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# taz.de -- Flucht über Belarus in Richtung EU: Lukaschenkos Flugplan
> Eine taz-Auswertung zeigt: In Minsk landen doppelt so viele Flüge aus dem
> Nahen Osten wie 2019. Mit ihnen kommen Tausende Geflüchtete nach Europa.
Bild: Eine Boeing 737-800 der staatlichen Fluggesellschaft Belavia
Berlin taz | Am 10. September fliegt zum ersten Mal ein Flugzeug der
syrischen Cham Wings Airlines von Damaskus nach Minsk. Flugnummer 6Q433,
156 Sitzplätze, planmäßige Flugdauer 5 Stunden und 20 Minuten. Die Airline,
die mehrheitlich einem Cousin von Machthaber Baschar al-Assad gehören soll,
landet nun mehrmals die Woche mit einem Airbus A320 in der belarussischen
Hauptstadt. Es ist nicht leicht, ein Ticket zu bekommen. „Flight full“,
heißt es bei den Verbindungen auf der Webseite der Airline, ausgebucht.
Tickets für die Gegenrichtung sind hingegen verfügbar.
Es gibt wegen des Krieges kaum noch Flüge aus Syrien, deshalb ist diese
Route bedeutsam. 23 Flüge waren dort seitdem unterwegs, insgesamt 3.800
Personen dürften so nach Belarus gelangt sein, geflüchtet aus dem
Bürgerkriegsland Syrien. Das zeigt deutlich die Strategie des
belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko: Geflüchtete zur Einreise
ermutigen, damit sie versuchen, von dort [1][in die Europäische Union
weiterzureisen.]
Derzeit würden „800 bis 1.000“ Flüchtlinge und Migrant:innen täglich mit
dem Flugzeug in Minsk ankommen, sagt die belarussische Oppositionsführerin
Swetlana Tichanowskaja. Eine taz-Recherche zeigt, dass diese Größenordnung
realistisch ist. Und sie macht deutlich, wie sehr die Zahlen in diesem Jahr
gestiegen sind.
Laut der Auswertung von öffentlich zugänglichen Flugdaten landeten im
Schnitt in den vergangenen Monaten mehr als doppelt so viele Flugzeuge aus
dem Nahen und Mittleren Osten in Belarus wie im Vor-Corona-Jahr 2019. Von
Anfang Juli bis zum 10. November kamen insgesamt mindestens 625 Flugzeuge
aus Libanon, Irak, Syrien, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie der
Türkei in Minsk an. Das sind die Länder, aus denen die Geflüchteten kommen
beziehungsweise über die sie anreisen. Im Durchschnitt sind das knapp fünf
Flugzeuge am Tag – mit einer Kapazität von etwa 900 Passagieren täglich.
Ein halbes Dutzend Airlines bauten dafür ihr Flugangebot teils erheblich
aus. Nicht enthalten bei dieser Auflistung sind die bis zu zehn täglichen
Flüge aus Moskau; auch diese indirekte Route wird von Geflüchteten genutzt.
Bei über der Hälfte der Flüge aus Nahost handelt es sich um Verbindungen
aus Istanbul von Turkish Airlines sowie der staatlichen belarussischen
Linie Belavia. Der zweithäufigste Startpunkt ist Dubai. Hier hoben 159
Maschinen in Richtung Minsk ab, die meisten der Billig-Linienairline
Flydubai. Dubai und Istanbul sind als Drehkreuze leicht [2][von anderen
Herkunftsländern der Geflüchteten zu erreichen.]
## Charterflüge werden gestoppt
Auch aus Irak gab es einen sprunghaften Anstieg von Direktflügen. 33 Flüge
starteten seit Juli in der irakischen Hauptstadt Bagdad, mehr als doppelt
so viele wie 2019. Ein Charterflug aus dem nordirakischen Erbil ging im
August und September zweimal von Erbil über Jordanien nach Minsk. Von hier
flog auch die türkische Chartergesellschaft Tailwind Airlines seit Anfang
Juli fünf Mal über Istanbul nach Minsk – voll hin und leer zurück, wie es
in einem Medienbericht hieß. Dann ist der Flug wieder verschwunden. Auch
die beiden Direktverbindungen aus Irak wurden Mitte August eingestellt, auf
Protest der EU hin.
Die Charterflüge stützen den schon länger erhobenen Vorwurf, Belarus
organisiere Flugzeuge für Flüchtende. Dazu passt auch, dass die staatliche
Fluggesellschaft Belavia ihr Angebot besonders stark ausgebaut hat. 22-mal
etwa flog sie seit Anfang Juli von der libanesischen Hauptstadt Beirut nach
Minsk. Davor gab es in diesem Jahr nur vier Flüge von dort. Die
Flugfrequenz von Istanbul verdoppelte sie, die Zahl der Flüge aus Dubai
wurde um fünfzig Prozent erhöht. Eine Stichprobe zeigt auch bei den
Belavia-Flügen: Die Verbindungen werden vor allem in eine Richtung genutzt.
In der kommenden Woche etwa gibt es keine Economy-Tickets von Dubai nach
Minsk. In die umgekehrte Richtung aber schon.
Vor diesem Hintergrund wurden in dieser Woche [3][Forderungen nach neuen
Sanktionen laut]: Auch gegen Fluglinien, die Geflüchtete nach Belarus
bringen. Davon betroffen wären auch in Europa ansässige Leasingfirmen,
denen die von Belavia eingesetzten Flugzeuge gehören. [4][Die Airline least
laut einer Flugzeug-Datenbank nämlich 21 von 30 Maschinen]. Sollte davon
ein Großteil wegfallen, wäre der Flugbetrieb von Belavia stark
eingeschränkt.
Auch internationale Linien-Airlines, die auf die gestiegene Nachfrage durch
die Migrant:innen mit zusätzlichen Verbindungen reagiert haben, wären
von solchen Sanktionen betroffen. Turkish Airlines hatte im ersten Halbjahr
rund 6,5 Flüge pro Woche von Istanbul nach Minsk im Programm – seit Juli
waren es rund 13 Flüge pro Woche. Auch Flydubai stockte auf und fliegt im
Schnitt fast fünf mal pro Woche von Dubai nach Minsk. Im ersten Halbjahr
hatte die Airline im Schnitt weniger als drei dieser Flüge pro Woche im
Programm.
Wer in Minsk landen darf und wie oft, entscheiden belarussische Behörden –
offenbar im Sinne Lukaschenkos. Nicht unter Kontrolle hat der Diktator, wer
in die Flugzeuge einsteigen darf. Am Freitag wurde bekannt, dass zumindest
von Istanbul aus keine Personen aus Irak, Syrien and Jemen mehr nach Minsk
fliegen dürfen. Auf Wunsch der türkischen Behörden.
12 Nov 2021
## LINKS
[1] /Lage-an-polnischer-Grenze-zu-Belarus/!5810768
[2] /Migration-aus-dem-Irak/!5814547
[3] /Konflikt-mit-Belarus/!5814464
[4] https://www.ch-aviation.com/portal/news/109689-eu-mulls-sanctions-on-belavi…
## AUTOREN
Sebastian Erb
Luise Strothmann
Christian Jakob
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