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# taz.de -- Obstanbau im Klimawandel: „Vergiss die Ernte“
> Das größte deutsche Süßkirschen-Anbaugebiet liegt in der Fränkischen
> Schweiz. Doch der Klimawandel könnte das Aus für die Kirschbäume
> bedeuten.
Bild: Die berühmte Kirschblüte der Fränkischen Schweiz
Igensdorf/Hiltpoltstein taz | Sattgrüne Blätter, dazwischen verheißungsvoll
viele kleine, grüne Früchte: Wie am Lineal gezogen stehen die Obstbäume von
Thomas Fahner und Doris Bachmeier über der Ortschaft Igensdorf im
Schwabachtal, Landkreis Forchheim. Sechs Reihen Henriette wachsen hier, 350
Bäume einer langstieligen Süßkirschensorte, mit, so heißt es, würzigem
Aroma bei feiner Säure. Ab Mitte Juli wollen die Geschwister Fahner und
Bachmeier, die [1][einen der größten Obstanbaubetriebe der Fränkischen
Schweiz] führen, große, schwarzrote Früchte ernten.
Unterarmdicke Stahlstangen stecken in dem Boden, auf dem Henriette wächst.
Die Stangen sind neu. Auf ihnen soll etwa zwei oder drei Wochen vor der
Ernte Folie aufgezogen werden, um sechs Reihen Henriette vor Starkregen zu
schützen, der im vergangenen Jahr so viele Früchte hat platzen lassen.
Thomas Fahner, stoppeliger Bart, rote Bäckchen von der Arbeit an der
frischen Luft, zeigt mit ausladender Geste an, von wo bis wo und wie weit:
„Allein das Stück hier, ein halber Hektar, zu überdachen, kostet 35.000
Euro.“ Und weil das so teuer ist, wird erst mal nur die Henriette bedeckt.
Insgesamt bewirtschaften die Fahners 18 Hektar Land, auf 3 davon wachsen
verschiedene Sorten Kirschen. Insgesamt gibt es in der Fränkischen Schweiz,
zwischen Bamberg und Nürnberg, 2.500 Hektar landwirtschaftlich genutztes
Land, weswegen sie als eines der größten zusammenhängenden Anbaugebiete der
Süßkirsche in Europa gilt. Die meisten Betriebe werden nebenerwerblich
organisiert, die Fahners sind eine der wenigen Ausnahmen, die ihren
Obstanbau hauptberuflich betreiben.
Die bayerische Süßkirschenernte stammt fast vollständig – zu 94 Prozent –
aus dem kleinen Landkreis Forchheim. Zwischen 1.000 und 8.000 Tonnen
Süßkirschen werden hier pro Jahr nach Angaben des Forchheimer Landratsamts
gepflückt. Der Grund für die große Spanne ist die Abhängigkeit vom Wetter.
Der Obstanbau ist in den vergangenen Jahren aufwändiger geworden,
insbesondere, was die Kirsche angeht. Sie ist besonders empfindlich: mag
keinen Frost, braucht Platz und schmeckt Ohrwürmern und Läusen. Die
Veränderung des Klimas wird auch in der Fränkischen Schweiz augenfällig und
macht der süßen Frucht das Leben nicht leichter: Die Jahre 2017 bis 2019
waren viel zu trocken, das Defizit ist bis heute spürbar. 2020 schlug der
gefürchtete Spätfrost im Mai zu, 2021 der bereits erwähnte Regen.
Manch ein Beobachter prophezeit dem gewerbsmäßigen Obstanbau der Region,
dessen Tradition bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht, sein baldiges Ende.
Es sei denn, die Obstbauern und -bäuerinnen erfinden Ausweich- und
Alternativkulturen, züchten robustere Sorten oder steigen auf exotische
Früchte um.
