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# taz.de -- Berlins Bausenator Andreas Geisel: „Abgerechnet wird zum Schluss�…
> Im taz-Gespräch erklärt der SPD-Politiker, warum ein Mietenmoratorium
> möglich ist und er Einfamilienhäuser ablehnt. Wichtigstes Ziel sei der
> Neubau.
Bild: Einfamilienhäuser seien ökologisch problematisch, meint Andreas Geisel
taz: Herr Geisel, nach fünf Jahren als Innensenator sind Sie zurück in der
Bauverwaltung. Wie fühlt sich das an?
Andreas Geisel: Gut. Rückblickend war der Innensenator die Ausnahme.
Und der Bausenator die Regel. Es war also nicht Franziska Giffey, die Sie
sanft gedrängt hat, das Amt zu übernehmen?
Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde. Der politische Schwerpunkt, den
Franziska Giffey gesetzt hat, war Bauen und Wohnen. Sie hat mir den Auftrag
gegeben, das zu tun. Dem Ruf bin ich gefolgt.
Hat sie Sie auch deshalb gefragt, weil sie weiß: Wenn einer die
versprochenen 20.000 Wohnungen pro Jahr bauen kann, dann ist es der Geisel?
Sicherlich hat das etwas mit politischem Vertrauen zu tun. Aber ich bin
nicht der Einzige, der an dieser Aufgabe arbeitet.
Was das ökologische Bauen angeht, müssen Sie sich mit der grünen
Umweltsenatorin Bettina Jarasch verständigen.
Das stimmt. Vor sechs Jahren war Umwelt noch Teil meiner Verwaltung. Frau
Jarasch und ich sehen unsere beiden Senatsverwaltungen als
Schwesterverwaltungen, wir wollen also keinesfalls gegeneinander arbeiten.
Würden wir das tun, hätten wir beide keinen Erfolg.
Im Januar hat das vom Senat initiierte Bündnis für Neubau und bezahlbare
Mieten aus Politik, Wohnungswirtschaft und Verbänden seine Arbeit
aufgenommen. Trotz des etwas holprigen Starts wollen Sie bis Juni eine
Vereinbarung unterzeichnet haben. Auch das klingt optimistisch.
Wir brauchen auf der einen Seite mietpreisdämpfende Vereinbarungen. Dieser
Aufgabe soll sich auch das Bündnis öffnen. Auf der anderen Seite brauchen
wir den Neubau. Der muss schneller vonstattengehen, als es bisher der Fall
war.
Ist da nicht der Wunsch der Vater des Gedankens? In Hamburg, das für das
Bündnis als Vorbild dient, hat die Steigerung der Neubauzahlen nicht zu
einer Verringerung des Mietanstiegs geführt.
Die Frage, wie man die Mieten dämpfen kann, ist nicht Bestandteil des
Mietbündnisses in Hamburg. Da geht es im Wesentlichen um Neubau. In Berlin
ergänzen wir das um ein weiteres Element: Hier wird es auch darum gehen,
was für die Wohnungswirtschaft für welchen Zeitraum wirtschaftlich
tragfähig ist. Eine Vereinbarung, die die Mieten dämpft, werden wir aber
nur abschließen können, wenn Senat und Bezirke sich auch bekennen: zum
Beispiel die Genehmigungsverfahren beim Neubau zu beschleunigen. Im Moment
haben wir noch zu viele Hinderungsfaktoren.
Welche sind das?
Vor allem die Haltungsfrage: Der Wohnungsneubau muss in der Stadt
akzeptiert werden. Für diese Akzeptanz müssen wir werben. Natürlich weiß
ich, dass der Neubau direkt vor der eigenen Tür nicht beliebt ist.
Ist die Akzeptanz wirklich Ihr größtes Problem?
