# taz.de -- Rechte Gewalt in Niedersachsen: Zu Tode gehetzt | |
> Vor mehr als 25 Jahren starb der Gifhorner Punk Matthias Knabe. Noch | |
> immer gilt er nicht als Opfer rechter Gewalt. Die Grünen wollen das | |
> ändern. | |
Bild: Mindestens 198 Todesopfer listet die Amadeu-Antonio-Stiftung auf, offizie… | |
HANNOVER taz | Sein Sohn Matthias wollte sich mit einem Kumpel am Waldsee | |
bei Gifhorn treffen, erzählt Bernd Knabe. Er hat diese Geschichte oft | |
erzählen müssen, in den vergangenen 25 Jahren. „Der Junge“ war damals | |
gerade mit seiner Fleischerlehre fertig, groß gewachsen, am markanten Iro | |
sofort als Punk erkennbar. | |
Die Gruppe von Skinheads, die am See um ein Lagerfeuer saß, erkannte ihn | |
auch gleich. Weil man sich in einer Kleinstadt wie Gifhorn eben kennt, vor | |
allem wenn man verfeindeten Gruppen angehört[1][. Mindestens acht Mann | |
hetzten hinter Matthias her, der um sein Leben lief.] Bis auf die B4, wo er | |
einem Lehrer vors Auto rannte. | |
„Jetzt ist die Zecke tot“, feixten die betrunkenen Skins damals. Das ist | |
durch mehrere Zeugenaussagen belegt und später im Gerichtsverfahren so | |
festgehalten worden. Als Opfer rechter Gewalt gilt Matthias Knabe, der im | |
März 1992 seinen Hirnverletzungen erlag, bis heute nicht. | |
Bernd Knabe will das nicht in den Kopf. Schon damals störte ihn, wie sehr | |
mit unterschiedlichem Maß gemessen wurde. „Die Linken und Punks, die kannte | |
man, wie die rumliefen, wie die waren – darüber wurde geredet im Ort. Aber | |
die anderen? Na ja, die gab es halt auch.“ | |
Und später dann, als Matthias' Tod angeklagt werden sollte, die Eröffnung | |
des Verfahrens endlos verschleppt und erst nach politischen Interventionen | |
begonnen wurde. Bis heute, glaubt Knabe, habe sich da nicht viel geändert. | |
Polizei, Justiz, Behörden würden rechte Gewalt verharmlosen oder nicht als | |
solche erkennen. | |
Dabei hatte es nach dem NSU-Schock durchaus einen Moment gegeben, in dem | |
auch Robert Lüdecke [2][von der Amadeu Antonio Stiftung] hoffte, dass sich | |
etwas ändere. Zusammen mit anderen Initiativen kämpft die Stiftung seit | |
Jahren dafür, die engen Kriterien bei der Erfassung rechter Gewalt in der | |
polizeilichen Statistik (PMK) zu ändern. | |
Nach dem Auffliegen des NSU hatten alle Bundesländer ihre Statistiken noch | |
einmal auf den Prüfstand gestellt. „Aber nur drei oder vier Länder haben | |
tatsächlich Fälle neu eingeordnet“, sagt Lüdecke. | |
In Niedersachsen versucht die Grünen-Abgeordnete Julia Willie Hamburg | |
[3][seit Jahren eine Neubewertung von insgesamt acht Fällen zu erreichen.] | |
Im vergangenen Jahr hat sie jeweils zum Todestag der Opfer für jedes | |
einzelne eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt – damit das | |
Innenministerium noch einmal darstellen muss, warum es sich gegen eine | |
Neubewertung wehrt. | |
Im Fall Matthias Knabe verweist die Antwort auf eine entscheidende | |
Schwachstelle der statistischen Erfassung, glaubt Hamburg. Das Ministerium | |
bezieht sich dabei nämlich auf die gerichtlich festgestellte | |
„Täter-Opfer-Beziehung“. Die fungiert oft als K.O.-Kriterium: Wenn es etwas | |
Persönliches ist, kann es ja nicht politisch sein. Hamburg ist nicht die | |
einzige, die das für lebensfremd hält. | |
Außerdem, führt Hamburg weiter aus, brauche man dringend einen Mechanismus, | |
der dafür sorge, dass späteren Erkenntnissen – zum Beispiel aus einem | |
Gerichtsverfahren – Rechnung getragen wird. | |
Bisher entscheiden die ermittelnden Beamten relativ früh darüber, ob die | |
Tat als politisch motiviert einzustufen ist oder nicht. Eine Überprüfung | |
oder Änderung dieser Einordnung ist zwar theoretisch möglich, findet in der | |
Praxis aber kaum statt. | |
## Matthias' Vater hofft auf einen Abschluss | |
Um die bundesweit einheitlichen Erfassungskriterien zu ändern, bräuchte es | |
eine Bundesratsinitiative. Für Niedersachsen fordert Hamburg außerdem eine | |
Kommission mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich die Altfälle noch | |
einmal vornimmt – so wie es etwa Brandenburg gemacht hat. Die anderen | |
Parteien (außer der AfD) haben grundsätzlich Gesprächsbereitschaft | |
signalisiert, das Thema wird heute im zuständigen Innen-Ausschuss weiter | |
diskutiert. | |
Der mittlerweile fast 80-jährige Vater von Matthias Knabe hofft, damit noch | |
irgendwie zu einem Abschluss zu kommen. Fast ein Jahr lang fuhr er täglich | |
in die Medizinische Hochschule Hannover in der Hoffnung, dass sein Sohn aus | |
dem Wachkoma aufwacht. Dann wochenlang ins Landgericht Hildesheim, wo | |
schließlich der Haupttäter, der bis heute in der rechten Szene aktiv sein | |
soll, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Alle anderen kamen mit | |
Bewährungsstrafen davon. | |
In einem Zivilprozess erstritt er außerdem ein hohes Schmerzensgeld, von | |
dem er bis heute nichts gesehen hat. Dafür musste er sich bei dieser | |
Gelegenheit vom Anwalt der Gegenseite fragen lassen, ob die Beerdigung denn | |
wirklich so luxuriös ausfallen musste. Doch, sagt Knabe, diese Anerkennung | |
als Opfer rechter Gewalt bedeute ihm etwas. Auch wenn sie an Matthias' Tod | |
nichts ändert. | |
12 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!1677746/ | |
[2] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/?_region=n… | |
[3] /Rechte-Gewalt-in-Niedersachsen/!5517486/ | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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