# taz.de -- VVN-BdA feiert Geburtstag: „Krieg beendet keine Kriege“ | |
> Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ wird 75. Ein Gespräch | |
> darüber, was der Schwur von Buchenwald für den Krieg in der Ukraine | |
> bedeutet. | |
Bild: VVN-BdA Fahne bei Anti-Nazi-Protesten in Oldenburg im Februar 2022 | |
taz am wochenende: Frau Kerth, am Wochenende feiert die „[1][Vereinigung | |
der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher AntifaschistInnen“] | |
(VVN-BdA) Geburtstag. Wie wurde der Verband vor 75 Jahren gegründet? | |
Cornelia Kerth: Eigentlich begann unsere Geschichte im Mai 1945, als die | |
Überlebenden aus den KZs und Zuchthäusern zurückkamen und sich organisieren | |
mussten: Die Wohnung war weg, es gab kaum Lebensmittel. In allen | |
Besatzungszonen bildeten sich Komitees aus Heimkehrenden als erste | |
Anlaufstellen, die auch mithilfe von Fragebögen die Verfolgungsschicksale | |
und möglichst die Täter:innen erfassten. In den Jahren 1946/47 wurde aus | |
den Komitees die VVN in den verschiedenen Zonen, die sich dann im März 1947 | |
zusammengeschlossen haben. Und das feiern wir. | |
Ihr Verband beruft sich auf den [2][Schwur von Buchenwald]: „Die | |
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“. Wie haben Sie dieses Ziel | |
verfolgt? | |
Von Anfang an standen die Bestrafung der Täter:innen, die Entschädigung der | |
Opfer und die Erinnerung an Verfolgung und Widerstand im Mittelpunkt. Dafür | |
haben sich schon die Komitees eingesetzt, indem sie die Bevölkerung | |
aufklärten, was tatsächlich stattgefunden hat. | |
Der Schwur geht so weiter: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und | |
der Freiheit ist unser Ziel.“ | |
Das wurde nach der Gründung der Bundesrepublik relevant. Die VVN war gegen | |
die Gründung der Bundeswehr und den Nato-Beitritt. Sie wollte einen | |
gesamtdeutschen, neutralen Staat, was damals auch von der Sowjetunion | |
unterstützt wurde. So wurde sie dann als „Sprachrohr der Kommunisten“ | |
abgestempelt, die SPD hat schon 1949 einen Unvereinbarkeitsbeschluss | |
bewirkt. | |
Die Adenauer-Regierung hat versucht, die VVN zu verbieten, auch vom | |
Radikalenerlass der Brandt-Regierung waren Sie betroffen. | |
Der Antikommunismus hatte die Zerschlagung des deutschen Faschismus | |
bruchlos überlebt. Es reichte, der Vereinigung anzuhängen, dass sie eine | |
„kommunistische Tarnorganisation“ sei. | |
Also war es nicht nur die Abwehr, sich mit den eigenen Verbrechen zu | |
beschäftigen, sondern auch die Kritik der VVN an Aufrüstung und | |
Westintegration? | |
Beides. Der Unwille der Mehrheitsbevölkerung, der war klar. Gleichwohl war | |
ein gewisses Maß an Anerkennung von Schuld von staatlicher Seite | |
erforderlich, um als Vertreter der Bundesrepublik ins Ausland reisen zu | |
können. | |
Nach außen hin Schuld bekennen, um Teil des Westens sein zu können, und | |
nach innen Überlebende des Nazi-Terrors verfolgen, das war das Rezept der | |
frühen Bundesrepublik? | |
Ich weiß nicht, ob es ein Rezept war, aber es war so. | |
Repression haben Sie nicht nur in der dunklen Vergangenheit erlebt. 2019 | |
wurde Ihnen vorübergehend die [3][Gemeinnützigkeit entzogen], weil Sie im | |
bayerischen Verfassungsschutzbericht auftauchten. Wie geht es Ihrem Verband | |
