# taz.de -- Folgen des Ukraine-Kriegs: Ohne Weizen kein Frieden | |
> Weltweit steigt der Preis für Weizen, denn Ukraine und Russland sind | |
> starke Exporteure des Getreides. Das trifft auch Ägypten und den Libanon | |
> hart. | |
Bild: Brot führte in der Geschichte schon häufiger zu Unruhen | |
KAIRO/BEIRUT taz | Welche zentrale Rolle Brot im Leben der Ägypter spielt, | |
davon zeugt schon der Name, den sie dem Backwerk geben. Denn „Aisch“ ist | |
für sie sowohl „Brot“, als auch das „Leben“ insgesamt. Wenn es Problem… | |
der Brotversorgung gibt, dann geht es für die Menschen am Nil schnell ans | |
Eingemachte. Und auch im Libanon ist ein Leben ohne Weizen undenkbar: Zu | |
nahezu jedem Essen wird dort dünnes Fladenbrot gereicht. | |
All das muss man im Hinterkopf haben, um zu verstehen, was der | |
Ukraine-Krieg für die beiden Länder bedeutet: Mit seinen 100 Millionen | |
Einwohnern ist [1][Ägypten der größte Weizenimporteur der Welt]. Im Schnitt | |
hat das Land in den letzten Jahren 13 Millionen Tonnen des Getreides | |
jährlich eingeführt. Die Hälfte seines importierten Weizens bezieht Ägypten | |
aus Russland, ein Drittel aus der Ukraine. Im Libanon sind die | |
Importverhältnisse ähnlich, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge: Die | |
Ukraine deckte 60 Prozent des libanesischen Bedarfs, Russland circa 15 | |
Prozent. | |
Nun schießt der Preis für Weizen nach oben. Die Ukraine exportiert derzeit | |
nicht mehr, die vorerst letzte Lieferung in den Libanon traf an Bord der | |
[2][„Golden Bird“] am Dienstag im Hafen der nordlibanesischen Stadt Tripoli | |
ein. Russland steht [3][unter Swift-Sanktionen], was es problematisch | |
macht, für russische Importe zu bezahlen. | |
Laut Ali Al-Moselhi, dem ägyptischen Handelsminister, war im Budget des | |
Landes der Einkaufspreis für importierten Weizen auf 255 Dollar pro Tonne | |
angesetzt. Der gegenwärtige Preis belaufe sich aber auf 350 Dollar und | |
steige täglich. Es wird befürchtet, dass er sogar auf 500 Dollar ansteigen | |
könnte, wenn der Krieg andauert. „Wir müssen diversifizieren, aus welchen | |
Ländern wir Weizen beziehen“, erklärt Ahmad Shoukry Rashad vom Economic | |
Research Forum Kairo. Das bedeute, dass man Weizen nicht mehr so billig wie | |
bisher aus Russland oder der Ukraine kaufen könne. Je länger der | |
Ukraine-Konflikt andauere, wodurch das Angebot weiter schrumpfe, desto | |
größer werde der Druck auf die Zahlungsbilanz und das ägyptische Budget, so | |
Rashad. Ägypten sieht sich derzeit in den USA, Rumänien und Kasachstan nach | |
Ersatz um. Auch der Libanon sucht nach Alternativen. Laut dem libanesischen | |
Wirtschaftsminister Amin Salam habe der indische Botschafter bestätigt, | |
dass sein Land bereit sei, künftige Engpässe zu füllen. | |
## Subventionen halten den Preis für Brot bisher unten | |
Im Libanon ist nicht nur der Import des Weizens ein großes Problem, sondern | |
auch die Lagerung. Das Land hat keine Kapazitäten, das Getreide | |
unterzubringen, bevor es verarbeitet wird. Als im August 2020 [4][Hunderte | |
Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der Hauptstadt explodierten], beschädigten | |
sie auch [5][das Silo im Hafen]. 12.000 Tonnen lagerten dort sonst. Noch | |
immer gärt der verbrannte Weizen in und neben den Silos. Noch immer gibt es | |
kein Alternativlager. Der Weizen soll deshalb in den Verkaufsländern | |
verbleiben und erst dann in den Libanon gebracht werden, wenn er gebraucht | |
wird. Die ankommenden Lieferungen wurden vor allem in Lagerhäusern im | |
Norden des Landes untergebracht. Ägypten hat immerhin eine Weizenreserve in | |
seinen Silos gelagert, die die Versorgung des Landes für vier bis fünf | |
Monate sichert. Genau dann wird in Ägypten der lokal produzierte Weizen | |
