# taz.de -- Punk von indonesischen Arbeitsmigranten: Aufstand gegen Ausbeutung | |
> Die Bandmitglieder von Southern Riot sind indonesische Wanderarbeiter. In | |
> Taiwan kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen – das geht gut mit | |
> Punk. | |
Bild: „Kein Wunder, dass wir wütend sind“, singen Bandmitglieder von South… | |
TAIPEH taz | Samstagnachmittag, 9. März 2024, unter einer | |
Schnellstraßenbrücke im Zentrum Taipeis. Örtliche Punks haben zwischen den | |
riesigen Brückenpfeilern ein Festival organisiert. Zuerst spielen mehrere | |
Bands aus Taiwan und Okinawa. Dann treten Southern Riot auf, und der Tanz | |
vor und auf der Bühne wird ausgelassener und wilder. „Persetan dengan | |
peraturanmu. Atur hidupmu sendiri“ steht auf ihrem Bandshirt: „Zum Teufel | |
mit Deinen Regeln. Kümmere Du Dich um Dein eigenes Leben“. | |
Die Bandmitglieder sind indonesische Migranten, nach Taiwan geholt zur | |
Arbeit in den Fabriken. Ihre Musik und ihre Texte sind eine Kritik der | |
Verhältnisse, in der sich wiederfinden. Das Southern im Bandnamen steht für | |
den Süden der Insel, wo sie arbeiten. Riot beschreibt Unruhe und | |
Aufbegehren, also die Emotionen, die ihre Probleme als Wanderarbeiter in | |
Taiwan in ihnen auslösen. | |
Die Geschichte von Southern Riot beginnt vor zwei Jahren, mit einer | |
Kundgebung südostasiatischer Wanderarbeiter:innen und ihrer | |
taiwanischen Unterstützer:innen vor dem Arbeitsministerium in Taipei | |
im Januar 2022. Die Kundgebung galt der [1][Forderung, dass die | |
Wanderarbeiter:innen ihren Arbeitgeber frei] wechseln dürfen. | |
Abu (Gesang, Ukulele, Mundharmonika), Bobo (Perkussion, später Schlagzeug) | |
und Danddy (Gitarre) spielen „Lagu cinta dari BMI“ (Liebeslied der | |
indonesischen Wanderarbeiter:innen). Darin kritisieren sie das „System der | |
Sklaverei“, wie sie die Behandlung von Wanderarbeiter:innen durch | |
taiwanesische Behörden, Unternehmen und Arbeitsvermittlungen bezeichnen. | |
## Alte Bekannte aus Indonesien | |
Kurz nach dem Auftritt bei der Kundgebung nimmt die Band Vai (Bass) auf und | |
spielt fortan elektrisch. Die anderen Bandmitglieder kennen sich von der | |
Lohnarbeit in einer Verpackungsfabrik in Pingtung im Süden Taiwans. Vai ist | |
als Student nach Taiwan gekommen. Er kennt Danddy aus der Schule und über | |
die Vespa-Community in Indonesien. | |
Seit Januar 2022 hat die Band regelmäßig Konzerte gespielt, organisiert von | |
taiwanischen Unterstützer:innen und Punks oder indonesischen | |
Wanderarbeiter:innen selbst. Sie haben weitere Songs geschrieben und | |
ihren rhythmischen Punkmusikstil weiterentwickelt. Texte und Musik | |
[2][erinnern an die deutsche Punkband Slime] mit ihren autonomen | |
Bewegungshymnen Anfang der 1980er. | |
Im Frühjahr 2023 musste Abu zurück nach Indonesien gehen, und Rudi | |
übernimmt den Gesangspart. Rudi arbeitet in einer Autoteilefabrik in | |
Tainan. Er stammt aus der gleichen Gegend wie Danddy in Westjava und ist | |
bereits seit Längerem Teil der indonesischen Underground-Musikszene in | |
Taiwan. | |
