# taz.de -- Obstanbau im Klimawandel: „Vergiss die Ernte“ | |
> Das größte deutsche Süßkirschen-Anbaugebiet liegt in der Fränkischen | |
> Schweiz. Doch der Klimawandel könnte das Aus für die Kirschbäume | |
> bedeuten. | |
Bild: Die berühmte Kirschblüte der Fränkischen Schweiz | |
IGENSDORF/HILTPOLTSTEIN taz | Sattgrüne Blätter, dazwischen verheißungsvoll | |
viele kleine, grüne Früchte: Wie am Lineal gezogen stehen die Obstbäume von | |
Thomas Fahner und Doris Bachmeier über der Ortschaft Igensdorf im | |
Schwabachtal, Landkreis Forchheim. Sechs Reihen Henriette wachsen hier, 350 | |
Bäume einer langstieligen Süßkirschensorte, mit, so heißt es, würzigem | |
Aroma bei feiner Säure. Ab Mitte Juli wollen die Geschwister Fahner und | |
Bachmeier, die [1][einen der größten Obstanbaubetriebe der Fränkischen | |
Schweiz] führen, große, schwarzrote Früchte ernten. | |
Unterarmdicke Stahlstangen stecken in dem Boden, auf dem Henriette wächst. | |
Die Stangen sind neu. Auf ihnen soll etwa zwei oder drei Wochen vor der | |
Ernte Folie aufgezogen werden, um sechs Reihen Henriette vor Starkregen zu | |
schützen, der im vergangenen Jahr so viele Früchte hat platzen lassen. | |
Thomas Fahner, stoppeliger Bart, rote Bäckchen von der Arbeit an der | |
frischen Luft, zeigt mit ausladender Geste an, von wo bis wo und wie weit: | |
„Allein das Stück hier, ein halber Hektar, zu überdachen, kostet 35.000 | |
Euro.“ Und weil das so teuer ist, wird erst mal nur die Henriette bedeckt. | |
Insgesamt bewirtschaften die Fahners 18 Hektar Land, auf 3 davon wachsen | |
verschiedene Sorten Kirschen. Insgesamt gibt es in der Fränkischen Schweiz, | |
zwischen Bamberg und Nürnberg, 2.500 Hektar landwirtschaftlich genutztes | |
Land, weswegen sie als eines der größten zusammenhängenden Anbaugebiete der | |
Süßkirsche in Europa gilt. Die meisten Betriebe werden nebenerwerblich | |
organisiert, die Fahners sind eine der wenigen Ausnahmen, die ihren | |
Obstanbau hauptberuflich betreiben. | |
Die bayerische Süßkirschenernte stammt fast vollständig – zu 94 Prozent – | |
aus dem kleinen Landkreis Forchheim. Zwischen 1.000 und 8.000 Tonnen | |
Süßkirschen werden hier pro Jahr nach Angaben des Forchheimer Landratsamts | |
gepflückt. Der Grund für die große Spanne ist die Abhängigkeit vom Wetter. | |
Der Obstanbau ist in den vergangenen Jahren aufwändiger geworden, | |
insbesondere, was die Kirsche angeht. Sie ist besonders empfindlich: mag | |
keinen Frost, braucht Platz und schmeckt Ohrwürmern und Läusen. Die | |
Veränderung des Klimas wird auch in der Fränkischen Schweiz augenfällig und | |
macht der süßen Frucht das Leben nicht leichter: Die Jahre 2017 bis 2019 | |
waren viel zu trocken, das Defizit ist bis heute spürbar. 2020 schlug der | |
gefürchtete Spätfrost im Mai zu, 2021 der bereits erwähnte Regen. | |
Manch ein Beobachter prophezeit dem gewerbsmäßigen Obstanbau der Region, | |
dessen Tradition bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht, sein baldiges Ende. | |
Es sei denn, die Obstbauern und -bäuerinnen erfinden Ausweich- und | |
Alternativkulturen, züchten robustere Sorten oder steigen auf exotische | |
Früchte um. | |
Nordbayern – wo Mandeln und Kiwis blühen. Das erscheint auf einmal gar | |
nicht mehr absurd. Wie in mediterranen Gefilden fühlt man sich schon jetzt, | |
wenn man den Ausblick von Thomas Fahners Kirschplantage genießt: sanfte | |
Hügel, schlanke Kirchtürme, die in die Schäfchenwolken auf blauem Himmel | |
pieksen. Besonders empfiehlt sich ein Ausflug in diese Gegend ab Mitte und | |