Nordbayern – wo Mandeln und Kiwis blühen. Das erscheint auf einmal gar
nicht mehr absurd. Wie in mediterranen Gefilden fühlt man sich schon jetzt,
wenn man den Ausblick von Thomas Fahners Kirschplantage genießt: sanfte
Hügel, schlanke Kirchtürme, die in die Schäfchenwolken auf blauem Himmel
pieksen. Besonders empfiehlt sich ein Ausflug in diese Gegend ab Mitte und
bis Ende April, wenn auf den Hügeln die weißen und zartrosa Kirschblüten
strahlen.
## Starkregen und Trockenheit
Thomas Fahner schaut in den Himmel: Von Regen ist heute nicht mehr
auszugehen. Für morgen sei auch keiner angesagt. Gerade jetzt, in der Phase
der Fruchtentwicklung, bräuchten die Bäume aber dringend Wasser. Das
Problem Starkregen löst blöderweise das Problem Trockenheit nicht. Wenn es
so bleibt wie jetzt, muss Thomas Fahner Wasser fahren.
Familie Fahner hat sich entschlossen, so viel zu investieren wie möglich,
um weiter zwei Familien vom Obstanbau ernähren zu können. Die Kirschen, die
sie hier vor 30 Jahren als Kinder von den Bäumen gepflückt haben, würde
heute keiner mehr kaufen, sagt Fahner. Wer allerdings große Kirschen ernten
möchte, muss eine Vielzahl an Gefahren aus dem Weg räumen.
Fahner zupft ein Blatt von einem der Bäume, das sich wie unter großer Hitze
eingerollt hat. Es ist von der Schwarzen Kirschenlaus befallen. „Die habe
ich gerade noch rechtzeitig erwischt“, sagt Fahner und meint:
pflanzenschutztechnisch attackiert. „Wenn ich das nicht behandle, findet
keine Photosynthese mehr statt und mir geht der Baum ein.“
Die Blattläuse seien mehr geworden in den vergangenen Jahren. Ob das mit
dem Wetter zu tun hat, könne er aber nicht sagen. Tatsächlich legt [2][eine
Studie des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen] nahe, dass
ausgerechnet die virusübertragenden Blattläuse Nutznießer des Klimawandels
sein könnten: mildere Winter, mehr Läuse. Auch die Wühlmaus, die gern die
jungen Wurzeln der Süßkirsche annagt, wühlt in größerer Mannschaftsstärke,
wenn kein harter Winter ihre Population dezimiert.
Thomas Fahner traktiert mit seinem dicken Lederstiefel den Stamm einer
Henriette. Er befreit sie von drumherum wachsendem toten Geflecht. Die
Löcher, die jetzt sichtbar werden, hat die Maus gebohrt. Auch deshalb hat
Fahner den Streifen unter den Bäumen mit Glyphosat bearbeitet, sehr gering
dosiert, wie er sagt. Damit der Baum genug Nährstoffe bekommt und die
Falken die Wühlmäuse sehen können. Glyphosat. [3][Das böse Wort] ist
gefallen und Fahner will sich prompt rechtfertigen: „Die Firma, die das
Glyphosat herstellt, muss man kritisch betrachten. Und wenn man dann im
Fernsehen sieht, wie das in Südamerika mit Flugzeugen hektarweise
ausgebracht wird, natürlich ist das scheiße. Aber das kann ich doch nicht
damit vergleichen, wenn wir hier einen Streifen unter den Bäumen
fachgerecht abspritzen. Nix pur, nix Flugzeug. Das ist doch ein
Unterschied!“
Jetzt müsste im Hintergrund eigentlich der Falke rufen, aber es ist ein
lautstarkes Motorrad, das gerade durchs Schwabachtal brettert. Die Realität
im Naturpark ist weniger romantisch als sie bisweilen verkauft wird. Seit
die Mönche des von hier aus nur zwei Kilometer entfernten Klosters
Weißenohe – heute ist nur noch eine Klosterbrauerei übrig – die ersten
Kirschbäume in der Region kultivierten, hat sich das Klima schon ein paar
Mal geändert. Was auch der Grund dafür ist, dass sich in der Fränkischen
Schweiz im Lauf des 16. Jahrhunderts der Obstanbau mit Obstbaumzucht als
wichtige Sonderkultur neben dem dominierenden Weinanbau etablierte.