## Härter und länger arbeiten | |
Ihre Arbeit in Taiwan und die Musik sind für die Bandmitglieder eng | |
miteinander verbunden. Alle sind auf der Insel, um Geld zu verdienen, | |
bekommen sie hier doch dreimal so viel wie in Indonesien. | |
Auf die Bedingungen in Taiwan angesprochen, erzählen sie von langen | |
Arbeitsschichten, dem Druck der Vorarbeiter und ihrer Diskriminierung als | |
südostasiatische Migranten. Sie müssen härter und länger arbeiten als | |
einheimische Arbeiter in derselben Abteilung. Ist eine Aufgabe besonders | |
schwierig oder anstrengend, müssen die Migranten ran. „Die taiwanesischen | |
Arbeiter arbeiten weniger oder laufen nur herum“, sagt einer von ihnen. | |
Während ihr Lohn mit Zulagen bei 30.000 und 35.000 Taiwan-Dollar (etwa 900 | |
bis 1.000 Euro) liegt, bekommen einige ihrer taiwanesischen Kollegen für | |
die gleiche Arbeitszeit und weniger Arbeit bis zu 50.000 Taiwan-Dollar | |
(mehr als 1.400 Euro). Die Wanderarbeiter müssen einen Teil ihres Lohns für | |
ein Bett im Wohnheim abgeben. Ein Teil der Band wohnt zu dritt in einem | |
Zimmer. Das ist nach ihrer Aussage „so groß ist wie die Toilette in einem | |
Fünf-Sterne-Hotel.“ Ein anderes Mitglied teilt sich mit 30 Wanderarbeitern | |
einen Schlafsaal, während seine taiwanesischen Kollegen außerhalb der | |
Fabrik mit ihren Familien leben. | |
Die südostasiatischen Wanderarbeiter:innen kommen über ein staatlich | |
geregeltes System nach Taiwan, um die Jobs zu besetzen, die die | |
Einheimischen nicht mehr machen wollen. Derzeit sind etwa 850.000 auf der | |
Insel, davon 10 Prozent als Undokumentierte. | |
## „Wir brauchen die Arbeitsvermittler nicht“ | |
Die Wanderarbeiter:innen aus Indonesien müssen zunächst eine | |
indonesische Vermittlungsagentur bezahlen, um überhaupt nach Taiwan zu | |
kommen. Taiwanesische Arbeitsvermittlungen schickten sie dann zu einem | |
bestimmten Arbeitgeber, kontrollieren sie regelmäßig und ziehen ihnen | |
monatlich eine Gebühr ab. Wenn sie den Arbeitgeber wechseln wollten, geht | |
das nur mit Zustimmung des alten Arbeitgebers und ihrer Arbeitsvermittlung. | |
„Wir brauchen die Arbeitsvermittler nicht“, sagt einer der Bandmitglieder. | |
Und wenn sie diesen wirklich bräuchten, etwa weil sie krank sind, tauchten | |
deren Mitarbeiter:innen gar nicht auf oder berechneten ihnen für jede | |
Kleinigkeit hohe Gebühren. Oder sie sagten den Wanderarbeiter:innen, sie | |
sollten gefälligst alle Schwierigkeiten aushalten und weiterarbeiten. | |
Die meisten Mitglieder von Southern Riot haben bereits in Indonesien in | |
Rock-, Metal- oder Reggae-Bands gespielt. Zu ihren Lieblingsbands gehören | |
die Punk-Veteranen Superman is dead, Marjinal und Bunga Hitam, die | |
Hardrock-Band Boomerang und die Grunge-Band Cupumanik, alle aus Indonesien, | |
sowie die Ramones, NOFX [3][und Bob Marley]. | |
Die Band ist für sie zweite Familie und bietet ihnen ein Zuhause in Taiwan. | |
Einer von ihnen betont, die Band und der Punk halte ihn über Wasser, sodass | |
er den Stress auf der Arbeit ertragen könne. | |
## Keine Botschaft mit Metal | |
Ein anderer beschreibt, dass der Druck durch Chef, Vorarbeiter und | |
