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# taz.de -- Erstes Feiern nach dem Lockdown: Orte der Verheißung
> Das hat wirklich gefehlt: eine diverse Clubkultur, die nicht zwischen
> queer und hetero unterscheiden will. In den Berliner Clubs wird wieder
> getanzt.
Bild: Raum der Erwartung: Das Berliner Schwuz in der Zeit des Lockdowns
Das weltberühmte Berliner Partyleben ist endlich zurück, doch alles wieder
gut ist damit längst noch nicht. Anfang Oktober hat nach 19 Monaten
Zwangspause auch das Berghain [1][wieder eine erste Party veranstaltet],
der mythenumrankte Superclub. Resident-DJs des Ladens legten auf, die
Schlange vor der Tür war standesgemäß ewig lang, und wie eh und je wurde
von Samstagnacht bis Montagfrüh durchgefeiert – Berghain-Style.
Doch schon ein paar Tage später konnte man in den Medien lesen: 19
Coronafälle nach Party im Feiertempel. Inzwischen sind sogar noch ein paar
dazugekommen.
Nach allem, was man weiß, wurden bei dem Event die geltenden Coronaregeln
eingehalten. Reingelassen in den Club wurden nur Genesene und Geimpfte, wie
es den geltenden [2][Berliner 2G-Bestimmungen] entspricht und wie befragte
Besucher bestätigen konnten. Und trotzdem tanzte das Virus mit auf dem
Dancefloor.
Für die Clubcommission, die ziemlich einflussreiche Lobbyorganisation der
Berliner Clubs, ist die Sache klar: Das gehört einfach dazu,
Impfdurchbrüche kann es geben.
Womit sie recht hat. Noch gibt es auch keine deutlich vernehmbaren Stimmen,
die fordern, das gerade wieder erblühende Berliner Nachtleben erneut
zurückzufahren. Aber die Frage ist, was passiert, wenn die aktuell
steigenden Inzidenzen nun so richtig nach oben schnellen und das auch
Auswirkungen in den Intensivstationen hat. Wenn dann Woche für Woche die
Clubs als Coronahotspots dastehen, ist es zumindest nicht ausgeschlossen,
dass sich die Politik zum erneuten Handeln gezwungen sieht. Und das derzeit
kaum noch regulierte Clubleben wieder einschränkt.
Es könnte auch sein, dass dann die Partyszene selbst ins Grübeln kommt und
sich fragt, ob sie gewisse Risiko-Orte wirklich weiter besuchen muss. Noch
ist freilich von Bedenkenträgerei kaum etwas zu spüren. Allein ins Berghain
drängten an seinem Restart-Wochenende über 3.000 Besucher. Und Marcel
Weber, Geschäftsführer von Berlins größtem und bekanntesten [3][explizit
queeren Club Schwuz], hat keine Zweifel, was den Andrang vor seinem Laden
bei der Wiedereröffnungsparty heute am Samstag angeht: „Die Leute werden
uns die Bude einrennen.“ Er sagt aber auch: Was in ein paar Monaten ist,
könne niemand voraussagen.
Laut Clubcommission haben etwa 70 Prozent der circa 120 Berliner Clubs
wieder geöffnet. Wichtige Szeneläden wie das About Blank wollen noch im
Laufe des Novembers nachziehen.
Die Euphorie darüber, dass man in den Clubs wieder tanzen, Drogen nehmen,
Sex haben und schlichtweg durchdrehen kann, ist groß. DJ Ipek, Resident bei
der [4][queeren Partyreihe Gayhane], die im Kreuzberger SO36 stattfindet,
beschreibt ihre Eindrücke beim Comeback der Gayhane-Events im September so:
„Wow! Überall Menschen. Und wir können uns alle wieder umarmen. Ich habe so
viele Menschen umarmt und hatte ein echtes Befreiungsgefühl.“
Und doch bleiben Unsicherheiten. Was ist, wenn der Tourismus oder
wenigstens der Partytourismus nicht wieder so anläuft wie erhofft? Marcel
Weber vom Schwuz sagt dazu: „Spätestens im Sommer brauchen wir wieder die
Touristen in der Stadt, davon sind in Berlin alle Clubs abhängig.“ Und mit
2G wollen sich Teile der Szene auch nicht anfreunden. Die Clubcommission
spricht von einer Stigmatisierung der Ungeimpften. Auch DJ Ipek, die
ausdrücklich betont, geimpft zu sein, macht klar, dass ihr 3G in den Clubs
lieber wäre.