bis Ende April, wenn auf den Hügeln die weißen und zartrosa Kirschblüten | |
strahlen. | |
## Starkregen und Trockenheit | |
Thomas Fahner schaut in den Himmel: Von Regen ist heute nicht mehr | |
auszugehen. Für morgen sei auch keiner angesagt. Gerade jetzt, in der Phase | |
der Fruchtentwicklung, bräuchten die Bäume aber dringend Wasser. Das | |
Problem Starkregen löst blöderweise das Problem Trockenheit nicht. Wenn es | |
so bleibt wie jetzt, muss Thomas Fahner Wasser fahren. | |
Familie Fahner hat sich entschlossen, so viel zu investieren wie möglich, | |
um weiter zwei Familien vom Obstanbau ernähren zu können. Die Kirschen, die | |
sie hier vor 30 Jahren als Kinder von den Bäumen gepflückt haben, würde | |
heute keiner mehr kaufen, sagt Fahner. Wer allerdings große Kirschen ernten | |
möchte, muss eine Vielzahl an Gefahren aus dem Weg räumen. | |
Fahner zupft ein Blatt von einem der Bäume, das sich wie unter großer Hitze | |
eingerollt hat. Es ist von der Schwarzen Kirschenlaus befallen. „Die habe | |
ich gerade noch rechtzeitig erwischt“, sagt Fahner und meint: | |
pflanzenschutztechnisch attackiert. „Wenn ich das nicht behandle, findet | |
keine Photosynthese mehr statt und mir geht der Baum ein.“ | |
Die Blattläuse seien mehr geworden in den vergangenen Jahren. Ob das mit | |
dem Wetter zu tun hat, könne er aber nicht sagen. Tatsächlich legt [2][eine | |
Studie des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen] nahe, dass | |
ausgerechnet die virusübertragenden Blattläuse Nutznießer des Klimawandels | |
sein könnten: mildere Winter, mehr Läuse. Auch die Wühlmaus, die gern die | |
jungen Wurzeln der Süßkirsche annagt, wühlt in größerer Mannschaftsstärke, | |
wenn kein harter Winter ihre Population dezimiert. | |
Thomas Fahner traktiert mit seinem dicken Lederstiefel den Stamm einer | |
Henriette. Er befreit sie von drumherum wachsendem toten Geflecht. Die | |
Löcher, die jetzt sichtbar werden, hat die Maus gebohrt. Auch deshalb hat | |
Fahner den Streifen unter den Bäumen mit Glyphosat bearbeitet, sehr gering | |
dosiert, wie er sagt. Damit der Baum genug Nährstoffe bekommt und die | |
Falken die Wühlmäuse sehen können. Glyphosat. [3][Das böse Wort] ist | |
gefallen und Fahner will sich prompt rechtfertigen: „Die Firma, die das | |
Glyphosat herstellt, muss man kritisch betrachten. Und wenn man dann im | |
Fernsehen sieht, wie das in Südamerika mit Flugzeugen hektarweise | |
ausgebracht wird, natürlich ist das scheiße. Aber das kann ich doch nicht | |
damit vergleichen, wenn wir hier einen Streifen unter den Bäumen | |
fachgerecht abspritzen. Nix pur, nix Flugzeug. Das ist doch ein | |
Unterschied!“ | |
Jetzt müsste im Hintergrund eigentlich der Falke rufen, aber es ist ein | |
lautstarkes Motorrad, das gerade durchs Schwabachtal brettert. Die Realität | |
im Naturpark ist weniger romantisch als sie bisweilen verkauft wird. Seit | |
die Mönche des von hier aus nur zwei Kilometer entfernten Klosters | |
Weißenohe – heute ist nur noch eine Klosterbrauerei übrig – die ersten | |
Kirschbäume in der Region kultivierten, hat sich das Klima schon ein paar | |
Mal geändert. Was auch der Grund dafür ist, dass sich in der Fränkischen | |
Schweiz im Lauf des 16. Jahrhunderts der Obstanbau mit Obstbaumzucht als | |
wichtige Sonderkultur neben dem dominierenden Weinanbau etablierte. | |
Ausführlich beschreibt das der Ethnologe Jochen Alexander Hofmann in seiner | |
Monografie „Obstlandschaften 1500–1800“: Zwischen 1550 und 1850 habe auch | |