Ausführlich beschreibt das der Ethnologe Jochen Alexander Hofmann in seiner
Monografie „Obstlandschaften 1500–1800“: Zwischen 1550 und 1850 habe auch
der Temperaturrückgang um durchschnittlich 1,5 Grad dazu geführt, dass
statt Wein in Mitteleuropa viel mehr Obst angebaut wurde. Zum Vergleich:
Laut [4][Klimareport aus dem Bayerischen Umweltministerium] ist die
mittlere Temperatur in Bayern allein zwischen 1961 und 2021 um 1,9 Grad
gestiegen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat für die Klimaregion
Forchheim-Fürth-Erlangen-Höchstadt-Nürnberg außerdem die Jahresmittelwerte
von 1971 bis 2000 mit denen von 1990 bis 2019 verglichen und eine Zunahme
von 0,8 Grad festgestellt.
Der Fahnerhof liegt am Rand des 5.000 Einwohner zählenden Igensdorf. Hier
hat einer von drei Obstgroßmärkten der Region seinen Sitz. Doris Bachmeier,
asymmetrische Kurzhaarfrisur, energischer Blick, 43 Jahre alt, sitzt neben
ihrem 8 Jahre jüngeren Bruder Thomas Fahner an einem runden Tisch aus
hellem Holz, Kreuz an der Wand, fünf Taufkerzen überm Fernseher. Hier haben
schon Großeltern und Urgroßeltern getafelt – könnte man meinen! Doch den
Hof am Ortsrand gibt es erst seit 1996.
Der Himmel über Igensdorf ist wolkenverhangen, die Temperatur ist gesunken.
Dennoch: Der milde Winter 2021/22 hat erneut für eine frühe Blüte der
Kirsche gesorgt. Anders als zu Großvaters Zeiten. „Die Kirschenfeste in der
Region sind ja um den 1. Mai rum“, ruft Bachmeier fränkelnd und
richtiggehend empört aus: „Weil da früher die Blütezeit war! Mittlerweile
sind wir vier Wochen früher dran.“ Dieses Jahr wenigstens nur zwei Wochen.
Die Entwicklung ist problematisch, speziell für die empfindliche Kirsche.
Auch wenn der Winter mild ist, heißt das nicht, dass es ab April keinen
Frost mehr gibt an den Hängen der Fränkischen Schweiz. Im Gegenteil, der
Frost kam in den vergangenen Jahren ganz typisch zur Zeit der Eisheiligen.
Anders als Schädlinge, lassen sich Spätfrostnächte nicht bekämpfen. Diesen
stehen die Landwirt*innen hilflos gegenüber.
2020 schlugen zwei Eisheilige besonders brutal zu: Bischof Mamertus, der
die Stadt Vienne mittels Gebet vor einer Feuersbrunst bewahrte, und
Pankratius, ein Waisenkind, das wegen seines Glaubens enthauptet wurde. In
Bauernregeln geschulte Katholiken wissen: Gemeint ist die Nacht vom 11. auf
den 12. Mai 2020. Minus 6 Grad in Igensdorf, klirrende Kälte. Bruder und
Schwester fallen einander ins Wort, wenn sie davon erzählen. Bachmeier: „Da
hingen schon solche Früchte dran“, sie macht einen murmelgroßen Ring mit
Daumen und Zeigefinger. Fahner: „Und die sind ja voller Wasser!“ Bachmeier:
„Und dieses feine Gewebe hält schier gar nichts aus. Wenn es da nur ein
bisschen … dann ist es schwarz … Und du kannst die ganze Ernte vergessen.“
Ein bisschen Frost im Mai, das kennen die Obstbauern. Nur hingen früher im
Mai eben noch keine oder nur sehr kleine Früchte an den Bäumen. Ein
bisschen Frost für die Blüten: kein Problem; viel Frost für die Früchte:
Katastrophe. 80 bis 90 Prozent Ernteausfall habe der Fahnerhof 2020
verkraften müssen. Betroffen waren nicht nur die Kirschen, sondern
sämtliche Früchte. Thomas Fahner: „Die paar Äpfel, die überlebt haben,
waren verkrüppelt und hatten Frostrisse. Das war im Endeffekt auch nur
Mostobst.“ Zwei solche Jahre in Folge könne ein Hof wie dieser nicht
überleben. Fast die ganze Ernte – futsch.
