# taz.de -- Migrationsexpertin zum Belarus-Konflikt: „Wenig erfolgversprechen… | |
> Wird Putin bei der Lösung im Konflikt mit Belarus helfen? | |
> Migrationsexpertin Petra Bendel über die Handlungsoptionen der | |
> Bundesregierung. | |
Bild: Von Lukaschenko instrumentalisierte Flüchtlinge an der belarussisch-poln… | |
taz: Frau Bendel, pünktlich zu den Ampel-Koalitionsverhandlungen haben Sie | |
Empfehlungen für eine nachhaltigere Migrationspolitik vorgelegt. Unter | |
anderem fordern Sie von der neuen Bundesregierung, den Flüchtlingsschutz | |
oben anzustellen und reguläre Zugangswege zu schaffen. Bezogen auf die | |
[1][dramatische Situation der Geflüchteten an der polnisch-belarussischen | |
Grenze]: Was könnte schnell Hilfe bringen? | |
Petra Bendel: Zunächst muss man feststellen, dass die EU auch deshalb in so | |
eine Situation geraten konnte, weil Schutzsuchende keine Möglichkeit | |
finden, auf regulärem Weg in die EU oder andere sichere Länder zu kommen. | |
Die neue Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie diese Wege ausbaut und | |
beispielsweise die Kontingente für Resettlementprogramme oder die | |
Familienzusammenführung transparenter und effizienter gestaltet. | |
Jenseits der humanitären Zuwanderung kann sie Migration beispielsweise auch | |
mit einer Überarbeitung der Blue Card, des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes | |
und durch den Ausbau von Ausbildungspatenschaften weiter begünstigen. In | |
diesen Bereichen wäre für eine Ampel-Koalition Luft nach oben. Am | |
Drängendsten ist jetzt aber die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge an | |
der polnischen Grenze. | |
Die scheidende Bundesregierung scheint sich vor allem um den Schutz der | |
EU-Außengrenze und verschärfte Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime zu | |
bemühen. Steht das Signal, nicht erpressbar zu sein, hier über | |
Menschenleben? | |
Das Signal, nicht erpressbar zu sein, ist natürlich ein wichtiges. Seit | |
Monaten [2][erhöht Belarus' Machthaber Lukaschenko den Migrationsdruck auf | |
EU-Mitgliedsstaaten], um Außenpolitik zu betreiben. Darauf muss die EU | |
reagieren und dafür stehen ihr verschiedene Maßnahmen zur Verfügung, | |
darunter Sanktionen gegen das belarussische Regime und an der Schleusung | |
beteiligte Fluglinien sowie diplomatische Verhandlungen mit Transit- und | |
Herkunftsstaaten. | |
Ende September hat die EU-Kommission eigens wegen Belarus den Aktionsplan | |
gegen staatlich geförderte Schleusung von Migrant:innen geschaffen. | |
Natürlich muss die EU aber auch Polen dabei unterstützen, die Grenze zu | |
schützen und Menschen, die sich um Asyl bemühen, zu registrieren und | |
aufzunehmen. Die Menschen haben ja ein Recht auf ein rechtsstaatliches und | |
faires Asylverfahren. | |
…das Polen ihnen verweigert, genauso wie humanitäre Hilfe. Macht sich die | |
Bundesregierung nicht mitschuldig [3][an den Menschenrechtsverletzungen], | |
wenn sie nicht auf ein baldiges Einlenken Warschaus drängt? | |
Das stimmt, Polen muss die humanitäre Versorgung und die medizinische | |
Betreuung der Flüchtlinge gewährleisten. Verschiedene Hilfsorganisationen | |
und auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stehen bereit, um vor Ort zu | |
helfen. Sie werden aber nicht durchgelassen. Und: Das EU-Recht erlaubt | |
nicht, dass Polen rechtsstaatliche Asylverfahren für Schutzsuchende | |
aussetzt. Das ginge nur temporär und für den Fall, dass Polen eine Gefahr | |
für die innere Sicherheit oder einen internationalen Konflikt geltend | |
macht. Wenn sich Warschau in diesem Punkt nicht bewegt, könnte die | |
