# taz.de -- Neues Lieferkettengesetz: Jetzt wird es ernst | |
> Ab Januar 2023 gelten neue Vorschriften, viele Firmen müssen sich | |
> umstellen. Eine Befragung von Schuh- und Lederhändlern zeigt erhebliche | |
> Defizite. | |
Bild: Heikler Rohstoff: Produktion von Leder in Bangladesch | |
BERLIN taz | Leder ist eines der problematischen Produkte der | |
Globalisierung. Beim Reinigen und Gerben der Tierhäute waten | |
Arbeiter:innen in giftiger Brühe – in Bangladesch, Indien, Vietnam | |
und weiteren Ländern. Die Entwicklungsorganisationen [1][Inkota] und | |
[2][Südwind] haben nun zehn große Schuh- und Lederhändler befragt, unter | |
welchen Bedingungen die Beschäftigten ihrer Zulieferfirmen die Arbeit | |
errichten. Fünf von zehn Firmen äußerten sich erst gar nicht dazu, erklärte | |
Inkota. | |
Aussagekräftig ist diese Untersuchung dennoch – auch deshalb, weil ab | |
Januar 2023 das Lieferkettengesetz wirksam wird. Dann müssen alle hiesigen | |
Unternehmen ab 3.000 Arbeitnehmer:innen nachweisen, wie sie sich um | |
die [3][sozialen und ökologischen Menschenrechte bei ihren Lieferanten in | |
aller Welt] kümmern. Für viele kleinere Firmen sind diese Regeln ebenfalls | |
relevant, weil sie gegenüber ihren großen Kunden rechenschaftspflichtig | |
werden. | |
Als schützenswerte Rechte nennt das Gesetz unter anderem | |
Gewerkschaftsfreiheit, angemessenen Lohn, Schutz vor Diskriminierung, | |
sauberes Trinkwasser, Arbeitssicherheit, außerdem das Verbot von | |
Kinderarbeit und gesundheitsschädlichen Tätigkeiten. Was tun die | |
Unternehmen nun, um diese Verpflichtungen umzusetzen? | |
Eine gute Frage: Nur wenige Firmen haben Interesse, öffentlich darauf zu | |
antworten. „Manche Unternehmen stellen erst jetzt fest, dass sich die | |
Geschäftsführungen ernsthaft mit der Menschenrechtsfrage beschäftigen | |
sollten“, sagte Markus Löning. Der frühere Beauftragte für Menschenrechte | |
unter FDP-Außenminister Guido Westerwelle betreibt eine Beratungsfirma für | |
Unternehmensverantwortung. | |
## Theorie und Praxis | |
Die Untersuchung von Inkota gibt nun einige Hinweise auf diese Probleme. | |
Das geht schon mit einem vergleichsweise einfachen Punkt des | |
Lieferkettengesetzes los. Laut Paragraf 6 muss jedes Unternehmen „eine | |
Grundsatzerklärung über seine Menschenrechtsstrategie abgeben“. Darin soll | |
es die menschenrechtlichen Risiken in seinem Einflussbereich analysieren | |
und Maßnahmen zur Vorbeugung beschreiben. Von den zehn befragten Schuh- und | |
Lederhändlern haben jedoch nur zwei, Otto und Zalando, eine „öffentliche | |
Erklärung zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht“, heißt es in der | |
Untersuchung. | |
Im Hinblick auf das Gesetz sagte Löning: „Es ist wesentlich, dass diese | |
Erklärung öffentlich ist.“ Hier liegt die Vermutung nahe, dass sich die | |
Unternehmen bisher zu wenig um das Thema gekümmert haben. Jetzt – fünf | |
Monate vor dem Termin – müssen sie etwas tun, sind aber offenbar noch nicht | |
sprechfähig. | |
Man arbeite an der Grundsatzerklärung und auch der Risikoanalyse, erklärte | |
Andreas Burmeister, beim Schuhhändler Wortmann zuständig für | |
Nachhaltigkeit. Die Firma aus Detmold beteiligte sich nicht an der | |
Inkota-Befragung. „Unsere Aktivitäten entsprechen den Anforderungen des | |
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“, betonte Burmeister. So wirke man | |
aktiv an mehreren Initiativen von Wirtschaftsverbänden mit, um die sozialen | |
Bedingungen in den Fabriken zu verbessern. | |
Bei der Grundsatzerklärung handelt es sich vornehmlich um Theorie. Wie aber | |
sieht es auf der praktischen Ebene aus? Da gibt es Lichtblicke. Otto, | |
Zalando, Legero und About You erklärten gegenüber Inkota, dass ihre | |
Lieferanten bestimmte gefährliche Chemikalien wie beispielsweise Chrom | |
nicht in der Lederherstellung verwenden sollen. Um das zu kontrollieren, | |
schicken die hiesigen Firmen teilweise Prüfer in die Zulieferfabriken und | |
lassen sich Zertifikate vorweisen. An solchen Punkten werden manche | |