Ja. Wir haben uns alle Bauvorhaben in der Stadt angeschaut und
festgestellt, dass zwei Drittel gut laufen. Ein Drittel der Vorhaben aber
ist verzögert oder angehalten, davon die Hälfte aus objektiven Gründen,
also wegen fehlender Ausgleichs- und Ersatzflächen, Artenschutz oder
fehlender Verkehrsanbindung. Die andere Hälfte ist aus politischen Gründen
gestoppt.
Zu alldem kommt jetzt das Problem dazu, dass die Baupreise explodieren. Bei
der Neubauförderung müssen Sie nachbessern.
Wir überarbeiten gerade das Förderprogramm für den sozialen Wohnungsbau. Im
Haushalt 2022 und 2023 sind pro Jahr 740 Millionen Euro dafür vorgesehen.
Wenn wir wie bisher bei 500 Millionen geblieben wären, hätten wir nicht wie
geplant 5.000 Sozialwohnungen im Jahr bauen können, sondern nur 3.500.
Das heißt, Sie haben wegen der steigenden Baupreise draufsatteln müssen.
Ja. Das bisherige Förderprogramm hat die Kostenstruktur aus dem Jahr 2018
abgebildet. Seitdem sind die Baukosten durch die Decke gegangen. Das führte
dazu, dass im vergangenen Jahr nur 1.000 Wohnungen in die Förderung
gegangen sind. Das ist ein Fünftel dessen, was wir uns vorgenommen haben.
Das zu tun hatten Sie mit Grünen und Linken schon fünf Jahre Zeit. Warum
erst jetzt das Tempo?
2016 hat Klaus Lederer …
… der damalige Spitzenkandidat der Linkspartei und heutige Kultursenator …
… im Wahlkampf die Frage gestellt: Wem gehört die Stadt? Statt auf Neubau
hat die Linke mit ihrer Bausenatorin danach auf den Schutz des Bestands
gesetzt. Der Mietendeckel wurde allerdings vom Verfassungsgericht kassiert
– wobei auch ich dessen Ziele nach wie vor für richtig halte. Aber nun
stehen wir vor der Frage, ob wir der Entwicklung tatenlos zuschauen wollen
oder ob wir unser Ziel umsetzen.
Franziska Giffey hat die 20.000 Wohnungen im Jahr zur Chefinnensache im
Wahlkampf gemacht. Wenn Sie dieses Ziel nicht erreichen, werden alle mit
dem Finger auf Sie zeigen.
Das ist das Risiko. Klar ist aber schon jetzt, dass ich für 2022 gar keine
Chance habe, 20.000 Wohnungen auf den Weg zu bringen – so schnell geht
Neubau bekanntlich nicht. Aber es ist unser Ziel, und wir wollen die
Vorhaben beschleunigen. Abgerechnet wird zum Schluss.
Während der Pandemie hat ein Drittel der Berlinerinnen und Berliner
angegeben, sich vorstellen zu können, aufs Land zu ziehen. In Ihrem Hause
wird gerade die Bevölkerungsprognose überarbeitet. Was, wenn Berlin gar
nicht mehr so stark wachsen wird wie bisher?
Das Ziel, je 20.000 Wohnungen pro Jahr bis 2030 zu bauen, hat nichts mit
dem Bevölkerungswachstum zu tun. Das ist der Nachholbedarf, den wir haben.
Wie es danach weitergeht, ist offen. Da spielt nicht nur die Pandemie eine
Rolle, sondern auch die Frage, wie stark die Einwohnerzahl wegen der Flucht
aus der Ukraine steigt. Aber das ist bisher reine Spekulation.
Wo und wie soll denn gebaut werden?
Wir müssen auf jeden Fall mehr und dichter bauen als es bisher geplant ist.
Sonst wird der Flächenverbrauch viel zu groß. Das wäre nicht ökologisch.
Heißt das, in der Elisabeth-Aue in Pankow werden nicht mehr 3.000, sondern
5.000 Wohnungen gebaut?
Das untersuchen wir gerade, weil es in Pankow noch einen besonderen
Infrastrukturbedarf gibt. Aber wir wissen auch, dass wir die Neubauziele
nicht nur über Aufstockungen im Bestand erreichen werden.
