| # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Moderne Zwangsarbeit in Taiwan | |
| > Angeworbene Arbeitskräfte sind in Taiwan wegen Vermittlungsgebühren | |
| > verschuldet. Deutsche Konzerne wie Bosch stehlen sich aus der | |
| > Verantwortung. | |
| Bild: Protest der Taiwan Federation of Migrant Workers, Taipeh, Januar 2022 | |
| Viele der 150.000 vietnamesischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die jedes | |
| Jahr einen Job im Ausland suchen, haben eine ständige Reisegefährtin namens | |
| Schuldknechtschaft. In Taiwan schuften Zehntausende für Firmen, die | |
| Elektrogeräte, Plastikartikel, Maschinen, Textilien, Chemiefasern und | |
| Nahrungsmittel für den Weltmarkt produzieren. | |
| Einige dieser Betriebe sind Zulieferer deutscher Konzerne wie Continental, | |
| Bosch oder Hella1, und damit für die wichtigste deutsche | |
| Wirtschaftsbranche, die Autoindustrie. | |
| Die von diesen Firmen angeworbenen Arbeitskräfte sind bereits bei ihrer | |
| Ankunft in Taiwan hoch verschuldet. Üblicherweise haben sie das Drei- bis | |
| Vierfache eines vietnamesischen Jahreslohns an die Anwerber in ihrer Heimat | |
| bezahlt, die ihnen den Job vermittelt haben. Solange sie ihre Schulden | |
| nicht abbezahlt haben, können sie es sich nicht leisten, ihre Beschäftigung | |
| wieder zu verlieren, und so sind sie ihren Arbeitgebern über viele Monate | |
| schutzlos ausgeliefert. | |
| Um diese Art der Schuldknechtschaft zu unterbinden, schreiben | |
| fortschrittlichere Unternehmen ihren Zulieferern vor, dass sie ihren | |
| Arbeitskräften kein Geld für die Jobvermittlung abnehmen dürfen. Das tun | |
| zum Beispiel Continental und Bosch, während Hella solche Zahlungen zulässt, | |
| sofern diese nicht auf Schuldknechtschaft hinauslaufen. | |
| ## 6.500 Dollar für den Anwerber | |
| Tuan und Ngoc2 arbeiten bei taiwanischen Firmen, die auch deutsche | |
| Unternehmen beliefern. Tuan erzählt, wie er 2019 an seinen Job kam: „Ich | |
| habe vietnamesischen Anwerbern 6.500 Dollar bezahlt. Das Geld habe ich mir | |
| geborgt.“ Er ist einer von rund 500 migrantischen Beschäftigten, davon | |
| viele aus Vietnam, bei der Shinkong Synthetic Fibre Corporation (SSFC), die | |
| in der Nähe von Taipeh unter anderem Polyester für Continental produziert. | |
| Ein weiterer Großkunde ist der niederländische Konzern Dutch State Mines | |
| (DSM), der sich zu einem Chemieunternehmen entwickelt hat. | |
| Der taiwanische Mindestlohn ist für Migrantinnen und Migranten aus Ländern | |
| wie Vietnam ein Traum. Tuan wollte von Anfang an einen Teil seines | |
| Einkommens nach Hause überweisen, aber seine Familie musste fast zwei Jahre | |
| auf das erste Geld warten. Zunächst musste er den Kredit von 7.300 Euro | |
| abstottern, den er für die 6.150 Euro Vermittlungsgebühr und andere Kosten | |
| aufgenommen hatte. Beim monatlichen vietnamesischen Mindestlohn von 123 bis | |
| 160 Euro muss man für eine solche Summe drei bis vier Jahre arbeiten. | |
| „Anfangs war ich von der Arbeit total erschöpft und fühlte mich völlig | |
| allein, trotz der vielen Landsleute in meiner Unterkunft“, erzählt Tuan. | |
| Unter ähnlichen Bedingungen arbeiten auch vietnamesische Frauen wie Ngoc | |
| bei Chin Poon Industrial. Das Unternehmen produziert Leiterplatten für | |
| Continental, Bosch und Hella. „Wir haben uns das Geld für den Vermittler | |
| geliehen“, sagt Ngoc, „ich habe eineinhalb Jahre gebraucht, um den Kredit | |
| abzuzahlen.“ | |
| ## Blanko unterschriebene Vertragsseiten | |
| Außer den 4.000 bis 6.150 Euro, die an die vietnamesischen Jobvermittler | |
| gingen, mussten Ngoc und ihre Kolleginnen noch eine Kaution von knapp 1.000 | |
| Euro zahlen, die sie nicht zurückbekommen, wenn sie ihren Job vor | |
