# taz.de -- Rockband Slime: „Punk ist ein Lebensentwurf“ | |
> Hamburgs Punklegende Slime muckt seit 1979 auf gegen herrschende | |
> Verhältnisse. Ein neues Album lässt die Band über Demokratie nachdenken. | |
Bild: Immer noch nicht müde: Slime sind 2020 Elf, Nici, Dicken, Christian Mevs… | |
taz: Schwarz oder Rot? | |
Elf: Schwarz. | |
Hausprojekt oder alleine wohnen? | |
Nici: Hausprojekt. | |
Köpi oder SO 36? | |
Christian: SO 36. | |
Anarchie oder Sozialismus? | |
Elf: Anarchie. | |
Slime sind in etwa so alt wie die taz. In der taz existieren | |
unterschiedliche Meinungen, was linke Positionen anbelangt. Wie ist das in | |
der Band? | |
Christian: Ist bei uns genauso. Auf dem neuen Album haben wir einen Song | |
namens „Hölle“. „Wir gehen gemeinsam durch die Hölle und die Hölle, das | |
sind wir.“ Es geht um unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe. Wir sind ja | |
keine 18 mehr, das meint, dass man sich arrangieren muss. Wie mit der | |
Hölle. | |
Nici: Ich habe erst Politik und Jura studiert, führe aber seit 20 Jahren | |
eine Kneipe. Ich bin niemals bürgerlich geworden. Ich hatte auch Glück. Man | |
will ja nicht abhängig sein und auch Kohle verdienen. | |
„Deutschland muss sterben.“ Ist das noch aktuell? | |
Elf: Der Text bezieht sich auf das alte Kriegerdenkmal am Dammtor in | |
Hamburg, und solange das da steht, bleibt die Forderung bestehen. Wir | |
würden das also noch genauso sagen wie 1981. | |
Christian: Man kann das weiterdenken: Will man so einen Staat? Auch | |
angesichts der großen Probleme, die im Moment herrschen. Etwa der | |
Klimawandel. Dass die Demokratie und der Staat nicht in der Lage sind, sich | |
da auch nur einen Zentimeter zu bewegen. | |
Nici: Der große Gott ist das Geld. Kohlekraftwerke werden noch mal saniert | |
für Milliarden Euro. Da wird man zu Recht wütend. | |
Christian: Das hat für mich viel mit der Staatsform der Demokratie zu tun, | |
die gibt es ja nicht nur in Deutschland. Auch wenn sie an sich nicht | |
verkehrt ist. Es gibt da zwei Teile, einmal diese aufstrebende und sich | |
entwickelnde lebendige Demokratie, aber auch der zweite Teil, der | |
zwangsläufig dazugehört, der den Untergang bedeutet. Wenn die Demokratie | |
sich entwickelt mit wechselnden Personen und Machtverhältnissen, gibt es | |
irgendwann Menschen, die die Macht behalten wollen und sie zementieren. Es | |
gibt keine Neuerungen mehr. Genau das haben wir jetzt. | |
Wer hat eigentlich bei Slime die Macht? | |
Elf: Niemand, wir sind auch keine Demokratie. Es gibt demokratische | |
Mehrheitsentscheidungen. Aber wenn einer wirklich gegen etwas ist, hat sich | |
der Rest zu fügen. | |
Was hat sich verändert, seit du als Frau bei Slime eingestiegen bist? | |
Nici: Musst du die Jungs fragen! | |
Elf: Ich denke schon, dass mehr Frauen im Publikum sind und die Band | |
dadurch ein anderes Image bekommen hat. Und dass Frauen das auch gut | |
finden. Wir sind nicht mehr so die Alte-Herren-Gruppe, wie Agnostic Front. | |
Intern hat sich dadurch nichts verändert? | |
Christian: Nein. Wir waren vorher auch keine Typen-Band. Ich finde aber | |
super, dass wir eine Bassistin haben, und wünsche mir, dass mehr Frauen zu | |
uns ins Studio kommen. Die Musikindustrie ist maßgeblich von Männern | |
beeinflusst. | |
Nici: Wir sind einfach Kumpels, mit Elf bin ich seit 13 Jahren zusammen, | |
und bin auch gar nicht so ein klassisches Mädchen, habe schon gar keine | |
Sonderstellung. | |
Elf: Wenn ich recht überlege, hat Nici eher mehr [1][Aggressivität] in die | |
Band gebracht. Sie kann sich am meisten aufregen über den ganzen Scheiß. | |
Über irgendwelche Machos oder homophoben Arschlöcher. | |
„Wir wollen keine Bullenschweine“ war ein Song von euch, der indiziert | |
wurde. Ist er noch aktuell? | |
Nici: Man kann sich ja mal die Frage stellen: Welche Menschen gehen | |
eigentlich zu den Cops? Es gibt ja in der letzten Zeit vermehrt die | |
Vorwürfe von rechten Strukturen bei den Bullen und auch im Militär. | |
Christian: Als Elf den Text 1981 geschrieben hat, wussten wir genau, von | |
was wir reden. Auch wir haben bei Demonstrationen Knüppel abbekommen. | |
„All Cops Are Bastards“? | |
Nici: Man darf das nicht so wörtlich nehmen. ACAB sollte aus meiner Sicht | |
einfach nur eine Warnung sein und gilt erst mal nicht für alle, aber als | |
