# taz.de -- Koalitionsgespräche zu Stadtentwicklung: Sei schlau, verlass den B… | |
> SPD, Linke und Grüne streiten um Wohnungsneubau und Regulierung. Ein | |
> Bausenator könnte Kompetenzen verlieren. Muss die Linke am Amt | |
> festhalten? | |
Bild: Sebastian Scheel: Abschiedsgruß als Bausenator? | |
Berlin taz | Vielleicht ist [1][Sebastian Scheel] sogar froh. Wenn SPD, | |
Grüne und Linke am Ende ihrer Koalitionsverhandlungen um die | |
Ressortverteilung schachern, ist es gut möglich, dass der Bausenator der | |
Linken leer ausgeht. Aber wäre das so schlimm? In seiner Partei mehren sich | |
die Stimmen, die sagen: wohl eher nicht. | |
Sei schlau und verlass den Bau statt des alten Kalauers also: Sei schlau, | |
geh zum Bau? Die Frage ist ja, ob die Baustelle Stadtentwicklung für die | |
Linke eine ist, auf der sie Erfolg haben könnte. Zuletzt hatte das | |
[2][Oberverwaltungsgericht in Leipzig das Vorkaufsrecht gekippt], mit dem | |
in Milieuschutzgebieten Häuser vor Spekulation geschützt werden konnten. | |
Auch der Mietendeckel ist Geschichte. | |
Hinzu kommen die Streitpunkte, die die Facharbeitsgruppe | |
Stadtentwicklung/Mieten auf ihrer letzten Sitzung am Mittwoch festgehalten | |
haben. Umstritten bleibt etwa, [3][wie stark die sechs landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften reguliert werden solle]n. Über | |
Kooperationsvereinbarungen, höheren Sozialquoten, weitere Einhaltung der | |
Mietendeckel-Regeln und Vorgaben für günstigen Neubau wurden die | |
Gesellschaften in den vergangenen fünf Jahren an die Kandare genommen – | |
auch infolge des Mietenvolksentscheids von 2015. | |
Geht es nach der SPD, soll die Leine wieder länger werden. Mehr Freiheiten, | |
auch teurer zu vermieten und zu bauen, sollen den Gesellschaften | |
Handlungsspielraum verschaffen, um ohne Landeszuschüsse zu wirtschaften und | |
weiter hohe Neubauzahlen zu liefern. Einer der Verhandler nannte es so: | |
„Wer günstige Wohnungen anbietet, soll im Gegenzug auch eine | |
Dachgeschosswohung als Eigentum verkaufen dürfen.“ | |
Es könnten also weitere mietenpolitische Instrumente aus dem Kasten fallen, | |
die Scheel zu Beginn seiner Amtszeit noch zur Verfügung standen. „Wenn wir | |
nicht gestalten können, brauchen wir das auch nicht machen“, heißt es in | |
der Linken zur Frage, ob sich die Partei noch einmal um das Ressort bemühen | |
solle. | |
## Große Streitpunkte offen | |
Zwar sei die letzte Verhandlungsrunde harmonisch verlaufen, heißt es bei | |
den Grünen. Doch zwischen SPD auf der einen und Grünen und Linken auf der | |
anderen Seite habe es mächtig geknirscht. Ursprünglich sollten die | |
Verhandlungen der Fachgruppe schon abgeschlossen sein. Stattdessen ging es | |
in die Verlängerung. Grundlegende Dinge sind ungeklärt, „die richtigen | |
Fights kommen jetzt erst“, heißt es. Vermutlich ab Freitag soll die | |
Dachgruppe Stadtentwicklung/Wohnen versuchen, die 25 Streitpunkte | |
auszuräumen. | |
Dazu gehört nicht zuletzt der Neubau. Von Linken und Grünen heißt es, der | |
SPD sei es egal, ob neuer Wohnraum auch bezahlbar ist. Bei der Bebauung der | |
Elisabethaue im Norden Pankows will die SPD mehr als die im neuen | |
Pankow-Bündnis aus SPD und CDU vereinbarten beschlossenen 1.000 Wohnungen. | |
Die Rede war zuletzt von 5.000 Wohnungen. Bei nur 1.000 Wohnungen, so die | |
SPD, lohne es sich nicht, das Gebiet verkehrlich zu erschließen. | |
Einige Streitpunkte sind indes ausgeräumt. So sollen die 20.000 neuen | |
Wohnungen pro Jahr nicht nur auf der grünen Wiese entstehen, sondern auch | |
im Bestand, etwa durch Aufstockung. Auch die Bauhütte, mit der schneller | |