heute? | |
Die politische Situation ist schwierig, aber unserem Verband geht es | |
ziemlich gut. Ein Drittel unserer Mitglieder ist in den vergangenen Jahren | |
aus Solidarität eingetreten. Wir sind bundesweit aktiv und unsere Arbeit | |
wird offensichtlich geschätzt. | |
Wenn Sie zurückblicken, geht es der VVN heute also besser als in den frühen | |
Jahren der Bundesrepublik. | |
Ich würde sagen, es war ein Auf und Ab. 1968 war der politische Aufbruch | |
einer Generation, die sich auch der VVN anschloss und sie um den „Bund der | |
AntifaschistInnen“ erweiterte. 1989 erlebten wir dann einen tiefen Fall, | |
weil wir unsere hauptamtliche Struktur verloren. | |
Weil die Finanzierung aus der DDR wegfiel. | |
So ist es, ja. | |
Kommen wir zur Gegenwart: Seit vier Wochen führt Russland einen | |
Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ist Ihnen noch zum Feiern zumute? | |
Also einerseits schon. Wir feiern, dass wir [4][die Gemeinnützigkeit | |
zurückerhalten haben] und mit über 2.000 neuen Mitgliedern gestärkt daraus | |
hervorgegangen sind. | |
Andererseits? | |
Dieser Krieg stößt natürlich auch bei uns auf Entsetzen. Zwei Tage vor | |
Beginn haben wir das nicht für möglich gehalten. Dann gibt es aber wiederum | |
die Rezeption dieses Krieges. Es wird so getan, als sei es der erste Krieg | |
in Europa nach 1945. Aber es gab den Jugoslawienkrieg, in dem eine | |
rot-grüne Bundesregierung entschied, Bomben auf Belgrad zu werfen. | |
Der Angriffskrieg von Russland ist doch nicht mit den Jugoslawienkriegen zu | |
vergleichen. Damals hat die Nato eingegriffen, nachdem man in Srebrenica | |
zugesehen hat. Ein UN-Mandat dafür hat Russland blockiert. Ist es nicht | |
problematisch, jetzt zu sagen: Aber der Westen hat doch auch? | |
Begründet wurde der Krieg mit dieser ungeheuerlichen Aussage von Joschka | |
Fischer, es müsse ein neues Auschwitz verhindert werden. Der Krieg in | |
Jugoslawien war völkerrechtswidrig. Das ändert natürlich nichts daran, dass | |
auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine völkerrechtswidrig ist. | |
Ihr Verband hat zu Beginn des Krieges appelliert, die Waffen niederzulegen | |
und den Krieg sofort zu beenden. Heißt das, die Ukraine soll kapitulieren? | |
Nein. Das heißt, dass Russland den Krieg beenden und sich aus der Ukraine | |
zurückziehen soll. Die Souveränität von Staaten muss respektiert werden. Es | |
muss aber auch alles vermieden werden, was diesen Krieg ausweitet. Dazu | |
gehören Waffenlieferungen oder eine Flugverbotszone. Außerdem sind wir | |
gegen die [5][100 Milliarden an die Bundeswehr], diese Aufrüstung hat mit | |
diesem Krieg nichts zu tun. | |
Ist es nicht widersprüchlich zu sagen, dass man die Souveränität eines | |
Staates unterstützt, aber nicht seine Selbstverteidigung? | |
Nein, die Selbstverteidigung ist das eine, in einen Krieg einzutreten ist | |
etwas völlig anderes. | |
Aber die Ukraine hat militärisch ohne Unterstützung gegen Russland wenig | |
Chancen. | |
Mit Krieg beendet man keine Kriege. Es sollten alle Anstrengungen für | |
Verhandlungen unternommen werden. Was ist denn Ihre Alternative? | |
Wir glauben nur nicht, dass Putin auf Appelle hört. Diplomatische Erfolge | |
sind doch nur möglich, wenn Russland sich militärisch nicht durchsetzen | |
