# taz.de -- Bündnis für Wohnen in Hamburg: Bauen, bauen, bauen | |
> In Hamburg brachte Olaf Scholz als Bürgermeister den Wohnungsbau im | |
> Bündnis mit der Wirtschaft auf Trab. Jetzt soll das bundesweit Vorbild | |
> werden. | |
Bild: Platz für neue Wohnungen in schicker Wasserlage: Hamburgs Großbaustelle… | |
Es war ein Schlüsselmoment in der Hamburger Politik: Nach einer | |
einstündigen, von der Linken angemeldeten Debatte zum Thema | |
Mietpreisexplosion trat der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ans | |
Rednerpult – und machte deutlich, [1][dass der Wohnungsmangel in Hamburg | |
Chefsache ist]. „Es fehlen 30.000 bis 40.000 Wohnungen“, stellte er 2011 | |
fest, „und die wollen wir mit größter Anstrengung bauen.“ Jedes Jahr | |
müssten 6.000 preiswerte Wohnungen fertiggestellt werden. „Wir müssen das | |
Wachstum der Bevölkerung als Chance begreifen“, mahnte Scholz, „nicht als | |
Bedrohung“. | |
Das Problem der stark steigenden Mieten will Scholz auch als Bundeskanzler | |
angehen, schließlich hat er versprochen, dass einfache Menschen anständig | |
leben können sollen. Dafür [2][hat die Ampelkoalition den Bau von 400.000 | |
neuen Wohungen angekündigt,] 100.000 davon Sozialwohnungen. Fragt sich, ob | |
das Hamburger Rezept „Bauen, bauen, bauen“ tatsächlich als Blaupause für | |
andere Großstädte und Regionen taugt, also letztlich für günstigere Mieten | |
sorgt. | |
Nacheifern will etwa das doppelt so große Berlin. Dort hat die jetzige | |
Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im Wahlkampf den Bau von 20.000 | |
Wohnungen pro Jahr angekündigt – nicht zuletzt, um der Initiative für die | |
Enteignung großer Wohnungsunternehmen die Luft zu nehmen. | |
## Bezahlbare Mieten als Ziel | |
Olaf Scholz (SPD) hat das Thema der immer weniger bezahlbaren Mieten 2010 | |
identifiziert, als er sich anschickte, der CDU nach zehn Jahren die Macht | |
in Hamburg wieder abzunehmen. Ein forcierter Wohnungsneubau hatte zwar auch | |
schon auf der Tagesordnung der schwarz-grünen Vorgängerregierung unter Ole | |
von Beust gestanden. Die grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk | |
startete zwei Wohnungsbauoffensiven, die jedoch mit dem Zuzug nicht Schritt | |
halten konnten. | |
Die neue Regierung übernahm den noch von Hajduk eingesetzten | |
Wohnungsbaukoordinator – ohnehin ein SPD-Mitglied –, und sie ging noch | |
einen Schritt weiter: Sie schuf ein Bündnis für das Wohnen, das zum einen | |
wechselseitige Vereinbarungen mit der Wohnungswirtschaft umfasst und zum | |
anderen Zielvereinbarungen mit den sieben Hamburger Bezirken. Im | |
vergangenen Jahr ist das „Bündnis für das Wohnen“ zum dritten Mal | |
verlängert worden. | |
Dabei wurden die Ziele von Mal zu Mal ehrgeiziger. Seit 2016 gilt als Ziel, | |
10.000 Wohnungen pro Jahr neu zu genehmigen. Seit 2021 sollen 35 statt 30 | |
Prozent davon Sozialwohnungen sein mit einer Preisbindungsfrist von 30 | |
Jahren. | |
Der Senat verpflichtet sich zu einer „gemeinwohlorientierten Boden- und | |
Liegenschaftspolitik“. Er will gezielt Grundstücke kaufen und entwickeln, | |
sein Vorkaufsrecht „konsequent ausüben“ und Veränderungssperren erlassen, | |
um Bodenspekulation zu verhindern. Eigene Grundstücke will er in Zukunft | |
vermehrt im Wege des Erbbaurechts vergeben, statt sie zu verkaufen. | |
Mit dem Erbbaurecht erhält die Stadt das Grundstück nach einer festgelegten | |
Zahl von Jahren zurück, sodass sie langfristig ihre städtebaulichen | |
Gestaltungsmöglichkeiten behält. Bei den Baugenossenschaften, die ebenso | |
wie die öffentlichen Wohnungsunternehmen am ehesten für eine solche | |
Vereinbarung in Frage kommen, ist das Modell nicht gerade beliebt, weil | |
sich die Grundstücke dann nicht beleihen lassen. Insofern darf es als | |
Zugeständnis gelten, dass sie ihre Unterschrift unter die entsprechende | |
Formulierung gesetzt haben. | |
Allerdings hat der Senat ja die Grundstücke in den Hand und kann die Regeln | |
setzen, auch ohne dass er eine umfassende Vereinbarung mit der | |
