# taz.de -- Zentralbankchef des Libanon vor Gericht: Anklage wegen Bereicherung | |
> Seit fast 30 Jahren steht Riad Salameh an der Spitze von Libanons | |
> Zentralbank. Jetzt ist ihm die Justiz auf den Fersen, auch in der EU. | |
Bild: Protest mit Maske des Zentralbankchefs Salameh gegen Korruption | |
BEIRUT taz | Nachdem er nicht zu einem Gerichtstermin erschienen war, | |
verschanzte sich Libanons Zentralbankchef Riad Salameh in seinem Büro. | |
Sicherheitskräfte fahndeten nach ihm. Die Richterin belegte ihn mit einem | |
Reiseverbot, sein Bruder wurde inhaftiert und die Mutter seines Kindes | |
angeklagt. | |
Salameh ist [1][im Libanon] wegen unerlaubter Bereicherung angeklagt. Der | |
Mann, der für die finanzielle Stabilität des Landes verantwortlich ist, | |
soll sich am Bankenwesen bereichert haben. Auch in Europa ist ihm die | |
Justiz auf den Fersen, wirft ihm Geldwäsche vor. Gerade haben europäische | |
Behörden Vermögenswerte in Höhe von 120 Millionen Euro beschlagnahmt, wie | |
das [2][EU-Justizamt Eurojust] angibt. In Deutschland sind Werte von | |
insgesamt 35 Millionen Euro beschlagnahmt, darunter eine Immobilie in | |
Hamburg, zwei in München und Anteile an einer Immobiliengesellschaft in | |
Düsseldorf. | |
Mithilfe von Offshore-Unternehmen soll Salameh Zahlungen der libanesischen | |
Zentralbank abgegriffen haben. Seine Familie soll geholfen haben, den | |
Transfer zu verschleiern: Sein Bruder, sein Sohn, sein Schwiegersohn und | |
die Mutter seiner (außerehelichen) Tochter führen alle Firmen in seinem | |
Namen. So zahlte die libanesische Zentralbank zwischen 2002 und 2014 | |
angeblich Maklergebühren in Höhe von mehr als 330 Millionen US-Dollar an | |
Forry Associates. Das Unternehmen ist auf den Jungferninseln registriert, | |
der Eigentümer ist Salamehs Bruder Raja Salameh. Das Geld lief über | |
Schweizer Konten, die Schweizer Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen | |
schwerer Geldwäsche und Veruntreuung. | |
Offshore-Unternehmen im Besitz Salamehs sollen in den letzten Jahren rund | |
Hunderte Millionen US-Dollar in ausländische Vermögenswerte investiert | |
haben. Das Geld, das wohl der Zentralbank entzogen wurde, floss über | |
europäische Konten in Immobilien nach Großbritannien, Frankreich und auch | |
nach Deutschland. Das deckten Journalist*innen des internationalen | |
Recherche-Netzwerks Organized Crime and Corruption Reporting Project auf. | |
In Frankreich läuft ein Strafverfahren aufgrund von Geldwäsche und | |
Unterschlagung. Wie die Schweizer Zeitung Le Temps berichtet, soll Salameh | |
Immobilien im Wert von 10 Millionen US-Dollar in Frankreich gekauft haben. | |
Auch in Luxemburg und Liechtenstein laufen Ermittlungen. Salameh selbst | |
spricht von einem „normalen Verfahren“, es gehe nicht um einen | |
Rechtsstreit. Als die Nachrichtenagentur Reuters ihn nach seinen | |
Verbindungen zu den eingefrorenen Vermögenswerten fragte, schrieb Salameh, | |
er sei sich deren nicht bewusst und werde dies überprüfen. Der gelernte | |
Ökonom gibt öffentlich an, sein Vermögen stamme aus der Zeit zwischen 1973 | |
und 1993, als er Berater und Direktor bei der Bank Merrill Lynch war. | |
## Geschäfte in Deutschland | |
In Deutschland sind die Generalstaatsanwaltschaft München und das | |
Bundeskriminalamt an der Untersuchung beteiligt. Salamehs Geld steckt in | |
einem Düsseldorfer Bürogebäude, das über die Firma Dock13 Villa gekauft | |
wurde, zuvor als Blue Rainbow 287 Vermögensverwaltung beim Amtsgericht | |