der Temperaturrückgang um durchschnittlich 1,5 Grad dazu geführt, dass | |
statt Wein in Mitteleuropa viel mehr Obst angebaut wurde. Zum Vergleich: | |
Laut [4][Klimareport aus dem Bayerischen Umweltministerium] ist die | |
mittlere Temperatur in Bayern allein zwischen 1961 und 2021 um 1,9 Grad | |
gestiegen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat für die Klimaregion | |
Forchheim-Fürth-Erlangen-Höchstadt-Nürnberg außerdem die Jahresmittelwerte | |
von 1971 bis 2000 mit denen von 1990 bis 2019 verglichen und eine Zunahme | |
von 0,8 Grad festgestellt. | |
Der Fahnerhof liegt am Rand des 5.000 Einwohner zählenden Igensdorf. Hier | |
hat einer von drei Obstgroßmärkten der Region seinen Sitz. Doris Bachmeier, | |
asymmetrische Kurzhaarfrisur, energischer Blick, 43 Jahre alt, sitzt neben | |
ihrem 8 Jahre jüngeren Bruder Thomas Fahner an einem runden Tisch aus | |
hellem Holz, Kreuz an der Wand, fünf Taufkerzen überm Fernseher. Hier haben | |
schon Großeltern und Urgroßeltern getafelt – könnte man meinen! Doch den | |
Hof am Ortsrand gibt es erst seit 1996. | |
Der Himmel über Igensdorf ist wolkenverhangen, die Temperatur ist gesunken. | |
Dennoch: Der milde Winter 2021/22 hat erneut für eine frühe Blüte der | |
Kirsche gesorgt. Anders als zu Großvaters Zeiten. „Die Kirschenfeste in der | |
Region sind ja um den 1. Mai rum“, ruft Bachmeier fränkelnd und | |
richtiggehend empört aus: „Weil da früher die Blütezeit war! Mittlerweile | |
sind wir vier Wochen früher dran.“ Dieses Jahr wenigstens nur zwei Wochen. | |
Die Entwicklung ist problematisch, speziell für die empfindliche Kirsche. | |
Auch wenn der Winter mild ist, heißt das nicht, dass es ab April keinen | |
Frost mehr gibt an den Hängen der Fränkischen Schweiz. Im Gegenteil, der | |
Frost kam in den vergangenen Jahren ganz typisch zur Zeit der Eisheiligen. | |
Anders als Schädlinge, lassen sich Spätfrostnächte nicht bekämpfen. Diesen | |
stehen die Landwirt*innen hilflos gegenüber. | |
2020 schlugen zwei Eisheilige besonders brutal zu: Bischof Mamertus, der | |
die Stadt Vienne mittels Gebet vor einer Feuersbrunst bewahrte, und | |
Pankratius, ein Waisenkind, das wegen seines Glaubens enthauptet wurde. In | |
Bauernregeln geschulte Katholiken wissen: Gemeint ist die Nacht vom 11. auf | |
den 12. Mai 2020. Minus 6 Grad in Igensdorf, klirrende Kälte. Bruder und | |
Schwester fallen einander ins Wort, wenn sie davon erzählen. Bachmeier: „Da | |
hingen schon solche Früchte dran“, sie macht einen murmelgroßen Ring mit | |
Daumen und Zeigefinger. Fahner: „Und die sind ja voller Wasser!“ Bachmeier: | |
„Und dieses feine Gewebe hält schier gar nichts aus. Wenn es da nur ein | |
bisschen … dann ist es schwarz … Und du kannst die ganze Ernte vergessen.“ | |
Ein bisschen Frost im Mai, das kennen die Obstbauern. Nur hingen früher im | |
Mai eben noch keine oder nur sehr kleine Früchte an den Bäumen. Ein | |
bisschen Frost für die Blüten: kein Problem; viel Frost für die Früchte: | |
Katastrophe. 80 bis 90 Prozent Ernteausfall habe der Fahnerhof 2020 | |
verkraften müssen. Betroffen waren nicht nur die Kirschen, sondern | |
sämtliche Früchte. Thomas Fahner: „Die paar Äpfel, die überlebt haben, | |
waren verkrüppelt und hatten Frostrisse. Das war im Endeffekt auch nur | |
Mostobst.“ Zwei solche Jahre in Folge könne ein Hof wie dieser nicht | |
überleben. Fast die ganze Ernte – futsch. | |
Einen derart miesen Ertrag hatte der Fahnerhof noch nie. Und dennoch sitzt | |
Doris Bachmeier in ihrem Esszimmer und sagt aus vollster Überzeugung: „Das | |