| Vertragsende aufgeben.Alle, mit denen wir sprachen, haben für ihre | |
| Dreijahresverträge exorbitante Summen auf den Tisch gelegt, und zwar im | |
| Voraus. Alle mussten sich Geld leihen. Manche haben außer ihrem Vertrag | |
| auch leere Seiten blanko unterschrieben, ohne dass sie nach den Gründen zu | |
| fragen wagten. | |
| Einige von Tuans Kollegen haben für ihre Kredite eine Hypothek auf den | |
| Grundbesitz ihrer Familie aufgenommen. Manche, die ihren Vertrag verlängern | |
| wollten, mussten ihren Vermittler ein zweites Mal bezahlen, und dafür | |
| mussten sie noch eigens nach Vietnam zurückkehren. | |
| Sowohl SSFC als auch Chin Poon Industrial behalten zudem noch rund 10 | |
| Prozent des Monatslohns für Unterbringung und Verpflegung ein; weitere 6 | |
| bis 7 Prozent gehen an einheimische Arbeitsvermittler, was in Taiwan legal | |
| ist. Für diese „Honorare“ gibt es keine Quittungen, sie werden direkt von | |
| den Bankkonten abgebucht. | |
| ## Priester kämpft für Arbeiter aus Vietnam | |
| „Das System der Arbeitsvermittlung in Taiwan verlängert das Leiden der | |
| Arbeitsmigranten“, schimpft der katholische Priester Peter Nguyen van Hung, | |
| ein aufrechter Kämpfer für die Rechte der vietnamesischen Beschäftigten. | |
| „Ich finde das sehr ungerecht. Die Migrantinnen und Migranten sollten | |
| nicht auf Vermittler angewiesen sein, sie sollten ihren Arbeitgeber | |
| wechseln können und insgesamt auf dem Arbeitsmarkt genauso behandelt werden | |
| wie Einheimische.“ | |
| Dass Arbeitsplätze in Taiwan käuflich sind, ist bei der Internationalen | |
| Arbeitsorganisation der UN, der ILO, wohl bekannt. Seit in den frühen | |
| 2000er Jahren erstmals vietnamesische Arbeitskräfte auf Taiwans | |
| Arbeitsmarkt drängten, ist es Usus, dass sie für einen Job eine Menge Geld | |
| hinlegen müssen. | |
| Insgesamt arbeiten in Taiwan etwa 700.000 Migrantinnen und Migranten. Sie | |
| machen bei einer Bevölkerung von 23 Millionen nur eine kleine Minderheit | |
| aus, aber bei den sogenannten 3D-Jobs (dirty, dangerous, difficult) sind | |
| sie unentbehrlich. Nach Zahlen des taiwanischen Arbeitsministeriums für | |
| 2021 kommen je 35 Prozent von ihnen aus Vietnam und Indonesien, 21 Prozent | |
| aus den Philippinen und 8 Prozent aus Thailand. | |
| ## Ausgangssperren für ausländische Beschäftigte | |
| „Wenn sich migrantische Arbeitskräfte in Taiwan nicht verschulden müssten, | |
| um einen Arbeitsplatz zu bekommen, wären sie natürlich weniger | |
| Zwangssituationen ausgeliefert. Es ist wichtig, dem vielfachen Risiko von | |
| Wanderarbeitern, in Schuldknechtschaft oder Arbeitszwang zu geraten, | |
| Aufmerksamkeit zu schenken. Alle Aspekte ihrer Arbeitssituation müssen | |
| bewertet werden“, sagt der UN-Sonderberichterstatter für zeitgenössische | |
| Formen der Sklaverei, Tomoya Obokata. | |
| Obwohl in Taiwan die Coronapandemie besser bewältigt wurde als in den | |
| meisten anderen Ländern und nie ein strenger Lockdown angeordnet werden | |
| musste, haben viele taiwanische Unternehmen ihre ausländischen | |
| Beschäftigten – im Gegensatz zu den taiwanischen – mit einer Ausgangssperre | |
| belegt. „Wir fühlen uns wie im Käfig“, erzählte uns ein vietnamesischer | |
| Arbeiter bei SSFC im Mai 2022. „Zwei Monate durften wir hier überhaupt | |
| nicht weg. Auch Mitte 2021 hat man uns monatelang nicht rausgelassen.“ | |
| Bei Chin Poon Industrial durften Ngoc und ihre Kolleginnen in der | |
| kritischen Covidphase des Jahres 2021 sich nur für eine streng begrenzte | |
| Zeit vom Werksgelände entfernen. Bis heute gilt für sie eine nächtliche | |
| Ausgangssperre; wenn sie die verletzen, werden sie bestraft – durch Abzüge | |
| nicht am Lohn, sondern an den Bonuszahlungen. | |
