# taz.de -- Obstanbau in der Krise: Der Apfel bleibt gleich am Stamm | |
> An der Elbe wird in diesem Herbst viel Obst verrotten. Es wird nicht | |
> geerntet, weil die Bauern dabei draufzahlen würden. | |
Bild: Handarbeit: Ein Mann erntet Äpfel und bekommt dafür neuerdings zwölf E… | |
HAMBURG taz | Im [1][Alten Land, dem Obstanbaugebiet an der Unterelbe], | |
hängen die Spalierbäume derzeit übervoll mit Äpfeln. Und nicht nur an den | |
Bäumchen, sondern auch auf der Erde zwischen den Reihen liegen haufenweise | |
bunte Früchte, zur Freude der Maden, Würmer und Pilze – aber auch des einen | |
oder anderen Spaziergängers, der vielleicht mal einen aufklaubt. | |
Dass das nicht normal ist, bestätigt Arnd Schliecker, Eigentümer des | |
gleichnamigen Obsthofes im niedersächsischen Jork. „Die Leute kaufen zur | |
Zeit nicht“, sagt Schliecker. Zumindest kaufen sich nicht die Äpfel der | |
hiesigen Obstbauern, denen Preise geboten werden, die weit unter den | |
Produktionskosten liegen. „Deswegen werden die Äpfel am Baum bleiben“, sagt | |
der Obstbauer. Dabei schmecken die Äpfel wegen des guten Wetters in diesem | |
Jahr sogar besonders süß. | |
Arnd und Petra Schliecker bewirtschaften mit ihren drei Söhnen 50 Hektar | |
Obstgärten. Das ist etwa dreimal soviel Fläche wie die der Hamburger | |
Binnenalster. Ihre beiden Höfe lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurück | |
verfolgen. Doch bei aller Tradition: Eine solche Lage wie heute ließe sich | |
auf Dauer nicht durchhalten. | |
Der lediglich namensverwandte Claus Schliecker [2][vom Landvolk, dem | |
niedersächsischen Bauernverband], rechnet vor, warum das so ist: | |
[3][Pestizide], Strom, Gas sind im Zuge der Ukraine-Krise teurer geworden. | |
Dazu kommt der Mindestlohn für die Erntehelfer der zuletzt von 10,45 Euro | |
auf zwölf Euro gestiegen ist. | |
## Der Handel zahlt nur 40 Cent | |
Die Herstellungskosten für ein Kilogramm Tafelapfel liegen im Alten Land | |
bei 60 Cent. „Die kriegen wir im Moment nicht“, sagt Claus Schliecker. Der | |
Handel zahle nur etwas mehr als 40 Cent. Und beim um ein Vielfaches | |
billigeren Most-Obst sehe es noch schlimmer aus. „Bei jedem Kilogramm, das | |
ich aufsammle, würde ich Geld verbrennen“, sagt der Mann vom Landvolk. Vor | |
dem Hintergrund der Welternährungssituation sei das ein Frevel. | |
Allein 60 Prozent der Kosten verursache der Energieverbrauch, sagt | |
Schliecker. So unterhalten die Bauern etwa große Lagerhallen, in denen die | |
Äpfel auf drei Grad gekühlt werden, damit sie sich über den Winter halten. | |
25 Prozent der Kosten verursache das Personal. Knapp die Hälfte davon | |
entfällt wiederum auf den Mindestlohn der Saisonarbeiter. | |
„Das ist alles Handarbeit“, sagt Arnd Schliecker. Die Lohnsteigerung falle | |
deshalb durchaus ins Gewicht – zumal der [4][Mindestlohn für die | |
Erntearbeite]r bei der osteuropäischen Konkurrenz nur bei einem Drittel | |
liegen. Dabei hat Polen schon 2015 mit 3,2 Millionen Tonnen ein Viertel | |
aller Äpfel in der EU erzeugt. Deutschland erzeugt rund eine Million | |
Tonnen, womit es sich theoretisch zu 65 Prozent selbst versorgen könnte, | |
das Alte Land 320.000 Tonnen. | |
Auf die Preise drücke die gute Apfelernte in Europa – allein Deutschland | |
hat fünf Prozent mehr produziert als im vergangenen Jahr – sowie das | |
Überangebot auf dem Weltmarkt. Dazu trägt auch bei, dass die EU keine Äpfel | |
mehr nach Russland exportiert. Eine Rolle spiele die „ungeheure | |
Kaufzurückhaltung“, sagt Claus Schliecker. Die durch den Ukraine-Krieg | |
verunsicherten Konsumenten griffen eher zu der billigeren ausländischen | |
statt zur teureren regionalen Ware. | |
Claus Schliecker verteidigt die hiesigen Umwelt- und Sozialstandards. „Wir | |
sind auf engagierte Erntearbeiter angewiesen“, sagt er. Doch die hohe | |
Qualität der Erzeugung müsse auch wertgeschätzt werden. „Wir fordern, dass | |
regionale Verbundenheit auch gelebt wird“, sagt Schliecker, der auch | |
Vorsitzender der Fachgruppe Obstbau bei der Landwirtschaftskammer ist. | |
## Keine Herkunftskennzeichnung | |
Dabei seien auch die politischen Vorteile einer Versorgung aus dem eigenen | |
Land zu bedenken. „Wir wissen, was die Abhängigkeit auf dem Energiesektor | |
für Probleme beinhaltet“, sagt Claus Schliecker. Branchenvertreter | |
verhandelten deshalb mit dem Lebensmitteleinzelhandel und der Politik. Klar | |
sei aber auch, dass die Obstbauern nicht die einzigen seien, die von der | |
Krise gebeutelt würden. „Wir sind uns der Situation bewusst, dass ganz | |
viele Branchen in Deutschland ähnlich gelagerte Probleme haben“, sagt | |
Schliecker. | |
Etwas, das den Obstbauern im Alten Land helfen könnte, wäre eine | |
Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Produkte vorzuschreiben, findet | |
Claus Schliecker. Konkret denkt er dabei an Apfelsaftkonzentrat, das im | |
Ausland viel billiger hergestellt werden kann. Beim unverarbeiteten Obst | |
sind solche Hinweise längst gängig. | |
19 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Apfelernte-im-Alten-Land/!5714387 | |
[2] https://landvolk.net/presseteam/ | |
[3] /Umweltressort-kritisiert-Agrarministerin/!5727501 | |
[4] /Wegen-Corona-Pandemie/!5670731 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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