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# taz.de -- Desolate Lage der Deutschen Bahn: Es rumpelt überall
> Die Deutsche Bahn ist heute in viel schlechterem Zustand als vor 20
> Jahren. Es müsste massiv investiert werden – an anderen Stellen als
> geplant.
Nach über 15 Jahren habe ich meine Bahncard abbestellt. Ich mag nicht mehr
Zug fahren in Deutschland, obwohl ich gerne Zug fahre – dort, wo Profis am
Werk sind. Zum Beispiel in der Schweiz, in Österreich oder in den
Niederlanden. Gerade als das [1][9-Euro-Ticket] eingeführt wurde, sperrte
die Bahn meine Heimatstrecke für gut zwei Wochen. Ein Lokführer sagte zu
mir: „Wer dieses Billigangebot erfunden hat, der hat gezeigt, wie es um die
Bahn steht: Sie ist am Ende. Dieses Ticket ist Werbung für das Auto.“
Das mag polemisch klingen. Aber anders als der Grüne Anton Hofreiter, der
glaubt, dass dieses Ticket „den Leuten den Nahverkehr schmackhaft“ macht,
ist doch sehr wahrscheinlich, dass der Ärger überwiegt. In den Metropolen
zeigt dieses Angebot, wie die Verantwortlichen seit Jahrzehnten hätten
agieren können, wäre es ihnen ernst gewesen mit dem Ziel, mehr Verkehr auf
der Schiene und mehr Güter. Dem Klima zuliebe.
In Windeseile schafft es Kanzler Olaf Scholz, [2][100 Milliarden Euro für
eine Aufrüstung] ohnegleichen freizugeben. Mit dem gleichen Willen könnte
er dafür sorgen, dass die Bahn – sie ist ja zu 100 Prozent im Staatsbesitz
– sofort das tut, was den Zugverkehr nachhaltig attraktiv machen würde: ein
übersichtliches, günstiges und vor allem familienfreundliches Tarifsystem
zu schaffen und diese irren Schnäppchen-, Sonder-, Spar-, Superspartarife
zu entsorgen.
Die Bahn dazu verpflichten, wieder menschenfreundliche Bahnhöfe zu bauen,
das Klassensystem in den großen Bahnhöfen abzuschaffen, wo die
Privilegierten ihre Lounges haben, der Plebs aber auf schäbige, zugige,
verdreckte Wartebänke verbannt wird. Aber halt, hat vor ein paar Tagen
nicht der pfälzische Minister für Weinbau a. D. und jetzige
[3][Verkehrsminister Volker Wissing] (FDP) gemeinsam mit Bahn-Chef Richard
Lutz erklärt, dass nun alles besser werde?
Dass diese Bahn „unerlässlich auch für die Klimaziele der Regierung“ sei?
Nur: Was Wissing da sagte, das sagten schon sämtliche Bahnchefs und
Verkehrsminister vor ihm. Stattdessen kamen Zugverspätungen, überfüllte
Züge, alte Ersatzzüge, Züge, die einfach nicht fahren und trotzdem in
keiner Verspätungsstatistik stehen. Bahninterner Spott: „Der einzige Zug,
der in Deutschland pünktlich losfährt, ist der Rosenmontagszug in Mainz.“
## Geschäfte in 140 Ländern
Ich habe auch keine Lust mehr, mit meiner Bahncard einem Konzern einen
Vorschuss zu gewähren, der systematisch zig Milliarden Steuergelder
verbrennt und unökologisch agiert. Und der, anstatt sich um die Kundschaft
daheim zu kümmern, alles Mögliche in aller Welt unternimmt: Malawi,
Curaçao, Mongolei, Moldawien, Kirgisien – viele Seiten könnte man hier mit
Ländernamen füllen, die vielleicht nicht einmal Leuten im Berliner
Bahnhochhaus bekannt sind.
In 140 Ländern ist die Deutsche Bahn AG mit Bussen, Flugzeugen, Schiffen,
Lkws, Krankenwagen, Elektroautos unterwegs. Mit rund 800 Gesellschaften,
Firmen und Firmenbeteiligungen agiert sie rund um den Globus. Für wen?
Wozu? Diese Deutsche Bahn AG ist seit 20 Jahren, seit dem unheilvollen
Agieren des damaligen Bahnchefs [4][Hartmut Mehdorn], keine Deutsche Bahn
mehr. Sie ist nur noch ein Anhängsel in einem Reich, über dem die Sonne nie
untergeht.
Wer in Katar das Streckennetz ausbaut, in Dubai mit Lufttaxis
experimentiert, wer Biogasbusse in Dänemark fahren lässt, wer Marktführer
im Schiffsverkehr zwischen China und den USA ist und einer der größten
Luftfrachtunternehmer der Welt – hat der noch Lust und Zeit, Züge von
Itzelberg nach Mergelstetten zu organisieren? Kümmert der sich gern um
marode Brücken, die im ganzen Land die ICEs zum Langsamfahren zwingen?