| ## Strafen für Lärm, Rauchen und Trinken | |
| Bei SSFC berichteten Arbeiter im Detail über die Bußgeldtarife, die für | |
| „Fehler“ bei der Fließbandarbeit oder für Verstöße gegen die Wohnheimre… | |
| gelten. Die Aufseher in den firmeneigenen Heimen können Strafen für zu | |
| langes Aufbleiben, zu viel Lärm, Rauchen, Trinken und andere „Vergehen“ | |
| verhängen. Bei Prügeleien droht sogar die Abschiebung. | |
| Beschäftigte beider Unternehmen sagen, dass es praktisch keine Chance gibt, | |
| Beschwerden auch nur vorzubringen. „Damit riskieren wir nur, dass man uns | |
| keine Überstunden gibt oder unsere Arbeitsverträge nicht verlängert“, | |
| erzählt Tuan. Überstunden sind so begehrt, dass die meisten es sich auf | |
| keinen Fall mit den Aufsehern oder dem Management verderben wollen. | |
| Handelt es sich bei solchen Arbeitsverhältnissen um „Zwangsarbeit“ nach den | |
| ILO-Kriterien? Nein, behauptet man bei SSFC: „In der langen Geschichte | |
| unseres Unternehmens hat es sogenannte Zwangsarbeit nie gegeben und es wird | |
| sie auch künftig nicht geben.“ Man zeigte uns sogar ein Zertifikat über die | |
| vorbildliche Versorgung der Arbeitskräfte, das von lokalen Behörden | |
| ausgestellt wurde. | |
| Alles entspreche den gesetzlichen Bestimmungen, betont man bei SSFC wie bei | |
| Chin Poon. Dass die Migrantinnen und Migranten Gebühren an ihre | |
| vietnamesischen Anwerber und auch an taiwanische Arbeitsvermittler zahlen, | |
| wird nicht bestritten. Aber SSFC erklärt, man werde die | |
| Vermittlungsagenturen für ihre Geschäftspraktiken voll zur Verantwortung | |
| ziehen: „Und wir werden den ausländischen Beschäftigten auch helfen, zu | |
| Unrecht geforderte Zahlungen zurückzuerlangen.“ Bei Chin Poon Industrial | |
| hieß es nur, die Anwerbungskosten seien nicht so hoch wie häufig behauptet. | |
| ## Westen hat lange profitiert | |
| Unternehmen wie Verbraucherinnen und Verbraucher im Westen haben von den | |
| taiwanischen Verhältnissen lange profitiert, obwohl NGOs immer wieder das | |
| Schicksal der dortigen ausländischen Arbeitskräfte thematisiert haben. Auch | |
| mehrere Regierungen – wie die der USA – haben wiederholt moniert, dass | |
| Arbeitsmigranten „die Schuldknechtschaft drohe“. | |
| Ein wesentlicher Kritikpunkt ist dabei, dass in Taiwan der politische Wille | |
| fehlt, die Ursachen der massiven Ausbeutung durch das Anwerbesystem | |
| anzugehen. Neue Bestimmungen des Arbeitsministeriums von 2021 erschweren | |
| sogar migrantischen Beschäftigten den Wechsel des Arbeitsplatzes. | |
| Neuerdings drängen die Multis allerdings selbst auf Wandel. In ihrem | |
| Verhaltenskodex für Zulieferer untersagen Continental, Bosch, Hella und DSM | |
| den Einsatz von Zwangsarbeit. Einige Unternehmen verpflichten ihre | |
| Lieferfirmen überdies auf ethische – mithin gebührenfreie – Anwerbung, was | |
| bedeutet, dass die Arbeitgeber selbst für die Kosten aufkommen müssten. | |
| Aber die proklamierte Unternehmenspolitik wird keineswegs immer in die | |
| Praxis umgesetzt. Das gilt auch für Continental, Bosch und DSM. Obwohl | |
| deren taiwanische Zulieferer bestätigen, dass ausländische wie | |
| taiwanesische Vermittler für die Jobvermittlung abkassieren, wollen die | |
| europäischen Konzerne von nichts gewusst haben. Dabei sind sie schon acht | |
| bis zehn Jahre mit ihren taiwanischen Partnern im Geschäft. Sie lassen die | |
| Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern zwar regelmäßig überprüfen, geben | |
| aber keine Auskunft, für welche taiwanischen Firmen das gilt. | |
| ## Kontrollbesuche werden vorab angekündigt | |
| Internationale Medien, NGOs sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler | |
