# taz.de -- Siemens-Großauftrag in Ägypten: Mit dem ICE durchs Niltal | |
> Siemens unterzeichnet mit Ägypten den größten Auftrag seiner | |
> Konzerngeschichte. Nur: Wie das riesige Projekt finanziert werden soll, | |
> ist noch unklar. | |
Bild: Noch nur eine Fotomontage: So ein Triebwagenzug von Siemens könnte schon… | |
KAIRO taz | Es ist ein Auftrag der Superlative, der größte, den das | |
Unternehmen Siemens in seiner 175jährigen Geschichte an Land gezogen hat. | |
Der Konzern soll in Ägypten ein 2.000 Kilometer langes Bahnnetz für | |
Hochgeschwindigkeitszüge bauen. Wert: 8,1 Milliarden Euro. Damit würde eins | |
der ältesten Eisenbahnsysteme der Welt endlich modernisiert. | |
Über dem Ganzen stehen allerdings viele Fragezeichen. Das wohl wichtigste: | |
Da das überschuldete Ägypten das Megaprojekt wahrscheinlich nicht voll | |
finanzieren kann, könnte die Rechnung am Ende aus dem deutschen | |
Staatshaushalt bezahlt werden. Auch viele andere Details des Projekts | |
bleiben intransparent. Siemens Mobility soll neben dem Streckenbau 41 | |
Hochgeschwindigkeitszüge, 94 Regionalzüge und 41 Güterlokomotiven an | |
Ägypten liefern. Dort sollen in Zukunft Züge auf drei großen | |
Streckenabschnitten mit bis zu 230 Stundenkilometern durch das Niltal und | |
die Wüste fahren. | |
Der Deal wurde vor knapp zwei Wochen unter Dach und Fach gebracht. Bei der | |
Unterzeichnung in Kairo bezeichnete Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi | |
das neue Bahnnetz als „wertvolle Erweiterung des ägyptischen | |
Verkehrssystems“ und „den Beginn einer neuen Ära für das Eisenbahnsystem … | |
Ägypten, Afrika und im Nahen Osten“. „Mit unserer neuesten Technologie für | |
Schienenfahrzeuge, Signaltechnik und Instandhaltung wird Ägypten über das | |
sechstgrößte und modernste Hochgeschwindigkeitsbahnnetz der Welt verfügen“, | |
erklärte der Siemens-Vorstandsvorsitzende Roland Busch. | |
Zunächst soll eine Strecke von Ain Sukhna am Roten Meer, eine Autostunde | |
von Kairo entfernt, über die von al-Sisi in Auftrag gegebene neue | |
Hauptstadt und dann weiter durch Kairo und von dort bis an die | |
Mittelmeerküste, an den im Westen gelegenen Ort Marsa Matrouh gebaut | |
werden. Dieser Streckenabschnitt war bereits letztes Jahr vereinbart worden | |
und wurde von Siemens als „neuer Suezkanal auf Schienen“ angepriesen. | |
## Die Modernisierung ist überfällig | |
Erst dann ist die Nord-Süd-Strecke im Niltal dran, dort, wo die absolute | |
Mehrheit der Ägypter lebt. Sie soll von Alexandria über Assuan bis zu dem | |
Tempel von Abu Simbel am Stausee des Assuan-Dammes führen. Schließlich will | |
Siemens im Süden eine weitere Trasse von der südlich vom Roten Meer | |
gelegenen Stadt Safaga ins Niltal bauen. | |
„Transport war schon immer ein Schlüssel für die Ägypter, die Bevölkerung | |
wächst und damit auch die Nachfrage für Mobilität. Diese Nachfrage muss | |
befriedigt werden und das schnell – und für alle Ägypter“, heißt es in | |
einem Siemens PR-Video. „Das neue Eisenbahnnetz wird Städte im ganzen Land | |
miteinander verbinden. Es wird Menschen und Güter auf die Reise schicken, | |
weiter, schneller und sicherer und das bezahlbar“, so das Werbevideo. | |
Tatsächlich ist die Modernisierung der Eisenbahn mehr als überfällig. Die | |
ägyptische Eisenbahn war die zweite in der Welt, nach Großbritannien, als | |
1834 eine Strecke zwischen dem Suezkanal und Alexandria gebaut wurde. Noch | |
heute stammt ein Teil des Schienennetzes aus der Kolonialzeit. Es ist viel | |
zu klein für die 100 Millionen Menschen, die in dem Land wohnen, außerdem | |
nicht elektrifiziert und berüchtigt für seine horrenden Unfälle. Der | |
ägyptische Transportminister Kamal al-Wazir machte im ägyptischen Fernsehen | |
keinen Hehl aus dem gegenwärtigen Zustand: „Unser jetziges Schienennetz | |
stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Die Züge sind veraltet, die Signale | |
sind genauso katastrophal wie die Werkstätten der Eisenbahn.“ | |
## Insgesamt fast 47.000 neue Jobs | |
Laut Erklärung der Firma Siemens soll der Bau der neuen | |
Hochgeschwindigkeitstrassen mit neuester Technologie auch 40.000 | |
Arbeitsplätze im Land schaffen. Weitere 6.700 Stellen würden bei anderen | |
ägyptischen Lieferanten und in anderen Wirtschaftszweigen entstehen. | |
Laut Siemens Mobility werden rund 90 Prozent der ägyptischen Bevölkerung | |
Zugang zu dem neuen Bahnnetz haben. Mit der Verlagerung des Verkehrs auf | |
die Schiene werde das voll elektrifizierte Bahnnetz die CO2-Emissionen im | |
Vergleich zum bestehenden Bus- oder Autoverkehr um 70 Prozent senken, | |
erklärte das Unternehmen. | |
## Große Ziele, wenig Plan | |
Voraussetzung für den geringeren CO2 Ausstoß wäre allerdings, dass der | |