Einen derart miesen Ertrag hatte der Fahnerhof noch nie. Und dennoch sitzt
Doris Bachmeier in ihrem Esszimmer und sagt aus vollster Überzeugung: „Das
Klima hat sich immer verändert. Mir wird das alles immer zu negativ
dargestellt.“ Obstanbau sei eben mit Risiko verbunden. Und zur ganzen
Wahrheit gehöre eben auch, dass bestimmte Apfelsorten, Braeburn oder Fuji,
früher eine deutlich kürzere Erntezeit hatten, weil es im November bereits
Frost gab. „Dass Aprikose und Pfirsich hier funktioniert – das ist doch
schön! Die Natur ist anpassungsfähig. Teilweise.“ Oder sie wird eben
angepasst, mit ein bisschen menschlicher Unterstützung.
Vom Fahnerhof in Igensdorf sind es nur knapp 10 Kilometer ins fast 200
Meter höher gelegene Hiltpoltstein, 1.500 Einwohner*innen, deren Häuser
sich rund um die thronende Burg gruppieren, die hier bereits stand, als die
Weißenoher Mönche in ihrem Klostergarten die ersten Kirschen pfückten. Hier
oben arbeitet der Landkreis zusammen mit dem Bayerischen Staat daran, das
Risiko zu reduzieren, von dem Doris Bachmeier mit abgeklärtem Gestus
spricht wie die Bergsteigerin von der Lawine.
Bis 2021 lief am [5][hier angesiedelten Obstinformationszentrum] ein
Forschungsprojekt zur Sicherstellung des Fränkischen Süßkirschenanbaus
unter dem Einfluss des Klimawandels. Unter der Leitung der [6][Bayerischen
Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG)] wurde eine Zunahme der
spezifischen Schäden durch Spätfröste im süddeutschen Obstanbau seit 2011
beobachtet. 2017 wurde das Phänomen von der Baden-Württembergischen
Landesregierung als Naturkatastrophe eingestuft, um Entschädigungen an die
Landwirt*innen zu ermöglichen.
Die LWG testete nun unter anderem Pelletöfen, Heizgasgeräte, Kerzen und ein
Nebelgerät mit dem klangvollen Namen Fogdragon. In allen Fällen handelt es
sich um Instrumente, die die Kirschen in kalten Frostnächten schützen
sollen, Freiluftheizungen zur Erhöhung der Umgebungstemperatur. Manche
Systeme werden mit Holz betrieben, andere mit Gas, weit verbreitet sind sie
in der Fränkischen Schweiz derzeit aber noch nicht.
Nachgefragt bei Projektbearbeiter Jonas Maußner von der LWG fällt die
Prognose insgesamt ernüchternd aus: „In der heutigen Form wird es den
fränkischen Süßkirschenanbau sicher in 20 Jahren nicht mehr geben“,
schreibt der sehr klar und eindeutig. „Die Obstbauregion ist stark
rückläufig und auch weniger fortschrittlich wie andere Obstbauregionen
(Altes Land, Bodensee, Baden …).“ Gründe dafür seien der
Generationenwechsel, fehlende regionale Unterstützung und Beratung und
häufig zu extensive Obstanlagen, die vor dem Hintergrund des steigenden
Mindestlohns und höherer Produktionskosten nicht mehr wettbewerbsfähig
seien.
## Die Betriebe gehen ein
Die Obstanbauregion im Landkreis Forchheim kann die Anpassungen, die nötig
wären, um dem extremeren Klima Rechnung zu tragen, nicht leisten.
