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# taz.de -- BDEW-Präsidentin zu Energiepreisen: „Wir haben unsere Lektion ge…
> Die Präsidentin des Energieversorgerverbands BDEW Marie-Luise Wolff
> erklärt, wie der Ausbau von erneuerbaren Energien Preise senken könnte.
Bild: Teure Pfoten: In diesem Winter sind besonders die Heizkosten gestiegen
taz: Frau Wolff, ist die Gas- und Stromrechnung bei Ihnen in den letzten
Wochen auch so gestiegen wie bei anderen Leuten?
Marie-Luise Wolff: Nein.
Aber Sie sind als Vorstandsvorsitzende eines Energiekonzerns natürlich auch
nicht bei einem Billiganbieter, der pleitegeht und Sie an einen teuren
Versorger weiterreicht.
Nein. Das ist der entscheidende Unterschied. Für Bestandskunden beschafft
die Energiewirtschaft über zwei bis drei Jahre im Voraus die Menge an
Strom, die sie verbrauchen. Das schützt sie vor diesen riesigen
Preisspitzen. Die Billiganbieter dagegen warten auf niedrige Preise. Wenn
die dann nicht kommen, versuchen einige, Kunden einfach abzuwerfen. Das ist
natürlich ein unseriöses Marktverhalten, das nicht gerade von Verantwortung
geprägt ist.
Wie stark ist denn generell der [1][Preisanstieg] beim Strom?
Laut unserer aktuellen Strompreisanalyse ist der durchschnittliche Preis
für eine Kilowattstunde zwischen Januar 2021 und Januar 2022 von 32,2 Cent
auf 36,2 Cent gestiegen. Für den Durchschnittshaushalt sind das etwa 140
Euro mehr im Jahr. Es gibt derzeit im nationalen und internationalen
Energiemarkt ungekannte Preissprünge, vor allem, weil die Wirtschaft nach
dem Corona-Abschwung wieder in Fahrt kommt. In Deutschland können wir beim
Strom darauf gut reagieren, indem wir die EEG-Umlage streichen, vielleicht
geht das ja schon früher als zum Januar 2023. Das sind 3,7 Cent pro
Kilowattstunde, also etwa so viel wie der Anstieg im letzten Jahr.
Beim Gas ist es komplizierter. Da können wir eigentlich nicht viel machen
als auf einen warmen Februar zu hoffen, oder?
Das Prinzip Hoffnung sollte uns nicht leiten. Wir müssen Vorsorge treffen.
Beim Gas ist die Situation strukturell viel schwieriger, das schlägt sich
auch in den Preisen stärker nieder. Wir sehen schon jetzt an den Börsen,
dass Gas im Sommer 2022 so teuer sein wird wie im Winter 2023, das ist sehr
ungewöhnlich. Und kann dazu führen, dass wieder im Herbst die Speicher
nicht so gefüllt werden wie es nötig wäre. Dann würden wir in im nächsten
Winter in einen ähnlichen Engpass laufen wie jetzt. Deswegen ist es
richtig, weitere Instrumente zu prüfen wie zum Beispiel eine Gasreserve,
was die Bundesregierung jetzt auch tut.
Ist die Angst real, dass wir in diesem Winter in Deutschland nicht genug
Gas zum Heizen und für die Industrie haben?
Es gibt aktuell keinen Grund zur Panik. Wir sind bei einem Speicherstand
von 40 Prozent. Das reicht für diesen Winter, niemand wird frieren. Und die
Haushaltskunden sind besonders geschützt.
In der Ukrainekrise zeigt sich, wie abhängig Deutschland vom russischen Gas
ist, das mehr als die Hälfte unserer Importe ausmacht. Die Unternehmen
sagen aber, bisher hat Russland sich immer an die Lieferverträge gehalten.
Stimmt das noch?
Das ist die Erfahrung, die unsere Gasunternehmen machen. Es gibt die
Liefertreue der letzten Jahrzehnte. Allerdings muss man auch sagen: Anders
als bisher üblich kommt nicht mehr Gas, wenn wir es brauchen. Aber die
langfristigen Verträge werden bisher erfüllt.
Auch wenn es Krieg geben sollte?
[2][Minister Habeck] hat gesagt, in einer Kriegssituation stehen wir vor
einer ganz neuen Herausforderung. Aber davon gehe ich jetzt erst mal nicht
aus.
