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# taz.de -- Abhängigkeit von russischen Rohstoffen: Brauchen wir Putins Gas?
> Mehr als ein Drittel der europäischen Gaslieferungen fließt durch Nord
> Stream 1. Nun wird über ein Embargo diskutiert – die Folgen wären
> weitreichend.
Bild: Anladestation in Lubmin, Mecklenburg Vorpommern: Hier kommt russisches Ga…
Berlin taz | In der Debatte über weitere Sanktionen gegen Russland stehen
die Energieimporte im Mittelpunkt. So kündigte etwa die USA am Dienstag an,
kein russisches Öl mehr zu importieren. In der EU dreht sich die Debatte
vor allem um Gas. Die einen fordern ein komplettes Embargo, andere wollen
an den Importen festhalten. Auch der russische Außenminister Alexander
Nowak drohte am Montagabend mit einem Stopp der Gaslieferungen nach
Deutschland. Es stellt sich also die Frage: Welche Auswirkungen hätte es,
wenn Deutschland und Europa die Gaspipeline Nord Stream 1 blockieren?
Die Bedeutung von Nord Stream 1
Die Röhre von Russland nach Deutschland transportiert 30 bis 40 Prozent der
Gaslieferungen in die Europäische Union (EU). Die übrigen Mengen fließen
durch das sogenannte Ukraine-System und die Jamal-Pipeline über Belarus und
Polen.
Wie könnte die russische Regierung reagieren?
Würde die EU Nord Stream 1 abklemmen, fehlten dem russischen Staat sofort
Dutzende Millionen Euro täglich – eine empfindliche Einbuße, da seine
Devisen vor allem aus dem Verkauf von Rohstoffen stammen. Dies mag Wladimir
Putin veranlassen, die übrigen Exporte weiter strömen zu lassen.
Andererseits könnte er aber auch mit Gegensanktionen antworten und die
kompletten Gaslieferungen in die EU einstellen. Das würde hier zu massiven
Schwierigkeiten führen. Über die Hälfte des in Deutschland verbrauchten
Erdgases stammen aus Russland. EU-weit sind es etwa 40 Prozent.
Kann man die Mengen aus Nord Stream 1 ersetzen?
„Die Strategie müsste darin bestehen, fehlende Lieferungen aus Russland
durch Importe von [1][Flüssiggas] (LNG) zu ersetzen“, sagt der Ökonom Malte
Küper vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW). „Angesichts der
vorhandenen LNG-Importkapazitäten in Europa wäre es rein mengenmäßig
möglich, die Lieferungen durch Nord Stream 1 aufzufangen.“ Probleme dabei:
Große zusätzliche Mengen auf dem Weltmarkt zu beschaffen, ist schwierig und
teuer. Andererseits gibt es Engpässe bei den Gasleitungen zwischen den
Häfen und den Verbrauchern innerhalb Europas. Sascha Müller-Kraenner,
Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), erklärt: „Die
Internationale Energie-Agentur hält es durch ein Bündel von Maßnahmen für
möglich, den Gasimport aus Russland innerhalb eines Jahres um ein Drittel
zu reduzieren.“
Wie ließe sich der Gasbedarf insgesamt verringern?
Andreas Goldthau, Experte für Geoökonomie der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik (DGAP), plädiert für ein „Paket an Maßnahmen“, unter
anderem einen „schnellen Ausbau der Wind- und Solarenergie,
Energieeffizienzmaßnahmen und das Ersetzen von Gasheizungen durch
Wärmepumpen“. Gerade bei diesem Thema wären „die Potenziale gewaltig“, …
auch Müller-Kraenner. Seinen Informationen zufolge werden zwar jährlich in
Deutschland fast eine Million Heizungen ausgetauscht, allerdings „nur
150.000 Wärmepumpen neu eingebaut“. Diese Anlagen zur Wärmeerzeugung holen
die Energie aus dem Boden oder der Luft. Man kann sie mit Ökostrom vom
Hausdach betreiben. Ein massives, schnelles Ausbauprogramm müsste die
Bundesregierung wohl mit einigen Milliarden Euro fördern. Die öffentliche
KfW-Bank würde Zuschüsse und Kredite gewähren.
Könnte die Industrie weniger verbrauchen?
„In der Industrie existieren kurzfristig keine großen Einsparpotenziale“,
warnt IW-Forscher Küper. „Soll der Gasverbrauch dort deutlich sinken, wäre
das mit Produktionseinschränkungen verbunden.“ Küper weist darauf hin, dass
wegen der hohen Gaspreise kürzlich schon die Herstellung von Ammoniak in
Deutschland zurückging. Bei starken Einschränkungen sind Arbeitsplätze in
Gefahr. Der Verband der Gasunternehmen argumentiert, in der Chemie- und in
der Automobilindustrie lasse sich das russische Erdgas kurzfristig nur
schwer ersetzen. Im Verlauf der kommenden 20 Jahren dürfte das anders
aussehen: Dann soll mit Ökostrom produzierter Wasserstoff das fossile Gas
ablösen. Das dauert allerdings seine Zeit.
Wie sieht es bei den privaten Haushalten aus?
Etwa jeder zweite deutsche Haushalt betreibt die Heizung und
Warmwasserbereitung mit Gas. Dabei lässt sich einiges sparen. „Die
Internationale Energieagentur schätzt, dass bei einer Reduktion von einem
Grad Raumtemperatur Einsparungen von zehn Milliarden Kubikmeter Gas pro
Jahr europaweit zu erreichen sind“, sagt Geoökonom Goldthau. Das entspricht
etwa einem Fünftel der Lieferungen durch Nord Stream 1. Sowieso empfiehlt
die DUH, die Thermostate an den Wohnungsheizungen nur bis Stufe drei
hochzudrehen, mehr bringe meist nichts.
Und die soziale Frage?
Der Verzicht auf bestimmte russische Gaslieferungen, der Ersatz aus anderen
Quellen und die damit verbundene höhere Nachfrage auf dem Weltmarkt führt
zu weiter steigenden Preisen. Das bringt wahrscheinlich ein Drittel der
deutschen Haushalte, die von eher niedrigen oder mittleren Einkommen leben,
in finanzielle Nöte. Schon die bisherigen Preiserhöhungen beim Gas können
für Durchschnittshaushalte 70 Euro mehr pro Monat bedeuten. Daher stellt
sich die Frage des sozialen Ausgleichs. „Wir fordern dazu unter anderem
einen [2][Heizkostenzuschuss] von mindestens durchschnittlich 500 Euro pro
Haushalt“, erklärt der Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Zweitens
muss den Verbraucherinnen und Verbrauchern der Kohlendioxidpreis als
Pro-Kopf-Pauschale zurückerstattet werden, davon profitieren insbesondere
auch die Haushalte mit geringem Einkommen.“
8 Mar 2022
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## AUTOREN
Hannes Koch
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