Beispielsweise kommt die sogenannte Frostschutzberegnung nicht infrage, da
in Nordbayern Wasser ein knappes und knapper werdendes Gut ist. Die
[7][Erzeugerorganisation Franken Obst] bestätigt, die Zahl der Betriebe sei
rückläufig, auch wenn Geschäftsführerin Tina Weishaupt keine Zahlen nennen
möchte. Es heißt aber, dass die Erben vieler Obstbauern kein Interesse an
der hoch spekulativen Arbeit ihrer Vorfahren hätten.
Thomas Fahner stimmt Maußners Prognose ohne Abstriche zu: „Es wird in
Zukunft nur noch funktionieren, wenn man es im Haupterwerb macht und bereit
ist, bestimmte Dinge zu tun. Wir haben im Landkreis 85 Prozent
Nebenwerbslandwirte und es ist abzusehen, wann die aufhören. Du hast einen
Riesenaufwand, buckelst hier, opferst deine Freizeit und bekommst einen
Scheißpreis. Das macht kein Mensch mehr, da geh ich lieber ins Freibad.“
Man müsse breit aufgestellt sein und in der Lage sein, Geld in die Hand zu
nehmen, um den Betrieb zu modernisieren.
Auf den Plantagen der Fahners stehen weder Öfen noch Kerzen. Aus
Kostengründen sagen sie. Als Familienbetrieb könne man das nicht leisten.
Die Ergebnisse der Versuche in Hiltpoltstein bestätigen diese Entscheidung.
Der Projektbeauftragte Maußner sagt: „Die Obstbauern sollten sich nicht
täuschen lassen von den erfolgversprechenden Herstellerangaben, denn die
Wirkungen sind häufig ernüchternd.“ Gegen die Eisheiligen indes ist immer
noch kein Kraut und auch kein Ofen gewachsen. Verlässlich sind die Kalte
Sophie und Co allerdings auch nicht: Im Jahr 2022 blieben die frostigen
Mainächte komplett aus. Bisher läuft alles gut für die Fränkische Kirsche.
Wenn es jetzt nur nicht zu trocken wird.
Prognosen über das Wetter sind schwierig, weil sie Komplexität reduzieren.
„Es wird warm“ muss nicht heißen, dass es nicht frostig wird. Für den
Landkreis Forchheim beispielsweise sagt der [8][Klimaausblick des GERICS
Climate Service Center] eine allgemeine Abnahme der Frost- und
Spätfrosttage voraus, bei einer Zunahme von Hitzetagen und
Starkregenereignissen. Der durchschnittliche Jahresniederschlag bleibt
derzeit in etwa stabil, er verteilt sich nur anders: Meteorologen
beobachten lange Trockenperioden im Frühjahr und Frühsommer mit kurzen,
intensiven Regenereignissen. Also: Zu wenig in der Vegetationsphase und
wenn doch, dann so viel, dass die Kirschen, die schon da sind, in
Platzgefahr geraten.
Insgesamt 6 Hektar umfasst die Versuchsstation Hiltpoltstein, zu der noch
ein Gelände im 200 Meter tiefer liegenden Dietzhof gehört, ein Gewächshaus
und Kirschbäume in verschiedenen Wuchsstadien. Elias Schmitt, Techniker im
Gartenbau und seit vergangenem Jahr Betriebsleiter der Versuchsstation
sagt: „Im Grunde genommen machen wir hier Zukunft.“ Die Anlagen in
Hiltpoltstein und Dietzhof bestehen seit 1972 und bilden den Charakter des
gesamten Anbaugebiets im kleinen Maßstab ab: „Durch die verschiedenen
Höhenlagen kann der Landkreis immer Ware gewährleisten“, sagt Schmitt. Ein
wichtiges Versprechen an den Markt.
