „um ein Zeichen gegen
Klimaterror zu setzen“. Pistorius lobt das Engagement der Bauern, die nach
zwei Tagen auch zufrieden die Demo auflösen, aber inzwischen hat Kanzler
Olaf Scholz bereits Heike Hofmann ins Kabinett berufen. In der Neuen
Osnabrücker widerspricht Pistorius der Annahme, er wäre gern im
Bundeskabinett gelandet: „Ich habe als niedersächsischer Innenminister eine
erfüllende Aufgabe.“
20. Bremens Sechs-Parteien-Koalition steht: Sie wird auch fortgeführt,
nachdem der Staatsgerichtshof die AfD-Liste insgesamt für ungültig und
nichtig erklärt hatte, was die Mehrheitsverhältnisse im Landtag grundlegend
verändert: Mit Eimar Scheiße habe die Partei zwar einen nach Maßgabe ihrer
Möglichkeiten überdurchschnittlich seriösen, wohlriechenden und inhaltlich
qualifizierten Bewerber auf Listenplatz eins nominiert, so die
Urteilsbegründung. Auch scheitere seine Wahl nicht bereits an der
konsequenten Fehlschreibung als Eimar Scheiße. Ausschlaggebend sei, dass
„bei ihm nicht zu ermitteln ist, ob es sich um tote Materie, ungeborenes
oder geborenes Leben handelt“: Da ein Alter und damit auch die
Volljährigkeit als Kriterium für die Erlangung des passiven Wahlrechts nur
vom Stichtag der Geburt her bestimmt werden könne, sei der gesamte
Vorschlag unheilbar korrumpiert und müsse entsorgt werden.
## Juli
15. Wie jedes Jahr verteilt die Bremer Sozialsenatorin gemeinsam mit der
PSD-Bank 250 Schulranzen an bedürftige Familien. „Die Bank hat die Armen im
Blick“, freut sich Anja Stahmann und reckt die sechsjährige Lea in die
Kamera.
27. Der Frachter „Panta Rhei“ ist bei der Einfahrt in den Hamburger Hafen
festgefahren: Das Schiff der Supersaimax-Klasse mit einem Tiefgang von
gerade einmal 5,41 wird vom BUND als „klarer Beweis fürs Scheitern der
Baggerpolitik“ gewertet. „Die Maßnahme hatte nicht den Erfolg, den wir uns
vorgestellt hatten“, räumt Senatorin Leonhard ein, als sie den gesamten
Hafenbetrieb bis auf Weiteres für gesperrt erklärt. Aber immerhin habe
Schleswig-Holstein profitiert. Stimmt: Der Schmodderberg ist mit 211 Metern
mittlerweile die höchste Erhebung des Landes und ein Touristenmagnet.
Ehrgeizige Alpinisten, darunter auch Altstar Reinhold Messner, scheitern an
der Erstbesteigung. „Es geht mir nie um die Geschwindigkeit oder die Höhe,
sondern darum, ob das Problem auch lösbar ist“, sinniert Messner in Geo.
„Dieses Problem scheint mir unlösbar.“
## August
14. Hamburg, nahezu nur noch mit Fluggerät passierbar, setzt Zeichen: Mit
einem symbolischen Knopfdruck schaltet Anjes Tjarks die letzte Bettelampel
ab. „Künftig haben hier Fußgänger Vorrang“, sagt er an der Sülldorfer
Landstraße. „So geht Verkehrswende.“
## September
13. Bremens Sozialsenatorin weiht (presseöffentlich) eine Computerecke für
Senioren in der Begegnungsstätte Haferkamp ein. „Das Internet wird grau!“,
prophezeit Anja Stahmann und streicht Karin F. (78) über den Rücken.
29. In der Hamburgischen Bürgerschaft zerlegt sich die Regierungskoalition
bezüglich der Frage, ob das Elbtower-Grundstück vom in Wien inhaftierten
Bauherrn René Benko zurückgekauft werden soll: Das sei „die feste Absicht
des Senats“, verkündet der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD),
woraufhin die aufgeschreckten Grünen-Senator*innen protestieren, das habe
ihnen bislang noch keiner mitgeteilt. Tschentscher: „Na, dann wissen Sie’s
halt jetzt!“ Protestierend verlassen Katharina Fegebank, Jens Kerstan und
Anjes Tjarks die Regierungsbank und Anna Gallina fällt vor Schreck das
Hummerbrötchen aus der Hand: „Das haben Sie absichtlich getan!“, fährt An…
P. Grote sie an, dessen Schoß jetzt voll Majonäse ist. Der Bruch ist nicht
mehr zu kitten, es werden Neuwahlen für das kommende Jahr angekündigt.