Klima hat sich immer verändert. Mir wird das alles immer zu negativ | |
dargestellt.“ Obstanbau sei eben mit Risiko verbunden. Und zur ganzen | |
Wahrheit gehöre eben auch, dass bestimmte Apfelsorten, Braeburn oder Fuji, | |
früher eine deutlich kürzere Erntezeit hatten, weil es im November bereits | |
Frost gab. „Dass Aprikose und Pfirsich hier funktioniert – das ist doch | |
schön! Die Natur ist anpassungsfähig. Teilweise.“ Oder sie wird eben | |
angepasst, mit ein bisschen menschlicher Unterstützung. | |
Vom Fahnerhof in Igensdorf sind es nur knapp 10 Kilometer ins fast 200 | |
Meter höher gelegene Hiltpoltstein, 1.500 Einwohner*innen, deren Häuser | |
sich rund um die thronende Burg gruppieren, die hier bereits stand, als die | |
Weißenoher Mönche in ihrem Klostergarten die ersten Kirschen pfückten. Hier | |
oben arbeitet der Landkreis zusammen mit dem Bayerischen Staat daran, das | |
Risiko zu reduzieren, von dem Doris Bachmeier mit abgeklärtem Gestus | |
spricht wie die Bergsteigerin von der Lawine. | |
Bis 2021 lief am [5][hier angesiedelten Obstinformationszentrum] ein | |
Forschungsprojekt zur Sicherstellung des Fränkischen Süßkirschenanbaus | |
unter dem Einfluss des Klimawandels. Unter der Leitung der [6][Bayerischen | |
Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG)] wurde eine Zunahme der | |
spezifischen Schäden durch Spätfröste im süddeutschen Obstanbau seit 2011 | |
beobachtet. 2017 wurde das Phänomen von der Baden-Württembergischen | |
Landesregierung als Naturkatastrophe eingestuft, um Entschädigungen an die | |
Landwirt*innen zu ermöglichen. | |
Die LWG testete nun unter anderem Pelletöfen, Heizgasgeräte, Kerzen und ein | |
Nebelgerät mit dem klangvollen Namen Fogdragon. In allen Fällen handelt es | |
sich um Instrumente, die die Kirschen in kalten Frostnächten schützen | |
sollen, Freiluftheizungen zur Erhöhung der Umgebungstemperatur. Manche | |
Systeme werden mit Holz betrieben, andere mit Gas, weit verbreitet sind sie | |
in der Fränkischen Schweiz derzeit aber noch nicht. | |
Nachgefragt bei Projektbearbeiter Jonas Maußner von der LWG fällt die | |
Prognose insgesamt ernüchternd aus: „In der heutigen Form wird es den | |
fränkischen Süßkirschenanbau sicher in 20 Jahren nicht mehr geben“, | |
schreibt der sehr klar und eindeutig. „Die Obstbauregion ist stark | |
rückläufig und auch weniger fortschrittlich wie andere Obstbauregionen | |
(Altes Land, Bodensee, Baden …).“ Gründe dafür seien der | |
Generationenwechsel, fehlende regionale Unterstützung und Beratung und | |
häufig zu extensive Obstanlagen, die vor dem Hintergrund des steigenden | |
Mindestlohns und höherer Produktionskosten nicht mehr wettbewerbsfähig | |
seien. | |
## Die Betriebe gehen ein | |
Die Obstanbauregion im Landkreis Forchheim kann die Anpassungen, die nötig | |
wären, um dem extremeren Klima Rechnung zu tragen, nicht leisten. | |
Beispielsweise kommt die sogenannte Frostschutzberegnung nicht infrage, da | |
in Nordbayern Wasser ein knappes und knapper werdendes Gut ist. Die | |
[7][Erzeugerorganisation Franken Obst] bestätigt, die Zahl der Betriebe sei | |
rückläufig, auch wenn Geschäftsführerin Tina Weishaupt keine Zahlen nennen | |
möchte. Es heißt aber, dass die Erben vieler Obstbauern kein Interesse an | |
der hoch spekulativen Arbeit ihrer Vorfahren hätten. | |
Thomas Fahner stimmt Maußners Prognose ohne Abstriche zu: „Es wird in | |
Zukunft nur noch funktionieren, wenn man es im Haupterwerb macht und bereit | |
ist, bestimmte Dinge zu tun. Wir haben im Landkreis 85 Prozent | |
