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# taz.de -- 5 Jahre SchwuZ in Neukölln: Ficken im Club ist auch politisch
> Vor fünf Jahren ist der queere Club SchwuZ nach Neukölln gezogen. Das
> wird jetzt gefeiert: mit Party und Politik.
Bild: Bob Geldof 2015 bei einem Konzert im SchwuZ
Im SchwuZ ist es voll, es ist Samstagabend und Jurassica Parka stellt ihren
„Popkicker“ auf. Die Party ist zu einer festen Größe in Neukölln geworde…
etwa tausend kommen, um unter Einhornflauschdiskokugeln zu feiern.
An so einem Abend wird deutlich, was Paul Schulz vom SchwuZ-Team meint,
wenn er vom Ziel einer „queeren Mainstreamparty“ spricht. Hier tanzen
Menschen, deren feministisches Selbstverständnis vermutlich irgendwann in
den 80er Jahren hängen geblieben sein muss, zusammen mit der 18-Jährigen
Theresa, die mit einem freudestrahlenden „Hier kann ich einfach so sein,
wie ich will“ in der Abba-grölenden Menge verschwindet. Irgendwo auf den
Sitzhockern am Rand wird gevögelt.
„Und das ist auch gut so“, sagt Paul Schulz und läuft schmunzelnd weiter.
Er selbst hat im SchwuZ seine ersten schwulen Partyerfahrungen gesammelt,
kurz nach der Wende war das, da gab es das SchwuZ noch nicht lange und es
war überhaupt eine der wenigen Locations, in denen er offen feiern konnte.
Und das hat sich auch in den letzten fünf Jahren nicht verändert, sagt
Schulz, seit das SchwuZ vom Mehringdamm nach Neukölln gezogen ist. Wer
hierher kommt, soll einfach eine gute Zeit haben können. Ob zu Madonna oder
mit Safer Sex in der Clubecke. „Das SchwuZ ist ein politischer Ort,
natürlich. Mehr als ein Club; Party und Diskussion schließt sich ja
überhaupt nicht aus – im Gegenteil.“
## Viel Anlass für Diskussionen
Szenenwechsel – Freitagvormittag. „Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir
nicht über irgendein Plakat, Wording oder sonst was diskutieren“, stöhnt
Paul Schulz lächelnd bei einem kleinen Rundgang im Büro der Berliner SchwuZ
GmbH. Erstaunlich unspektakulär sieht es hier aus – Aktenstapel statt
überdimensionaler Diskokugeln, keine Einhörner an flauschigen Wänden und
vor allem: kein Begrüßungsschnaps. Alles anders als im Club ein paar
Straßen weiter.
Manchmal tut ein bisschen Abstand auch ganz gut. Denn Anlass für
Diskussionen im SchwuZ-Team gab es in den letzten fünf Jahren viele. Als
Rüstungskonzerne und die Bundeswehr im Rahmen einer queeren Jobmesse im
SchwuZ zu Gast waren. Als es Rassismus-Vorwürfe gegen Türsteher*innen gab.
Als Veranstalter*innen auffiel, dass ein queerer Club ohne Lesbenparty kein
queerer Club sein kann. Kurzum: Der Eindruck entstand, aus dem
sympathischen, gemeinnützigen SchwuZ-Verein sei ein kommerzorientierter
Betrieb entstanden.
Nervenaufreibend, aber befruchtend seien diese Diskussionen, sagt Paul
Schulz. Er ist derjenige, bei dem nach jedem Partywochenende die
Beschwerden eintrudeln. Schulz ist der PR-Manager des Clubs. „An uns wird
der Anspruch gestellt, wir sollen in der Nacht die Gesellschaft verändern.
Wir wollen das auch. Wir sind deswegen froh, dass unser Publikum so aware
ist, das gibt uns viele Impulse, aber kein Veranstalter und kein Club ist
unfehlbar.“ Paul Schulz ist neu im SchwuZ-Team, erst seit vier Monaten
dabei, hat also die Zeit des Umzugs und des Umbruchs überwiegend aus der
Besuchsperspektive erlebt.
## Kein Schutzraum mehr
Auch für viele Besucher*innen hat sich das SchwuZ verändert, seit es in
Neukölln zu Hause ist. Nicht immer zum Guten. Das SchwuZ sei heute kein
schwuler Schutzraum mehr, sagen vor allem diejenigen, die den Club noch als
„Schwules Zentrum“ kennen – ein Name, den die Betreiber*innen heute bewus…
vermeiden. Ein queerfeministisches Zentrum zu sein, das ist heute das
Selbstverständnis. Heißt auch, das Publikum, das man erreichen will, soll
diverser, größer, offener sein.