Wollen Sie bei den bestehenden Planungen für Neubaugebiete nachsteuern?
Das prüfen wir. Dort, wo wir einen Bebauungsplan ändern müssten, macht das
keinen Sinn, etwa beim Schumacherquartier auf dem Gelände des ehemaligen
Flughafen Tegel. Das würde uns nur viel Zeit kosten.
Was den Flächenverbrauch angeht, hört sich das an, als würden Sie
ankündigen, keine Baugenehmigung mehr für Einfamilienhäuser zu erteilen.
So apodiktisch würde ich das nicht formulieren, weil es sicher an der ein
oder anderen Stelle eine Ausnahme geben wird. Aber grundsätzlich können wir
es uns aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten, Einfamilienhäuser auf
die grüne Wiese zu stellen.
Sie haben vor der ersten Sitzung des Neubaubündnisses vehement für ein
Mietenmoratorium geworben.
Ich habe dafür geworben, dass auch die privaten Vermieter Akzeptanz in der
Stadt brauchen.
Erzwingen können Sie das nicht, nachdem der Mietendeckel vom
Verfassungsgericht gekippt wurde.
Neben der Akzeptanz, die die Vermieter schaffen müssen, muss Berlin im
Gegenzug darstellen, wie wir schneller zu Planungsrecht und
Baugenehmigungen kommen.
Das heißt, Sie beschleunigen die Prozesse, dafür sagen die Privaten, dann
sind wir im Bestand zu den Mieterinnen und Mieter etwas netter?
Ja. Jedes Jahr, das Investoren nicht zusätzlich auf ihre Baugenehmigung
warten müssen, senkt für sie die Kosten.
Haben die Privaten, die ja auch beim Neubaubündnis dabei sind, schon
erklärt, dass sie das unterschreiben werden?
Bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sorgen wir selber dafür, denn
die gehören uns. Die Genossenschaften sind schon seit über 100 Jahren ein
stabilisierender Faktor bei den Mieten. Und die großen Unternehmen wie
Vonovia haben das Moratorium, die Mieten maximal um ein Prozent im Jahr zu
steigern, in den vergangenen drei Jahren bereits umgesetzt. Auch die haben
verstanden, dass sie Akzeptanz brauchen. Deswegen bin ich ganz
optimistisch. Schwierig ist allerdings, die vielen kleinen Vermieterinnen
und Vermieter zu erreichen.
Am Wahltag hat eine deutliche Mehrheit beim Volksentscheid für die
Enteignung großer Wohnungsunternehmen gestimmt – sehr zum Missfallen von
Franziska Giffey. Hoffen Sie darauf, dem Enteigungsvotum den Wind aus dem
Segeln zu nehmen, wenn das Mietenmoratorium für möglichst viele Wohnungen
gilt?
Es ist schwer zu sagen, ob eine Enteignung nach Artikel 15 des
Grundgesetzes überhaupt verfassungskonform zu machen ist. Und egal, was die
vom Senat einzusetzende Expertenkommission sagen wird: Diese Frage wird uns
am Ende erneut vors Bundesverfassungsgericht führen. Dort wird sicher
mehrere Jahre verhandelt – etwa darüber, ob die Politik auch alle anderen
wohnungspolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Diese Jahre haben wir
nicht.
Aber Sie hätten ein Druckmittel gegen die privaten Vermieter, wie es zum
Beispiel Bettina Jarasch vorschwebt.
Auch da ist schwer vorherzusagen, wie das wirkt.
Wie weit sind Sie bei der Einberufung der Expertenkommission?
Im Moment sprechen wir in der Koalition darüber, wie die Struktur der
Expertenkommission aussieht. Wir wollen sie bis Ende März berufen. Dann hat
sie Zeit, bis Ende des Jahres zu arbeiten.
Und wie verlaufen Ihre Gespräche mit der Enteignungsinitiative?