Nebenwerbslandwirte und es ist abzusehen, wann die aufhören. Du hast einen | |
Riesenaufwand, buckelst hier, opferst deine Freizeit und bekommst einen | |
Scheißpreis. Das macht kein Mensch mehr, da geh ich lieber ins Freibad.“ | |
Man müsse breit aufgestellt sein und in der Lage sein, Geld in die Hand zu | |
nehmen, um den Betrieb zu modernisieren. | |
Auf den Plantagen der Fahners stehen weder Öfen noch Kerzen. Aus | |
Kostengründen sagen sie. Als Familienbetrieb könne man das nicht leisten. | |
Die Ergebnisse der Versuche in Hiltpoltstein bestätigen diese Entscheidung. | |
Der Projektbeauftragte Maußner sagt: „Die Obstbauern sollten sich nicht | |
täuschen lassen von den erfolgversprechenden Herstellerangaben, denn die | |
Wirkungen sind häufig ernüchternd.“ Gegen die Eisheiligen indes ist immer | |
noch kein Kraut und auch kein Ofen gewachsen. Verlässlich sind die Kalte | |
Sophie und Co allerdings auch nicht: Im Jahr 2022 blieben die frostigen | |
Mainächte komplett aus. Bisher läuft alles gut für die Fränkische Kirsche. | |
Wenn es jetzt nur nicht zu trocken wird. | |
Prognosen über das Wetter sind schwierig, weil sie Komplexität reduzieren. | |
„Es wird warm“ muss nicht heißen, dass es nicht frostig wird. Für den | |
Landkreis Forchheim beispielsweise sagt der [8][Klimaausblick des GERICS | |
Climate Service Center] eine allgemeine Abnahme der Frost- und | |
Spätfrosttage voraus, bei einer Zunahme von Hitzetagen und | |
Starkregenereignissen. Der durchschnittliche Jahresniederschlag bleibt | |
derzeit in etwa stabil, er verteilt sich nur anders: Meteorologen | |
beobachten lange Trockenperioden im Frühjahr und Frühsommer mit kurzen, | |
intensiven Regenereignissen. Also: Zu wenig in der Vegetationsphase und | |
wenn doch, dann so viel, dass die Kirschen, die schon da sind, in | |
Platzgefahr geraten. | |
Insgesamt 6 Hektar umfasst die Versuchsstation Hiltpoltstein, zu der noch | |
ein Gelände im 200 Meter tiefer liegenden Dietzhof gehört, ein Gewächshaus | |
und Kirschbäume in verschiedenen Wuchsstadien. Elias Schmitt, Techniker im | |
Gartenbau und seit vergangenem Jahr Betriebsleiter der Versuchsstation | |
sagt: „Im Grunde genommen machen wir hier Zukunft.“ Die Anlagen in | |
Hiltpoltstein und Dietzhof bestehen seit 1972 und bilden den Charakter des | |
gesamten Anbaugebiets im kleinen Maßstab ab: „Durch die verschiedenen | |
Höhenlagen kann der Landkreis immer Ware gewährleisten“, sagt Schmitt. Ein | |
wichtiges Versprechen an den Markt. | |
Ein sanfter Anstieg führt am Gewächshaus vorbei und zu einer Plantage, | |
etwas kleiner als die von Fahner und Bachmeier und mit etwas mehr Löwenzahn | |
zwischen den Kirschbäumen. Die Unkrautbekämpfung funktioniert hier | |
mechanisch: Eine Auszubildende dreht Kreise mit dem Traktor, der eine Art | |
Egge hinter sich herzieht, die das Erdreich aufwühlt. Die etwa drei Meter | |
hohen Bäume hier sind der „Unterlagenversuch“ des Obstinformationszentrums. | |
Schwer zu erklären, einfacher zu zeigen: Elias Schmitt geht in die Knie und | |
deutet auf die Stelle, an der der Stamm sich eindeutig verjüngt. Hier geht | |
die Unterlage, die das Wurzelwerk ausbildet, in die Edelsorte über. | |
Obstbäume werden, damit man bestimmte Sorten erhält, durch Veredelung | |
vermehrt. Dazu wird ein einjähriger Trieb mit der entsprechenden Unterlage, | |
die das Wachstum bestimmt, verbunden. Entweder indem man zwei passende | |
Schnittflächen miteinander verklebt oder indem man eine ruhende Knospe | |
unter die Rinde der Unterlage schiebt. | |