| haben unzählige Fälle schwerer arbeitsrechtlicher Verstöße bei Zulieferern | |
| aufgedeckt, die bereits geprüft oder entlastet waren – allerdings durch von | |
| den Unternehmen selbst bezahlte Zertifizierungsfirmen. Nach Aussage | |
| taiwanischer Insider, die anonym bleiben wollen, werden die | |
| Arbeitsmigrantinnen und -migranten häufig instruiert, was sie den Auditoren | |
| erzählen sollen; deren Besuche werden der Unternehmensleitung nämlich vorab | |
| angekündigt. | |
| Bei Continental, Hella und DSM sagte man uns, man werde die Zulieferer in | |
| Taiwan darauf ansprechen und nötigenfalls weitere Schritte unternehmen. Das | |
| könnte sogar die „Beendigung der Geschäftsbeziehungen“ bedeuten, hießt es | |
| bei Continental. | |
| Bei Bosch hingegen sah das Management kein Problem, als es erfuhr, dass | |
| Vietnamesinnen und Vietnamesen berichtet hatten, wie sie sich ihren Job | |
| erkaufen mussten. Das Unternehmen unterstreicht zwar das Prinzip, dass | |
| „kein Kandidat beim Prozess der Anwerbung benachteiligt wird oder dafür | |
| bezahlen muss“. Aber man beteuert auch: Nachdem man die Zulieferer um | |
| Aufklärung gebeten habe, „liegen unserer Einkaufsabteilung derzeit keine | |
| Kenntnisse über Abweichungen von unseren Verhaltensanforderungen vor“. Zur | |
| Kluft zwischen ihren erklärten Prinzipien und der Praxis wollten sich die | |
| Bosch-Vertreter nicht äußern. | |
| Der niederländische Multi DSM, der für „nachhaltiges“ Produzieren bekannt | |
| ist, teilte mit, er werde mit SSFC zusammenarbeiten, um sicherzustellen, | |
| dass der taiwanische Zulieferer den Verhaltenskodex auch einhält. Man habe, | |
| so DSM, „mit SSFC sehr deutlich über das Verhalten gesprochen, das wir in | |
| der gesamten Wertschöpfungskette erwarten. Dazu gehört auch die Beachtung | |
| unserer Anforderungen in Bezug auf die Menschenrechte.“ | |
| ## Es fehlt an Beschwerdestellen | |
| So weit die Theorie. Was in der Praxis schiefläuft, erklärt Archana | |
| Kotecha, Gründerin und Leiterin des Remedy Project, einer NGO, die weltweit | |
| gegen Sklavenhandel und Zwangsarbeit kämpft. „Selbst dort, wo Gesetze und | |
| Ethikrichtlinien für die Anwerbung existieren, fehlen häufig die | |
| notwendigen Aufsichts- und Durchsetzungsinstrumente.“ Vor allem fehle es an | |
| Beschwerdestellen, bei denen die angeworbenen Arbeitskräfte ihre Klagen | |
| vorbringen können. | |
| Insgesamt gibt es dennoch eine steigende Tendenz zur Anwerbung ohne | |
| Gebühren. Hunderte Unternehmen – aus den Golfstaaten wie aus Ostasien – | |
| [1][haben mehrere Hundert Millionen Dollar an über Hunderttausend | |
| Arbeitsmigrantinnen und -migranten zurückgezahlt], die sie in Bangladesch, | |
| Nepal, Indien, Myanmar, Indonesien und Vietnam angeworben hatten. | |
| Unternehmen wie Continental, Bosch, Hella und DSM dürften sich solche | |
| Zahlungen ebenfalls leisten können, haben sie doch 2021 bis zu 2,5 | |
| Milliarden Euro Gewinn gemacht. Doch die Multis finanzieren | |
| Rückerstattungen nur selten; meist reichen sie die entsprechenden Kosten an | |
| ihre Zulieferer weiter. | |
| Der Apple-Konzern, der als einer der Ersten auf die Risiken der | |
| Schuldknechtschaft in Taiwan reagiert hat, brachte seine Zulieferfirmen | |
| dazu, den 37.322 Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die seit 2008 dort | |
| beschäftigt sind, insgesamt 31,5 Millionen Euro zurückzuzahlen. Und Adidas, | |
| das Taiwan als Hochrisikoland für solche Arbeitskräfte betrachtet, | |
| kooperiert mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der UN | |
| mit dem Ziel, in seiner gesamten asiatischen Zuliefererkette [2][das | |
| Prinzip der gebührenfreien Anwerbung durchzusetzen]. | |
| ## Deutsche Firmen konnten bisher kaum belangt werden | |