Die Gespräche hat es im Vorfeld der Abstimmung ausführlich gegeben. Das hat
dazu geführt, dass die Initiative nicht wollte, dass ein Enteignungsgesetz
vorab vom Verfassungsgericht geprüft wird. Sie hat sich dafür entschieden,
dass abgestimmt wird. Letzte Woche haben meine Staatssekretäre Ülker
Radziwill und Christian Gaebler mit der Initiative über das Verfahren für
die Kommission gesprochen.
Ist die Initiative ein wichtiger Bestandteil der Kommission?
Sie wird an der Kommission beteiligt.
Die Initiative fordert mehr als die Hälfte der Sitze.
Es geht in der Kommission nicht um Kampfabstimmungen, sondern um die
fachliche Klärung, ob Enteignungen verfassungskonform sind. Eine abermalige
krachende Niederlage vor dem Verfassungsgericht können wir uns nicht
leisten.
Gerade im Zusammenhang mit dem Volksentscheid gibt es immer wieder Kritik
vor allem aus der Linkspartei. Wie gehen Sie damit um?
Gelassen. Ihre Konflikte muss die Linke selber klären. Aber wir stimmen die
Struktur der Expertenkommission mit der Linken ab.
Es gibt auch eine Reihe anderer Vorhaben, bei denen Konflikte bestehen, zum
Beispiel der Ausbau von Karstadt am Hermannplatz. Da wollen Sie den
vorhabenbezogenen Bebauungsplan bis Ende März aufstellen, also im Rahmen
des 100-Tage-Programms des Senats. Das bedeutet, dass die Bürgerbeteiligung
dabei auf der Strecke bleibt.
Nein. Wir kommen jetzt in die Phase der verbindlichen Bürgerbeteiligung.
Was es bisher gab, war eine unverbindliche Beteiligung, bei der jeder was
sagen konnte, ohne das daraus etwas rechtlich Verbindliches entstand. Davon
müssen wir wegkommen.
Wird Karstadt die nächste Mall sein, die Berlin bekommt, aber nicht
braucht?
Ich hoffe doch nicht. Neben der herausragenden Architektur muss es darum
gehen, dass die Erdgeschossbereiche zum Platz hin geöffnet werden.
Was ist für Sie herausragende Architektur? Als Sie das erste Mal
Stadtentwicklungssenator wurden, haben Sie Regula Lüscher als
Senatsbaudirektorin übernommen. Nun haben Sie sich für Petra Kahlfeldt
entschieden. Ist sie dafür da, Berlin schöner zu machen?
Auch.
Wie soll das aussehen?
Wenn wir sagen, dass wir in großer AnzahlWohnungen bauen wollen und das nur
hinbekommen, wenn wir auf serielle Fertigung setzen, dann müssen wir darauf
achten, dass das nicht die neuen sozialen Brennpunkte der nächsten Jahre
werden. Deshalb dürfen wir da keine qualitativen Abstriche machen. Schauen
Sie sich zum Beispiel die Hufeisensiedlung von Bruno Taut aus den
1920er-Jahren an: Das ist auch qualitativ anspruchsvolle Architektur. Frau
Kahlfeldt hat die Aufgabe, sich nicht nur mit Bauvorhaben wie dem
Molkenmarkt auseinanderzusetzen, sondern sich auch um Bauvorhaben außerhalb
des S-Bahn-Rings zu kümmern.
Heißt das, dass mit Ihnen als Bausenator nun doch endlich die
Internationale Bauausstellung (IBA) Außenstadt kommt?
Ob das eine IBA wird, können wir noch nicht sagen. Aber wir wollen die
Fragen der steigenden Baupreise, der wachsenden Anforderungen an
energetische Ertüchtigung, welche Wohnungen in welcher Größe wir bauen, als
Herausforderung diskutieren. Das spricht sehr für eine Bauausstellung. In
der Koalition haben wir gesagt, wir wollen eine solche Ausstellung zusammen
mit Brandenburg initiieren.
9 Mar 2022
## AUTOREN
Uwe Rada
Bert Schulz
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Berlin
Wohnungsbau
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