Denkanstoß für alle: Was für ein*e Polizist*in willst du sein? | |
Elf: Was ist mit dem Kripobeamten, der Kinderschänder jagt? Das ist | |
sicherlich nicht der Robocop, der auf der Straße sinnlos auf Leute | |
einschlägt. | |
Was brennt euch 2020 unter den Nägeln? | |
Nici: Rechtspopulismus und Angstschürerei. Nach unten treten auf Leute, die | |
eh nichts haben. Die [2][AfD] ist rassistisch und etliche Mitglieder sind | |
Nazis. Diese Partei ist nicht okay und nicht bürgerlich. Und so sind sie | |
überall: Trump. Le Pen. | |
Christian: Klimawandel ist für mich ein wichtiges Thema. Und die | |
Globalisierung macht den Leuten Angst und schürt den Hass. Ein anderes | |
Thema ist die Individualisierung und der Kapitalismus. Das macht einsam und | |
verwundbar. | |
Wird die Wut und das Nichteinverstandensein von Punk und seine Attitüde | |
inzwischen nicht schon längst von Rappern und Bands wie Feine Sahne | |
Fischfilet zeitgemäßer verhandelt? | |
Elf: Zu unseren [3][Konzerten] kommen mittlerweile viele junge Leute. Das | |
mischt sich total. Musikszenen sind nicht mehr so hart abgegrenzt, wie das | |
mal war. | |
Christian: Wir sind zwar älter geworden, trotzdem präsentieren wir das, was | |
uns schon immer ausgemacht hat, weiterhin nach außen. | |
Was bedeutet euch Punk? | |
Nici: Ich war immer links. | |
Elf: Punk ist keine Mode, auch wenn das von der Industrie zu einer gemacht | |
wurde mit den Jahren. Am Anfang war es ein Gedanke: Wir wollen anders sein. | |
Weg vom Mainstream, Establishment und Rockbusiness. | |
Christian: Eine Antihaltung, die aus etlichen unserer Texte spricht. Ein | |
eigener Lebensentwurf. Mit 17 war Punk eher: Was machen die anderen, die | |
Eltern? Und es gab nichts, was ich daran gut fand. Heute wäre das eher | |
anders: Ich suche meinen eigenen Weg. Gucke nach dem, was ich mag. Auch | |
Kompromisse. Das ist ja keine Gabe der Jugend. | |
Homophobie, Feminismus und Gender-Themen tauchen bei Slime eher nicht auf, | |
warum? | |
Nici: Das haben wir nicht so drin. [4][Das mag auch an unserer Blase | |
liegen.] Mir ist das unverständlich, dass das überhaupt ein Problem sein | |
kann. | |
Elf: Wie soll man über etwas glaubhaft schreiben, das einen nicht selber | |
betrifft? Klar haben wir etliche Leute im Freundeskreis, aber das Problem | |
ist bei uns nicht so signifikant. | |
Christian: Ich kenne auch persönlich keine Unterschiede zwischen den | |
Menschen. Auch hier im Studio trifft sich jede*r. Ich hatte da schon tolle | |
Erfahrungen machen dürfen, auch mit behinderten Menschen. | |
Das neue Album heißt „Wem gehört die Angst“. Angst vor dem Gesetz oder | |
Angst wegen der Musik eins auf die Moppe zu bekommen von Nazis? | |
Nici: Nein, Angst habe ich überhaupt nicht. | |
Elf: Das erste Mal im Osten nach 1989 da waren wir etwas vorsichtig | |
geworden und haben dann noch ein, zwei Secu-Kumpels mitgenommen. Zu Recht. | |
Nici: Wer Angst hat, der stirbt. Angst macht klein. Uns gehört nicht die | |
Angst. Zivilcourage gehört dazu. Das habe ich nie anders gemacht, und es | |
gehört dazu, dass man dann eben auch mal einstecken muss. | |
Elf: Rechtspopulisten spielen mit der Angst, ich glaube aber auch, dass | |
diese Leute selber Angst haben. Vor Flüchtlingen, vor Ausländern, vor | |
Schwulen. Denen gehört die Angst. | |
„Das Paradies“ ist ein wehmütiges Lied. Wie ein Rückblick auf vergangene | |
Zeiten. | |
Elf: Das ist Dicken (Spitzname von Sänger Dirk, d. Red.), der da über sein | |
Ding singt. Über die Euphorie als junger Mensch. Er wird bald 60. Das ist | |
seine Story. Er singt von den KB-Genossen. Ich war nie in irgendeiner | |
Organisation. Vor Punkrock. 1975. | |
Gibt es einen Plan für die Rente? | |
Nici: Erst muss ein Herzinfarkt kommen. | |
Elf: Irgendwann wird Feierabend sein. Aber Musiker bleiben wir und haben | |
auch alle andere Projekte. Lemmy hat auch bis zum Schluss auf der Bühne | |
gestanden und so will ich das auch machen. Zur Not im Sitzen. | |
Nici: Kann ich mir nicht vorstellen, jemals mit Musikmachen aufzuhören. | |
Elf: Irgendwann muss Slime gehen. Aber bis jetzt können wir das noch | |
glaubwürdig vertreten. | |
Christian: Ist ja wichtig, dass wir glaubwürdig bleiben. Wäre blöd, wenn | |
wir uns lächerlich machen würden. | |
11 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Desiree Fischbach | |
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