# taz.de -- Gespräch mit Slime-Gitarrist Mevs: „Das hat einen Knopf gedrück… | |
> Slime-Gitarrist Christian Mevs über das neue Album „Hier und Jetzt“, | |
> Nächte auf der Polizeiwache als Punk und die Zeit, als Altnazis noch in | |
> Führungspositionen waren. | |
Bild: Christian Mevs in seinem Studio in Berlin-Lichtenberg | |
taz.am wochenende: Fast die Hälfte der 16 Stücke auf dem neuen Album sind | |
Antifa-Songs: „Sie wollen wieder schießen dürfen“, „Patrioten“, „Die | |
Stummen“, „Brandstifter“, „Banalität des Bösen“, „Die Geschichte … | |
T“. Es geht gegen Dunkeldeutschland und seine Mitläufer. | |
Christian Mevs: Viele Songs sind eindeutig antifaschistisch. Was momentan | |
passiert, betrifft weniger die Politik, es geht um ein Lebensgefühl | |
hierzulande und anderswo. Es gibt keine Sicherheit! Da zitieren wir Tobias | |
Gruben, einen leider verstorbener Hamburger Künstler von der Band Die Erde. | |
Im Zusammenhang mit der Globalisierung wird das Bedürfnis nach Sicherheit | |
immer lauter. Man kann sich das zunutze machen und einfache Antworten | |
geben, wie die AfD das versucht, um damit Macht zu gewinnen, aber nicht, um | |
was gegen Missstände zu unternehmen. Es stößt eine allgemeine Entwicklung | |
an. | |
So geballt antifaschistisch klang Slime noch nie. | |
Es gibt Songtexte, die deutlich antifaschistisch sind. Auch wenn die Welt | |
nicht mehr so schwarz-weiß ist, beziehen wir in alter Slime-Manier trotzdem | |
klar Stellung. Der Song „Patrioten“ hat eine ironische Note, das konnten | |
wir früher nicht. | |
„Ihr seid gar nix, außer deutsch“, heißt es in dem Song „Patrioten“. … | |
sind Slime jenseits der Staatsangehörigkeit? | |
Wir sind Menschen. Ich persönlich hatte mit Begriffen wie Heimat und | |
Zuhause immer größte Schwierigkeiten. Das hat mit meinen Eltern zu tun. Mit | |
20 sind viele meiner Bekannten weggegangen, später aber zurückgekehrt. | |
Diesen Bezug hatte ich nie, ich fühle mich überall wohl. | |
Slime kommen aus dem Norden von Hamburg. | |
Bis auf mich. Ich komme aus dem Hamburger Osten. | |
Wie war das Ende der 70er, als Sie das Ramones-Debütalbum mitbekommen | |
haben? | |
Bei mir war es „Raw Power“ von Iggy& the Stooges, damit bin ich aus dem | |
Elternhaus ausgebrochen. Die Politisierung kam später. Es regte sich | |
Widerstand, gegen das, was in Westdeutschland passierte. Im Kalten Krieg | |
lebten die Menschen unter ständiger Angst, zwischen der Sowjetunion und den | |
USA zerrieben zu werden. Atomkraft gab einem das Gefühl, dass man auf einem | |
Pulverfass sitzt, das jederzeit in die Luft fliegt. Dann gab es | |
Nachwirkungen des Wirtschaftswunders: Was die Gesellschaft unternahm, um | |
die fehlende Aufarbeitung des Faschismus im Zaum zu halten, wurden immer | |
größer. | |
Und die Stooges? | |
„Raw Power“ von den Stooges lief auf einer Schulparty. Die Musik hat einen | |
Knopf gedrückt. Damit haben ich gemerkt, obwohl ich nur einen Millimeter | |
von der Spur abgewichen bin, kriege ich große Schwierigkeiten. Das war | |
irgendwie auch super. | |
Die Punkszene Hamburg war die am offensten linksradikal agierende Punkszene | |
in Westdeutschland. | |
Ob die erste Generation mit Bands wie Big Balls and the Great White Idiot | |
politisch war, weiß ich gar nicht mehr. Die Balls waren meine Vorbilder. | |
Sie hatten in den Siebzigern in Poppenbüttel ein großes Haus mit Garten, wo | |
sie ihren Kram gemacht haben. Die sind nicht wieder zurück zu Mutti, wie | |
die proletarischen Jugendlichen aus den Vororten, zu denen ich auch | |
gehörte, die haben letztendlich Brücken hinter sich abgebrochen, das hat | |
mich beeindruckt. | |
Und das Politische? | |
Das Politische gab es vorher schon bei den Scherben. Das war nicht direkt | |
Punkrock, aber klar linksextrem. | |
Agitprop. | |
Genau! Da ging es um Hausbesetzungen. In Berlin wurde etwas Wirklichkeit | |
von den Visionen, und die Scherben waren dabei. Das hallte zu uns. Bei | |
diesem Ausbrechen aus der bundesdeutschen Gesellschaft waren wir in Hamburg | |
mit die ersten Punks. Songs wie „Bullenschweine“ und „Polizei, SA, SS“ | |
waren eine Reaktion auf das, was man erlebt hat. | |
Nennen Sie bitte ein Beispiel. | |
Die Hamburger Punkszene traf sich im Karoviertel, da gab es einen Abend, da | |
wollten wir zu einem Konzert der britischen Band The Members, und die | |