und in großem Maßstab Holzwohnbauten errichtet werden können, steht im | |
Konsenspapier. | |
Um den Neubaubedarf zu ermitteln, soll der Stadtentwicklungsplan Wohnen bis | |
2023 überarbeitet werden. Dieser hatte bislang von 2017 bis 2030 194.000 | |
Wohnungen als Ziel genannt – 68.000 davon sind schon gebaut. Doch von der | |
SPD kam dagegen die Zahl von weiteren 200.000 Wohnungen in den kommenden | |
zehn Jahren. An dieser Marke hatte zuletzt der BUND angesichts des | |
rückläufigen Bevölkerungswachstums Zweifel angemeldet. | |
Sicher ist indes: Es bleibt beim Ziel von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr. | |
Für eine Linke-Bausenatorin droht damit die Gefahr: Werden nur 19.300 | |
erreicht, würde die SPD, wie schon zuvor bei Scheels Vorgängerin Katrin | |
Lompscher, den Finger erheben. Warum sollte sich die Linke also ins | |
Blaming-Kreuzfeuer begeben? Da wäre es einfacher, den Finger zu erheben, | |
wenn eine Sozialdemokratin auf dem Chefsessel die Zielmarke verfehlt. | |
## Kompetenzen bei Giffey? | |
Die SPD baut indes vor, falls sie das Bauressort doch nicht bekommen | |
sollte, um dennoch die Kontrolle über den Neubau zu behalten. Wichtige | |
Funktionen bei der „Koordinierung“ des Wohnungsneubaus sollen künftig nicht | |
mehr in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen angesiedelt | |
sein, sondern in der Senatskanzlei der designierten Regierenden | |
Bürgermeisterin Franziska Giffey. | |
Über das Geld, so war zu hören, wurde in der Facharbeitsgruppe nicht | |
gesprochen. Das ist nun die Aufgabe der Dachgruppe, die auch darüber | |
entscheiden muss, ob künftig 5.000, 6.000 oder 7.000 Wohnungen jährlich | |
gefördert werden. Unstrittig ist, dass mehr als bisher auch private | |
Investoren zum Zug kommen sollen. Dafür ist nach Hamburger Vorbild ein | |
Wohnungsbündnis geplant, in dem Senat und Bezirke, aber auch landeseigene | |
Wohnungsbaugesellschaften und Investoren vertreten sind. Hier wird noch | |
über die Ausgestaltung gestritten. | |
Dann wird man auch sehen, wie attraktiv der Posten des Bausenators wirklich | |
ist. Während die Linke da ihre Zweifel hat, ist von den Grünen zu hören, | |
dass die Bauverwaltung auch bei eingeschränktem Handlungsspielraum der | |
Schlüssel sei für ökologisches Bauen. Allerdings wollen die Grünen auch | |
Verkehr und Umwelt. Beides ist wohl unrealistisch. | |
Größter Knackpunkt aber bleibt der Umgang mit dem erfolgreichen | |
[4][Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen]. Das heikle Thema war | |
bislang weitgehend ausgeklammert worden und wird wohl in einer „Nacht der | |
langen Messer“ der Koalitionsspitzen entschieden werden müssen, wie manche | |
unken. Entscheidend wird sein, ob eine Expertengruppe, die gebildet werden | |
soll, einen konkreten Umsetzungsauftrag erhält. | |
Dass hieran eine rot-grün-rote Koalition auch scheitern könnte, zeigt ein | |
Rumoren innerhalb der Linken. Aufgrund eines befürchteten Rollbacks in der | |
Stadtentwicklungspolitik und Nichtumsetzung des Volksentscheids soll es | |
noch vor dem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag einen | |
Sonderparteitag geben. Einen entsprechenden Antrag haben mehr als 25 | |
Prozent der Delegierten diese Woche bei der Partei eingereicht. | |
19 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Berlins-Bausenator-ueber-Mietendeckel/!5728068 | |
[2] /Gerichtsentscheidung-zum-Vorkaufsrecht/!5815067 | |
[3] /Streit-um-Mietendeckel-fuer-Landeseigene/!5767674 | |
[4] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!t5764694 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Uwe Rada | |
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