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# taz.de -- Die Wahrheit: Nachhaltiges Glühen
> Atomenergie ist umweltfreundlich. Das sagt die EU. Und das beweist ein
> kürzlich erbautes Öko-AKW im niederbayerischen Niederhantingen.
Bild: Kurz vor dem Gau: Das Öko-AKW in Niederhantingen
Ein Rotkehlchen hopst hastig ins Gebüsch. Ein kleiner Bach rauscht sanft.
Über die wild bewachsenen Hügel weht eine laue Brise, von der man nicht
weiß: Ist sie der Föhn? Oder stammt sie aus einem Leck im direkt vor uns
befindlichen Green-AKW „Bio-Nuclear Dreams“ im niederbayerischen
Niederhantingen? Ersteres, versichert Harald Hitzer, Pressesprecher des
gerade errichteten idyllischen Modellkraftwerks.
Hitzer wirkt, als sei er einem Gruppenfoto des Gründungsparteitags der
Grünen entstiegen: Strickpullover, Birkenstock-Sandalen, Rauschebart.
„Meine offizielle Arbeitskleidung“, erklärt er. „Sie unterstreicht das
Öko-Mindset, mit dem wir hier Atomkraft betreiben. Der Bart ist sogar
abnehm- und waschbar. Doch lasst uns keine Halbwertszeit verlieren. Mir
nach!“
Schon der Eingangsbereich zeigt: Das „Bio-Nuclear Dreams“ macht seinem
Namen alle Ehre. Auf dem Korkboden liegen weiße Papierfaserteppiche,
gefertigt aus recycelten, negativen Stellungnahmen zur EU-Taxonomie. Zur
Mülltrennung stehen sechs Tonnen bereit: Papier, Plastik, Glas, Metall,
Bio, Radioaktives. An der aus Naturholz gezimmerten Empfangstheke reicht
man munter perlende Limonade. Gern greifen wir zu. „Frisch gepresst aus
selbst angebauten Früchten. Im Gewächshaus auf der hauseigenen Deponie
schießen die richtig aus dem Boden“, freut sich Hitzer.
Seit die EU-Kommission Kernenergie in ihrer Taxonomie als „grüne
Investition“ einstufen will, ist der Wirbel groß. Fridays for Future
demonstriert, EU-Staaten drohen mit Klage und Robert Habeck rümpft die
Nase.
## Strahlendes Vorführwerk
Um jegliche Bedenken so weitläufig zu zerstreuen wie die Katastrophe von
Tschernobyl radioaktive Partikel, errichtete der „Interessenverband
Strahlende Zukunft e. V.“ dieses Vorführwerk in Niederhantingen. Geplant
wurde es vom Konstruktionsbüro „Green, Wash & Partner“. Die beiden
Chef-Planer, Peter Zabelschneck und Lisbeth Eichert, erwarten uns in einem
großen Besprechungsraum, der aus zwei älteren, kleineren Besprechungsräumen
upgecycelt wurde.
„Dass Atomkraftwerke umweltfreundlich sind, zeigt schon ihr englischer
Name: Nuclear Power Plant. Plant – also Pflanze!“, doziert Eichert. Das
„Bio-Nuclear Dreams“ sei allerdings ein Musterbeispiel. Die Wände sind mit
Lehm verputzt und mit Farben auf Naturharzbasis gestrichen. Die
abgebrannten Brennstäbe werden mit Bio-Kaffeesatz ummantelt und mit E-Bikes
ins regionale Zwischenlager transportiert. Die Tunnel zur Lagerung wurden
komplett CO2-neutral gebaggert – durch den Einsatz dressierter Maulwürfe.
„Und das Interieur aus Naturmaterialien“, rundet Zabelschneck den Vortrag
ab, „erzeugt einen bequemen ‚My home is my Castor‘-Flair.“
All das beeindruckt, macht es ein Kernkraftwerk aber auch nachhaltig?
Bleiben nicht wichtige Fragen, etwa die Endlagerung, offen?
„Kinkerlitzchen! Wir sollten statt Haare besser Kerne spalten“, ruft Hitzer
und begleitet uns zur nächsten Station: das Maschinenhaus. Bei der
Eintrittsschleuse, einem aus alten „Atomkraft-Nein-Danke-Buttons“ gebautem
Metalltor, wartet Ingenieurin Kordula Lach. Vor dem Eintreten müssen wir
Kontaminations-Schutzanzüge aus auf Maisstärke basierendem Bioplastik sowie
eine Schürze überwerfen. „Zur Ressourcenschonung haben wir den Bleianteil
in den Bleischürzen stark reduziert“, lacht Lach.
## Kernspaltung durch heiße Luft
Nun stehen wir in einer riesigen Halle voller futuristisch anmutender
Maschinen. Hier befinden sich die Turbinen und der Generator. Die
Ingenieurin erklärt das Prinzip: „Eine Kernspaltung gibt mehr Hitze ab als
die aufgeheizte Diskussion um das EU-Öko-Label für Atomstrom. Dadurch
entsteht so viel heiße Luft wie beim Argumentieren der EU-Kommission für
ein Öko-Label für Atomstrom. Der Dampf treibt die Turbinen an, wie die
Atomstrom-Lobbyisten die EU-Kommission. Der Generator wandelt die
Turbinen-Energie in elektrische Energie um, wie die EU-Kommission die
Wünsche der Atomlobby in Taxonomien. Ihr seht: Alles höchst effizient!“
Plötzlich ertönt eine Sirene. Rote Lampen blinken. „Sämtliche Warnleuchten
sind energiesparende LEDs“, stammelt Hitzer sichtlich nervös. Die Wände
wackeln. Das Gebäude krächzt. Lautes Rumoren dringt aus dem Reaktorbereich.
Mitarbeiter strömen zusammen und drängen sich nach draußen. „Hab ich schon
den Veggieday in der Kantine erwähnt?“, kreischt der neben uns herlaufende
Pressesprecher.
Nachdem es alle sicher ins Freie geschafft haben, stürzt das Green-AKW
krachend in sich zusammen. „Gut, dass die Brennstäbe erst morgen eingesetzt
worden wären“, keucht Hitzer. Kurz bevor er in Ohnmacht fällt, bittet er,
diese Geschichte aus PR-Gründen in einen strahlensicheren Betonmantel des
Schweigens zu hüllen.
26 Jan 2022
## AUTOREN
Jürgen Miedl
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
EU
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