Unternehmen die Bestimmungen des Gesetzes wohl einhalten. | |
Schwieriger scheint die Lage dagegen bei der Gewerkschaftsfreiheit zu sein. | |
Das Lieferkettengesetz regelt, dass auch Beschäftigte in Asien, Afrika und | |
Lateinamerika unabhängigen Gewerkschaften beitreten, für bessere | |
Arbeitsbedingungen und Löhne kämpfen dürfen. Dieses Recht müssen die | |
hiesigen Händler ebenfalls gewährleisten. | |
Nach Auswertung der Antworten kam Inkota zu dem Ergebnis, dass etwa Otto | |
und Zalando ihre Lieferanten zwar verpflichten, die Koalitionsfreiheit zu | |
tolerieren. „Ob oder wie sie das kontrollieren, weiß man aber nicht“, | |
sagte Inkota-Experte Bernd Hinzmann. Die befragten Unternehmen hätten | |
offenbar auch „keinen Überblick darüber, ob es bei unmittelbaren | |
Zulieferern, Gerbereien und Subunternehmen“ wirklich „frei gewählte | |
Gewerkschaften, Betriebsräte, Interessenvertretungen oder gültige | |
Tarifverträge gibt“. | |
## Herausfordernd für kleine Unternehmen | |
Otto-Sprecherin Anne Remy sagte dazu, man lasse immer wieder überprüfen, | |
wie die Lieferanten die Vorgaben einhalten. „Ein wichtiger Bestandteil ist, | |
dass die Auditoren dabei in den persönlichen Austausch mit den | |
Arbeiter:innen vor Ort gehen.“ | |
Sollten die von Inkota beklagten Defizite jetzt wirklich bestehen, so | |
dürfte es schwierig bis unmöglich sein, sie bis Januar 2023 auszubügeln. | |
Allerdings war die alte Regierungskoalition aus Union und SPD ziemlich | |
kulant bei der Formulierung des Lieferkettengesetzes. Grundsätzlich geht es | |
darum, dass die hiesigen Firmen sich um die Menschenrechte bemühen müssen. | |
Ob die Zulieferfirmen sie tatsächlich umsetzen, steht auf einem anderen | |
Blatt. Wenn beispielsweise China und Vietnam selbstständige Gewerkschaften | |
verbieten, sind die hiesigen Unternehmen dafür nicht verantwortlich, dürfen | |
dort aber wohl weiter produzieren lassen. | |
Zu den wenigen Firmen, die sich zu ihren Vorbereitungen auf das | |
Lieferkettengesetz äußern, gehört Seidensticker, Hemdenverkäufer aus | |
Bielefeld. „In unseren beiden Fabriken in Vietnam wurden | |
Mitarbeiter-Vertretungen gewählt, die die Interessen der Beschäftigten an | |
die Firma herantragen“, erklärte Seidensticker-Sprecher Nico Kemmler. So | |
könne man trotz des dortigen Gewerkschaftsverbots die Partizipation des | |
Personals sicherstellen – ein Kompromiss, der dem hiesigen Gesetz Genüge | |
tun dürfte. | |
Potenziell heikel ist für deutsche Textilhändler die Lieferbeziehung nach | |
China. [4][Peking unterdrückt die Bevölkerung der Provinz Xinjiang], wo | |
riesige Mengen Baumwolle für den Weltmarkt wachsen. „Wir lassen momentan | |
die Herkunft der Baumwolle in unseren Produkten durch Labore untersuchen“, | |
sagte Kemmler, „Material aus Xinjiang akzeptieren wir nicht.“ | |
Für viele, gerade kleinere oder mittelständische Unternehmen, ist das | |
[5][Lieferkettengesetz eine Herausforderung]. Schließlich geht es oft nicht | |
nur ein paar Fabriken im Ausland, sondern Dutzende oder Hunderte | |
Auftragnehmer. Denn die wichtigsten Zulieferer haben selbst wieder | |
Subunternehmer, die ihnen die Vorprodukte fertigen. Lieferketten mit zehn | |
Stufen sind keine Seltenheit. Und für alle davon sind die hiesigen Firmen | |
mitverantwortlich, wenn auch nicht in der gleichen Verbindlichkeit wie für | |
ihre Hauptlieferanten. „Hilfreich ist die Priorisierung“, sagte | |
Unternehmensberater Löning. „Zunächst sollten sich die Unternehmen um die | |
höchsten Risiken und ihre wichtigsten Lieferanten kümmern und sich fragen, | |
wo muss ich am dringendsten etwas tun, und wo habe ich den meisten | |
Einfluss?“ | |
19 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.inkota.de/ | |
[2] https://www.suedwind.at | |
[3] /Kleidung-und-ihre-Produktionsbedingungen/!5859244 | |
[4] /Menschenrechtsverletzungen-in-China/!5857081 | |
[5] /Europaeisches-Lieferkettengesetz/!5831763 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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