| In Vietnam trat im Januar ein neues Gesetz in Kraft, das eine Obergrenze | |
| für Vermittlungsgebühren vorsieht. Dennoch mussten Arbeitskräfte, die | |
| dieses Jahr von SSFC angeworben wurden, so hohe Summen zahlen wie eh und | |
| je. | |
| Deutsche Unternehmen konnten bisher für die Praktiken ihrer Zulieferfirmen | |
| – selbst bei Zwangsarbeit – juristisch kaum belangt werden und waren nicht | |
| einmal gesetzlich verpflichtet, über diese Zulieferer Auskunft zu geben. | |
| Das ändert sich aber mit dem im Juni 2021 von Bundestag und Bundesrat | |
| verabschiedeten Lieferkettengesetz. Nach diesem Gesetz, das ab 2023 für | |
| alle Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten (und ab 2024 auch für solche | |
| ab 1.000 Beschäftigten) gilt, haften die deutschen Auftraggeber für alle | |
| arbeitsrechtlichen Missstände bei ausländischen Zulieferern, also für | |
| Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und Diskriminierung. | |
| Deutsche NGOs monieren jedoch zum einen, dass sich das Lieferkettengesetz | |
| vornehmlich auf direkte Zulieferfirmen bezieht und nicht die gesamte | |
| Lieferkette erfasst; und zum anderen, dass es keine zivilrechtliche Haftung | |
| vorsieht. Das kritisiert auch Anna Cavazzini von der Fraktion der Grünen im | |
| EU-Parlament. Die Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und | |
| Verbraucherschutz sieht im deutschen Gesetz bedenkliche Schlupflöcher: | |
| „Eine effektive Due-Diligence-Prüfung muss sich auf die gesamte | |
| Wertschöpfungskette erstrecken und alle Firmen unabhängig von ihrer Größe | |
| umfassen; zudem muss eine eindeutige Haftungsklausel dafür sorgen, dass | |
| sich die Opfer juristisch besser wehren können.“ | |
| Das deutsche Gesetz hat einen weiteren Schwachpunkt: Es verpflichtet die | |
| Unternehmen nicht, ihre Zulieferer zu benennen, was in der Praxis bedeutet, | |
| dass man im Dunkeln tappt, wenn man die intern erstellten Bewertungen der | |
| jeweiligen Zulieferfirmen überprüfen will. Konzerne wie Continental, Bosch | |
| und Hella – und erst recht Autohersteller wie VW und BMW – verweigern | |
| weiterhin die Offenlegung ihrer Zulieferer. | |
| Initiativen wie das deutsche Lieferkettengesetz zeigen immerhin einen | |
| schrittweisen Paradigmenwechsel an: Immer mehr Regierungen verpflichten die | |
| Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen im Bereich ihrer internationalen | |
| Lieferketten zu unterbinden. Den ersten Schritt machte Frankreich 2017; die | |
| niederländische Regierung kündigte 2021 ein entsprechendes Gesetz an. Und | |
| im Februar 2022 legte auch die EU-Kommission [3][einen Entwurf für eine | |
| europäische Lieferketten-Richtlinie vor]. | |
| Der Entwurf der EU-Kommission gehe in vielerlei Hinsicht weiter, meint die | |
| Grünen-Politikerin Anna Cavazzini. „Wenn er einmal Rechtskraft erlangt, | |
| werden die Unternehmen für ihre Lieferketten in vollem Umfang | |
| verantwortlich sein, also eigene Due-Diligence-Prüfungen durchführen und | |
| alle ermittelten Probleme beheben müssen.“ | |
| Anmerkungen: | |
| 1 Die Aktienmehrheit des Lichtmaschinenherstellers Hella wurde im Sommer | |
| 2021 von dem französischen Automobilzulieferer Faurecia aufgekauft. | |
| 2 Um die Gesprächspartner:innen zu schützen, werden sie in diesem Text | |
| nicht mit richtigem Namen genannt. | |
| Aus dem Englischen von Niels Kadritzke | |
| 29 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5735450 | |
| [2] https://www.iom.int/news/adidas-iom-partner-promote-responsible-recruitment… | |
| [3] https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar%3Abc4dcea4-9584-11ec-b4e… | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Bengtsen | |
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