Polizei hat uns vorher einkassiert. Ich wurde die Nacht über im Präsidium | |
festgehalten und dann nach Bergedorf gebracht und morgens um 4 | |
rausgelassen. Das war bestens dazu angetan, eine Antihaltung aufzubauen. | |
Was war befreiend an Punk? | |
Die Freiheit lag klar in der Musik. Es gab Bands, denen man angehört hat, | |
dass sie mit drei Akkorden alles machen. Bald kamen mir die Regeln der | |
Punkszene so vor wie die Ordnung, vor der ich geflohen war. Wie Dirk von | |
Lowtzow es mal ausgedrückt hat, hatte jede Handbewegung einen Sinn. Mir | |
wurde das bald zu spießig. Deswegen habe ich mir 1980 wieder die Haare | |
wachsen lassen. | |
Als es mit Slime losging, lief der Bundestagswahlkampf von Schmidt gegen | |
Strauß. | |
Das war Treibstoff, auch Altnazis saßen noch in Führungspositionen, man | |
musste nicht weit bohren. Außerdem das Vasallentum mit den USA, als | |
Handlanger der Aufrüstung. … | |
Antiamerikanismus ist das, was ich am wenigsten bei Slime nachvollziehen | |
kann. Die USA sind ein widersprüchliches Land, auch kulturell gesehen, | |
siehe The Stooges. Auf dem neuen Album ist es der Song „Ernie&Bert in | |
Guantánamo“, da kommt Obama vor und Trump. Müsste man nicht unterscheiden | |
zwischen den beiden? | |
Sicher muss man unterscheiden, aber das hat nichts mit den USA zu tun. Das | |
ist lange Zeit eine starke Wirtschaftsmacht gewesen, an der kommt man nicht | |
vorbei. Das hat mit Antiamerikanismus nichts zu tun. | |
„Yankees raus“ hieß Ihr zweites Album. | |
Richtig, aber das bezieht sich einfach auf die Situation damals. | |
Müsste man nicht heute eine andere Position haben, wenn Rechtsradikale mit | |
antiamerikanischen Verschwörungstheorien spazieren gehen? | |
Probleme benennen und Finger in die Wunde legen, ist das eine, wenn andere | |
sich das gleiche Thema ausgesucht haben, kann man letztendlich nichts | |
machen. Man muss das Ganze sehen, von wo aus wird gefragt und wer fragt. | |
Ich lass mir doch meine Position nicht wegnehmen. | |
Manche Ihrer neuen Songs klingen wie Frei.Wild. Auch wenn das Rebellische | |
bei denen verdruckster rüberkommt. Müsste sich Slime nicht klarer von | |
Frei.Wild absetzen? | |
Das ist mir scheißegal. Ich lass mir von niemand die Riffs wegnehmen. Wir | |
waren kürzlich in Jamel, ein Ort, wo sich sogenannte völkische Siedlungen | |
konstituieren. Die betreiben auch ökologische Landwirtschaft. Soll ich | |
deswegen sagen, ich esse keinen Bioapfel mehr? Die Rechten machen sich seit | |
Jahren Dinge der linken Szene zunutze, ein Problem, worauf man viel genauer | |
schauen muss. | |
Die Gefahr von rechts ist heute anders als 1980. Müsste Slime nicht Frieden | |
schließen mit staatlichen Institutionen, die die Demokratie stärken? | |
Nö, für mich wäre ein sinnvoller Staat derjenige, der Rechtsradikalismus | |
gar nicht erst zulässt. Eine Bildungsoffensive gegen rechts könnte ein | |
Staat stemmen, aber er setzt nur Placebo-Pillen dagegen ein. | |
Linkssein heißt ja, unversöhnt sein mit herrschenden Zuständen. Wäre es das | |
Ende von Slime, wenn die Band einverstanden wäre? | |
Die Situation gab’s bisher nicht. Der Song „Unsere Lieder“ thematisiert | |
das. Tatsache war, dass wir 2010 auf Tour gegangen sind und das jüngere | |
Publikum uns und unsere alten Inhalte schätzt. Das berührt auch das, | |
worüber wir vorhin gesprochen haben. Der Staat hat sich eher zum | |
Schlechteren entwickelt, mir kommt es so vor, als geht es zurück in den | |
Sumpf. | |
Die AfD hat vergeblich versucht, den Slime-Auftritt beim Hamburger | |
Hafengeburtstag im Mai zu verhindern. | |
War ’ne lustige Geschichte, weil die CDU für uns stimmen musste. | |
Dann hat sich ja doch was geändert! | |
Ja, natürlich. Totaler Blödsinn. | |
Solange die FDP nicht für Slime stimmt … | |
Letztendlich sind das eher Bagatellen, genauso wie die Weigerung der | |
Bundesbahn, Werbung für das neue Album zu plakatieren. Das ist nicht mal | |
ein Politikum, das ist nur ein Witz! Eigentlich finde ich das | |
Verkehrsmittel Bahn toll, es verbessert doch die CO2-Bilanz. | |
Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Slime-Titelstory in der Mobil? | |
Aber ist das dann noch Punk? | |
23 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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