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# taz.de -- EU-Taxonomie: Brüssel adelt Gas und Atomkraft
> Trotz aller Widerstände hat die EU-Kommission Kernkraft und Gas als
> nachhaltige Brückentechnologien eingestuft. Gegner sprechen von
> „Greenwashing“.
Bild: Das Atomkraftwerk Flamanville in Frankreich
Brüssel taz | Die EU-Kommission hat der Atomkraft und dem Erdgas ein grünes
Gütesiegel verliehen. Trotz massiver Bedenken aus Politik und Wissenschaft
stuft die Brüsseler Behörde beide Energieträger als „nachhaltige
Brückentechnologien“ ein. Atom und Gas gehen damit in die so genannte
Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte ein, mit der die EU-Kommission
private Investitionen ankurbeln will.
Für die Vorlage, die erstmals am 31. Dezember veröffentlicht wurde und
seither für Unruhe in Brüssel sorgt, stimmten 25 der 27 Kommissare. Nicolas
Schmit, der Sozialkommissar aus Luxemburg, und Johannes Hahn,
Budgetkommissar aus Österreich, stellten sich gegen die Empfehlung, die
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) persönlich ausgearbeitet
hatte.
Widerstand kam auch [1][aus mehreren EU-Staaten]. Deutschland, Luxemburg
und Österreich sperrten sich gegen die Adelung der Atomkraft, Österreich
und drei weitere Länder hatten Bedenken gegen das Ökosiegel für Gas. Große
Änderungen konnten sie aber nicht durchsetzen. Die Taxonomie ist ein
„delegierter Rechtsakt“ und kein normales EU-Gesetz – die Kommission kann
„durchregieren“.
Die Regierungen durften zuletzt nur noch „technische Anmerkungen“ machen.
Einige davon habe man berücksichtigt, sagte eine Kommissionsexpertin. So
wurden die Auflagen für Gas gelockert. Dies hatte die Bundesregierung
gefordert. Deutschland hatte sich in den vertraulichen Verhandlungen, die
bis in die Silvesternacht dauerten, für Gas stark gemacht, Frankreich für
die Kernkraft.
## EU-Kommission verteidigt Pläne
Die Verordnung werde die Transparenz erhöhen und private Investitionen
fördern, sagte EU-Kommissarin Mairead McGuiness. „Heute haben wir strenge
Bedingungen präsentiert, die zur Mobilisierung von Kapital für den Ausstieg
aus schädlicheren Energieträgern wie Kohle beitragen“, sagte die Irin.
Anleger könnten künftig leichter erkennen, „ob Gas- oder
Kernenergietätigkeiten im Spiel sind.“
Die nationale Energiepolitik bleibe von der Taxonomie unberührt, betont die
EU-Kommission. Den Mitgliedstaaten stehe es weiter frei, sich für oder
gegen bestimmte Technologien zu entscheiden. Von einem „Greenwashing“ könne
keine Rede sein, erklärte McGuiness, da die Nutzung von Atom und Gas an
strenge Auflagen gebunden sei. Die Einstufung sei „schwierig, aber
notwendig“.
Doch die Kritik hält an. Die Grünen im Europaparlament sprechen von einem
„Etikettenschwindel“, der auf Kosten der Energiewende und der Anleger gehe.
„Wir werden gegen diesen Vorschlag alles mobilisieren“, sagte Rasmus
Andresen, Sprecher der Europagruppe der Grünen. „Wir erwarten von SPD und
FDP in der Bundesregierung, dass sie sich unserem Grünen Nein anschließen“,
fügte er hinzu.
Die SPD geht bereits auf Distanz. „Die EU-Kommission hält an Greenwashing
fest“, kritisiert SPD-Wirtschaftspolitiker Joachim Schuster. Die deutschen
Sozialdemokraten würden im Europaparlament für eine Ablehnung der Taxonomie
werben. Für eine Mehrheit gegen den Vorschlag fehlen allerdings noch mehr
als 100 Stimmen. Im Ministerrat haben die Kritiker noch weniger Chancen.
## Kaum Chancen, die Taxonomie zu kippen
Um einen „delegierten Rechtsakt“ zu stoppen, reicht keine einfache
Mehrheit. Vielmehr müssen 20 EU-Staaten dagegen stimmen – das gilt als
unerreichbar. Frankreich hat ein dutzend Staaten mobilisiert, die sich
vehement für die Kernkraft aussprechen. Deutschland konnte dagegen bisher
nur wenige kleinere EU-Länder um sich scharen. Wegen der Lobbyarbeit für
Gas steht Berlin zudem selbst in der Kritik.
In Berlin und anderen deutschen Städten haben am Mittwoch Dutzende Menschen
vor Vertretungen der EU-Kommission gegen die Einstufung von Atomenergie und
Gas als klimafreundlich protestiert. An den Aktionen beteiligten sich nach
Angaben teilnehmender Organisationen in Berlin etwa 55 sowie in Bonn 60
Menschen. Auch in München war ein Protest vor einem Büro der EU-Kommission
geplant. In Berlin forderten die Demonstranten die Bundesregierung auf,
einer von Österreich angekündigten Klage gegen den Kommissionsbeschluss
beizutreten.
Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler bekräftigte bei
einer Pressekonferenz am Mittwoch in Wien, ihr Ministerium werde in den
kommenden Wochen „alle rechtlichen Schritte vorbereiten“ und bei einem
Inkrafttreten des Kommissionsbeschlusses beim Europäischen Gerichtshof „mit
einer Nichtigkeitsklage dagegen vorgehen“. Der Beschluss der EU-Kommission
komme einem „Greenwashing für Atom und Erdgas“ gleich. Die Klage könnte d…
Umsetzung verzögern. Die EU-Kommission hält ihren Entwurf jedoch für
gerichtsfest – spätestens 2023 soll das grüne Gütesiegel kommen. Der Rat
und das Parlament haben nun vier Monate Zeit, um über den Vorschlag zu
beraten. Wenn sie ihn nicht ablehnen, kann er in Kraft treten.
2 Feb 2022
## LINKS
[1] /Umstrittene-Einordnung-von-Atom-und-Gas/!5829570
## AUTOREN
Eric Bonse
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