Was wird aus Nord Stream 2? Allein aus marktwirtschaftlicher Sicht: Die
Pipeline muss sich rentieren, aber bis 2045 wollen wir klimaneutral sein,
dann wollen wir kein Gas mehr verbrennen. Ist das nicht von Anfang an eine
Investition, die sich nicht amortisieren kann?
Man muss auch die Zeithorizonte bedenken. 2015 haben die Investoren ihre
Entscheidung für Nord Stream 2 gefällt, da gab es noch keine Ziele für
Klimaneutralität, erst recht nicht für 2045. Das war eine völlig andere
Situation. Im Rückblick ist immer alles ganz einfach.
Wie lange käme Deutschland heutzutage ohne russisches Gas aus?
Sicher würden wir ohne neues russisches Gas über den Winter kommen. Wir
können auf Engpässe auch reagieren: Manche Industrien können von Gas auf
Strom umstellen, wir bekommen mehr Gas aus Norwegen und zusätzlich aus den
USA. Natürlich hilft es, wenn es nicht so kalt wird. Aber das ist keine
Situation, vor der man Angst haben muss.
Sind denn hohe Energiepreise eigentlich schlecht? Ihre Versorger verdienen
gut und der Druck zum Energiesparen wächst.
Der Strompreis ist wichtig, um zu zeigen, dass Strom ein wertvolles Gut
ist. Das bildet sich ja auch durch die höheren CO2-Preise im Strom ab.
Schwierig ist die soziale Komponente: Extreme Sprünge belasten viele
Menschen sehr, das müssen wir vermeiden. Aber wie teuer der Strom wird,
hängt auch davon ab, wie schnell wir beim Ausbau der Erneuerbaren
vorankommen.
Bis vor ein paar Jahren hieß es, der Ausbau der Erneuerbaren treibt den
Strompreis über die EEG-Umlage nach oben. Jetzt gilt das Gegenteil?
Erst einmal senkt der Ausbau der Erneuerbaren den Strompreis, weil sie ja
niedrige Betriebskosten haben. Wir müssen aber darauf achten, dass der
Zubau so groß ist wie die Lücke, die durch Kohle- und Atomausstieg
entsteht. Sonst gibt es Knappheiten und der Preis steigt wieder an.
Aber die [3][EEG-Umlage] ist in der Vergangenheit deutlich gestiegen.
Richtig, aber wenn sie – wie jetzt geplant – nicht mehr die Kunden zahlen,
sondern der Staat aus dem allgemeinen Haushalt, ist das gerechter und eine
Entlastung gerade für Haushalte mit niedrigem Einkommen und für
mittelständische Unternehmen.
Wer garantiert denn, dass die Unternehmen diese Senkung an die Kunden
weitergeben?
Es gibt einen riesigen Wettbewerb auf dem Markt. Und, das kann ich Ihnen
aus eigener Erfahrung in meinem Unternehmen sagen: Wenn Sie sich als
Höchster einordnen, verlieren Sie Kunden.
Wenn die 3,7 Cent EEG-Umlage pro Kilowattstunde wegfallen, sinkt mein
Strompreis um 3,7 Cent?
Das hängt davon ab, wie sehr bis dahin der Preis mit Blick auf die
Beschaffungskosten noch steigt. Wenn auch 2022 ein Hochpreisjahr wird, wird
es schwieriger.
Wenn wir jetzt über Versorgungssicherheit reden, reden wir über fossiles
Gas. Aber wie sichern wir die Versorgung mit Erneuerbaren, was ja erklärtes
Ziel ist?
Das Zutrauen ist gestiegen, dass man bis 2030 mit Erneuerbaren 80 Prozent
Versorgung beim Strom schafft. Die meisten Studien gehen davon aus, dass
wir 2030 eine installierte regelbare Kraftwerksleistung von etwa 60 bis 75
Gigawatt brauchen, die ganz überwiegend mit Gas betrieben werden. Diese
Gaskraftwerkskapazitäten kann man später auf den Betrieb mit Wasserstoff
umstellen. Die Energiewirtschaft steht geschlossen zu Klimaschutz und
Energiewende. Das war vor fünf oder zehn Jahren noch anders.
Aber gerade die Energieversorger haben in den letzten Jahren beim Ausbau
der Erneuerbaren und dem früheren Kohleausstieg gern gebremst. Hat Ihre
Branche das zeitlich falsch eingeschätzt?