EU-Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren drohen. | |
Zwei der drei Ampelparteien – SPD und Grüne – kritisieren Polen scharf für | |
die Pushbacks an der Grenze und fordern Solidarität mit den Migrant:innen. | |
Angenommen, die Bundesregierung wollte dem nachkommen: Was könnte sie tun? | |
Die Bundesregierung kann auf die EU-Mitgliedstaaten einwirken und auch | |
gemeinsam mit anderen Mitgliedern der EU-Kommission agieren, etwa indem sie | |
das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) oder die | |
europäische Grenzschutzagentur Frontex einschaltet – was Polen bislang aber | |
ablehnt. Wichtig ist, dass die anderen EU-Staaten signalisieren, dass sie | |
sich solidarisch an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Hier kann die | |
Bundesregierung selbst mit gutem Beispiel vorangehen und Schutzsuchende | |
unbürokratisch aufnehmen. | |
Solche Signale sendet aktuell weder die Bundesregierung noch die | |
Ampelparteien. Offenbar möchte niemand die falschen Signale – Stichwort | |
2015 – aussenden. | |
An der polnisch-belarussischen Grenze werden zurzeit Bilder evoziert, die | |
nahe legen, dass wir es mit einem Kontrollverlust zu tun haben und weitere | |
Pull-Faktoren generieren könnten. Das sind Ängste, die für die politische | |
Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle spielen. | |
Vorgewagt hat sie [4][die Grünen-Spitze mit dem Vorschlag], potentielle | |
Migrant:innen in den Herkunftsländern mit einer gezielten | |
Informationskampagne von der Flucht abzuhalten. Ist das naiv oder ein | |
Vorgeschmack auf ein „Weiter so“ in der Migrationspolitik? | |
Solche Aufklärungskampagnen alleine verhindern nur begrenzt, dass Menschen | |
in Not migrieren. Das haben wir zum Beispiel auf dem Westbalkan oder auch | |
in afrikanischen Ländern gesehen. Aber die Kampagnen können ein kleiner | |
Baustein sein, um Menschen vor Ort vor falschen Versprechen zu warnen. | |
Deshalb ist es wichtig, umfassendere Partnerschaften mit Herkunfts- und | |
Transitstaaten zu schließen, um zu verhindern, dass Schleuser in diesen | |
Ländern aktiv Werbung machen und Staaten wie Belarus Migration für ihre | |
Zwecke instrumentalisieren können und damit Menschenleben gefährden. | |
Apropos naiv. Bundeskanzlerin Merkel hat den russischen Präsidenten Putin | |
um Hilfe gebeten… | |
Der Versuch scheint mir wenig erfolgversprechend, denn Putin stützt ja | |
Lukaschenko. | |
Hunderte Gemeinden und Städte in Deutschland und ganz Europa würden | |
freiwillig Geflüchtete aufnehmen – in Deutschland hat das Innenminister | |
Horst Seehofer stets blockiert. Sollte die künftige Bundesregierung den | |
Kommunen mehr Spielraum geben? | |
Definitiv. Aus meiner Sicht wäre sehr wichtig, dass der Bund und auch die | |
Bundesländer die Aufnahmebereitschaft von Kommunen als Chance begreifen. | |
Auch integrationspolitisch ist es ja sinnvoll, die Menschen dorthin zu | |
bringen, wo sie auf Aufnahmebereitschaft stoßen und wo entsprechende | |
Strukturen aufgebaut wurden. | |
Aktuell schreibt das Aufenthaltsgesetz vor, dass die Bundesländer eigene | |
Aufnahmeprogramme nur mit Zustimmung des Bundes auflegen dürfen, von den | |
Kommunen ist gar nicht die Rede. Muss der entsprechende Paragraf geändert | |
werden? | |
Das ist gar nicht nötig. Es reicht, wenn der künftige Bundesinnenminister | |
oder die künftige Bundesinnenministerin sich nicht mehr gegen die Aufnahme | |
von Schutzsuchenden durch die Bundesländer stellt. | |
13 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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