Eine Standardkombination in Franken wäre zum Beispiel Regina mit einer | |
Fruchtgröße von 28 Millimetern auf Gisela 5. Regina ist so etwas wie eine | |
Vorgängerin der bereits erwähnten Henriette. Gisela 5, die beliebte | |
Unterlage, bekommt mittlerweile aber zunehmend Konkurrenz, zum Beispiel von | |
Gisela 12 und 13. Schmitt: „Das sind neuere Sorten mit mehr Wachstum und | |
dadurch tieferen Wurzeln. Sie können sich also besser ernähren und haben | |
mehr Standfestigkeit.“ | |
Möglicherweise ein Vorteil, wenn die Böden weiter austrocknen, aber so weit | |
will Elias Schmitt sich nicht aus dem Fenster lehnen. Da müsste der | |
Reporter in 5 Jahren wiederkommen, besser noch in 15 oder 20 Jahren. Die | |
naturgegebene Langfristigkeit der Unternehmung Obstanbau widerspricht dem | |
Wunsch nach eindeutigen Ansagen über die Zukunft der Branche. Man muss erst | |
mal gucken, ob die neuen Züchtungen es bringen. | |
Schmitt schüttelt an einem Ast, sodass weiße Blüten wie dicke Schneeflocken | |
auf die Plantage fallen: Regina befindet sich in der Abblüte, spät dran wie | |
immer. Ab jetzt entwickelt sich ihre köstliche Frucht. Ein kleiner grüner | |
Fruchtknoten ist bereits zu sehen. | |
Vielleicht erntet in 20 Jahren niemand mehr Regina und auch sonst keine | |
Kirsche, weil an den Hängen der Fränkischen Schweiz nurmehr Kiwibeeren, | |
Mandeln und Aprikosen blühen? Das Obstinformationszentrum des Landkreis | |
Forchheim testet solche Alternativkulturen. „Nur weil es trockener wird“, | |
sagt Schmitt, „wird es nicht automatisch besser für diese Kulturen, | |
teilweise blühen die noch früher. Die Kiwibeere zum Beispiel hat einen | |
Langtrieb, der friert sehr gerne weg.“ | |
Das Hauptaugenmerk gilt deshalb nach wie vor der Kirsche und wenn der Frost | |
kommt, rät Schmitt „seinen“ Bauern, die Anlagen ordentlich zu mulchen und | |
zu hoffen, dass es nicht so schlimm wird. Auf seinem Handy sucht er | |
scrollend nach Bildern aus dem Juli 2021: Hagelkörner wie Golfbälle! Hatte | |
er hier auch noch nicht gesehen. Aber so sei das eben. „Natur ist Natur, | |
wie will man sie bändigen?“ | |
## Gerne Bio. Aber billig | |
Noch einmal zurück zum Fahnerhof: Drei Generationen leben hier vom Obst. | |
Die Eltern, die die Spezialisierung auf Obstbau damals in die Wege geleitet | |
haben, arbeiten nach wie vor mit, in der Saison kommen zwei bis vier | |
Erntehelfer*innen hinzu, die dann, wenn sie gut sind, um die 15 Kilo | |
Kirschen pro Stunde von den Bäumen holen. | |
Anders geht es nicht, von Landwirtschaft wird niemand reich, das ist das | |
Mantra. Und überhaupt sei der Anbau im Haupterwerb nur rentabel, wenn man | |
eine breite Produktpalette anbietet: Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, | |
auch Aprikosen und Nektarinen, Äpfel sowieso. Und wenn man zusätzlich | |
bereit sei, sich in den eigenen Hofladen und auf den Bauernmarkt zu stellen | |
und die Ware im Direktvertrieb zu den eigenen Preisen anzubieten. Ein | |
bisschen Geschäftstüchtigkeit braucht es ebenfalls. Die Fahners | |
beispielsweise haben einen Schulobstdeal an Land gezogen, der vom | |
Bayrischen Staat und der EU finanziert wird. Sonst ginge es nicht. | |
Witterung hin oder her, die Fahners und die Genossenschaft sind sich einig | |
darin, dass das größte Problem nicht die Produktion ist, sondern der Preis, | |
den der Einzelhandel für die heimische Ware zahlt. Die Erzeugerorganisation | |
Franken Obst empfahl bereits im Februar, die heimische Ware müsste diesen | |
Sommer mindestens 25 Prozent teurer werden, wegen der gestiegenen Kosten | |