Wir haben unsere Lektion gelernt. Denn bei einem solchen Umbruch muss man
lernen, was es heißt, neu und anders zu investieren, zu bauen, sich an
niedrige Renditen zu gewöhnen, auch an die anderen Zyklen: Denn Sie
investieren am Anfang viel und es dauert sehr lange, bis der Ertrag kommt.
Um das zu lernen, braucht man auch Zeit, Innovation und Personal, das sich
auskennt. Das sind ja riesige Bauprojekte und sehr hohe Risiken. Mein
Unternehmen Entega ist ja auch an einem großen Offshore-Windpark beteiligt.
Der kostet fast so viel wie ein Kernkraftwerk.
Warum soll der Ausbau der Erneuerbaren unter dieser Regierung besser
funktionieren als unter der letzten?
Diese Bundesregierung ist beim Thema Erneuerbare viel einiger als die
letzte Regierung. Die internen Widerstände waren zuletzt ein enormer
Hemmschuh.
Es gibt aber auch viel Widerstand bei der Bevölkerung.
Erst mal muss man sehen: Es sind ja oft nicht „die Leute“ gegen den Ausbau,
sondern in vielen Fällen wenige Leute, die lokal sehr viel Widerstand
organisieren. Es muss eine Kombination aus Anreizen, aus Regeln und aus
organisatorischen Bedingungen sein. Wir müssen auf jeden Fall aufhören,
jahrelang über einen Vogel zu diskutieren. Es geht um den Schutz der Art,
der gewährleistet sein muss, dazu stehen auch wir. Der Natur- und
Artenschutz ist allerdings von vielen Gegnern missbraucht worden. Dann
müssen Ämter und Gerichte personell und organisatorisch besser ausgestattet
werden, teilweise merken wir das schon. Die finanzielle Beteiligung für die
betroffenen Kommunen wird verbessert. Wichtig sind auch neue Regeln: Kann
jede Kommune bestimmen, ob ein Windrad gebaut wird, oder wird das auf
höherer Ebene geklärt? Wie erreichen wir die 2 Prozent Fläche für den Wind
wirklich?
Denken Sie manchmal bei der Größe der Aufgabe: Das schaffen wir nicht?
Eigentlich nie. Die Herausforderung ist riesig. Aber ich denke, dass wir
das als Land schaffen. Ein bisschen Hochachtung habe ich allerdings, wenn
ich durch eine Stadt wie Berlin fahre und denke: Jedes Haus muss angepackt
und saniert werden. Nicht unmöglich, aber extrem aufwändig.
Wer soll das denn konkret alles bauen? Solaranlagen, Windräder,
Wärmedämmung, das braucht Fachkräfte, die schon jetzt schwer zu finden
sind.
Das ist auf jeden Fall ein Nadelöhr. Aber das Handwerk sagt von sich
selbst: Wir sind Ausrüster der Energiewende. Klar ist, dass wir eine
Ausbildungsoffensive brauchen werden. Der BDEW ist zu diesem sehr wichtigen
Thema in einem Austausch mit den Gewerkschaften. Wir sollten aber auch
nicht ängstlich sein, das ist eine Riesenchance. Minister Habeck sagt ja zu
Recht, dass wir dafür auch Zuwanderung brauchen.
Also nicht nur den IT-Inder, sondern jetzt auch den Solar-Inder?
Und den Sanitär/Klima-Inder oder Afghanen, die Hessin, den Pfälzer oder die
Iranerin. Wir haben bei uns im Unternehmen tatsächlich vor fünf Jahren
angefangen, zehn Prozent eines Jahrgangs in der Ausbildung mit Migrantinnen
und Migranten zu besetzen. Und unser Ausbildungsleiter sagt mir: Frau
Wolff, die sind handwerklich oft viel geschickter als „unsere“. Um nicht
missverstanden zu werden: es geht nicht um Nationalitäten sondern um
handwerkliche Talente.
2 Feb 2022
## LINKS
[1] /Steigende-Preise-von-Gas-und-Strom/!5825007
[2] /Umstrittene-Gasleitung-Nord-Stream-2/!5820863
[3] /Hohe-Energiepreise-in-Deutschland/!5832140
## AUTOREN
Bernhard Pötter
Malte Kreutzfeldt
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