kann. | |
Ich denke, dass Sanktionen ein Weg sind. Das ist allerdings meine Meinung, | |
bei uns im Verband ist das umstritten. Es gab viele Jahre diplomatische | |
Verhandlungen zur Lösung des Konflikts. Es gab das zweite Minsker Abkommen, | |
welches auch von den Garantiemächten Deutschland und Frankreich nie | |
durchgesetzt wurde. | |
Also ist der Westen schuld? | |
Nein. Das habe ich nicht gesagt. Putin ist schuld und dafür gibt es keine | |
Entschuldigung. Aber wenn Sie fragen, was wir tun können: Wir müssen die | |
Verhandlungen führen, die viele Jahre nicht geführt wurden. | |
In der letzten Woche ist Boris Romantschenko, ein Holocaustüberlebender, | |
bei einem russischen Angriff gestorben. Sind Sie in Kontakt mit | |
Holocaustüberlebenden in der Ukraine? | |
Es leben nur noch sehr wenige Holocaustüberlebende, auch in der Ukraine. | |
Wir haben keinen direkten Kontakt, aber es gibt ein Unterstützungsnetzwerk, | |
an dem unter anderem viele Gedenkstätten beteiligt sind. Wir müssen ihnen | |
humanitäre Unterstützung leisten. Und natürlich führt auch der Tod von | |
Boris Romantschenko Putins angebliche Entnazifizierung der Ukraine ad | |
absurdum. | |
Um noch mal auf den Schwur von Buchenwald zurückzukommen: Ist Ihre Haltung | |
zu diesem Krieg ein Widerspruch dazu? | |
Nein! Ich sage es nochmal, die Ausweitung und Eskalation eines Krieges | |
dient nicht dem Frieden. | |
Aber Sie stimmen doch zu, dass der Nationalsozialismus nur mit Waffengewalt | |
beendet werden konnte. | |
Der Faschismus ist militärisch besiegt worden, nachdem die deutsche | |
Wehrmacht alle Länder auf dem europäischen Kontinent überfallen hat. Das | |
war ein Verteidigungskrieg. Vergleiche mit den Menschheitsverbrechen der | |
Nazis verbieten sich in diesem Krieg in der Ukraine, auf beiden Seiten. | |
Fällt es Ihrer Vereinigung schwer, sich in diesem Krieg zu positionieren, | |
weil es die Sowjetunion war, die Deutschland vom Faschismus befreit hat? | |
Wir haben uns positioniert! | |
Aber fällt es schwer? | |
Es fällt überhaupt nicht schwer. Wir haben am Tag des Kriegsbeginns eine | |
Erklärung abgegeben und eine weitere nach der Verkündung der | |
100-Milliarden-Aufrüstung. Unsere Mitglieder kommen aus unterschiedlichen | |
politischen Zusammenhängen, aber wir positionieren uns klar gegen diesen | |
Krieg und für eine Deeskalation. | |
Sprechen wir zum Abschluss über die Zukunft: Sie bezeichnen sich als | |
größten antifaschistischen Verband Deutschlands. Aber viele Ihrer | |
Mitglieder sind ziemlich alt, und die Zeitzeug:innen sterben. Wird es | |
einen 100. Geburtstag geben? | |
Zum Glück haben wir noch Zeitzeug:innen, und es gibt eine Generation, die | |
die Zeitzeugenschaft ihrer Eltern verlängert. Nicht nur in den letzten zwei | |
Jahren sind viele jüngere Leute beigetreten, die oft schon antifaschistisch | |
aktiv sind, aber auch bei uns Verantwortung übernehmen. | |
Woher kommen die neuen Mitglieder? | |
Das fängt an bei der Jugend-Antifa und bei Jugendverbänden von Parteien, | |
andere engagieren sich in Bündnissen gegen Rechts. Unsere Herausforderung | |
ist jetzt der Generationenwechsel. | |
26 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
Sara Rahnenführer | |
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