Nein. Und deshalb rumpelt es überall.
Gut die Hälfte des DB-Konzernumsatzes stammt heute aus Auslandsgeschäften.
Viel Geld wird da bewegt, der Gewinn aber ist gering. Mehr als 10
Milliarden Euro gingen für diese Auslandseinsätze drauf, Investitionen,
die sich nicht amortisieren. Investitionen, gegen die sich, manchmal,
Menschen wehren. Ganz aktuell: In Mexiko beteiligt sich der Staatskonzern
an dem gigantischen Bahnprojekt [5][„Tren Maya“], einer Trasse von über
1.500 Kilometern – auch quer durch Regenwälder.
Dort lebende Nachfahren der Maya kämpfen gegen den Bau, sie fürchten, dass
der Zug das sensible Ökosystem gefährdet, ihre Lebensgrundlagen zerstört
und sie dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Das ist dieselbe Bahn, die
sich hierzulande als Zeichen der Umweltliebe grüne Streifen auf die ICEs
klebt.
## Mit 35 Milliarden Euro verschuldet
Dieses Bahnversagen ist natürlich ein Staatsversagen. Schuldig sind die
Köpfe im Kanzleramt und ihre Verkehrsminister. Sie ließen es zu, dass der
größte deutsche Staatskonzern ein Staat im Staat wurde. Und zu einer
Geldvernichtungsmaschine: Mit 35 Milliarden Euro ist die Bahn AG derzeit in
den Miesen, faktisch also pleite. Sogar dem Verkehrsminister ist jetzt
klar: „So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Sagt er. Aber: Wird es
besser? Wird es endlich gut mit dieser Bahn?
Die meisten der aktuellen Verheißungen sind ohne Bezug zur Realität. Seit
1994, seit der staatlich organisierte Zerfall mit jener Bahnreform begann,
die als Ziel Börsengang und Privatisierung hatte, wurde gespart an
Menschen, Material, Reparaturen, Investitionen. Heute fehlt es an allem: an
Gleisen, an Lokomotiven, an Zügen, an Personal. Und an Know-how.
Wie hoffnungslos die Lage ist, zeigt sich an einer Zahl: Um auf den
Standard der Schweiz zu kommen, müsste das Bahnnetz augenblicklich um
25.000 Kilometer erweitert werden – ein Ding der Unmöglichkeit. Wo früher
Gleise und Rangierbahnhöfe waren, stehen heute Einkaufszentren, Büro- und
Wohngebäude. Oder gar nichts, aber irgendetwas Unschönes wird schon noch
kommen.
25.000 Brücken hat die Bahn, im Durchschnitt sind sie knapp 75 Jahre alt,
12.000 sind schon über 100 Jahre im Einsatz. Viele von ihnen wurden so
wenig gepflegt, dass man sie abreißen und komplett erneuern muss –
mindestens 2.000 Bauwerke. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind über
100 Städte vom Fernverkehrsnetz abgehängt worden, Mittel- und Großstädte
wie etwa Chemnitz, Heilbronn, Bremerhaven.
## 100 Städte abgehängt
Für 17 Millionen Menschen wurde durch dieses Abkoppeln das Bahnfahren
erschwert und unattraktiv. Wie soll das bloß klappen – etwa das
Versprechen, dass viele Städte bald im Halbstundentakt angefahren werden?
Die wolkigen Worte der Verantwortlichen sind schön, die Zahlen sind es
nicht: Hatte die Bahn 1994 über 130.000 Weichen und Kreuzungen, sind es
heute um die 70.000. Aber jede rausgerissene Weiche heißt: weniger Überhol-
und Ausweichmöglichkeiten. Heißt: Verspätungen.
Heißt: Frust bei den Kunden. Betrug die Netzlänge 1994 noch über 40.000
Kilometer, sind es heute bloß noch rund 33.000 Kilometer. Diesen Raubbau
spüren die Wartenden an den Bahnsteigen, die Gestrandeten im Nirgendwo, die
Verspäteten im ICE, vor dem ein Güterzug schleicht. Wie soll das also gehen
– runter mit den Waren von den Lastwagen, rauf auf die Schiene?
Gab es 1994 noch knapp 12.000 Gleisanschlüsse, für Industriebetriebe, so
sind es derzeit gerade noch etwas über 2.000. Ein paar Jahre lang konnte
man den schleichenden Verfall kaschieren, schließlich war die Bahn vorher
ein sehr robustes System. Früher bewunderte die Welt Deutschland für sein
perfektes Bahnsystem. „Pünktlich wie die Eisenbahn“ war ein geflügeltes
Wort. Heute ist dies das geflügelte Wort: „Störungen im Betriebsablauf“.
