# taz.de -- Trockenheit in Südeuropa: Norditalien geht das Wasser aus | |
> Die Poebene erlebt die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. Seit Monaten hat | |
> es nicht geregnet. Die Hälfte der Anbauflächen ist von Ernteausfall | |
> bedroht. | |
Bild: Dürre in Italien: Trockenes, rissiges Land unter einer Brücke in Borett… | |
ROM taz | Einigermaßen ungewohnt ist das Bild, das sich den | |
Turiner*innen jetzt im Juni beim Spaziergang an der Flusspromenade | |
bietet. Der Po, eigentlich ein mächtiger Strom, hat sich in ein trauriges, | |
schmales Rinnsal verwandelt. | |
Und so ist es nicht nur in Turin. Italiens größter Fluss, der über 650 | |
Kilometer den Norden des Landes vom Piemont bis hin zur Emilia Romagna und | |
dem Veneto an der Adriaküste durchschneidet, fällt auf seiner ganzen Länge | |
durch historische Tiefstände auf. 7 Meter unter Normalnull werden dieser | |
Tage gemeldet, und die TV-Nachrichten liefern Bilder von Ausflugsbooten, | |
die am Ufer schlicht auf dem Trockenen gestrandet sind, und auch vom Grund | |
des Flussbetts, von völlig ausgetrockneter, aufgebrochener Erde, die an | |
eine Wüstenlandschaft erinnern. | |
Die schlimmste Dürre seit 70 Jahren erlebe die Poebene, erlebe ganz Italien | |
gerade, erläutern die Expert*innen, [1][für die der direkte Zusammenhang | |
mit dem Klimawandel] auf der Hand liegt. Das fängt damit an, dass es seit | |
fast vier Monaten nicht mehr geregnet hat. Es geht damit weiter, dass auf | |
den milden, trockenen Spätwinter und Frühling [2][Hitzewellen folgten], die | |
so früh einsetzten wie kaum je zuvor. | |
Schon vom 10. Mai an lagen die Höchsttemperaturen in Italien fast konstant | |
über 30 Grad. Traditionell wurde diese Marke eher einen Monat später im | |
Juni überschritten. Traditionell galt auch, dass die sommerliche Wetterlage | |
südlich der Alpen von Azorenhochs geprägt war. Von denen ist in diesem Jahr | |
keine Rede. Die Hochs kommen jetzt ausnahmslos aus Afrika, und sie bekommen | |
von den Meteorolog*innen so passende Namen wie „Hannibal“ oder | |
„Scipio, der Afrikaner“ verpasst. Verschlimmert wird die Lage mit Blick auf | |
den erst beginnenden Sommer dadurch, dass der Schnee in den Alpen schon | |
fast abgeschmolzen ist. Auch von dort ist kein Wasser mehr zu erwarten. | |
## Tankwagen liefern Trinkwasser | |
Dramatisch sind die Folgen für die Landwirtschaft in Italiens Nordregionen. | |
Ob Reisfelder, Mais oder Tomaten – viele Anbauflächen brauchen eine | |
kontinuierliche Bewässerung. Der Landwirtschaftsverband Coldiretti warnt, | |
in der Poebene seien 50 Prozent der Anbauflächen von komplettem | |
Ernteausfall bedroht. Auch um dies zu verhindern und eine bevorzugte | |
Versorgung der Landwirtschaft sicherzustellen, wollen jetzt die Präsidenten | |
der Regionen Piemont und Lombardei den Wassernotstand ausrufen. | |
Wassernotstand herrscht bereits jetzt schon in etwa 125 Gemeinden in den | |
beiden Regionen. Dort soll die Trinkwasserversorgung nachts unterbrochen | |
werden, um über Tag eine Minimalversorgung zu gewährleisten. | |
In diversen Kommunen muss jetzt schon der Tankwagen kommen, um die Menschen | |
mit Trinkwasser zu beliefern. Und der Bürgermeister von Tradate, einem | |
Städtchen nördlich von Mailand, hat den Einwohner*innen verboten, ihre | |
Pools zu füllen, die Garagenzufahrt abzuspritzen, den Rasen im Garten zu | |
sprengen und auch die Beete dort zu wässern. Bei Zuwiderhandlung drohen bis | |
zu 500 Euro Geldbuße. | |
## Wasserverlust durch lecke Leitungen | |
So dramatisch sich die Situation zuzuspitzen droht, so verschwenderisch | |
allerdings geht Italien bisher mit Wasser um. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt | |
bei täglich 220 Litern, gegenüber 165 Litern im europäischen Durchschnitt. | |
Dafür tragen allerdings nicht nur die Bürger*innen die Verantwortung, | |
sondern auch die Wasserversorgungsgesellschaften. Etwa 40 Prozent der | |
gesamten Menge nämlich geht aufgrund lecker Leitungen auf dem Weg zu den | |
Haushalten verloren, und im Süden Italiens werden die Verluste teils auf 70 | |
bis 80 Prozent beziffert. | |
Wenigstens hier soll sich die Situation schnell bessern. Das große | |
Investitionsprogramm, das [3][die italienische Regierung] mit den Mitteln | |
des Fonds „Next Generation EU“ angeschoben hat, sieht 3 Milliarden Euro für | |
die Wasserversorgung vor. Für den drohenden Wassernotstand in den kommenden | |
Monaten kämen diese Investitionen allerdings zu spät. | |
19 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /UN-Bericht-zu-Duerren/!5850275 | |
[2] /Studie-zu-Hitze-und-Gesundheit/!5859130 | |
[3] /Kommunalwahlen-in-Italien/!5860596 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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