Wohnungswirtschaft schließt. Das gilt auch für die Vorschrift, öffentlich | |
geförderte Wohnungen, also Sozialwohnungen zu bauen. Sie greift, wenn ein | |
Bauherr Befreiungen vom Planrecht oder gar einen neuen Bebauungsplan | |
braucht oder das Grundstück der Stadt gehört. Hier hat der Senat also | |
ohnehin den Daumen drauf. Der Rest sind Bekenntnisse. | |
## Ein Bündnis schafft Konsens | |
Was also bringt so ein Bündnis? „Die vertragliche Verpflichtung zum | |
Dialog“, antwortet Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher | |
Wohnungsunternehmen (VNW). Die Probleme, angefangen von den Baukosten über | |
Baustandards, Grundstückspreise bis hin zu Anforderungen an | |
Grundstückskäufe, blieben natürlich die gleichen. Beginnend mit der | |
Wohnungsbaukoordinatorin gebe es jetzt aber eine fest etablierte | |
Kommunikationsstruktur, mit der sich Probleme lösen ließen. | |
Mit dem Bündnis werde ein Konsens zwischen dem Senat und den übrigen | |
Akteuren erzielt, der sofort umgesetzt werden könne, sagt Rolf Bosse, | |
Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, der das Bündnis beratend | |
begleitet. „Wir sind da im besten Sinne in der Demokratie.“ Auch Syliva | |
Sonnemann vom alternativen Verein Mieter helfen Mietern MHM hält das | |
Bündnis im Grundsatz für verdienstvoll. „Es geht darum, das Bauen schneller | |
und attraktiver zu machen“, sagt sie. | |
Im Gegenzug dafür, dass die Wohnungswirtschaft sich auf die Vorgaben des | |
Senats einlässt, verschafft dieser ihr die Möglichkeit zu bauen. Hier | |
kommen die Bezirke ins Spiel. Mit einem „Vertrag für Hamburg“ verpflichtet | |
er sie, auf ihrem Gebiet eine bestimmte Anzahl von Baugenehmigungen zu | |
erteilen. Sie sollen Grundstücke suchen und Planrecht schaffen, sich dabei | |
mit Blick auf den Bedarf mit den Wohnungsunternehmen abstimmen und prüfen, | |
wo sich sich am besten geförderter Wohnungsbau realisieren ließe. | |
Die Bezirke in Hamburg sind zwar keine eigenständigen Kommunen. Sie sind | |
regionale Behörden mit Gemeinderäten – Bezirksversammlungen –, die vom Vo… | |
gewählt werden und zur deren wesentlichen Aufgaben es gehört, | |
Bebauungspläne aufzustellen. Handeln die Bezirke gegen das, was der Senat | |
unter dem gesamtstädtischen Interesse versteht, kann er deren | |
Entscheidungen kassieren. | |
Dennoch: Die Vor-Ort-Kompetenz liegt bei den Bezirksversammlungen und der | |
bezirklichen Verwaltung. Der Senat verpflichtet sie deshalb zu | |
beschleunigten Planungs- und Genehmungsverfahren. Ihnen obliegt es auch, | |
den Widerstand gegen die Vorhaben auszuräumen, indem sie die Bürger | |
frühzeitig mit Präsentationsveranstaltungen und Workshops einbinden – über | |
das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus. | |
Grundstücke mitten in der Stadt zu finden und das Bauen auf der grünen | |
Wiese zu vermeiden, ist dabei nicht trivial. „Die reifen Früchte wurden in | |
den vergangenen Bündnissen für das Wohnen gepflückt“, b[3][rachte es | |
VNW-Direktor Breitner in einem Gespräch mit der taz auf den Punkt]. „Jetzt | |
kommen komplizierte Grundstücke mit hohen Erschließungskosten, mit | |
schwierigen Gründungen und Nachbarschaften, die sich an der Verdichtung | |
stören.“ | |
Damit sich die Bezirke recht ins Zeug legen, sagt ihnen der Senat | |
zusätzliches Personal zu und als Zuckerbrot für die Bezirksversammlungen | |
350 Euro je genehmigter Wohnung für deren Verfügungsfonds – in Summe also | |
sechsstellige Eurobeträge. Angesichts der geringen Summen, über die die | |
Bezirksparlamentarier verfügen können, ist das ein beträchtlicher Anreiz. | |
## Durchaus ein Erfolgsmodell | |
Dass es Hamburg geschafft hat, auf 10.000 neue Wohnungen im Jahr zu kommen, | |
gilt vielen als Erfolg. „Das, was in Hamburg passiert, ist vorbildlich für | |
Deutschland“, sagt Günter Vornholtz, Professor für Immobilienökonomie an | |
der EBZ Business School in Bochum. „Das Hamburger Modell ist durchaus ein | |
Erfolg“, sagt auch [4][Michael Voigtländer, zuständig für Finanz- und | |