## Oktober
3. Zum Tag der Deutschen Einheit eröffnet Robert Habeck in Greetsiel
Deutschlands 20. LNG-Terminal. „Langsam gehen uns die Seehäfen aus“,
scherzt der Wirtschaftsminister. „Das ist ein guter Tag für Deutschland“,
sagt er in der Einweihungsrede, „zumal wir mit den fünf oder sechs
explodierten Teilen im ersten Halbjahr echt eine Pechsträhne hatten.“ Aber
Deutschland sei nicht nur schnell, sondern auch schnell lernfähig. „Und bei
aller berechtigten Kritik: Ich sehe das als wichtigen Schritt, der mich Mut
schöpfen lässt, dass wir die Energiewende wuppen können.“ Bewiesen habe man
nämlich, „dass wir aus einem beliebigen Energieträger, das war hier
russisches Pipelinegas, komplett raus können und schaffen, ihn in nicht mal
einem Jahr vollständig durch einen anderen zu ersetzen.“ Klar, Flüssiggas
das sei noch nicht das Ende vom Lied. „Aber ich muss euch sagen, ganz
ehrlich, das macht mir total Mut für die Erneuerbaren.“
4. „Wir sind froh über die Bilder, um etwas gegen diese quälerische
Massentierhaltung unternehmen zu können“, teilt Andrea Zaldivar Maestro,
Sprecherin der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte,
der Bild mit: Geheime Videoaufnahmen aus einem Großstall in Ostfriesland
hatten miststarrende Kühe mit großteils hochgradig entzündeten Eutern
gezeigt. „Irre: Regierungssprecherin kämpft Seit an Seit mit
Stalleinbrechern!“, startet die Bild-Kampagne. Die wird zur Belastungsprobe
für die Landesregierung, als sich herausstellt, dass der beschuldigte
Landwirt Patenkind des ehemaligen SPD-Agrarministers Karl-Heinz Funke ist.
Innenminister Pistorius (SPD) stellt klar, dass „in unseren Ministerien
kein Platz sein darf für Terror-Helferinnen.“ Staudte entschärft den
Konflikt: Zaldivar Maestro übernimmt eine innendienstliche Aufgabe ohne
Sprechbefugnis im Referat 407 (Moorverwaltung).
22. Zum Jubiläum des westfälischen Friedens macht die niedersächsische
Landesregierung auf Anregung von Julia Willie Hamburg einen Bobbycar-Korso
durch Osnabrück. „Wir zeigen damit unsere wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit“, sagt Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).
## November
9. Der Erlass von Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), nach dem
Schwarze Kinder grundsätzlich Waisen sind, wird vom Flüchtlingsrat als
„zutiefst rassistisch“ gerügt. „Unsinn“, weist Mäurer solche
Unterstellungen von sich. „Wenn ich gegen Schwarzarbeit vorgehe, ist das ja
auch nicht rassistisch.“ Er habe einfach handeln müssen, sagt er dem
Weser-Kurier. „Diese Drogendealer, die Mütter, die behaupten, die deutschen
Männer, die sich als Väter ausgeben, seien die Väter der Kinder und müssten
in die Geburtsurkunde eingetragen werden, und dieses Geknatsche, weil wir
den Kindern die Geburtsurkunde verweigern – das schadet dem Ansehen unserer
Stadt.“ Im Kommentar lobt ihn Weser-Kurier-Redakteur Ralf Michel: Nicht
alle müssten Mäurers Linie teilen. Aber keiner könne leugnen, dass er eine
klare Linie hat. „Das mit Rassismus zu verwechseln, ist unterste Schublade,
Cancel-Kultur.“
## Dezember
6. Ein geplanter Hubschrauberlandeplatz bringt die Bremer Multi-Koalition
an den Rand des Scheiterns: Die SPD weigert sich, höhere
Landelizenzgebühren einzuführen, doch die Anarchistische Pogopartei mahnt
zur Haushaltsdisziplin: „Der Bremen-Fonds 3.0 darf kein Fass ohne Boden
sein.“ Von einem Tag auf den anderen wirft daraufhin SPD-Bürgermeister
Andreas Bovenschulte hin: „Ich hab jetzt endlich Zeit für Rockmusik“,
verrät er Radio Bremen TV. Zum Glück einigt sich die Koalition auf eine
Nachfolge: „Aufgrund ihrer vielfältigen Verdienste“ wird die
Sozialsenatorin Anja Stahmann zur Bürgermeisterin gewählt, denn sie ist
beliebt.
31. Gegen den Trend hat Sylt auf Betreiben gut zahlender Gäste das
Böllerverbot aufgehoben: Zum „großen Knall von Kampen“ geladen hat ein
blonder, extrem lässiger, 1,86 Meter großer Podcaster, von seinen
Followern respektvoll „Der Finanzminister“ genannt, der bei der Party auch
selbst auflegt: „Bis Mitternacht warten ist nicht Syltgeschwindigkeit“,
shoutet er um 22.30 Uhr in die koksgeschwängerte Luft. „My God, ich habe
hier geheiratet, jetzt kann ich es hier auch krachen lassen!“ Ein Gedanke,
den viele mit ihm teilen: Schon hat sich die Insel in einen pfeifenden,
funkensprühenden und glitzernden Planeten aus Flammen und Rauch verwandelt,
der völlig außer Kontrolle gerät. Privatjets und Hubschrauber verlassen die
glühende Insel. Um 23.59 Uhr steht nur noch Jörg Otto, der letzte Punk des
Sommers 2022, vor den rauchenden Trümmern seiner geliebten Wahlheimat, die
er versucht hat zu retten. Aber vergebens: Kampen, das ist eine schlimme
Geschichte mit einem traurigen Ende. Genau wie das Jahr 2023.
31 Dec 2022
## LINKS
[1] /Deutsche-Bahn-ohne-Klimakurs/!5841281
[2] /LNG-Terminal-geht-in-Betrieb/!5900874
[3] /!397742
[4] /Saudi-Arabien-und-seine-Sportstrategie/!5895579
[5] http://www.landleben-magazin.de/start/
[6] /!5900824
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Gesamtkunstwerk_Freie_und_Hansestadt_Hamburg
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Alina Götz
Jan Kahlcke
Gernot Knödler
Lotta Drügemöller
André Zuschlag
Alexander Diehl
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