geerntet, der die Versorgung des Landes bis November absichern kann. | |
Auch die Preissteigerung ist im Libanon deutlich problematischer als in | |
Ägypten. Durch eine starke Finanzkrise hat die lokale Währung seit Herbst | |
2019 mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren. Die Kosten für ein Kilo | |
Brot sind seitdem um bis zu 950 Prozent gestiegen. Die Regierung | |
subventioniert Brot: [6][Schon im Jahr 2021 kostete sie das etwa 20 | |
Millionen US-Dollar pro Monat.] Der Libanon steht kurz vor der | |
Zahlungsunfähigkeit, jüngst bat man die USA um einen Kredit von 20 | |
Millionen US-Dollar. Davon sollen 50.000 Tonnen Weizen gekauft werden. | |
Diese Menge entspricht dem monatlichen Verbrauch im Libanon. | |
Auch in Ägypten beziehen etwa 60 Millionen Menschen subventioniertes Brot. | |
Für ein Drittel der Bevölkerung, die umgerechnet mit weniger als zwei Euro | |
am Tag auskommen muss, sind die Subventionen überlebenswichtig. Das | |
Finanzministerium in Kairo hatte umgerechnet fast drei Milliarden Euro an | |
Brotsubventionen budgetiert, auf Basis des alten Preises. Will die | |
Regierung den Preis für subventioniertes Brot halten, muss sie nun viel | |
tiefer in die Tasche greifen. | |
## Im Libanon soll Weizen nun rationiert werden | |
Aus Angst vor weiteren Preissteigerungen hamstern viele Menschen im Libanon | |
neben Weizenmehl auch Sonnenblumenöl. Denn auch das importiert der | |
Zedernstaat vor allem aus der Ukraine, rund 60 Prozent, und Russland rund | |
30 Prozent. Das bestätigte der Leiter des Syndikats der | |
Lebensmittelimporteure im Libanon, Hani Bohsali. Auch Ägypten bezog im Jahr | |
2020 über 50 Prozent seiner Sonnenblumenölversorgung aus der Ukraine und | |
beinahe 20 Prozent aus Russland, Tendenz unverändert. Der Preis für das | |
Speiseöl ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs um etwa 32 Prozent gestiegen. | |
Nach Angaben des Nachrichtenportals [7][The New Arab hat der Libanon nun | |
Rationierungsmaßnahmen für Weizen angekündigt]. Das Getreide solle ab jetzt | |
nur noch für die Produktion von Brot eingesetzt werden, bis man alternative | |
Quellen sicherstellen könne, erklärte Industrieminister George Bouchkian am | |
Samstag. | |
Ansonsten können die Regierungen der beiden Länder auch auf einen alten | |
ägyptischen Trick zurückgreifen: Als der frühere ägyptische Präsident Anwar | |
el-Sadat i[8][m Jahr 1977 den Brotpreis erhöhte, folgten blutige | |
„Brotunruhen“], bei denen Dutzende starben. Bis er die Preissteigerung | |
zurücknahm. Al-Sisis Vorgänger, Hosni Mubarak, hatte aus den Fehlern Sadats | |
gelernt. Statt die Brotsubventionen zu kürzen, ordnete er einfach an, das | |
Fladenbrot jedes Jahr etwas kleiner zu backen – gleicher Preis, weniger | |
Brot. Am Ende wurde Mubarak im Arabischen Frühling gestürzt, nachdem zuvor | |
immer wieder der Slogan des Aufstandes über den Tahrir-Platz hallte: „Brot, | |
Würde und soziale Gerechtigkeit“. | |
Mitarbeit: Lisa Schneider | |
11 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://oec.world/en/profile/bilateral-product/wheat/reporter/egy | |
[2] https://www.vesselfinder.com/vessels/GOLDEN-BIRD-IMO-8517580-MMSI-357207000 | |
[3] https://www.newyorker.com/business/currency/how-significant-is-russias-part… | |
[4] /Ein-Jahr-nach-der-Explosion-in-Beirut/!5788153 | |
[5] https://ca-times.brightspotcdn.com/dims4/default/9d38e45/2147483647/strip/t… | |
[6] https://today.lorientlejour.com/article/1288070/the-last-subsidy-standing-l… | |
[7] https://english.alaraby.co.uk/news/lebanon-protects-bread-ukraine-crisis-th… | |
[8] https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/panorama/der-aufstand-gege… | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
Julia Neumann | |
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