| # taz.de -- Gewalt in der Lieferkette: Erschossene beim Soja-Anbau | |
| > Vorwürfe gegen Agravis: Der Agrarhändler importiert angeblich von einer | |
| > brasilianischen Genossenschaft, die in Landkonflikte verwickelt ist. | |
| Bild: Agravis-Futtermittelwerk in Oldenburg: Kommt hier Blut-Soja an? | |
| Berlin taz | Hiesige Unternehmen müssen sich ab Januar verbindlicher um die | |
| Menschenrechte bei ihren ausländischen Lieferanten kümmern. Welche | |
| Herausforderungen das neue Lieferkettengesetz für die Firmen mit sich | |
| bringen kann, zeigt der Fall des Agrarhändlers Agravis aus Münster. Ihm | |
| wird vorgeworfen, unter anderem [1][Soja von Farmen aus Brasilien] zu | |
| beziehen, auf denen es zu gewalttätigen Konflikten um Land kommt. | |
| Die Christliche Initiative Romero (CIR), eine entwicklungspolitische | |
| Organisation aus Münster, stellt den Fall so dar: Ende Mai habe ein Farmer | |
| einen Anwohner der indigenen Gruppe der Guarani-Kaiowá erschossen, als | |
| dieser an der Grenze des indigenen Siedlungsgebietes Holz hackte. | |
| Der seit der Eroberung durch europäische Kolonisatoren latente Konflikt | |
| zwischen Farmern und Indigenen um die Nutzung desselben Landes in Amambai | |
| im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul nahe Paraguay sei wieder | |
| aufgebrochen. Die indigenen Gemeinschaften hätten dann einige Gebiete | |
| besetzt – „friedlich“, wie CIR erklärt. Darauf hätten Polizei und Farmer | |
| mindestens zwei Protestierer erschossen und neun verletzt. | |
| Der Zusammenhang zu Deutschland: Agrarhändler Agravis importiert Soja von | |
| der Genossenschaft Coamo, deren Mitglieder bei Amambai große Felder | |
| bearbeiten. Nach Angaben von CIR tragen sich die Konflikte auf Land zu, wo | |
| Soja und Mais für Coamo und damit potenziell auch für Agravis angebaut | |
| werden. Unter anderem Interviews mit Anwohner:innen würden das belegen. | |
| ## Aussage gegen Aussage | |
| Die Aktivist:innen fordern nun, dass der Futtermittelhändler | |
| Verantwortung übernimmt und künftig dafür sorgt, dass es nicht zu weiteren | |
| Menschenrechtsverletzungen in seiner Lieferkette kommt – wie es das | |
| Lieferkettengesetz verlange. Mit 7,3 Milliarden Euro Umsatz (2021) und | |
| 6.400 Beschäftigten ist der börsennotierte Konzern Agravis Raiffeisen AG | |
| Deutschlands zweitgrößter Agrarhändler. | |
| Auf Anfrage der taz leitete Agravis eine Erklärung von Coamo weiter. Darin | |
| heißt es: „Der Besitzer des umstrittenen Landes ist kein Mitglied der | |
| Genossenschaft.“ Außerdem würden die Produkte, die die Firma verkaufe, | |
| nicht auf „irregulärem“ Land hergestellt, also nicht auf indigenen Fläche… | |
| die sich die Farmer widerrechtlich angeeignet haben. Darüber hinaus wollte | |
| sich das Unternehmen aus Münster nicht zum Konflikt äußern. Aussage steht | |
| gegen Aussage. | |
| Reicht diese Reaktion noch, wenn das Lieferkettengesetz in wenigen Monaten | |
| wirksam wird? „Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen identifizierte Risiken | |
| und Vorfälle sowie ergriffene Maßnahmen veröffentlichen müssen“, sagte | |
| Markus Löning. Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung | |
| betreibt eine Beratungsfirma für Unternehmensverantwortung. Gegenüber der | |
| taz äußerte er sich nicht konkret zum vorliegenden Konflikt, sondern | |
| allgemein zu den Wirkungen des Lieferkettengesetzes. „Das | |
| Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz nennt Landrechte als eines der | |
| menschenrechtlichen Risiken, die Unternehmen zu beachten haben“, erklärte | |
| Löning. Das betreffe direkte Zulieferer, unter bestimmten Umständen auch | |
| deren Vorlieferanten. | |
| Vor diesem Hintergrund sagte Dominik Gross von CIR: „Wir gehen davon aus, | |
| dass Coamo keine ausreichenden Präventionsmaßnahmen vorgenommen hat und | |
| damit Coamo und Agravis gegen das Lieferkettengesetz verstoßen.“ Der | |
| deutsche Agrarhändler müsse „angemessene Abhilfemaßnahmen“ treffen, um d… | |
| Menschenrechtsverletzungen „zu minimieren oder zu beenden“. Wenn das nicht | |
| helfe, könnten auch die Geschäftsbeziehungen zu Coamo infrage stehen. | |
| ## Bald greift das neue Lieferkettengesetz | |
| [2][Ab Januar 2023 müssen sich alle hiesigen Firmen] mit mehr als 3.000 | |
| Beschäftigten an das Lieferkettengesetz halten. Unter anderem die Rechte | |
| auf Arbeitssicherheit, Gewerkschaftsfreiheit, fairen Lohn, Land und | |
| sauberes Trinkwasser der Arbeiter und Anwohner von Zulieferern in aller | |
| Welt sind dann besser geschützt. Die deutschen Auftraggeber müssen die | |
| Risiken in ihren Lieferketten analysieren, dokumentieren, wenn nötig | |
| verringern und öffentlich darüber berichten. Tun sie es nicht, drohen | |
| Bußgelder und Prozesse vor Gericht. | |
| Das Bundesamt für Wirtschaft, das für die Kontrollen der Unternehmen | |
| zuständig ist, kann demnächst die ersten 7 Stellen besetzen. Diese Zahl | |
| reiche jedoch nicht aus, beklagt die Initiative Lieferkettengesetz, ein | |
| Zusammenschluss von Entwicklungs- und Bürgerrechtsorganisationen sowie | |
| Gewerkschaften. Rund 100 Stellen seien nötig. | |
| Auf EU-Ebene ist [3][eine ähnliche Regelung in Planung], die schärfer | |
| ausfallen könnte als das deutsche Gesetz. Das Europaparlament hat sich | |
| zudem am Dienstag für ein Importverbot für zahlreiche Waren ausgesprochen, | |
| wenn entlang der Lieferkette Wälder abgeholzt wurden. | |
| 14 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Landkonflikt-in-Brasilien/!5693741 | |
| [2] /Neues-Lieferkettengesetz/!5875290 | |
| [3] /EU-Lieferkettengesetz/!5692422 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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