Ein sanfter Anstieg führt am Gewächshaus vorbei und zu einer Plantage,
etwas kleiner als die von Fahner und Bachmeier und mit etwas mehr Löwenzahn
zwischen den Kirschbäumen. Die Unkrautbekämpfung funktioniert hier
mechanisch: Eine Auszubildende dreht Kreise mit dem Traktor, der eine Art
Egge hinter sich herzieht, die das Erdreich aufwühlt. Die etwa drei Meter
hohen Bäume hier sind der „Unterlagenversuch“ des Obstinformationszentrums.
Schwer zu erklären, einfacher zu zeigen: Elias Schmitt geht in die Knie und
deutet auf die Stelle, an der der Stamm sich eindeutig verjüngt. Hier geht
die Unterlage, die das Wurzelwerk ausbildet, in die Edelsorte über.
Obstbäume werden, damit man bestimmte Sorten erhält, durch Veredelung
vermehrt. Dazu wird ein einjähriger Trieb mit der entsprechenden Unterlage,
die das Wachstum bestimmt, verbunden. Entweder indem man zwei passende
Schnittflächen miteinander verklebt oder indem man eine ruhende Knospe
unter die Rinde der Unterlage schiebt.
Eine Standardkombination in Franken wäre zum Beispiel Regina mit einer
Fruchtgröße von 28 Millimetern auf Gisela 5. Regina ist so etwas wie eine
Vorgängerin der bereits erwähnten Henriette. Gisela 5, die beliebte
Unterlage, bekommt mittlerweile aber zunehmend Konkurrenz, zum Beispiel von
Gisela 12 und 13. Schmitt: „Das sind neuere Sorten mit mehr Wachstum und
dadurch tieferen Wurzeln. Sie können sich also besser ernähren und haben
mehr Standfestigkeit.“
Möglicherweise ein Vorteil, wenn die Böden weiter austrocknen, aber so weit
will Elias Schmitt sich nicht aus dem Fenster lehnen. Da müsste der
Reporter in 5 Jahren wiederkommen, besser noch in 15 oder 20 Jahren. Die
naturgegebene Langfristigkeit der Unternehmung Obstanbau widerspricht dem
Wunsch nach eindeutigen Ansagen über die Zukunft der Branche. Man muss erst
mal gucken, ob die neuen Züchtungen es bringen.
Schmitt schüttelt an einem Ast, sodass weiße Blüten wie dicke Schneeflocken
auf die Plantage fallen: Regina befindet sich in der Abblüte, spät dran wie
immer. Ab jetzt entwickelt sich ihre köstliche Frucht. Ein kleiner grüner
Fruchtknoten ist bereits zu sehen.
Vielleicht erntet in 20 Jahren niemand mehr Regina und auch sonst keine
Kirsche, weil an den Hängen der Fränkischen Schweiz nurmehr Kiwibeeren,
Mandeln und Aprikosen blühen? Das Obstinformationszentrum des Landkreis
Forchheim testet solche Alternativkulturen. „Nur weil es trockener wird“,
sagt Schmitt, „wird es nicht automatisch besser für diese Kulturen,
teilweise blühen die noch früher. Die Kiwibeere zum Beispiel hat einen
Langtrieb, der friert sehr gerne weg.“
Das Hauptaugenmerk gilt deshalb nach wie vor der Kirsche und wenn der Frost
kommt, rät Schmitt „seinen“ Bauern, die Anlagen ordentlich zu mulchen und
zu hoffen, dass es nicht so schlimm wird. Auf seinem Handy sucht er
scrollend nach Bildern aus dem Juli 2021: Hagelkörner wie Golfbälle! Hatte
er hier auch noch nicht gesehen. Aber so sei das eben. „Natur ist Natur,
wie will man sie bändigen?“
## Gerne Bio. Aber billig
Noch einmal zurück zum Fahnerhof: Drei Generationen leben hier vom Obst.
Die Eltern, die die Spezialisierung auf Obstbau damals in die Wege geleitet
haben, arbeiten nach wie vor mit, in der Saison kommen zwei bis vier
Erntehelfer*innen hinzu, die dann, wenn sie gut sind, um die 15 Kilo
Kirschen pro Stunde von den Bäumen holen.