Zu allem Überfluss hat das ZDF eben eine Doku in seine Mediathek gestellt,
die das neu auflebende Berliner Nachtleben noch aus einem anderen
Blickwinkel kritisch betrachtet. Sie berichtet durchaus differenziert über
den Drogenkonsum in den Clubs. Hat aber den reißereischen Titel [5][„Tod im
Techno-Club – Berlins Partyszene auf Droge“] verpasst bekommen. Wer nur
diesen liest, denkt sich vielleicht: Du meine Güte, nicht nur Corona lauert
in den Clubs, sondern gleich der Tod. In der Doku kommen auch ein paar
Partydrogenopfer zu Wort, die davon berichten, beim Tanzen
zusammengebrochen zu sein und sich daraufhin alles andere als gut betreut
vom Clubpersonal gefühlt zu haben.
## In den Clubs soll sicher gefeiert werden
Dabei wollen die Berliner Clubs von ihrem Selbstverständnis her ja das
genaue Gegenteil zu Orten sein, an denen man sich nicht ganz sicher fühlen
kann. Von „Safe Spaces“ spricht die Clubcommission gern im Zusammenhang mit
den Feierläden in der Hauptstadt. Und das unisono mit dem Berliner
Kultursenator, Klaus Lederer von den Linken, selbst schwul, der nach
Eigenaussage gern das Berghain besucht. Und nicht müde wird zu betonen, wie
wichtig er diese Schutzräume für die Stadt hält.
Diese Betrachtung von Clubs als Safe Spaces, also als Orte, an denen sich
auch sexuelle Minderheiten aller Art wohlfühlen können, ist ein besonderes
Merkmal der Berliner Clubkultur. In dieser Konsequenz ist das weltweit
einmalig.
Die bekanntesten Szeneclubs haben mehrheitlich auch fest queere Partyreihen
in ihr Programm integriert. Gayhane, eine einzigartige Institution, wo vor
allem ein queer-migrantisches Publikum zu Orientalbeats tanzt, findet sogar
[6][in einem Punkschuppen] statt, der aber auch alles dafür tut, möglichst
regenbogenfarben zu wirken. Clubs wie das Mensch Meier oder das About-Blank
stellen bei ihren Partys sogenannte Awareness-Teams ab, die nicht nur
schauen, dass es auch Leuten okay geht, die vielleicht eine Ecstasy-Pille
zu viel genommen haben, sondern dafür sorgen, dass sexuelle Belästigungen
möglichst unterbleiben.
So mischt sich queer und hetero in Berlins Clubszene, und so wird Queerness
ein allgemein akzeptierter Bestandteil von dieser. Christopher Schreiber
vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg sagt dazu: „Wir hören
von Leuten aus der Community, dass sie sich auch in anderen Berliner Clubs
gut aufgehoben fühlen, nicht nur in queeren. Gerade die jüngeren Leute
unterscheiden inzwischen sowieso nicht mehr so zwischen queeren und
Hetero-Läden. Bei manchen, wie etwa dem Berghain oder dem Kit-Kat, kann man
diese Unterscheidung sowieso nicht vornehmen.“
Das Kit-Kat ist berühmt für seine Sexpartys. Das Berghain, ein stark schwul
geprägter Club, in dem es vorkommt, dass Fetisch-Schwule auf dem Dancefloor
gegenseitig an sich rummachen, während neben ihnen ein Hetero-pärchen
tanzt.