Wie soll das gehen? Das SchwuZ hat „seine Türen aufgemacht“, wie Schulz
sagt. Will sagen: Die Clubbetreiber haben viel genetzwerkt, haben
Kooperationen geschlossen mit Organisationen aus der Nachbarschaft, die
sich für Geflüchtete einsetzen, haben die Fernsehleute von Arte reingeholt,
die seitdem regelmäßig Musiksendungen dort aufzeichnen. Haben die
Türpolitik angepasst, um selbst Heteros einen schönen Partyabend zu
ermöglichen. „Türkische Muttis mit ihren Kindern“, will Schulz im SchwuZ
tanzen gesehen haben.
Den Namen „SchwuZ“ will das Team trotzdem nicht ändern, obwohl es daran oft
Kritik gibt. Weil das ehemals Schwule Zentrum eben heute nicht mehr
ausschließlich ein schwules Zentrum ist. Schulz kontert flapsig: „Wir
können Raider jetzt natürlich Twix nennen. Das wäre reines Marketing.
Entscheidend ist ja, was hinter dem Namen steht. Und das ist inzwischen ein
queerfeministisches Konzept.“ Das passt eigentlich nicht zum sonst eher
politisch denkenden Betreiberteam des SchwuZ.
Das SchwuZ will ein Ort sein, an dem jede*r sein kann. Eine offene Tür
heißt aber auch, dass Rassist*innen ihren Weg ins Publikum finden können,
so Schulz. „Wenn tausend Leute im Club feiern, kann ich nicht garantieren,
dass da kein Rassist dabei ist. Das kann kein Club leisten. Was wir aber
tun können: dafür sorgen, dass diese Leute das SchwuZ verlassen. Und das
tun wir.“
## Jeder Vorfall wird untersucht
Es ist der schmale Grat zwischen Wir-wollen-dass-alle-Spaß-haben und
Die-Scheiße-fliegt-uns-um-die-Ohren. Manches Mal ist es schiefgegangen in
den letzten fünf Jahren. Nicht immer ist das SchwuZ-Team direkt schuld. Die
Polizeistatistik belegt: Neukölln ist unter den Top-3-Bezirken, in denen es
besonders viele homo- und transfeindliche Straftaten gibt.
PoC-Künstler*innen und Drags würden die Party-Veranstalter*innen da auch
schon mal ins Taxi setzen, damit sie sicher nach Hause kommen, gibt Schulz
zu. Auch an jenem Popkicker-Abend.
„Das SchwuZ ist kein Safe Space. Wir bemühen uns aber, einer zu sein. Wir
haben den Anspruch, besser zu sein als andere. Und wir haben ein Publikum,
das uns permanent darauf hinweist, was wir besser machen können.“
Das ist noch recht diplomatisch formuliert. Wer sich unter Clubgästen
umhört, bekommt den Eindruck, fast jede*r hat eine Story zu erzählen, in
dem das SchwuZ mal danebengegriffen hat. Einen betrunkenen Gast ohne seine
Jacke vor die Tür zu setzen, zum Beispiel. „Wenn man als Club ein
politisches Selbstverständnis hat, dann kommt es dabei auch zu Fehlern,
Missverständnissen, Dingen, die nicht so gut laufen.“ Jeder Vorfall würde
untersucht – aber: Fehlerfreies Nachtleben gibt es – auch im SchwuZ –
nicht. Was hilft: Transparenz. Und Diskussion. Die ist im Neuköllner SchwuZ
schon zur Tradition geworden, nicht immer freiwillig.
Das Jubiläum feiert das SchwuZ-Team deshalb mit beidem, „Music and
Politics“ – das Motto der Party am kommenden Freitag. Es geht los mit einer
Diskussion um Genderrollen in den Medien. „Wir sind ein Club geworden, der
einerseits dafür da ist, dass möglichst viele Menschen möglichst viel Spaß
haben. Und andererseits kann man bei uns politische Themen ansprechen.“ Na
denn, Prösterchen.
15 Nov 2018
## AUTOREN
Marc Feuser
## TAGS
schwuz
Neukölln
Schwerpunkt LGBTQIA
Flüchtlingshilfe
Club
Musik
Clubs
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