der Erzeuger zum Beispiel für Düngemittel und wegen des steigenden | |
Mindestlohns für die Saisonkräfte aus Osteuropa. Tina Weishaupt, | |
Franken-Obst-Geschäftsführerin, sagt, sie wünsche sich Subventionen für | |
deutsches Obst, anders könne man zum Beispiel mit griechischen oder | |
türkischen Kirschen nicht konkurrieren: „Die Politik ist gefragt. Der | |
Lebensmitteleinzelhandel muss einen Anreiz bekommen, um verstärkt auf | |
heimische Ware zu setzen.“ | |
Die Türkei ist mit über 800.000 Tonnen im Jahr 2021 das größte | |
Kirschenanbauland der Welt. Die intensive Landwirtschaft dort geht | |
allerdings mit einem enormen Wasserverbrauch einher, während der Regen | |
abnimmt. Anderes Thema, aber: Auch der [9][Grundwasserspiegel in der Türkei | |
sinkt dramatisch]. | |
Die Bauern in der Türkei und Griechenland aber, sagen sowohl die Fahners | |
als auch Tina Weishaupt, müssten erstens keinen Mindestlohn zahlen und | |
dürften zweitens Pflanzenschutzmittel einsetzen, die in Deutschland längst | |
verboten seien. Doris Bachmeier: „Wenn ich Verbraucherschutz betreiben | |
will, muss ich doch sagen, die Regeln, die für den Anbau gelten, will ich | |
auch für den Import haben. Aber so läuft es nicht und das verzerrt den | |
ganzen Wettbewerb.“ Ihr Bruder Thomas lacht herzhaft, aber bitter: „Die | |
Preise steigen: Jaja! Für den Endverbraucher, nicht für den Erzeuger! Die | |
Ketten, Edeka, Aldi, sagen der Genossenschaft, wir kaufen zu diesem Preis. | |
Kannst du liefern? Und wenn die Landwirte dann gerne mehr hätten, kaufen | |
Edeka und Aldi halt woanders.“ | |
Etwa 2 Euro pro Kilo bekommen die fränkischen Bauern vom Handel für die | |
Kirschen vom Großmarkt. Darauf verzichten Bachmeier und Fahner mittlerweile | |
und verkaufen die Früchte im eigenen Laden für 5 Euro. Und das sei nicht | |
der einzige Vorteil, den der zusätzliche Aufwand mit sich bringt: Im | |
Hofladen könne man der Kundschaft erklären, dass der Apfel mit Fleck nicht | |
anders schmeckt als der ohne. Der Supermarkt nehme hingegen [10][nach wie | |
vor ausschließlich makellose Ware] an. | |
Regional und saisonal und bio, das sei alles schön und gut. Am Ende wolle | |
die breite Masse aber immer noch Obst und Gemüse aus dem Bilderbuch und das | |
möglichst billig. Fahner: „Und wenn ich das nicht produziere, muss ich | |
meinen Betrieb zusperren und mir einen anderen Job suchen. Das ist halt | |
so.“ Bachmeier: „Wir leben in so einem Überfluss, dass die Gurke, wenn sie | |
nicht gerade ist, aussortiert wird.“ Und dann breit fränkisch und flüssig | |
aufgesagt, als wäre es ein Mundartgedicht: | |
„Des wär alles ned/ | |
Wenn die Wor knapp wär/ | |
Dann wär mer froh/ | |
wenn mers hätt./ | |
Früher wors aso.“ | |
Von der Art von Kundschaft, die sich wünscht, dass das Obst | |
pflanzenschutztechnisch unbehandelt, aber dennoch makellos sei, wollen die | |
Geschwister gar nicht erst anfangen. Sie wollen nicht frustriert klingen, | |
weil sie ihren Job mit Herzblut machen. | |
Vor einigen Wochen war ein Vertreter des Naturland-Bioverbands hier. Fahner | |
und Bachmeier spielen schon mit dem Gedanken, umzustellen irgendwann. | |
Bio-Äpfel, Bio-Birnen, das wäre jederzeit machbar. Es sind die Kirschen, | |
die sie daran hindern. Der Kirschfruchtfliege und der vor einigen Jahren | |
eingewanderten Kirschessigfliege sei nur mit Pflanzenschutzmitteln | |
beizukommen – oder mit Hunderten Quadratmetern Netz aus Kunststoff. | |
Schwierig wegen der vielen malerischen Hügel und: auch nicht so ökologisch, | |