Der französische Kulturwissenschaftler Guillaume Robin, von dem gerade eine
lesenswerte [7][ethnografische Studie über das Stammpublikum] des Berghain
erschienen ist, entleiht sich beim Philosophen Michel Foucault den Begriff
der „Heterotopie“, um besser erklären zu können, was ein Club wie das
Berghain im Sinn hat. Nämlich eine Art utopischen, diskriminierungsfreien
Ort zu erschaffen, der bereits real existiert. Einen Gegenraum, in dem die
Dragqueen umgekehrt zur Welt da draußen als „normaler“ angesehen wird als
ein Durchschnittsbürger.
Dass die Berliner Clubs nun wieder als derartige Safe Spaces und
Heterotopien da sind, „ist unglaublich wichtig“, so Christopher Schreiber.
„Weil wir solche Orte brauchen, um von einem von Diskriminierung geprägten
Alltag Abstand nehmen zu können. Und um wieder neue Kraft für diesen zu
tanken. Und weil man in diesen in seiner Community so sein kann, wie man
ist.“
Folgerichtig haben sie in der langen Lockdownzeit schmerzlich gefehlt, so
Schreiber. „Viele Menschen, vor allem Personen mit Migrationsbiografie,
haben eben nach wie vor eine Familie, die es nicht so akzeptiert, dass sie
queer sind. Für die spielen dann die sogenante Wahlfamilie, die
Freund*innen, eine große Rolle. Doch der Kontakt zu diesen war während der
Pandemie sehr stark eingeschränkt. Ich habe selbst viele Leute in meinem
Umfeld, die meinten, das habe sie sehr stark belastet.“
Und Raquel Fedato von Pornceptual, die sexpositive queere Partys
organisiert, meint: „Der gesellschaftliche Fokus liegt auf der
herkömmlichen Familie mit Kindern. Wir dagegen sprechen Leute an, die kein
heteronormatives Leben anstreben. Jetzt, wo wir wieder Partys machen
können, haben diese endlich wieder das Gefühl, mit zur Stadt zu gehören.“
Besonders wichtig sei es aus den beschriebenen Gründen, dass heute endlich
auch wieder das Schwuz zu einer Party lädt, so Christopher Schreiber. „Weil
es einfach eine wichtige Institution in Berlin ist, die nebenbei auch
besonders die Künstler*innen der queeren Community unterstützt.“ Das
Schwuz ist der älteste queere Club Deutschlands und der wahrscheinlich
größte. Typisch für Berlin, heißt er auch ausdrücklich Heteros willkommen.
Dass es tatsächlich vermisst wurde, das Schwuz, „haben wir auch jeden Tag
über die sozialen Medien zugetragen bekommen“, so dessen Chef, Marcel
Weber. Aber nun kann er verkünden: „Das Vermissen wird ein jähes Ende
finden.“
Und nicht nur das. Er verspricht: „Das Aha-Erklebnis wird groß sein, wenn
die Besucher*innen wieder ins Schwuz kommen.“ Denn alles werde ein
wenig anders sein als vor der Pandemie, etwa mit einer Bar und Lounge, die
auch unter der Woche aufhaben. Auch der Darkroom wird größer sein als
bisher. Zudem hat sich das Schwuz während der Pandemie einer Initiative
angeschlossen, die sich für mehr [8][Nachhaltigkeit in Clubs] einsetzt.