Immobilienwirtschaft beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW)] in Köln. | |
„Es zeigt, wie wichtig es ist, den Wohnungsbau zu priorisieren.“ | |
Voigtländer hat im November 2021 eine [5][Studie zum Wohnungsbedarf vor | |
allem in den deutschen Großstädten veröffentlicht]. Zusammen mit seinem | |
Co-Autor Ralph Henger kommt er zu dem Befund, dass Hamburg im Vergleich der | |
sieben größten Städte 2016 bis 2021 keineswegs die meisten Wohnungen gebaut | |
hat. Mit 5,1 pro 1.000 Einwohner waren es zwar mehr als in Berlin (4,1), | |
aber weniger als in Frankfurt (5,9) oder München (5,5). | |
Am besten schneidet Hamburg unter den sieben Metropolen ab, wenn die | |
Autoren den Wohnungsbedarf mit den errichteten Neubauten vergleichen. Hier | |
kommt die Hansestadt auf einen Wert von 93 Prozent, während Berlin nur 78 | |
Prozent des Bedarfs deckte und Köln 40 Prozent. | |
Voigtländer zufolge hat die rege Bautätigkeit in Hamburg durchaus auf die | |
Mietpreisentwicklung durchgeschlagen: „Legt man die bereinigten | |
Angebotsdaten zu Grunde, stellt man fest, dass es in Hamburg einen | |
geringeren Anstieg gab als anderswo.“ Der Professor stützt sich dabei auf | |
den Median der Neuvermietungsmieten, die in Hamburg von 2012 bis 2021 um 25 | |
Prozent stiegen. Die Hälfte der Mieten liegt über dem Median, die Hälfte | |
darunter. In Berlin stieg der Median um 57 Prozent, in Frankfurt bei | |
starker Bautätigkeit um 34 Prozent. | |
Der Verbraucherpreisindex für die Nettokaltmiete des Statistischen | |
Bundesamtes, der die Bestandsmieten abbildet und daher von Hause aus | |
weniger dynamisch ist, zeigt eine ähnliche Tendenz: Von 2015 bis 2021 ist | |
er in Hamburg um 7 Prozent gestiegen, in Berlin um 8, in Bremen um 12. | |
## Kritik am Mietenspiegel | |
Vielen Hamburgern fällt es schwer, das zu glauben. Wellen schlug, dass der | |
Durchschnittswert des [6][Mietenspiegels] in den vergangenen zwei Jahren um | |
7 Prozent auf 9,29 Euro für den Quadratmeter gestiegen ist, nach nur 3 | |
Prozent im Zweijahreszeitraum davor. Die Stadtentwicklungsbehörde erklärt | |
einen Teil der Entwicklung damit, dass viele neue Verträge abgeschlossen | |
und besonders viele Wohnungen modernisiert worden seien. In Berlin stieg | |
der Wert von 2019 bis 2021 nur um 1 Prozent auf 6,79 Euro, nicht zuletzt | |
wohl wegen des Mietendeckels, der dann allerdings im März 2021 vom | |
Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. | |
Die Mietervereine kritisieren den Mietenspiegel, weil er nur die Mieten | |
berücksichtigt, die in den vergangenen sechs Jahren gestiegen oder neu | |
vereinbart worden sind. Damit werde das Bild des Marktes verzerrt – | |
zuungunsten der Mieter, weil mit dem Mietenspiegel Mieterhöhungen | |
begründet werden. | |
Die beiden Hamburger Mietervereine beobachten, dass das Bündnis für das | |
Wohnen das Problem der steigenden Mieten abmildert. „Jeder Schritt, der | |
Wohnraum schafft, dort wo er gebraucht wird, ist erst mal richtig“, sagt | |
Mietervereinsgeschäftsführer Bosse. | |
Allerdings sind Neubauten teuer. Bosse würde sich deshalb wünschen, dass | |
der Senat zwei Drittel statt 35 Prozent der Wohnungen subventioniert – auch | |
mit dem Ziel, mehr Wohnungen für Geringverdiener im Preissegment von 8 bis | |
9 Euro zu bauen. | |
Sylvia Sonnemann von MHM würde sich wie Bosse eine stärkere Regulierung des | |
Marktes wünschen, etwa einen verfassungskonformen Mietendeckel, eine | |
bessere Mietpreisbremse oder einen besseren Kündigungsschutz. Mit Bauen | |
allein sei es nicht getan. | |
15 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Buergermeister-zieht-Wohnungsbau-an-sich/!5107921 | |
[2] /Rot-gruen-gelbe-Sondierungen-beendet/!5805657 | |
[3] /Streitgespraech-ueber-Mieteninitiative/!5734222 | |
[4] https://www.iwkoeln.de/themen/immobilien.html | |
[5] https://www.iwkoeln.de/studien/ralph-henger-michael-voigtlaender-weiterhin-… | |
[6] https://www.hamburg.de/mietenspiegel/ | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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