Strom durch erneuerbare Quellen produziert wird. Die ägyptische Regierung | |
verfolgt tatsächlich ehrgeizige Ziele beim Ausbau der erneuerbaren | |
Energien. Bis nächstes Jahr soll der Anteil erneuerbarer Energien am | |
Energiemix auf 20 Prozent gesteigert werden. Bis zum Jahr 2035 will die | |
Regierung diesen Anteil sogar auf 42 Prozent steigern. | |
Aktuell liegt das Land aber weit hinter diesen Plänen. Bisher liegt der | |
durchschnittliche Tagesanteil erneuerbarer Energien laut Angaben der | |
Elektrizitätsministeriums bei rund 14 Prozent, davon macht die Wasserkraft | |
– also der Assuan-Staudamm – mehr als die Hälfte aus, ist aber nicht mehr | |
ausbaufähig. Der Anteil von Sonnen- und Windenergie liegt bei etwas mehr | |
als 5 Prozent. Der weitaus größte Anteil stammt aus mehreren | |
Gaskraftwerken, die ebenfalls mit einem Siemens-Großauftrag in den | |
vergangenen Jahren gebaut wurden. | |
Wenn eine Trasse durch die 20-Millionenstadt Kairo gebaut wird, wird das | |
Eisenbahnprojekt voraussichtlich auch mit umfangreichen | |
Umsiedlungsmaßnahmen einhergehen. Wie das genau vonstatten gehen wird, ist | |
bisher nicht transparent. | |
Für Stefan Roll, den Leiter der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten | |
an der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, wirft das Projekt | |
auch viele andere Fragen auf. „Es gab offensichtlich keine transparente | |
öffentliche Ausschreibung und es gibt keine einsehbare | |
Kosten-Nutzen-Analyse“, schildert er. Aber das größte Fragezeichen stehe | |
bislang über der Finanzierung des Projektes: „Ägypten ist hochverschuldet | |
und muss wahrscheinlich im kommenden Haushalt 50 Prozent der Staatsausgaben | |
für den Schuldendienst aufwenden“, erklärt Roll. Damit sei völlig offen, | |
wie ein solches milliardenschweres Vorhaben überhaupt bezahlt werden könne. | |
## „Ein gewisses Risiko“ | |
Für Siemens selbst gestaltet sich das Risiko aber voraussichtlich | |
überschaubar. Offensichtlich sind über Hermes-Bürgschaften großzügige | |
Garantien von der Bundesregierung gewährt worden, erläutert Roll. Diese | |
Exportkreditgarantien sind ein bewährtes Mittel der Bundesregierung, um | |
Geschäfte mit anderen Ländern gegen politische und finanzielle Risiken | |
abzusichern. Aber auch diese können nur im begrenzten Umfang vergeben | |
werden. „Bereits in der Vergangenheit wurden sehr umfangreiche | |
Kreditgarantien für Siemens-Geschäfte mit Ägypten vergeben. Jetzt dürfte | |
sich ein beträchtliches Ausfallrisiko angehäuft haben. Für Deutschland ist | |
dieses Geschäft damit durchaus mit einem gewissen Risiko verbunden“, sagt | |
Roll. | |
Nichtsdestotrotz sei es sicherlich nicht verkehrt, dass Ägypten sein | |
Eisenbahnnetz modernisiert. „Das ist eher ein sinnvolles | |
Infrastrukturvorhaben“, meint Roll, gerade im Vergleich zu anderen | |
Großprojekten, die Ägypten in den vergangenen Jahren angefangen hat. | |
Ein Beispiel ist der Bau einer neuen Hauptstadt, den Präsident al-Sisi | |
anstieß. Die Pläne sind groß – Ägypten will in dieser neuen Hauptstadt 20… | |
die Olympischen Spiele ausrichten – aber ob sie das Land tatsächlich nach | |
vorne bringen, ist fragwürdig. „So gesehen, bei aller Intransparenz und | |
Kritik“, sagt Stefan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik, „ist | |
dieses Eisenbahnprojekt mit seiner Wirkung wahrscheinlich noch am | |
sinnvollsten“. | |
9 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
## TAGS | |
Ägypten | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Siemens | |
Schienenverkehr | |
Justiz in Ägypten | |
Autoverkehr | |
fossile Energien | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Weizen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Menschenrechte in Ägypten: Gegen Al-Sisi, für Freiheit | |
Ägyptische Aktivisten demonstrieren in Berlin gegen den ägyptischen | |
Präsidenten Al-Sisi. Der ist für den Petersberger Klimadialog in | |
Deutschland. | |
Die Autobahn: Das Band des Grauens | |
Ein Versuch, die Schönheit der Autobahn als etwas Vergangenes zu entdecken. | |
Am Beispiel von Asterix und Obelix. | |
Energiewende lässt auf sich warten: Langes Endspiel der Fossilen | |
Soll das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden, muss der Ausstieg aus der fossilen | |
Energie gelingen. In Wirklichkeit wird ihre Produktion global ausgebaut. | |
Kooperation mit russischem Staatskonzern: Siemens bleibt Rosatom treu | |
Zusammen mit Russlands Staatskonzern will Siemens neue AKWs bauen. Das | |
Wirtschaftsministerium hat keine Einwände. | |
Folgen des Ukraine-Kriegs: Ohne Weizen kein Frieden | |
Weltweit steigt der Preis für Weizen, denn Ukraine und Russland sind starke | |
Exporteure des Getreides. Das trifft auch Ägypten und den Libanon hart. |