# taz.de -- Pro Bahn-Sprecher über Niedersachsen: „Heruntergewirtschaftete S… | |
> Niedersachsen will stillgelegte Bahntrassen reaktivieren, ist aber | |
> zögerlich. Pro Bahn-Landesvorsitzender Malte Diehl fordert mehr Geld für | |
> die Schiene. | |
Bild: Reaktivierbar: überwucherte Schienen auf der alten Bahnstrecke Rinteln�… | |
taz: Warum ist man in Niedersachsen so zögerlich, [1][Bahnstrecken zu | |
reaktivieren], Herr Diehl? Die Vorteile liegen ja eigentlich auf der Hand. | |
Malte Diehl: Die amtierende Landesregierung hat da keinen großen Ehrgeiz an | |
den Tag gelegt und sich mehr darum gekümmert, das Thema Elektromobilität | |
bei Pkws voranzutreiben. Wahrscheinlich mit Blick auf VW, der der größte | |
Arbeitgeber im Land ist. Man hat versucht, den Wasserstoff-Triebwagen zu | |
pushen, aber alles, was mit Reaktivierung zu tun hat oder mit | |
Streckenneubauten, stand nicht auf der Agenda. Das sieht man auch daran, | |
dass die Landesregierung sich nach wie vor dagegen sperrt, über eine | |
Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover oder zwischen Hannover und | |
Bielefeld auch nur zu diskutieren. | |
Da ist man im Wahlkampf in Niedersachsen natürlich sehr vorsichtig, nachdem | |
der Widerstand gegen [2][den Bau der Y-Trasse] in der Bevölkerung so groß | |
gewesen war. | |
Was heißt aus der Bevölkerung? Man hört ja bislang immer nur auf die Leute | |
vor Ort. Das sind Strecken mit bundesweiter Bedeutung und würde man | |
entsprechende Umfragen machen, dann käme sicherlich ein ganz anderes Bild | |
dabei heraus. Das Referendum zu Stuttgart 21 wurde aus guten Gründen | |
landesweit abgehalten, weil eben nicht nur die Leute entlang der geplanten | |
Trasse betroffen sind. | |
Woher nehmen Sie [3][bei Pro Bahn] den Optimismus, dass die Leute | |
umsteigen, wenn Bahnstrecken reaktiviert werden? Denn deaktiviert wurden | |
sie ja unter anderem wegen mangelnden Fahrgastaufkommens. | |
Es gibt da schon Unterschiede zwischen früher und heute. Früher hatte die | |
Deutsche Bundesbahn quasi den Auftrag, Strecken stillzulegen. Man war in | |
den 70er-, 80er-Jahren autofixiert und wollte eigentlich alles loswerden, | |
was abseits der großen Hauptstrecken war und wo man nicht 10.000 Passagiere | |
am Tag hätte erwarten können. Und die Strecken wurden ganz gezielt | |
heruntergewirtschaftet. | |
Wie das? | |
Sie kennen vielleicht noch alte Fotos von Bahnhöfen vor 30, 40 Jahren, das | |
war eher traurig. Man hat das Angebot ausgedünnt, dann gab es plötzlich | |
keinen Wochenendverkehr mehr, dann wurden noch parallele Buslinien | |
eingeführt mit fast identischen Fahrzeiten. Und dann hieß es: Auf einmal | |
fährt ja keiner mit, wir müssen stilllegen. | |
Vorsichtige Menschen sagen ja, man soll das Ganze erst mit einer | |
Busverbindung ausprobieren. | |
Dem würde ich widersprechen. Der Bedarf ist schon im Vorfeld sehr klar. | |
Busse sind langsamer als Züge und weniger komfortabel. Bei den Strecken, | |
die wir vorschlagen, passt es nicht, weil wir da von deutlich vierstelligen | |
Passagierzahlen pro Tag reden, das kriegen Sie niemals in einen Linienbus. | |
Alle Strecken, die man mit einem vernünftigen Konzept reaktiviert hat, | |
waren Erfolge, selbst in ländlichen Gegenden kann man teilweise | |
Halbstundentakt fahren, einfach weil der Bedarf da ist. | |
In Studien wird zudem die Belebung des ländlichen Raums durch | |
Zuganbindungen gepriesen – warum gibt es dennoch so viel Protest? | |
Wenn es um Reaktivierung geht, dann ist es eigentlich nie die Mehrheit, die | |
dagegen ist. Das sind meist Bürgerinitiativen, die einen kleinen Teil der | |
Einwohner repräsentieren. Und zwar meistens die, die auf Grundstücken | |
entlang der Strecke wohnen und beim Kauf froh waren, dass die Strecke bald | |
abgerissen wird. Sie befürchten, dass ihr Grundstück weniger Wert hat oder | |
dass sie auch mal ein bisschen Verkehrslärm vor der Tür haben. Aber | |
Verkehrswende wird nicht ohne so etwas gehen. Ich kenne kein Projekt einer | |
Reaktivierung, wo die Mehrheit insgesamt nicht dahinter gestanden hätte. | |
Leider sind diese Bürgerinitiativen meistens gegen etwas und dann auch | |
relativ laut. | |
Wie realistisch sind Reaktivierungen, wenn es der Bahn nicht einmal | |
gelingt, die bestehenden Strecken zu sanieren? | |
Wir haben da ganz klar ein Verteilungsproblem. Nach wie vor wird entgegen | |
aller Beteuerungen viel mehr Geld für den Straßenbau ausgegeben als für den | |
Schienenbau. Es mag sein, dass man auf Bundesebene mehr Geld für die | |
Schiene ausgibt als für die Straße. Aber da sind die ganzen Investitionen, | |
die Länder und Kommunen in die Straßen tätigen, noch längst nicht dabei. Es | |
müsste jetzt ganz gezielt das Geld für völlig [4][unsinnige Projekte wie | |
Autobahnneubauten] umgeleitet werden und man müsste auch gezielt | |
Baukapazitäten schaffen. | |
20 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Zugverbindungen-auf-dem-Land/!5791067 | |
[2] /Dialogforum-zur-Y-Trasse | |
[3] https://www.pro-bahn.de/niedersachsen/ | |
[4] /Autobahn/!t5007852 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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