wenn man es mal bedenkt. „Wer einmal eine wurmige Kirsche im Mund hatte, | |
kauft sein Leben lang keine Kirsche mehr“, sagt Bachmeier. Noch so ein | |
Faktor, der auf der Problemliste kommt zum Frost, der Dürre, dem Hagel … | |
Aber auch hier: So sei das halt. Die Natur macht ihr eigenes Ding, der | |
Mensch muss mitmachen. | |
Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Ob in 20 Jahren auf dem Fahnerhof | |
noch Kirschbäume stehen oder Ferienwohnungen, sei egal. Den Hof gäbe es ja | |
weiterhin. Fünf Kinder hat Doris Bachmeier. Und keinem würde sie von der | |
Landwirtschaft abraten und niemals würde sie von ihnen verlangen, den Hof | |
zu übernehmen. | |
„Jeder soll das machen, was er gerne macht und wenn man es gerne macht, | |
findet man auch einen Weg, wie man damit zurechtkommt und davon leben kann. | |
Das ist meine Überzeugung. Ein solcher Betrieb wird nie auf ewig die | |
gleiche Struktur behalten. Aber in der Grundsubstanz glaube ich schon, dass | |
man das erhalten kann.“ Allen Widrigkeiten zum Trotz, dem Preisverfall, dem | |
Klimawandel und der Kirschessigfliege. Einfach war es doch nie. Nur eine | |
Sache müsse man halt mitbringen: „Du musst es aus vollem Herzen machen | |
wollen.“ | |
Am Südhang über Igensdorf im Schwabachtal dreht sich ihr Bruder Thomas halb | |
um die eigene Achse und deutet scheinbar wahllos in die sanfte | |
Hügellandschaft: da Hopfen, da Weizen, da Birnen, da Raps, da Wald. „Die | |
Landschaft hier ist schön“, sagt er, „wenn man das schön findet, weil sie | |
landwirtschaftlich genutzt wird. Wenn man das nicht mehr will, hast du hier | |
in ein paar Jahren halt bloß noch Hecke.“ | |
6 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.obstbau-fahner.de/ | |
[2] https://www.julius-kuehn.de/pressemitteilungen/pressemeldung/news/pi2020-15… | |
[3] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469 | |
[4] https://www.stmuv.bayern.de/themen/klimaschutz/klimareport/ | |
[5] https://www.kulturerlebnis-fraenkische-schweiz.de/obst.html | |
[6] https://www.lwg.bayern.de/ | |
[7] https://frankenobst-gmbh.de/ | |
[8] https://www.gerics.de/products_and_publications/fact_sheets/klimaausblicke/… | |
[9] /Hitzewelle-und-Braende-in-Suedeuropa/!5786763 | |
[10] /Schoenheitsnormen-fuer-Obst-und-Gemuese/!5827773 | |
## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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nicht geregnet. Die Hälfte der Anbauflächen ist von Ernteausfall bedroht. | |
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In Deutschland und anderen Weltregionen wird es in den kommenden Tagen | |
gefährlich heiß. Die Klimakrise macht das wahrscheinlicher und intensiver. | |
Berlin erlebt „außergewöhnliche Dürre“: Aus der Traum von Eden | |
Laut „Dürre-Monitor“ ist der Boden in Berlin schon jetzt völlig | |
ausgetrocknet. Mit der Garten-Bewässerung dürfte es in Zukunft schwieriger | |
werden. | |
Scholz' Reaktion auf Klima-AktivistInnen: Klimakanzler mit Unterbrechungen | |
Hält Olaf Scholz Klima-AktivistInnen für Nazis? Kaum. Der Aufruhr um die | |
Redenstörer zeigt aber, dass die deutsche Konsensmaschine stottert. | |
Streit um Solarpark: Energiewende? Nicht auf meiner Koppel | |
In Brandenburg soll ein riesiger Solarpark entstehen. In der Gemeinde gibt | |
es aber Streit zwischen Befürwortern und Gegnern. | |
Umweltressort kritisiert Agrarministerin: „Klöckner blockiert Insektenschutz… | |
Die CDU-Politikerin blockiere vom Kabinett schon lange vereinbarte | |
Pestizidverbote, sagt das Umweltressort. Klöckner warnt vor Verlusten für | |
Bauern. |