Arbeitsvermittler Gefühle erzeuge, die dann in die Musik der Band | |
einflössen. Punkmusik und -texte drückten diese Emotionen gut aus. Früher | |
habe er kritische Texte für Reggae-Musik geschrieben, aber daraus seien nie | |
richtige Songs geworden. Metal sei auch ein Genre, mit dem Emotionen | |
ausgedrückt werden könnten, fügt er hinzu. Botschaften könnten mit Metal | |
jedoch nicht vermittelt werden. Die Texte würden gegrölt und seien so nur | |
schwer zu verstehen. | |
Es ist kein Zufall, dass die Band in den Songs ihre Situation als Arbeiter | |
und Migranten in Taiwan offen kritisiert, hatten einige der Bandmitglieder | |
doch vor ihrer Ankunft in Taiwan Kontakte zu sozialen Bewegungen in | |
Indonesien. | |
Die Songs von Southern Riot entstehen in Gesprächen untereinander und mit | |
anderen indonesischen Fabrikarbeitern, Fischern und weiblichen | |
Hausangestellten über ihre Probleme bei der Arbeit, mit Arbeitgebern und | |
Arbeitsvermittlern in Taiwan. | |
Eines der Bandmitglieder sagt, Punk bedeute für ihn, über Unterdrückung zu | |
sprechen. Wenn die Texte dieses Thema nicht berühren, „fehlt ihnen der | |
Sinn“. Ein anderes Bandmitglied betont, dass Punk für Widerstand und | |
soziale Bewegung steht, nicht bloß für laute Musik und Zerstörung. Er sagt, | |
die Musik von Southern Riot solle ihre Sozialkritik und die Beschwerden der | |
Wanderarbeiter:innen in Taiwan rüberbringen. | |
## Menschen eine Stimme geben | |
Sein Bandkollege hofft, dass die Band sich in dieser Hinsicht nicht ändern | |
werde. Für ihn geht es bei der Punkmusik darum, Stimmen Gehör zu | |
verschaffen, die sonst nicht gehört werden. Als Band wollten sie den | |
Menschen eine Stimme geben, die wie sie Probleme im Betrieb oder mit ihrem | |
Arbeitgeber haben. | |
Die Band stellt Forderungen nach einer Verbesserung der Bedingungen für | |
Wanderarbeiter:innen in Taiwan. Sie wendet sich nicht nur an die | |
migrantischen, sondern auch an die einheimischen Kolleg:innen und an | |
eine taiwanesische Gesellschaft, die das rassistische Migrationsregime | |
Taiwans weitgehend ignoriert oder sogar unterstützt. Eines der | |
Bandmitglieder sagt: „Wir singen über Dinge, die die Taiwaner:innen | |
nicht akzeptieren sollten. Wir wollen zeigen, dass sie ihre Stimme erheben | |
können.“ | |
Das klingt dann zum Beispiel so wie in dem Liebeslied der indonesischen | |
Wanderarbeiter:innen (Lagu cinta dari BMI): | |
Hey, ist Euch klar, dass wir uns hier missachtet fühlen? | |
Ist es nicht Eure Aufgabe, uns zu helfen und für unsere Rechte einzutreten? | |
Wir wurden unserer Rechte beraubt, zum Schweigen gebracht durch | |
Einschüchterung. | |
Und wir stehen auf gegen dieses System der Sklaverei. | |
Es ist doch kein Wunder, dass wir wütend sind. Also, kommt, Freunde, lasst | |
uns schreien: | |
Arbeitsvermittlungen – Was für ein Chaos | |
Arbeitsvermittlungen – Zu nichts zu gebrauchen | |
Arbeitsvermittlungen – Verpisst Euch | |
Arbeitsvermittlungen – Verdammte Bestien. | |
19 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Ruckus | |
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