Warum aber wird das Schwuz erst jetzt wieder seine Pforten öffnen, wo doch
seit September in Berlin wieder indoor gefeiert werden darf? 60 Prozent
seiner Mitarbeiter und Mitarbeierinnen seien Minijobber, so Weber, und
viele von diesen seien inzwischen schlichtweg in anderen
Beschäftigungsverhältnissen untergekommen. „Wir mussten und müssen immer
noch Personal zurückholen und teilweise neu schulen“, sagt er, „und das ist
gerade äußerst schwierig. Alle Clubs, genau wie die Gastronomie, beklagen
die Situation, der Markt ist wie leergefegt.“
## Das Überleben in der Krise
Nicht alle Safe Spaces in Berlin haben die Krise überlebt. Christopher
Schreiber vom Lesben- und Schwulenverband weist auf queere Bars wie das
Barbie Deinhoff’s und die Greifbar hin, „die zu sind und nicht wieder
öffnen werden“. Die Berliner Clubs sind laut Clubcommission jedoch alle
noch da. Das spricht für ihre gute Lobbyarbeit, aber auch dafür, dass die
Politik und Klaus Lederer vorneweg einfach längst kapiert haben, wie
wichtig das bunte und vielfältige Treiben der Partyszene für die Stadt ist.
Nicht nur als sozialer Kitt, sondern auch als Imagefaktor und Schmiermittel
für den Tourismus.
Raquel Fedato von Pornceptual glaubt trotzdem, dass auch in Berlin Safe
Spaces bedroht sind. Im Oktober vergangenen Jahres, als die Coronapanik
noch ungleich höher war als derzeit und allerlei strenge Regeln galten,
stieg im Hof eines Berliner Clubs eines ihrer Events. Die Polizei schritt
ein, beendete die Party und verbreitete ein paar unlustige Tweets über das
in ihren Augen dubiose Treiben, das sie vorfand. Wochenlang erregte man
sich danach über das Verhalten der Polizei, aber auch über die
vermeintliche Verantwortungslosigkeit der Partyveranstalter. „Corona war
definitiv ein Mittel für die Politik, den konservativen Blick auf die
Gesellschaft zu stärken. Die Coronamaßahmen wurden benutzt, um nicht nur
das Virus zu bekämpfen, sondern auch Veranstaltungen wie unsere. Wir haben
uns sehr bedroht gefühlt“, so Fedato.
Im September hat Pornceptual nach dem Vorfall im vorigen Jahr zum ersten
Mal wieder eine Party in Berlin veranstaltet. Im November wird wieder eine
steigen. Doch beworben wird diese nicht mehr über soziale Medien wie
früher. Sondern nur noch über eine Telegram-Gruppe für Eingeweihte. Denn
man habe nach der von der Polizei aufgelösten Party einfach zu viele
Hassnachrichten und sogar Todesdrohungen bekommen, so Fedato.
Gibt es diesen coronabedingten konservativen Backlash gegenüber der
Berliner Partyszene wirklich, von dem sie spricht? Christopher Schreiber
will das so nicht bestätigen und sagt: „Es war eine angespannte Zeit, in
der Fehler gemacht wurden. Trotzdem finde ich, dass die Berliner Politik
sich grundsätzlich zu einer diversen Clubkultur bekennt.“
Marcel Weber darf sein Schwuz wieder mit Besuchern und Besucherinnen füllen
wie vor der Pandemie. DJ Ipek sagt dagegen, bei Gayane wolle man vorerst
noch Vorsicht walten lassen und die Kapazitäten leicht einschränken, „damit
die Leute weiterhin Abstand halten können, wenn sie mögen“.
Reisen durch die wilden Berliner Nächte geht also wieder. Aber teilweise
mit Sicherheitsgurt. Auch wenn alle hoffen, dass es zu keiner Vollbremsung
mehr kommen wird.
30 Oct 2021
## LINKS
[1] /Berliner-Clubs-nach-der-Zwangspause/!5803936
[2] /Neue-Regelungen-fuer-Clubs-in-Berlin/!5792784
[3] /5-Jahre-SchwuZ-in-Neukoelln/!5548145
[4] /Queere-Partyreihe-in-Berlin/!5756564
[5] https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/tod-im--technoclub--berlins-p…
[6] /Alte-Punks-im-Berliner-SO36/!5565085
[7] https://www.buechner-verlag.de/buch/berghain-techno-und-die-koerperfabrik/
[8] /Clubkultur-in-Berlin/!5793034
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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