München eingetragen. Außerdem ist er in Verbindung mit den Unternehmen WBH | |
51 und H-Invest in Hamburg. Die leitete zeitweilig der Sohn, Nadi Salameh. | |
Die Hamburger sowie die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft konnten auf Anfrage | |
der taz in ihren Datenbanken keine Verfahren gegen Salameh finden. | |
Seit fast drei Jahrzehnten steht der 71-jährige Salameh an der Spitze von | |
Libanons Zentralbank. Er gilt als Architekt des Finanzsystems, das nach dem | |
Krieg (1975–1990) florierte, aber 2019 zusammenbrach. Anleger*innen | |
wurden zweistellige Zinserträge gezahlt, Privatbanken verliehen das Geld | |
gegen höhere Gebühren an die Zentralbank – die wiederum gab es dem Staat. | |
Statt in Infrastrukturprojekte zu fließen, versackte das Geld in korrupten | |
Taschen eines klientelistischen Systems. | |
Das staatlich geregelte Schneeballsystem lieh neues Geld, um bestehende | |
Gläubiger zu bezahlen. Vor allem die Diaspora legte im Libanon an; gläserne | |
Hochhäuser in Downtown Beirut waren beliebte Anlagen der Saudis. Das | |
funktionierte, bis das frische Geld ausging. Mit dem Krieg in Syrien | |
verlangsamten sich die Überweisungen. Die reichen Golfstaaten wandten sich | |
ab, weil Iran mithilfe der schiitischen Hisbollah an Macht gewann. Der | |
Libanon zahlte seine Schulden nicht, und auch europäischen Staaten wurde | |
klar: Ohne Reformen versackt geliehenes Geld. Nun ist der Staat pleite. Es | |
fehlen Devisen in der Staatskasse, innerhalb von zwei Jahren hat die Lira | |
82 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Hunderttausende verloren ihre Jobs. | |
Und mittendrin in alldem: Riad Salameh. | |
## Rückhalt ganz oben | |
Die libanesischen Justizbehörden versuchen, ihm die Veruntreuung | |
öffentlicher Gelder, unerlaubte Bereicherung, Geldwäsche und | |
Steuerhinterziehung nachzuweisen. Doch die Untersuchung wird systematisch | |
behindert. Eine Razzia bei fünf Banken, die Konten des Bruders Raja Salameh | |
führen, wurde in letzter Minute ausgesetzt. Als der stellvertretende | |
Staatsanwalt am höchsten Strafgericht die Kontoauszüge bei einer Bank | |
prüfen wollte, wurde ihm mitgeteilt, der Durchsuchungsbefehl sei | |
ausgesetzt. Die Razzia einzustellen entschied sein Vorgesetzter Ghassan | |
Oueidat. Der Chefankläger des Landes ist Sunnit und steht dem Lager rund um | |
die mächtige Politiker- und Unternehmerdynastie Hariri nahe. Die wiederum | |
stützt Salameh. | |
Im Libanon ist es üblich, dass hochrangige Richter politische Verbindungen | |
haben – oder von anderen Lagern behindert werden. So wie in dem Fall des | |
Untersuchungsrichters, der [3][die gewaltige Explosion im Hafen im Jahr | |
2020] aufklären soll. Er wird durch Klagen der schiitischen Hisbollah an | |
seiner Arbeit gehindert. Salameh genießt Rückhalt von ganz oben: Der | |
sunnitische Ministerpräsident Najib Mikati sagte im Dezember, Salameh solle | |
vorerst im Amt bleiben. „Man wechselt seine Offiziere nicht während eines | |
Krieges“, sagte Mikati. | |
Währenddessen haben viele Bürger*innen verstanden, dass Salameh für das | |
korrupte System steht. „Riad Salameh ist ein Dieb“ und „Nieder mit den | |
Banken“ liest man auf Protestschildern und Graffiti rund um das | |
Zentralbankgebäude in Beirut. | |
30 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Politik-im-Libanon/!5827428 | |
[2] https://www.eurojust.europa.eu/ | |
[3] /Ein-Jahr-nach-der-Explosion-in-Beirut/!5797124 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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