# taz.de -- Wirtschaftsweise über Energieimportstopp: „Zurück ins Jahr 2020… | |
> Ein sofortiger Lieferstopp von Energie aus Russland würde eine Rezession | |
> bedeuten, sagt Wirtschaftsweise Achim Truger. Ein Strukturwandel sei | |
> nötig. | |
Bild: Total Raffinerie in Leuna, die russisches Rohöl raffineriert | |
taz: Herr Truger, halten Sie es für verantwortbar, die Energielieferungen | |
aus Russland als Antwort auf den Krieg zu kappen? Sie sind Berater der | |
Bundesregierung – sagen Sie jetzt bitte nicht, das müsse die Politik | |
entscheiden. | |
Achim Truger: Doch, genau das sage ich. Verantwortbarkeit ist das Gebiet | |
der demokratisch gewählten Abgeordneten. Die müssen diese komplexen | |
Abwägungen treffen. Als Ökonom kann ich dazu beitragen, die | |
wirtschaftlichen Auswirkungen einzuschätzen. | |
Vielleicht stellt Russland die Lieferungen selbst ein, weil der Westen sie | |
nicht in Rubel bezahlen will. Aber wäre [1][ein Energieembargo] von | |
deutscher oder europäischer Seite denn überhaupt ökonomisch verantwortbar? | |
Begriffe wie „verantwortbar“ oder „handhabbar“ möchte ich nicht verwen… | |
Ich kann Ihnen sagen: Ein sofortiger Lieferstopp für Energie aus Russland | |
würde in Deutschland zu einer Rezession führen. Die träfe das Land in einer | |
Lage, in der es sich von Corona noch nicht erholt hat. Die Schrumpfung | |
würde uns wirtschaftlich etwa ins Jahr 2020 zurückwerfen. Und jetzt geht es | |
nicht um die persönlichen Dienstleistungen und die Gastronomie, sondern um | |
den Kern der deutschen Industrie. Das wäre sehr gravierend. | |
[2][„Zurück auf 2020“] klingt nicht dramatisch. | |
Das Energieembargo als Sanktion gegen Russland würde hierzulande starke | |
wirtschaftliche Schäden verursachen. Auf Basis einer aktuellen Studie | |
müsste man mit mehreren 100.000 zusätzlichen Arbeitslosen rechnen. Viele | |
Industrieunternehmen müssten ihre Produktion einschränken oder einstellen, | |
was [3][Investitionen entwertet und neue erfordert], etwa die kurzfristige | |
Umstellung von Erdgas auf Öl. | |
Im April 2020 waren wegen Corona sechs Millionen Beschäftigte in | |
Kurzarbeit. Die Bundesagentur für Arbeit bezahlte das. Kann der Staat die | |
eventuelle neue Wirtschaftskrise nicht ebenfalls abfedern? | |
Das wäre die Hoffnung. Aber jetzt geht es um mehr. Nicht nur um eine | |
kurzfristige Überbrückung wie bei Corona. Jetzt stehen die Strukturen der | |
industriellen Produktion zur Diskussion. Der tiefgreifende Strukturwandel | |
von fossiler zu erneuerbarer Energie muss nun viel schneller kommen. | |
Ist der Punkt nicht eigentlich, ob der Staat ein paar hundert Milliarden | |
Euro zusätzlicher Kredite aufnimmt, um Unternehmen und Privathaushalten die | |
Ausfälle zu kompensieren, die die aktuellen Sanktionen verursachen? | |
Erstens müssen viele Firmen unter Druck ihre Produktionsverfahren | |
umstellen. Das wird zweitens große Summen verschlingen, auch staatliche. | |
Über dabei anfallende höhere Staatsverschuldung mache ich mir am wenigsten | |
Sorgen. | |
Ist es realistisch, dass die Bundesregierung im nächsten Jahr die | |
Schuldenbremse einhält? | |
Das betrachte ich als unwahrscheinlich. Die Kosten für Wirtschaftshilfen | |
und Energiesicherheit steigen, die Konjunktur läuft schlechter. 2023 wird | |
die Regierung ihre Rücklagen stark aufzehren. Die Festlegung, die | |
Schuldenregel wieder einzuhalten, birgt große Risiken für die | |
Glaubwürdigkeit. | |
31 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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