Anders geht es nicht, von Landwirtschaft wird niemand reich, das ist das
Mantra. Und überhaupt sei der Anbau im Haupterwerb nur rentabel, wenn man
eine breite Produktpalette anbietet: Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren,
auch Aprikosen und Nektarinen, Äpfel sowieso. Und wenn man zusätzlich
bereit sei, sich in den eigenen Hofladen und auf den Bauernmarkt zu stellen
und die Ware im Direktvertrieb zu den eigenen Preisen anzubieten. Ein
bisschen Geschäftstüchtigkeit braucht es ebenfalls. Die Fahners
beispielsweise haben einen Schulobstdeal an Land gezogen, der vom
Bayrischen Staat und der EU finanziert wird. Sonst ginge es nicht.
Witterung hin oder her, die Fahners und die Genossenschaft sind sich einig
darin, dass das größte Problem nicht die Produktion ist, sondern der Preis,
den der Einzelhandel für die heimische Ware zahlt. Die Erzeugerorganisation
Franken Obst empfahl bereits im Februar, die heimische Ware müsste diesen
Sommer mindestens 25 Prozent teurer werden, wegen der gestiegenen Kosten
der Erzeuger zum Beispiel für Düngemittel und wegen des steigenden
Mindestlohns für die Saisonkräfte aus Osteuropa. Tina Weishaupt,
Franken-Obst-Geschäftsführerin, sagt, sie wünsche sich Subventionen für
deutsches Obst, anders könne man zum Beispiel mit griechischen oder
türkischen Kirschen nicht konkurrieren: „Die Politik ist gefragt. Der
Lebensmitteleinzelhandel muss einen Anreiz bekommen, um verstärkt auf
heimische Ware zu setzen.“
Die Türkei ist mit über 800.000 Tonnen im Jahr 2021 das größte
Kirschenanbauland der Welt. Die intensive Landwirtschaft dort geht
allerdings mit einem enormen Wasserverbrauch einher, während der Regen
abnimmt. Anderes Thema, aber: Auch der [9][Grundwasserspiegel in der Türkei
sinkt dramatisch].
Die Bauern in der Türkei und Griechenland aber, sagen sowohl die Fahners
als auch Tina Weishaupt, müssten erstens keinen Mindestlohn zahlen und
dürften zweitens Pflanzenschutzmittel einsetzen, die in Deutschland längst
verboten seien. Doris Bachmeier: „Wenn ich Verbraucherschutz betreiben
will, muss ich doch sagen, die Regeln, die für den Anbau gelten, will ich
auch für den Import haben. Aber so läuft es nicht und das verzerrt den
ganzen Wettbewerb.“ Ihr Bruder Thomas lacht herzhaft, aber bitter: „Die
Preise steigen: Jaja! Für den Endverbraucher, nicht für den Erzeuger! Die
Ketten, Edeka, Aldi, sagen der Genossenschaft, wir kaufen zu diesem Preis.
Kannst du liefern? Und wenn die Landwirte dann gerne mehr hätten, kaufen
Edeka und Aldi halt woanders.“
Etwa 2 Euro pro Kilo bekommen die fränkischen Bauern vom Handel für die
Kirschen vom Großmarkt. Darauf verzichten Bachmeier und Fahner mittlerweile
und verkaufen die Früchte im eigenen Laden für 5 Euro. Und das sei nicht
der einzige Vorteil, den der zusätzliche Aufwand mit sich bringt: Im
Hofladen könne man der Kundschaft erklären, dass der Apfel mit Fleck nicht
anders schmeckt als der ohne. Der Supermarkt nehme hingegen [10][nach wie
vor ausschließlich makellose Ware] an.
