| # taz.de -- Globale Inflation: Die Preistreiber lauern überall | |
| > Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern setzt der Teufelskreis aus | |
| > Inflation und Abwertung besonders zu. | |
| Bild: Straße in Istanbul: Vor allem Menschen mit niedrigen Einnahmen leiden un… | |
| taz Hamburg | In Deutschland stieg sie auf 5,3 Prozent, in der Eurozone | |
| betrug die Inflation im Dezember 5 Prozent – so hoch wie nie seit Beginn | |
| der Währungsunion. Wenig allerdings im Vergleich zur Geldentwertung in der | |
| Türkei: Das Statistikamt in Ankara meldete im Dezember die | |
| Rekord-Inflationsrate von 36,08 Prozent. Eine teure Folge ist der freie | |
| Fall der Lira. Gegenüber dem Euro verlor die Währung in wenigen Wochen die | |
| Hälfte ihres Werts. | |
| Für [1][Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist die Preisexplosion] eine Folge | |
| der Zinssätze. Nicht umgekehrt, wie Ökonomen üblicherweise annehmen. Der | |
| Politiker ist der Meinung, dass hohe Zinsen Inflation verursachen, statt | |
| sie zu bekämpfen. Der neue Notenbankchef Şahap Kavcıoğlu, ein studierter | |
| Ökonom, folgt im Gegensatz zu seinen geschassten Vorgängern der präsidialen | |
| Vorgabe. Er senkte mehrfach den Leitzins auf zuletzt 14 Prozent (Eurozone: | |
| 0 Prozent) und hielt auch bei der jüngsten Entscheidung am Donnerstag an | |
| diesem Wert fest. Mit seiner Politik will Erdoğan Exporte, Investitionen | |
| und den Arbeitsmarkt in Schwung bringen. Eine schwache Lira verbilligt | |
| türkische Exportprodukte im Ausland und macht Investitionen für Konzerne | |
| aus EU, China und Arabien attraktiver. | |
| Davon profitiert auch die deutsche Industrie, die Milliarden Euro in | |
| Fahrzeugfabriken und chemische Anlagen am Bosporus investiert hat. In einer | |
| Onlineumfrage loben die in der Deutsch-Türkischen Industrie- und | |
| Handelskammer in Istanbul organisierten 7.000 deutschen Unternehmen „die | |
| gute wirtschaftliche Lage“: Sie produzieren meist für den Export. Ihnen | |
| kommt die Geldentwertung zugute, sinken doch die in Lira abgerechneten | |
| Kosten, wenn man sie in Euro bemisst. | |
| Doch nicht alle Schwellen- und Entwicklungsländer verfügen über eine starke | |
| Exportindustrie, die von der Inflation zumindest zeitweilig profitiert. | |
| Rasant steigende Preise sind aber weit verbreitet. „Die statistischen Daten | |
| belegen, dass die Inflationsraten in den wichtigsten Schwellen- und | |
| Entwicklungsländern deutlich über der weltweiten Entwicklung liegen“, sagt | |
| Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel der taz. Für 2022 werden | |
| durchschnittlich 5 Prozent erwartet, mehr als doppelt so viel wie in den | |
| [2][Industriestaaten]. „Dabei sind die tatsächlichen Kaufkraftverluste in | |
| einigen dieser Schwellen- und Entwicklungsländern weit höher“, sagt Hickel. | |
| So verteuerten sich laut Weltbank in jedem dritten Land die Lebensmittel | |
| bereits um 10 Prozent oder mehr. | |
| ## Inflation trifft vor allem die Armen | |
| Unter explodierenden Preisen leiden vor allem Menschen mit niedrigen und | |
| kleinen Einkommen. Sie geben einen wesentlich größeren Teil ihres | |
| Einkommens für Nahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs aus als | |
| Mittel- und Oberschicht. Und ausgerechnet deren Preise ziehen besonders an, | |
| weil hier Angebot und Nachfrage schnell wirken. | |
| So sorgten plötzlich extrem steigende Preise für Flüssiggas LPG dafür, dass | |
| viele Menschen in Kasachstan (Inflationsrate 8,7 Prozent) auf die Straße | |
| gingen. „Die sozialen Konsequenzen der Inflation können je nach | |
| Abhängigkeiten verheerend sein“, hat Rainer Falk beobachtet, der | |
| Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. „Bis zum | |
| endemischen Hunger vielerorts.“ | |
| ## Teufelskreis | |
| Dabei sind die Preistreiber zunächst die gleichen wie im Globalen Norden: | |
| der wirtschaftliche Nach-Corona-Aufschwung, gerissene Lieferketten, hohe | |
| Transportkosten auf See oder die Verknappung von fossilen Energieträgern | |
| durch die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC). Aber | |
| wirtschaftlich schwächere Volkswirtschaften spüren diese Faktoren | |
| außerordentlich. | |
| Inflation, hohe Leitzinsen und Währungsverfall bilden einen Teufelskreis, | |
| dem schwer zu entrinnen ist. „Ausländische Investoren ziehen sich zurück | |
| und blockieren damit Investitionen und den Ausbau der Infrastruktur“, hat | |
| Hickel festgestellt. Schließlich reagierten viele Regierungen anders als | |
| Erdoğan und erhöhten die Leitzinsen ihrer Notenbank. „Dadurch werden in den | |
| Ländern Betriebe und Haushalte zusätzlich belastet.“ Doch die Hoffnung auf | |
| eine Aufwertung der Währung und niedrige Preise erfülle sich – anders als | |
| bei Euro oder Dollar – meist nicht. „Denn die länderspezifischen Risiken | |
| für ausländische Industrie- und Finanzinvestoren sind viel zu groß.“ | |
| ## Reiche fliehen in Dollar und Euro | |
| Jahrzehntelang waren die Wachstumsraten in ärmeren Ländern höher als in | |
| reichen. Nun warnt Weltbank-Chef David Malpass davor, dass die Kluft wieder | |
| wächst. Ein negativer Trend, den auch Hickels „Arbeitsgruppe Alternative | |
| Wirtschaftspolitik“ beobachtet. Steigende Preise und hohe Leitzinsen, | |
| Corona und Schuldenberge belasten fragile Volkswirtschaften sondergleichen. | |
| Als Preistreiber sieht Hickel auch instabile politische Verhältnisse, wie | |
| in der Türkei. „Die daraus resultierende Währungsabwertung verteuert die | |
| Preise der existenznotwendigen Importe, die an die Verbraucher überwälzt | |
| werden.“ In Argentinien (Inflationsrate: 52,1 Prozent) und Venezuela (1.575 | |
| Prozent) ist die Mega-Inflation dann eine Folge der staatlichen | |
| Geldschöpfung: Weil die Regierungen mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen, | |
| lassen sie die Druckmaschinen heiß laufen. Das dürfte auch in Ländern mit | |
| einer vergleichsweise moderaten Inflationsrate um die 10 Prozent – wie | |
| Brasilien, Belarus und Ukraine, Ghana oder Malawi – der Fall sein. | |
| Vor allem in afrikanischen und südamerikanischen Ländern spielt zudem die | |
| Flucht der Reichen in den Dollar oder Euro eine Rolle. Das schwächt deren | |
| Landeswährungen. Und treibt so mittelbar die heimischen Preise, etwa für | |
| Chlor-Hühnchen aus den USA oder für Weizen aus der Eurozone. | |
| 21 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hermannus Pfeiffer | |
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