Jetzt steht die Bahn vor dem Kollaps.
Und allen Beteuerungen zum Trotz: Faktisch scheint das Thema Bahn den
Regierenden nicht wichtig zu sein. Das zeigt ein Blick in den
Koalitionsvertrag. Nicht mal eine Seite umfasst dort das Thema Zugverkehr.
Diese Passage ist eine lose Aneinanderreihung all der Verheißungen, die man
seit Jahren hört, darunter die Reaktivierung von Strecken,
Elektrifizierung, Stilllegungen vermeiden, Kapazitätserweiterung.
Klimafreundliches wird gewunden formuliert und sofort relativiert: „Bei
neuen Gewerbe- und Industriegebieten soll die Schienenanbindung
verpflichtend geprüft werden“. Immerhin soll es jetzt Geld geben. Wir haben
dazugelernt, sagen nun fast alle Politiker, wir geben der Bahn in den
kommenden Jahren richtig viel Geld: 60, 70, ja 90, vielleicht sogar 150
Milliarden Euro!
## Tempo 330 ist Ökofrevel
Darf ich mich über diese – versprochenen – astronomischen Summen freuen?
Nein. Nicht wenn ich mir Sorgen um das Klima mache. Die einzig gute Idee,
die der frühere Bahnchef Rüdiger Grube hatte, war es, die ICEs nicht
schneller als Tempo 250 fahren zu lassen. Jetzt aber will man doch wieder
Strecken für [6][Tempo 330 bauen. Das ist Ökofrevel].
Unsummen sollen in unökologische Großbetonprojekte gesteckt werden, wieder
und immer noch: in Stuttgart 21, in Münchens zweite Stammstrecke, in einen
Tiefstbahnhof unter Frankfurt, in die Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona
nach Diebsteich, in eine Neubaustrecke von Dresden nach Prag samt riesigem
Tunnel. Zwischen 50 und 70 Milliarden Euro wird die Umsetzung dieser Pläne
kosten.
Was da geschehen soll, ist Klimakill pur. Der Bau eines einzigen
Tunnelkilometers setzt so viel CO2 frei wie 26.000 Autos, die je 13.000
Kilometer fahren, so viele legen die Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr
zurück. Seit Jahren brüstet sich die Bahn damit, ein grünes Unternehmen zu
sein, „unsere Loks gewöhnen sich das Rauchen ab“, dieser Werbeslogan von
1968 begründet das Image der umweltfreundlichen Bahn, das sie aufwendig
pflegt: „Bahnfahren ist Umweltschutz“.
Der Eisbär auf seiner schmelzenden Scholle müsse diesem Klimaretter dankbar
sein. Von wegen: Die Bahn bezieht noch immer rund 40 Prozent ihrer Energie
aus Kohle, Atom, Erdgas, und ein Dieseljunkie ist sie auch: Fast 2.500
Triebwagen und Loks mit Dieselmotoren rollen durch Deutschland, ein Drittel
des DB-Fuhrparks. Die meisten sind mit einer Uralt-Abgastechnik
ausgestattet: Drecksschleudern also.
Gerade mal 61 Prozent des Schienennetzes sind elektrifiziert. Man arbeitet
daran? Nun ja: 2020 wurden gerade mal 19 Kilometer ans Stromnetz
angeschlossen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es noch über 100
Jahre, bis die Bahn AG zu 100 Prozent elektrifiziert ist – um dann endlich
dort zu sein, wo die Schweiz schon sehr lange ist.
Was also wäre wirklich sinnvoll? Auf Prestigebauten verzichten, stattdessen
Regionalstrecken ausbauen, Industrieanschlüsse für den Güterverkehr
installieren, Bahnhöfe vor allem auf dem Land attraktiv gestalten,
konsequent die Strecken elektrifizieren, die Auslandsgeschäfte beenden. Und
allein für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm ließen sich 1.500
kundenfreundliche Bahnhöfe à 10 Millionen Euro bauen. Es könnte gut werden
mit dieser Bahn. Vernünftig. Ökologisch. Wenn man es nur wollte.
3 Jul 2022
## LINKS
[1] /Unterwegs-mit-dem-9-Euro-Ticket/!5856534
[2] /100-Milliarden-fuer-Bundeswehr/!5857536
[3] /Wissings-Plaene-fuer-die-Deutsche-Bahn/!5859721
[4] /Scheidender-Bahnchef/!5164886
[5] /Geplante-Maya-Bahn-durch-Mexiko/!5791061
[6] /Klimaschutz-und-die-Bahn/!5852416
## AUTOREN
Arno Luik
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