Regional und saisonal und bio, das sei alles schön und gut. Am Ende wolle
die breite Masse aber immer noch Obst und Gemüse aus dem Bilderbuch und das
möglichst billig. Fahner: „Und wenn ich das nicht produziere, muss ich
meinen Betrieb zusperren und mir einen anderen Job suchen. Das ist halt
so.“ Bachmeier: „Wir leben in so einem Überfluss, dass die Gurke, wenn sie
nicht gerade ist, aussortiert wird.“ Und dann breit fränkisch und flüssig
aufgesagt, als wäre es ein Mundartgedicht:
„Des wär alles ned/
Wenn die Wor knapp wär/
Dann wär mer froh/
wenn mers hätt./
Früher wors aso.“
Von der Art von Kundschaft, die sich wünscht, dass das Obst
pflanzenschutztechnisch unbehandelt, aber dennoch makellos sei, wollen die
Geschwister gar nicht erst anfangen. Sie wollen nicht frustriert klingen,
weil sie ihren Job mit Herzblut machen.
Vor einigen Wochen war ein Vertreter des Naturland-Bioverbands hier. Fahner
und Bachmeier spielen schon mit dem Gedanken, umzustellen irgendwann.
Bio-Äpfel, Bio-Birnen, das wäre jederzeit machbar. Es sind die Kirschen,
die sie daran hindern. Der Kirschfruchtfliege und der vor einigen Jahren
eingewanderten Kirschessigfliege sei nur mit Pflanzenschutzmitteln
beizukommen – oder mit Hunderten Quadratmetern Netz aus Kunststoff.
Schwierig wegen der vielen malerischen Hügel und: auch nicht so ökologisch,
wenn man es mal bedenkt. „Wer einmal eine wurmige Kirsche im Mund hatte,
kauft sein Leben lang keine Kirsche mehr“, sagt Bachmeier. Noch so ein
Faktor, der auf der Problemliste kommt zum Frost, der Dürre, dem Hagel …
Aber auch hier: So sei das halt. Die Natur macht ihr eigenes Ding, der
Mensch muss mitmachen.
Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Ob in 20 Jahren auf dem Fahnerhof
noch Kirschbäume stehen oder Ferienwohnungen, sei egal. Den Hof gäbe es ja
weiterhin. Fünf Kinder hat Doris Bachmeier. Und keinem würde sie von der
Landwirtschaft abraten und niemals würde sie von ihnen verlangen, den Hof
zu übernehmen.
„Jeder soll das machen, was er gerne macht und wenn man es gerne macht,
findet man auch einen Weg, wie man damit zurechtkommt und davon leben kann.
Das ist meine Überzeugung. Ein solcher Betrieb wird nie auf ewig die
gleiche Struktur behalten. Aber in der Grundsubstanz glaube ich schon, dass
man das erhalten kann.“ Allen Widrigkeiten zum Trotz, dem Preisverfall, dem
Klimawandel und der Kirschessigfliege. Einfach war es doch nie. Nur eine
Sache müsse man halt mitbringen: „Du musst es aus vollem Herzen machen
wollen.“
Am Südhang über Igensdorf im Schwabachtal dreht sich ihr Bruder Thomas halb
um die eigene Achse und deutet scheinbar wahllos in die sanfte
Hügellandschaft: da Hopfen, da Weizen, da Birnen, da Raps, da Wald. „Die
Landschaft hier ist schön“, sagt er, „wenn man das schön findet, weil sie
landwirtschaftlich genutzt wird. Wenn man das nicht mehr will, hast du hier
in ein paar Jahren halt bloß noch Hecke.“
6 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.obstbau-fahner.de/
[2] https://www.julius-kuehn.de/pressemitteilungen/pressemeldung/news/pi2020-15…
[3] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
[4] https://www.stmuv.bayern.de/themen/klimaschutz/klimareport/
[5] https://www.kulturerlebnis-fraenkische-schweiz.de/obst.html
[6] https://www.lwg.bayern.de/
[7] https://frankenobst-gmbh.de/
[8] https://www.gerics.de/products_and_publications/fact_sheets/klimaausblicke/…
[9] /Hitzewelle-und-Braende-in-Suedeuropa/!5786763
[10] /Schoenheitsnormen-fuer-Obst-und-Gemuese/!5827773
## AUTOREN
Andreas Thamm
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